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Wöchentlich erscheinen drei Rmmnnn, Pranumcraüon« .Preis 22j Siibergk. (« Thlr.) vicrlkliährlich, 1 Tblr. mr ganze gahr. ohne Erhöhung, in allcu Theilen ter Preußiseten Monnrchjc. Magazin für die Man vrilnumerirl auf diese« Literatur- Wait in Berlin In ter ErpebMön der Mg. Pr. Staat«-Zeiiung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz ss wie im Äuslande bei den Wohüöbl. Poft - Acmicrn. Literatur des Auslandes. 34. Berlin, Freitag den 5. Mai 1843. Dänemark. Nus Bindesböll's Mitcheilungcn über Deutschland. l. Die Karlsbader Krrche. Hier in Karlsbad dreht sich Alles uni die Badegäste, und ras Leben der Badegäste dreht sich wieder um gan; andere Dinge, als die, welche dem Reich Gottes angehören: cS bewegt sich, was den Kranken betrifft, hauptsächlich um die ewig sprudelnden Gelundheitsquellen, die aber noch Niemand Veranlassung gefunden hat, mit der Quelle zu vergleichen, die für ein ewiges Leben spru delt. Die Religiosität gebärt nicht zu den Dingen, welche die Leute mit sich auf die Badereise nehmen. Haben sie auch daheim so viel davon, als sie gerade brauchen, und ist sic ihnen selbst zu einer Art Bcdürsniß geworren, so ist dieses doch selten von Ler Beschaffenheit, daß es sich aus der Häuslich, keit mit losreißt und sie stets begleitet, wohin sie auch reisen. Es ist glebuo mlseriptum, ein an die Scholle gebundenes. Aird es aber dennoch mitge nommen, so ändert cS seine Natur und wird ein unzuverlässiger, gestörter Kompaß: cs führt die Gedanken des Menschen nicht langer nach dem unsicht baren, ewigen Pole des Lebens bin: die Nadelspitze kehrt sich gleichsam wic durch eine magnetische Kraft nach dem fernen irdischen Vaterland zurück, dessen Anziehungskraft mit dem Abstande wächst; es fällt mehr und mehr mit der Sehnsucht nach Heimat, Verwandten, Freunden, nach Allem, was dem Menschen aus Erden werth und tbeuer ist, mit dieser Art von Pietät zu sammen, gleichwie auch die Sehnsucht nur das Heimweh für jene entfernten Gegenstände einen mehr religiösen Charakter annehmen. Dennoch ist die Kirche hier des Sonntags meist voll von Menschen. Die Leute wissen nicht recht, was sie mit sich selbst anfaugen sollen, und sic flüchten überall hin, wo sich ihnen eine Thür öffnet, die ihnen einen Augenblick Aussicht gewährt, sich der Langeweile zu entziehen, welche wie eine drückende Mittags sonne in stets unveränderter Höhe und ungcschwächtcr Kraft über Karlsbads Firmament steht und sie von dessen Straßen und Plätzen verjagt. Die Musik bei den Hochämtern ist auch des Hörens werth. Was aber die Erbauung be trifft, so scheint es, daß sie hier weder gesucht noch gesunden wird, lind wie. sollte sie sich auch ohne einen besonderen glücklichen Zufall in einer Versamm lung von Menschen sindcn, die bloß zufällige Umstände zusammensührten, die tausend andere Dinge in ihren Gedanken mitbringcn, nur nicht ras, was bicr das Rothwcndigste ist.