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»Hllnamnomie^ Das Schaffen AramlljitschChatschaturjans, neben Schostakowi'sch und Prokofjew der wohl bedeutendste sowjetische Komponist, ist zutiefst mit der ‘ nationalen Volkskunst Transkaukasiens verbunden. Von Kindheit an hörte Cha- tschaturjan armenische und grusinische Volksmusik, nahm sie in sich auf und studierte sie später gründlich. Diese nationale Musikkultur war der fruchtbare Boden, auf dem die Begabung des Komponisten wuchs. Chatschaturjan, der am 24. Mai (6. Juni) 1903 in der grusinischen Hauptstadt Tbilissi als Sohn eines armenischen Handwerkers geboren wurde und im kommenden Jahr seinen 75. Geburtstag begehen kann, erregte schon in früher Jugend durch ungewöhnliche Liebe zur Musik die Aufmerksamkeit seiner Angehörigen. Mit neunzehn Jahren begann er das Musikstudium. 1922 fuhr er nach Moskau und trat in das Musik technikum Gnessin ein, und zwar in die Klassen für Violoncello und Klavier. 1927 wechselte Chatschaturjan an das Moskauer Konservatorium über. Dort waren Michail Gnessin und Nikolai Mjaskowski seine Lehrer. Schon während seiner Stu dienzeit schrieb Chatschaturjan sinfonische Werke, Kammermusiken, Lieder und Militärmärsche. Chatschaturjan bestand die Abschlußprüfung am Konservatorium mit Auszeichnung und wurde Aspirant in der Klasse Mjaskowskis, der großen Einfluß auf seine künstlerische Entwicklung nahm. In kühnem Neuerergeist verbindet der Komponist den Stil der nationalen Volks musik mit den Traditionen der klassischen Sinfonik. Seine Werke sind in klassi- Auf zahlreichen Auslandsreisen hat Chatschaturjan auch als Dirigent eigener Werke Triumphe gefeiert, so bei der Dresdner Philharmonie in den Jahren 1964 und 1967. Die 1. Sinfonie e-Moll entstand 1934. Sie war Chatschaturjans Diplom arbeit am Moskauer Konservatorium und ist dem 15. Jahrestag der Gründung der Armenischen SSR gewidmet. Das dreisätzige Werk steht zum einem in seinem melodisch-thematischen Material der armenischen Musik nahe, zum anderen zeigt es die für Chatschaturjan charakteristische Farbenpracht, eine gleichsam impro visatorische Durchführungstechnik und die konstrastierende Gegenüberstellung von liedhaft ausgesponnener Lyrik und schwungvoll tänzerischem Gestus. In der langsamen Einleitung zum ersten Satz, dem „Kern des vollständigen Wer kes" (Chatschaturjan), werden gleichsam improvisierend melodische Gedanken vorgetragen, von denen zwei für das ganze Werk konstitutive Bedeutung erhalten: eine von den Streichern intonierte klagende Melodie, deren absinkender Duktus auch in späteren Werken des Komponisten als Ausdruck schmerzlicher Empfin dungen immer wiederkehrt, und ein lebhaftes Klarinettenthema (Allegretto giocoso). Beide Themen charakterisieren nach Grigori Schneerson die Liebe zur Heimat und wurden aus schmerzlichem Gedenken an die Leiden Armeniens in der Vergangenheit (erstes Thema) und dem Wissen um die revolutionäre Kraft der Menschen dieses Landes (zweites Thema) geboren. Wie ein Epos über die heroische und tragische Vergangenheit Armeniens beginnt die Sinfonie. Im marschartigen Hauptthema (Allegro non troppo) des ersten Satzes ist kämpfe rische Energie konzentriert, die sich in leidenschaftlich ausgetragenen Konflikten zu bewähren hat. Das zweite Thema, andante cantabile von den Violoncelli vor getragen, erscheint später in Chatschaturjans „Gajaneh"-Ballett wieder, dort als Ausdruck der Liebessehnsucht Aischas. Es geht auf ein armenisches Volkslied zu rück. Die durch dieses Thema beschworene lyrische Szene wird in der Durchfüh rung durch erneute Kämpfe verdrängt. Am Ende verklingt das Marschthema leise, und die schmerzliche Melodie der Einleitung behauptet sich. Der zweite Satz (Adagio sostenuto) singt von den Schönheiten der armenischen Landschaft, ihrer