Volltext Seite (XML)
ächsHe Nochnlung. unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmannschasten Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, N Haus »HM ^ür die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. Verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmann Wüller in Dresden. Exprd. u. Redaktion «retten v. Meißner Basse 4. Die Zeitung erscheint TtenftaG, Dsnaerftaa und e,«nakend früh. «donnements' Preis: »ürlcIjährl.Mk.1,50. Zu beziehen durch Lin Inserate werden bi» Montag, Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und kosten: dielspaltLeilelüPfg. Unter Eingesandt: WPfg. Juseraten- Aanahmcftele«: Die Arnoldische Buchhaiidluna, . Jnvalidendank, Haasenstein LVogler, Rudolf Mosse, B. L. Daube L To: in Dresden, Leipzig, Hamburg, Bertin, Frankfurt a/M. u. s. w. Wr. 12V. Dienstag, den 11. Oktober 1887. 49. Jahrgang. Politische Weltschau. Deutsches Reich. Anläßlich der bevorstehen den Ergänzungswahlen zum, sächsischen Landtage wird der ofstciöse^ „Nordd. Allg. Ztg." aus Dresden ge schrieben: Dw für den 18. Oktober anberaumte Wahl ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil dieselbe einen Schluß auf die nächste Reichstagswahl gestatten wird. Bekanntlich gelang es durch das feste Zu sammenhalten der reich-- und regierungsfreundlichen Parteien, nemlich der Konservativen und Nationalliberalen, denen sich auch die besseren Elemente der alten säch sischen Fortschrittspartei anschlossen und durch die außer gewöhnliche Rührigkeit aller auf dieser Seite stehenden Wähler, bei den letzten Reichstagswahlen die Social demokratie, die es schon einmal bis zu dem Besitze nahezu eines Dritttheiles aller sächsischen Reichstags wahlkreise gebracht hatte, aus allen den Wahlkreisen, die sie besessen, zu verdräügen, so daß aus Sachsen kein einziger Socialdemokrat in den neuen Reichstag gelangte. Es ist nun kein Zweifel, daß die Social- demokraten diesmal die äußersten Anstrengungen machen werden, um, wie ihre Wortführer es bereits angekündiqt haben, „die Niederlage vom 21. Februar am 18. Ok tober wieder wett zu machen" und dieser zu gewärtigende Ansturm der Socialdemokratie erscheint, für manche Wahlkreise wenigstens, insofern als nicht ungefährlich, als die extremen Fortschrittler vielfach sich zu jener Partei schlagen werden. Die Führer der konservativen wie der nationalliberalen Partei haben dieser Gefahr dadurch zu begegnen gesucht, daß sie das bei der letzten Reichstagswahl geschlossene Kartell auch für die Landtagswahl erneuerten und noch mehr zu befestigen suchten. Durch schriftliche und mündliche Verhandlungen kam rasch ein volles Einverständniß über die Neubesetzung der ledig werden den Wahlkreise zu Stande. In dieses Kartell wurden auch diejenigen Mitglieder der alten sächsischen Fort schrittspartei, welche bei der letzten Reichstagswahl, bez. schon bei dem Kampfe um die Militärvorlage sich von der Fraktion Richter losgesagt hatten, mit einge schlossen, das heißt, es ward festgesetzt, daß diese ganz so wie Mitglieder der Kartellparteien selbst behan delt, also von den letzteren bei der Wahl unterstützt werden sollen. Dieses Kartell scheint sich denn auch m der Aussührung zu bewähren. Neidlos haben die beiden durch dasselbe verbündeten Parteien, die Konser vativen und die Nationalliberalen, einander gegenseitig Zugeständnisse gemacht, sofern das Interesse der all gemeinen Sache dies erfordert. Gemeinsame Wahl- komits's wurden gebildet und arbeiteten mit vereinten Kräften rührig an der Vorbereitung des eigentlichen Wahlgeschästes. Sofern noch an ganz vereinzelten Punkten unversöhnte Gegensätze bestehen sollten, wie das gerade bei Landtagswahlen leicht da geschieht, wo örtliche und andere Sonderinteressen sich gegen die Unterordnung unter das Gemeininteresse sträuben, steht mit Sicherheit deren Ausgleichung im Sinne des Kartells zu gewärtigen, da die Centralleitungen beider Parteien in diesem Bestreben vom Anbeginne an voll kommen einig waren und auch fortwährend geblieben sind. Trotzdem wird es doch der größten Rührigkeit auf Seiten der reichstreuen wohlgesinnten Wählerschaft bedürfen, um den Sieg den Kartellparteien zu sichern. Gelingt dies, wie zu hoffen steht, so ist damit auch schon für die nächste Reichstagswahl viel gewonnen — eine Ermuthigung der Gesinnungsgenossen und eine Herabstimmung der Gegner, während wenn daS be dauerliche Gegentheil, ein Sieg der