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Nr 232 IS. August 1844. Montag der wirthschaftlichcn Thätigkcit geworden ist, und die Zeit hcrbcisehnen, wo auch das industrielle Leben in eine andere Phase der Entwickelung ge- treten sein wird. Was der Gegner über die rechtliche Stellung der Fa- brikhcrrcn zu den Fabrikarbeitern sagt, und worin er sie mit den tausend fachen anderweitcn Geschäfts- und Dienstverhältnissen unter den Men schen vergleicht, ist an sich ganz wahr, aber es ist nicht die ganze Waht- hcit,^ cs fehlt grade Das, was das betreffende Verhaltniß charakterisirt. Vergleichen wir einmal das Fabrikwcsen mit der zunächst vorhergehenden Entwickelungsphase in demselben Gebiet, in der Industrie: mit dem Hand werke. Im Handwerk steht auch ein Unternehmer einer Anzahl von ihm beschäftigter und abhängiger Individuen, unter an sich für ihn noch gün- stigern Bedingungen, gegenüber. Er gibt ihnen einen niedrigen Lohn, niedriger als der des Fabrikarbeiters, niedriger, als sie ihn, streng genom men, verdienen; er rechnet häufig Wohnung und Kost als Loh» an; er treibt das Geschäft für eigne Rechnung und zieht den ganzen Gewinn davon; von den Lehrlingen bekommt er selbst noch Lehrgeld; der Geselle -kann keinen eignen Herd begründen, sich nicht verheirathen, was Alles dem Fabrikarbeiter freisteht. Und doch hält man das Handwerksverhält- niß für ein politisch, social, moralisch und in Betreff des Wohlbefindens der Betheiligten wohlthätiges, und das Fabrikwcsen eher für das Gegen theil. Worin liegt das? Es sind hier mancherlei Umstände ins Äuge zu fassen. Zwischen dem Meister und seinen Gesellen findet kein schroffer Contrast in Lebensart, Bildung und Verhältnissen statt. Er steht durch Vermögen, Ansehen und bürgerliche Stellung eine Stufe höher; aber was ist diese Stufe gegen die Kluft, die den Fabrikherrn vom Fabrikar beiter trennt? Dort hat cs Einer mit fünf, sechs, vielleicht zehn, höch stens zwanzig Gesellen und Lehrlingen zu thun; hier steht der einzelne Unternehmer Hunderten, ja Tausenden von Arbeitern gegenüber. Im Handwerke wird der Lehrling für das Geschäft unterwiesen, lernt es in allen seinen Theilen kennen und zahlt sein Lehrgeld, damit er zum Ge sellen gebildet und dereinst Meister werde. Der Geselle begnügt sich mit geringem Lohn, weil er die Jahre des Gesellenstandcs hinzubringen hat, sich auch durch manche Erfahrung und Uebung vervollkommnen will und das, Meisterwerken in Aussicht hat. Viele Gesellen sind an sich befähigt, jeden Augenblick an die Stelle des Meisters zu treten; mancher Geselle ist geschickter als sein Meister; das ganze Verhältniß ist ein Bildungs- verhältniß und sein Zweck: die vollständige Ausbildung des jungen Hand werkers in seinem Geschäft, um ihn einst als tüchtigen Meister ins Leben cintreten zu lassen. Er wird mit allen Theilen der Arbeit, des Geschäfts bekannt gemacht, greift überall ein, hat mit Allem zu thun. Das Fabrikwesen im eigentlichen Sinne des Worts beruht auf der strengsten, ins Einzelste durchgcführten Theilung der Arbeit und wendet je den Arbeiter nur zu einem einzelnen Theilgeschäft an, in welchem er eine eminente Fertigkeit erlangen kann, ohne jemals zu einer andern Arbeit, zur alleinigen Fertigung des ganzen Products geübt zu werden. Neben ihm arbeiten Hunderte von Andern, neben ihm arbeiten die mächtigen Maschi nen und in den Dienst der Menschen gezogene Naturkräfte. Die Orga