Poesie, aber auch ihrer Wildheit. Aus dem ersten Thema der Einleitung des ersten Satzes geht die tragende Melodie dieses Satzes hervor. Sie wird variiert, pastoral ausgesponnen und in einem raschen Mittelteil des Salzes schließlich zur beschwingten Tanzmelodie umgeformt. Dann stören neue Konflikte das fröhliche Treiben, ehe die Reprise die Stimmung des Beginns noch einmal aufg reift. Das Finale (Allegro risoluto) führt die Konflikte des ersten Satzes zur Lösung. Das Hauptthema ist aus Elementen der beiden Kernthemen der Sinfonie, des elegi schen Themas und des beschwingten Klarineltenthemas, gebildet. Auch das zweite Thema entsteht durch Rückgriff auf die Einleitung zum ersten Satz. Schmerz und Klage brechen wieder auf, ehe der jubelnde Schwung der optimistischen Schluß lösung sich Bahn bricht, getragen vom Hauptthema des Satzes, verschmolzen mit dem aus der Einleitung der Sinfonie gewonnenen zweiten Thema. Die Sin fonie wurde am 23. April 1934 in Moskau unter Eugen Szenkar uraufgeführt. wohl sogar überlegen. Leidenschaftliche Dramatik, aufrüttelnde Rhythmik und zarte Lyrik, hinreißende Virtuosität und Streben nach sinfonischer Durchdringung charakterisieren dieses bedeutende und markante russische Klavierkonzert, das an den Interpreten hohe geistige und technische Anforderungen stellt. Ein kräftiges, rhythmisches Hauptthema versetzt den Hörer sogleich in das Ge schehen des ohne Einleitung beginnenden 1. Satzes, der eine zugleich fe:erliche und dramatische Grundstimmung vermittelt. Dieses gehaltvolle, prächtige Thema erinnert in seinem nationalen, zweifellos in der russischen Volksmusik verwurzel ten Ton etwas an das letzte Stück aus Mussorgskis Zyklus „Bilder einer Aus stellung” (Das große Tor von Kiew"). Vom Solisten wird es aufgeriffen und mit reichem Passagenwerk virtuos paraphrasiert. Nach dem Erklingen eines ganz andersgearteten, ruhigeren Seitenthemas werden in der Durchführung beide Themen mit ihren einzelnen Motiven kunstvoll und sehr dramatisch verarbeitet, bis sich das lebensvolle erste Thema schließlich wieder immer mehr durchsetzt und der Satz durch eine stürmische Coda beschlossen wird. Der 2. Satz (Andante non troppo) ist ein poetisch-elegisches, sehr feines und gedankenreiches Musikstück, in dem neben dem Klavier, das hier ganz auf effektvolle Brillanz verzichtet, noch Violine und Violoncello solistisch konzertierend herangezogen werden. Stark dazu kontrastierend ist dann das kapriziöse, übermütige Finale des Werkes, ein Allegro con fuoco, angelegt, das in tänzerischer Bewegung mit schwungvol len, rhythmisch ausgeprägten Themen vorüberwirbelt. Hier kommt wieder die Virtuosität des Soloinstrumentes voll und ganz zu ihrem Recht, und voller Opti mismus, Glanz und Lebensfreude endet das Konzert. scher Form geschrieben, aber mit sehr eigenwilligen Veränderungen, die aus seinem unbändigen Ausdruckswillen herrühren. Chatschaturjans breit angelegte sinfonische Improvisationen stehen im Stil und Geist den weitgeschwungenen Weisen der armenischen Volkssänger, der „Aschugen", nahe. Auch die farbige Instrumentation erinnert im Timbre oft an die Klangfülle der armenischen und grusinischen Volksinstrumente. Dynamische Spannung erhält seine Musik durch die vielfältig wechselnden Rhythmen, die den weichen Fluß seiner liedhaften Me lodik oft kraß durchbrechen. Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1977/78 - Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Redaktion: Dr. habil. Dieter Hartwig Die Einführungen in die 2. Sinfonie von Schostakowitsch und in die 1. Sinfonie von Chatscha turjan verfaßten Hans-Peter Müller bzw. Hansjürgen Schaefer für das Konzertbuch, DVfM, Leip zig, 1972/74 Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 2.85 T. ItG 009-84-77 EVP —.25 M 4. PHILHARMONISCHES KONZERT 1977/78