Socialdemokraten und wäre es nur in einzelnen Wahlkreisen, stattfände, dies natürlich die entgegengesetzte bedenkliche Wirkung haben würde. Die sehr beunruhigenden Nachrichten über das Befinden des deutschen Kronprinzen, welche vor einigen Tagen von Berlin aus verbreitet wurden (siehe Nr. 118 unseres Blattes), erfahren nunmehr glücklicherweise von autoritativer Seite her ein sehr energisches Dementi. Die Geschwulst an den Stimmbändern — so schreibt man — ist bereits seit zwei Monaten gänzlich ge schwunden, so daß eine Erneuerung der Wucherung kaum zu befürchten steht. Der Kronprinz sieht übri gens vortrefflich aus und wenn seine Stimme auch noch nicht wieder die frühere Stärke erlangt hat, so besitzt sie doch einen Hellen Klang. Was den zu wäh lenden Winteraufenthalt betrifft, so soll ein mildes, gleichmäßiges, feuchtes Klima aufgesucht werden, ein Ort, wo den: hohen Patienten keine Gelegenheit zu vielem Sprechen geboten wird und wo er auch keinen solchen Naturereignissen ausgesetzt ist, wie sie im vorigen Jahre die Riviera verwüsteten. Einstweilen ist für den Aufent halt des Kronprinzen Baveno in Aussicht genommen; später soll jedoch an der italienischen Küste ein Platz ausgewählt werden. Hoffentlich ist dann im Mai die Reizbarkeit der Kehlkopsschleimhaut vollständig gehoben, so daß der Kronprinz wieder nach Potsdam über siedeln kann. Wie aus Paris gemeldet wird, überreichte am Freitag der dortige deutsche Botschafter Graf Münster dem französischen Minister des Auswärtigen einen auf 62,500 Franks lautenden Check als Entschädigung für die Wittwe Brignon's. Gleichzeitig erklärte Graf Münster wörtlich: „Die deutsche Regierung, welche bereits ihr lebhaftes Bedauern hinsichtlich des Zwischenfalles an der Grenze ausgedrückt und sich bereit erklärt hat, die direkt davon betroffenen Personen zu entschädigen, hält sich moralisch sür verpflichtet, den durch einen ihrer Agenten in Ausübung seines Berufes verursachten Schaden wieder gut zu machen und hat sich daher entschlossen, wenigstens das LooS der Familie des HauptopferS zu sichern. Die eingeleitete Untersuchung wird übrigens den Grad der Schuld des bei dem bedauerlichen Vorfälle betheiligten deutschen Soldaten feststellen." Vom Vereine für Socialpolitik, dessen jüngst erst erschienenes Gutachten über die Wucherfrage den Anlaß zur Erwägung einer Abänderung unserer diesbezüglichen Gesetzgebung gegeben hat, sind gegenwärtig zwei neue EnquSten in Angriff genommen worden. Die eine be zieht sich auf die Hausindustrie und soll namentlich darthun, in welchen Gewerbszweigen sich augenblicklich noch diese Industrie als lebensfähig bewährt. Die andere EnquSte hat die Feststellung der Gründe für den Preisrückgang der Produkte der verschiedenen Gewerbe während der Jahre 1881—1886 zum Zwecke. Man will u. A. untersuchen, ob die Preisreduktion der neueren Zeit auf Verschiebung des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage bezüglich des Edelmetalles zu rückzuführen ist, oder ob der Rückgang in der Ver.^ schlechterung der Produktionsbedingungen (Preise des Rohmateriales, Löhne rc.), sowie in den allgemeinen resp. speciellen Verkehrs- und Handelsverhältnissen seine Ursache hat. Ueber den in St. Gallen abgehaltenen Socialiften- Kongreß werden nachttäglich noch solgende Einzelheiten gemeldet: Am Sonnabend und Sonntag kamen die Socialdemokraten von Ost und West in St. Gallen an, von wo aus sie alsbald sich über St. Leonhard in die stille, entlegene Bierbrauerei Schönenwegen bei Brüggen begaben. Hier wurde am Sonntag, Montag und Dienstag die Frage erörtert, welche Politik die socialdemokratische Partei in Zukunft zu befolgen habe. Wer in der Umgebung des Lokales etwas Außer gewöhnliches wahrzunehmen hoffte, sah sich jedoch ge täuscht; kein einziger Theilnehmer an dem Kongresse verließ das Lokal, sondern vom frühen Morgen dis späten Abend blieb Alles beisammen. Keinem, der sich nicht als Gesinnungsgenosse aufweisen konnte, ge lang es, den Sitzungs-Saal zu betreten. Selbst die Speisen und Getränke dursten nicht 'vom Wirth- schaftspersonale aufgetragen werden; die Bedienung be sorgten vielmehr Anhänger der Socialdemokratie aus der Umgegend. Die Reichsregierung hat sich wieder einmal ver anlaßt gesehen, in Kamerun gegen die Eingeborenen strafend vorzuaehen. Während nemlich an der Küste völlige Ruhe herrscht, da sich die dortige Bevölkerung Feuilleton. Die Pflegekinder