« Was wäre die Andacht, wenn sie, wic das Unkraut, in jedem Haufen Menschen, die zufällige Umstände vereinigen, gleich Wurzel fassen, gedeihen, blühen und Frucht tragen könntet Hier kommen Leute aus allen Ständen und aus allen Lagen des Lebens zusammen, vom Fürsten bis zum armen Bewohner der Hospitäler, aus allen Ländern Europa's, von allen religiösen Konfessionen, von allen politischen Farben, geplagt mit den ver schiedensten Seelen- und Körperleiden, aus den mannigfaltigsten Stellungen und Verhältnissen herausgcrisscn, den vielfältigsten Elementen in Europa's be wegtem Völkcrlebcn angchörend, Lcitcr der höheren Gewalt, die oft so zer störend in die Geschichte der neueren Zeit cingegriffen hat, vertriebene Könige und Prinzessinnen, landstüchtigc FrciheitShclden, allcSvcrmogcndc Diplomaten, vermischt mit einer Masse nichtsgeltendcr Personen obue Stand, ohne Rang, ohne Grundsätze, ohne Glauben, ohne bestimmtes Znteresse für irgend ein Ding in dieser und in jener Welt. Ich bcdaure die Geistlichen, die zu einem solchen Haufen reden sollen. Wo sollen sie anfangen, wo endent Auf was für einen Grund sollen sie bauen t Zn welchem Verhältuiß stehen sic zu ihren Zuhörern oder Lürken nur voraussetzen zu stehen t Sollen sie Freunde oder Feinde in ihnen sehen, An dächtige oder Spötter, Gaubensvcrwandte oder Glaubenswidersacher, Un gläubige oder Abergläubische, oder Alle mit einander zugleich f Ich weiß keinen anderen Ausweg, als alle mögliche Voraussetzungen fortzuwcrfcn, Katholizis mus und Protestantismus, Freundschakt und Feindschaft zu vergessen und von vorn anzufangcn, wic Lie Apostel, so gut ca sich tbun läßt. Ich glaube nicht, Laß Ler Apostel Paulus irgendwo auf seinen Reisen, selbst nicht in dein leicht sinnigen, beweglichen Athen, ein mehr gemischtes nnd mit sich selbst mehr un einiges Auditorium gehabt bat, als das, welches sich i„ per Kirche zu Karls bad versammelt. Er fand doch einen Altar ,,für die unbekannte Gottheit", an die er seine Predigt anknüpsen konnte. Und es ist in gewissen Hinsichten leichter, über die „unbekannte" Wahrheit zu reden, als über die verkannte, vernachlässigte, entstellte, geschändete und verrathcne. —- Hier sind unter den »E Menschen, welche die Badclisten als Gäste anführeu; Individuen ans allen Nationen nnd Ländern Europa's — Portugiesen und Normannen find, glaube ich, rie einzigen, deren Namen ich noch nicht bemerkt habe: — wollte man alle diese Menschen als Abgesandte und Repräsentanten der vcr- schiedenen religiösen Parteien betrachten, und könnte man Karlsbad für einen Augenblick in ein (MwGum oocuuwmoum verwandeln, wo jeder mit seiner Meinung vortrcten und seine Stimme abgeben sollte, um ein für unsere Zeit und ihre vielseitigen Fortschritte, für Christen jedes Vermögens und Standes, ein für alle Bildungsgrade paffendes, allgemeines, christliches Glau. benSbckcnntniß zu Staude zu bringen, welche Verwirrung würde da nicht ent- stehen, welche Mißgeburt würde da nicht zur Welt kommen! wenn überhaupt daran zu denken wärc, ein Resultat zu erhalten, und nicht Alles mit einander sich selbst aufhebcn und in Rauch und Dunst aufgchcn müßte. An der hiesigen Kirche sind drei Geistliche angestellt; sie gehören zum Orde» der „Kreuzherrcn" (Kreuzträger), der seinen Hauptsitz in Prag hat; sie tragen als Ordcnzeichcn ein rotheS Atlas-Kreuz mit einem sechseckigen silbernen Stern auf der schwarzen Tracht. Keiner von ihnen zeichnet sich als Redner aus, wozu auch hier die Umstände nicht die günstigsten sind. Sie polcmisiren nicht, dogmatifircn nicht einmal, sondern