nisation der Fabrik, unter Leitung der Arbcitsvorstehcr, vermittelt das Jneinandergreifen; der einzelne Arbeiter bleibt ein Werkzeug, ein Ma schinentheil und ist, losgctrcnnt-vom Zusammenwirken, verlassen und un fähig. Dieses ein Leben lang fortgesetzte mechanische Einerlei macht me chanisch, stumpf, geist- und gedankenlos, statt zu bilden, zu heben. Das Handwerk vcrtheilt seine Gewinne auch ungleich zwischen Arbeitsherrn und Arbeiter; aber es breitet in hundert Werkstätten aus, was die Fa brik in Einer Anstalt zusammenfaßt; cs begründet einen mäßigen, aber vielvertheilten Wohlstand, den güldenen Boden des Bürgerstandcs, wo das Fabrikwcsen großes Capital um einzelne Punkte sammelt, von denen dann Tausende Dürftiger abhängig sind. Der einzelne Handwerksmeister mag zu Grunde gehen und seine Gesellen gehen zu dem Nächsten; das Sinken einer Fabrik macht Hunderte brotlos. Der Geselle begnügt sich mit geringerm Lohn, weil die Aussicht : Meister zu werden, ihm vor Äu gen steht; der Fabrikarbeiter hat nur die Aussicht vor sich, so lange er Kraft hat und das Geschäft geht, in seiner zeithcrigen Lage zu bleiben. Des halb nimmt er die guten Tage forglos mit und denkt der Zukunft nicht, die ihm nichts Besseres bietet. Das Handwerk hat seinen Markt in der Nähe und steigt und sinkt und erholt sich wieder mit dem Lande; die Fa brik hängt vielfach von den Wechselgängen des Weltmarktes ab, die kein einzelner Staat beherrschen kann, und so mag sie Ärmuth und Elend mit ten in ein blühendes Land bringen. Das Handwerk, wo es mit rechtem Sinne betrieben ward, verlängerte das Familienleben bis an die Zeit, wo der junge Mann seinen eignen Herd begründete^ und trug einen hausvä- terlichcn Charakter; die Fabrik zerstört das Familienleben, indem sic Hun derte, Tausende, selbst schulfähige Kinder in ihre Arbeitssäle versammelt und dort in dem massenhaften Arbeiten, zwischen den Nädern der Ma schinen, im mechanischen Einerlei nichtvcrstandener Stückarbeiten abmüht, Männer, Frauen, Kinder, sie alle nur als Arbeitskraft nehmend. Im Ueberblick. Deutschland. ff Aus Obersachsen. Fabrikwesen und Handwerk. -Aschaffenburg. Frauenkloster. Die Arbeiter im Voigtlande. — Tod des Hrn v. Rümelin. — Selbstmord in Stuttgart. — Russische Leibeigne in Vaden. — Die SchleSwigsche Ständeversammlung über Absetzung von Schullehrern und Beamten, ff Weimar. Der König und die Königin der Niederlande. — Die Hamburger Untcrstützungsbchördc. Preußen, x Vertin. Die Immediatgesuche- *Äus Schlesien. Die Ge rüchte von Unruhen. Das Militair. Die Eisenbahnarbeiter. * Posen. Die Erzbischofswahl. Der Brudermord. "Posen. Verdächtige Uhren. Ausweisung. — Hr. Lüning in Rheda. — Erklärung dcs Hrn. Benary. — Unterstützungsmaßregel- — Hr. Pelz. — Weitling. Oesterreich, ff Wien. Der König von Preußen- Ludwig Philipp. Die Strichbuben. c^Wien. Stadterwciterungsplan. — Die Criminalkostcn. Spanien. -Paris. Aufregung in Aragonien. Hr. Munoz- Ceuta- Großbritannien. Unterhaus: Hr. Sheil über O'Connell's Gcfangcnhal- tung- — Die Staatseinnahme. — Der Prinz von Preußen. Frankreich. Der National über die Seemacht Frankreichs. Die Jour nale- ff Paris. Marokko. Ludwig Philipp's Reise- Schweiz. Die Lagsatzung über die Bundesrevision. Wallis.