des Kommercienraths. Novelle von Carl Hartmann-Plön. U- Fortsetzung.) „Da kam zufällig die Frau Principalin zu uns, um nach meiner Frau zu sehen, die krank gewesen war, sah Sie, Fräulein Katharina, glaubte in Ihrem Gesichte eine Aehnllchkeit mit ihrer verstorbenen Tochter zu erblicken, verliebte sich in Sie und mit den Worten: „Die Katharina geht mit mir, Sie haben sich da eine Last aufaeladen, Martin, die ich Ihnen wieder abnehmen muß", faßte sie das kleine Mädchen bei der Hand und verließ meine Wohnung. So waren Sie plötzlich die Pflegetochter reicher Leute geworden." „Ich schulde Ihnen Dank, Martin", sagte Katha rina in einem etwas kühlen Tone, „daß Sie sich da mals meiner angenommen haben und verdanke Ihnen ja auch indirekt, daß ich in dieses HauS gekommen, aber die Vergangenheit bis zu meinem achten Jahre, die ich bei meinen Aeltern verlebte, wo man mich sogar auf die Straße schickte, um zu betteln, war so grauenhaft, fo entsetzlich, daß eS mir jedeSmal einen Stich in's Herz giebt, wenn ich daran erinnert werde. Thun Sie es nicht zu oft, Vater Martin." „Ich bitte um Entschuldigung, Fräulein Katharina, daß uh eS heute gethan, eS soll gewiß nie wieder ge schehen! Ich wollte Ihnen nicht- Unangenehme- sagen und begreife selbst nicht, wie eS in diesem Augenblicke über meine Lippen gekommen ist." „Ich weiß, daß Sie mich lieb haben, Martin und Sie wissen es, daß ich Ihnen ein großes Vertrauen chenke und Manches mit Ihnen bespreche, was ich onst in mich verschließen würde. Sie sind ja außer )em Kommercienrath der Einzige, der meine Vergangen heit kennt, dem es bekannt ist, daß ich aus dem Prole tariat hervorgegangen bin. Die Pflegeältern hatten die Rücksicht, als sie mich zu sich nahmen, ihren Bekannten zu erklären, daß ich eine entfernte Verwandte von ihnen sei, damit später Niemand über meine Herkunft die Nase rümpfen könne und Ihnen, Martin, wurde Schweigen auferlegt." „Das ich auch noch keinem Menschen gegenüber gebrochen habe." „Selbst Heinrich kennt meine Vergangenheit nicht und ich — nun ja, ich bin so eitel, daß ich lieber als eine Verwandte dieses reichen Hauses angesehen werden möchte, als ein aus dem Schmutze emporgczogenes Proletarierkind. Ich habe schon ost darüber nachgedacht, was wohl aus mir werden würde, wenn ich in ärmere Verhältnisse zurückkehren müßte. Hier umgiebt mich Reichthum und Ueberfluß; der Onkel sieht eS gern, wenn ich mich vornehm kleide, ich brauche in dieser Beziehung nur einen Wunsch auszusprechen, so ist er mir schon aewährt. Ich bin dadurch so verwöhnt worden, daß ich mich unglücklich fühlen würde, wenn mir der- artiae Wünsche nicht mehr erfüllt werden könnten. Ein dürftiges, sparsame- Leben zu führen, wo man täglich rechnen muß, um mit einer Keinen Summe auSzukom- men, wo man Alle- entbehren, sich jede- Vergnügen versagen muß, wäre mir nicht mehr möglich. Ob eS nicht besser gewesen, Vater Martin, wenn ich bei Ihnen geblieben und aufgewachsen wäre, da hätte ich nicht kennen gelernt, wie es sich lebt auf der Höhe deS Reich thums." „Ach, nein, Fräulein Katharina, da- wäre gewiß nicht besser gewesen! Hätten wir etwas sür Ihre Er ziehung thun können? Glauben Sie mir, eS wird so kommen, wie ich Ihnen schon gesagt habe und dann haben Sie nicht nöthig, irgend etwas zu entbehren und wenn es wider Erwarten nicht geschieht, so wird der Herr Kommercienrath seine Pflegetochter in seinem Testa mente schon in ausreichender Weise bedenken." „Gewiß, vor Noth wird er mich schon sicher stellen, aber den — Glanz werde ich entbehren müssen." „Lieben Sie denn gar so sehr den Glanz?" „Ja, Martin." „Er wird Ihnen auch nicht genommen werden. ES ist unmöglich, daß der Heinrich eine Andere wählen sollte, als Sie!" „Eine Andere!" sagte daS junge Mädchen tonlos, starr vor sich hinblickend. Hatte sie bis dahin an eine solche Möglichkeit noch nie gedacht? Eine Sckunde lang entstellten sich die hübschen, interessanten Züge ihres Gesichtes so eigenartig, daß sie fast unschön erschienen. Martin stieg in diesem Augenblicke vom Stuble wieder herunter und hatte die Veränderung in Katya- rina's Antlitz nicht bemerkt. „Nein, nein", fuhr er fort, „eine Andere darf eS nicht werden. War eS nicht der Wunsch der seligen Frau Kommercienräthin? Und bat der Herr Principal Sie, Fräulein Katharina, nicht so lieb, daß er, fast ist eS eine Sünde, zu sagen — Sie am Ende gar vor lauter Liebe noch selbst heirathen könnte!"