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Ein illustrirtes Fachjournal für die Wollen-, Baumwollen-, Seiden-, Leinen-, Hanf- und Jute-Industrie Herausgeber und Chefredakteur: Theodor Martin. Redaktion, Expedition u. Verlag: Leipzig, Turnerstr. 17. sowie für den Textil-Maschinenbau; Spinnerei, Weberei, Wirkerei, Stickerei, Färberei, Druckerei, Bleicherei und Appretur Eomsprech-Anschluss: Nr. 1058. Telegramm -Adresse: Redakteur Martin, Leipzig. Organ des Vorstandes des Vereins der Sächsischen Textil-Berufsgenossenschaft Deutscher Wollkämmer und Kammgarnspinner. nT1ÖT 1890. “,,7 , °“ ,lmjis ” V. Jahrgang. Alte und neue Textilkunst. Von Friedrich Fischbach. (Fortsetzung.) [Nachdruck untersagt.] ch darf betonen, dass es gar keine wichtigere Quelle als die Ornamente Alt-Perus giebt, um den Schlüssel zu den charakteristischsten und ältesten Ornamentformen zu finden. Wer als Gelehrter oder als Künstler sich vorstellen will, welche Symbole vor der Hieroglyphenschrift der Pyramiden in den verschollenen Kulturländern üblich waren, muss Alt-Peru studiren. Wir dürfen zwar nicht sagen, dass alle diese ausgegrabenen Reste älter als die Pyra miden sind, wohl aber, dass sich bis zur Inva sion der Spanier eine Kultur in Peru erhalten hat, die der Vorstufe der altägyptischen viel fach entspricht. Auf der ganzen Erde lässt sich wohl kaum ein Land finden, das gleichen Schutz vor dem Einflüsse anderer Länder geniesst. Auf der einen Seite die unendliche Wasserwüste des grossen Oceans und auf der anderen die him- I melhohen Cordilleren, baut sich Peru terrassen förmig längst des Meeres auf. Wunderbare I Naturschönheiten bieten die tiefen Thäler und die hochgelegenen Seeen. Vom Titikaka-See aus sollen die Inkas als Söhne der Sonne das Land erobert haben. Nach der Sage wanderten sie 500 Jahre nach der grossen Sintfluth ein, fanden aber schon die gewaltigen Bauten vor, deren Ueberreste speciell in Tiahuanuco das Staunen aller Architekten erregen. Einige Gewebe zeigen dieselben Figuren, und somit! dürfen wir daraus schliessen, dass die in sal- ' peterhaltiger Erde bei Lima gefundenen Leichen vor der letzten Sintfluth beigesetzt wurden. Schon die Art der Bestattung ist anders, als wir sie uns im Allgemeinen vorstellen. Dort konnte man nicht mit Homer vom lang hin bettenden Tod reden. Den Leichen legte man j die Hände und das Gesicht auf die Kniee. So wie die Indianer gewohnt sind, hockend J sich auszuruhen, wurden sie auch zur ewigen Ruhe bestattet. Zunächst dörrte man die Verstorbenen, so j dass sie fast nur Haut und Knochen waren, und dann umschnürte man sie mit den Fest kleidern wie einen Ballen, an welchem der Kopf bemerkbar ist. Durch einige Zeichen wurden Augen und Nase markirt. Die Leichen hervorragender Personen durften bei grossen Festen nicht fehlen. Es mag recht sonderbar ausgesehen haben, wenn zu einer Hochzeit, oder zu einem Begräbniss der fern wohnende Verwandte den Ballen mitbrachte, der den Stammesheros enthielt. Als die Spanier das Christenthum sehr energisch einführten, war es der grösste Verdruss der Geistlichen, unter den christlichen Altären zuweilen solche Leichen hallen bei besonderen Festen zu finden. — Es ist hier nicht die Stelle, um solche Absonder lichkeiten eingehend zu schildern, und es kann auch nur kurz angedeutet werden, dass die socialen Einrichtungen der Peruaner, die viel leicht 40 Millionen zählten, während jetzt kaum noch 6 Millionen in Peru leben, das Problem gelöst hatten, dass kein Elend, sondern nur relative Armuth existirte. Alles stand unter Verwaltung. Der geringste Peruaner hatte ein Anrecht auf den ihm zukommenden Lebens unterhalt, aber Jedermann bis zum obersten Beamten musste auch ein Arbeitspensum ver richten. Der heutige Begriff der Freiheit fehlte. Eigenthümlich berührt uns, dass keine Schrift und keine Zahl vorhanden war, und dass dennoch eine so grossartige Verwaltung in pein lichster Ordnung durchführbar und unter 300 Inkaherrschern ungetrübt blieb. Die Zah len wurden durch Knoten einigermaassen er setzt. Es sollen Seile mit Knoten in den Tempeln verwahrt worden sein, die wahrschein lich die Jahre der Herrschaft der Inkafürsten bekundeten. Fallen Schrift und Zahl weg, so müssen nothwendiger Weise andere Behelfe vorhanden gewesen sein. Dieser Schluss be weist die Wichtigkeit der alten Ornamentik. Ja, umgekehrt deutet er unserer Epoche an, dass die Schriftzeichen fast durchweg die ältesten symbolischen Ornamente überflüssig machten, und dass diese dann zu rein ästhe tischen Kunstgebilden umgewandelt wurden. Betrachten wir diese uralten Ornamente genauer. Nur auf einem Gewebe finden sieh Pflanzendarstellungen, jedoch nicht als eigent liches Ornament, sondern als Abbildung eines Weihgeschenkes. Sonst findet sich nirgendwo die Spur eines Blattes oder einer Blume. Der erste Eindruck ist, als wäre Alles aus geo metrischen Linien in Verbindung mit Thier- und Menschengestalten eckig gebildet. Je tiefer wir eindringen, umsomehr finden wir, dass die geometrischen Linien grösstentheils Theile der Thiere sind. Eine Linie mit Zick zackformen bedeutet einen Flügel mit Federn. Ein spitzgestelltes Quadrat mit einigen Ein- theilungen und Punkten wird zum Gesicht. Der Schweif der Thiere bildet sich als ä la grecque, die Haare eines medusenartigen Kopfes gleichen der griechischen Welle. Die Helden sind mit Scepter, Bogen und Pfeil in der einen und dem abgeschlagenen Kopf des Feindes in der anderen Hand abgebildet. Von Schönheitssinn ist bei solchen Figuren keine Spur; nur die harmonische Farbe versöhnt. Das grosse Gesetz, das Häckel hervorhob, ist auch hier erkennbar. Wie wir als Kinder vom 3. bis 6. Jahre zeichnen, nämlich derb die uns interessirenden Merkmale der Personen betonen, so zeichneten überhaupt die Menschen in ihrer Kindheits-Entwickelung. Jeder höhere Organismus muss stets seine Vorstufen durch laufen. Also, so wie wir als Kinder zunächst die Augen, Nase und Zähne und ferner die Finger markiren, so auch finden wir in Peru und selbst auf den ägyptischen Geweben stets das Markiren der wichtigsten Theile und das Vernachlässigen der Proportionen des Körpers. Im Gegensätze zu diesen künstlerischen Rohheiten, die jedoch anthropologisch höchst interessant sind, bewundern wir die Farben harmonie und die technische Vollendung dieser Gewebe. Uebereinstimmend mit den ägyptisch griechischen Geweben ist auch hier jegliche Musterung „Wirkwerk“. Die Kette wird mit der Hand durch farbige Wollfäden beiderseits umflochten (Gobelintechnik).