— vr. Hurter. Schweden und Norwegen. Stockholm. Der Reichstag- Der König. Das Vorspannwesen. Rußland und Polen. Ukas in Betreff der Leibeigenschaft. Nordamerika. -Ncuyork. Die Unterhandlungen mit dem Zollverein. Die Ueberschwemmungen- Die Geschäfte. Perfonalnachrichten. Handel und Industrie. * vom Harz. Der Branntweinverbrauch. -Posen. Aernte. Wien. Dampfschiffahrt. — Die braunschwciger Messe. — Berlin. Neueste Nachrichten. Paris. Abdankung Mohammed Ali's- Entbin dung der Prinzessin von Joinville. Der Herzog von Nemours- Ankündigungen. D eutschland. ff Aus Obersachsen, 16. Äug. In Nr. 2 t7 dieser Zeitung ist ein sehr eifriger Verthcidiger der Fabrikherren ausgetreten und hat mit großer Ausführlichkeit, mit leidlicher Mäßigung gegen die Gegner seiner Sache und mit lobenswcrther Thcilnahme an dem Schicksale der Arbeiter seine Clienten, wahrscheinlich seine Standesgenossen, in Schutz genommen. Uns scheint es, als sei das Haltbarste, was er behauptet, bereits in einem Arti kel dieser Zeitung über die Organisation der Arbeit (Nr. 159) geltend gemacht (vgl. auch Nr. I8Z) und als seien dabei die eigentlichen Hauptpunkte der Frage, die er zum Theil ganz übergeh^ sicherer hcrvorgehoben worden. Seine Ausfüh rung zeigt uns zunächst, daß eine Taktik, von der wir zuweilen geneigt waren, anzunehmen, sie sei eine besondere Erfindung der Parteijournalisten, die aber eigentlich alte Advocatcnkunst ist, gar nicht so schwierig und gar kein solcher Beweis besonderer Geschicklichkeit ist, als wir meinten, sondern sich Jedem darbietet, der im eignen Interesse streitet, der etwas zu be weisen sucht, was er beweisen zu können wünscht. Wir meinen die Tak tik, sich den Gegner und seine Gründe erst so zurcchtzumachen, wie sie am bequemsten zu widerlegen' sind, die stärkste Seite der gegnerischen Sache bei Seite zu lassen und sich auf die schwächste zu werfen. In der That, mit den Gegnern der Fabrikherren, welche diese als eine verschwo rene Rotte herzloser Egoisten darstellcn, die beständig nur darauf sänne, wie sic auf Kosten des Schweißes und Blutes der armen Arbeiter ihre Habsucht befriedigen möchte, war wenigstens eben so leicht fertig zu wer den wie mit denen, welche« die großen Grundherrcn als eine Gemein schaft systematischer Bedrücker des Landvolks auffasscn oder von einer permanenten Verschwörung der Regierungen, Obrigkeiten, Behörden und Beamten gegen Freiheit und Glück der Völker träumen. Dasselbe gilt von Denen, welche die Verschuldung Einzelner dem ganzen Stande zur Last legen, oder schon die Verschiedenheit des Glücksstandcs, den Umstand, daß die Fabrikherren zu den vermögcndern Klassen des Volks gerechnet wer den, die Arbeiter zu den ärmern gehören, für ein Unrecht und Unglück ansehen, oder die Ungleichheit der Vcrtheilung des Gewinns als eine Un- vcrhaltnißmäßigkeit und Ungerechtigkeit betrachten. An der Abhängigkeit der Arbeiter von den Arbcitsherrcn, ohnedies einem Bande, was nur zu leicht gelöss werden kann, die der Verfasser jenes Artikels ausführlich zu rechtfertigen sich die Mühe nimmt, hat wol noch Niemand Anstoß genom men. Ueberhaupf polcmisirt er hauptsächlich gegen Vorwürfe, die wir nur selten gehört, noch seltener gelesen und bei einer verständigen Presse gar nicht angetroffcn haben. Dagegen übergeht er die Hauptsache mit Stillschweigen. Wohl gibt es Umstände, welche es erklären können, warum Manche die Staaten glücklich preisen, in denen das Fabrikwcsen kein weitverbrei teter, integrircndcr, für das Gesammtlcben bedeutungsvoller Bestandtheil WM Deutsche Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!»