bleiben bei Gemein- Plätzen stehen, man sollte fast glauben aus Furcht, irgendwo anzustoßcn und rie Schuld auf sich zu laden, daß sic die Gäste aus Karlsbad vertreiben. Denn wic gute Katholiken die Karlsbader auch find, wie eifrig sie auch zu ihren Heiligen beten, ihre Badegäste lieben sic doch über Alles, nnd sie würden nicht erlauben, daß ihnen etwas zustießc, worüber sie sich mit Grund beschweren könnten, odcr was in irgend einer Art für die leibliche und Seelen-Ruhe, rie eine nothwendige Bedingung der Kur ist, störend cinwirkcn möchte. Ich will bloß einige Lhema's der Predigten anführcn, so weit ich sie behalten habe: Jungfrau Maria als Muster, sich Freundinnen zu wählen; — daß Tugend und Rechtschaffenheit den Menschen glücklich macht: — wie wir Zeugniß ablegcn solle», daß wir wahre Christen sind. Wenn es übrigens wahr ist, Laß cs die trüben Wasser sind, in denen man fischen soll, dann muß die Kirche in Karlsbad ein Ort scpn, wo Mcnscheufischerci mit Hoffnung auf gute Ausbeute getrieben werden könnte, und wo es sich lohnen müßte, cinen eifrigen und tüchtigen katholischen Pro pagandisten anzustcllen. ES sollte mich wundern, wenn ich der einzige Mensch wäre, in dessen Kopf dieser Gedanke erstanden wärc. Aber wenn so etwas ins Werk gesetzt oder nur vernicht würde, ko würde es bald bekannt, vom Gerücht vergrößert nnd übertrieben, nnd Lie nächsten Folgen würden scpu, raß Karlsbad in den protestantischen Theilen Europa's i» Mißkredit käme, nnd Lies ist etwas, was auf jede Weise verhindert werden muß. Wenn die Badegäste Karlsbad verlassen haben, daun ist es gewiß eine aufrichtig rechtgläubige, katholische Stadt; cs hat dann im Winter gute Zeit, bei seinen Heiligen Abbitte für die Sünde zu tbun, kcrcn cs sich jedcs Fahr schuldig macht, im Sommer so viel Ketzerei zu Herbergen und zu pflegen. Freiere Zdcen, glaube ich, bleiben hier nicht zurück, weder religiöse »och poli tische; es ist, wic cS scheint, auch in dieser Hinsicht vor Ansteckung gesichert. Nach allen Seiten ist cs von einer Menge religiöser Embleme nnd Heiligen bilder umgeben, die wic cinc heilige Schaar Wache um den Ort hallen. Wo man auf den gewöhnlichen Spaziergängen bingcbt, stößt man auf diesclbcn, so wic aus viele Darstellungen von Christi Ltidcnsgcschichtc. Ich finde sic weder schön noch erbauend »uv sähe gern, sie ständen »ich; ka. Die Henker- Unbarmbcrzigkcit ist das Einzige, was lebendig aus ihnen spricht. Ran sollt« glanbcn, daß Menschen, welche so etwas darstcllcn, ibr Vergnügen daran fän den, Christus noch einmal zu kreuzigen. Aber freilich ist dies ein Anfang von Kunst, und die Wahl der Plätze, wo sie angebracht sind, vcrräth cincn Sinn für das Schöne und Malerische, wovon man so off im Katholizismus Spuren findet. Keine GebirgSkpitzc ist so hochragend, so steil unv uncrstcig- lich, daß man nichi vcn Weg dahin gesunden und ein Kreuz dort als Sieges trophäe aufgcpflanzt hätte, so daß Lie Natur in ihren kühnsten himmclanstrc. Lenden Forme» mit einem Mal, ohne eine andere Veränderung, zu einem bloßen Fundamente, einem Fußgcstcll kür LaS erhabene Symbol der christlichen Religion verwandelt ist, und sie trägt diesen Schmuck so schön, als wcnn sie von Anfang an danach angelegt und bestimmt worden wäre.