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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prünumerstion«- Prei« 22j Sgr. (^ THIr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für Sa« ganze Jahr, ohne Er- üö Heinz, in allen Theilen der'Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »rännmerirt auf dirsei Literatur-Klatt in Bertin in der Expedition der Allg, Pr. StaatS-Zeitung (FriebrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wobllöbl. Post-Acmtern. Literatur des Auslandes. «W' 1V Äerlin, Freitag den-22. Januar 1841. WWMWSMMSMWLi Holland. Holland und der Charakter des Volks. Von X. Marinier. ES gicbt ein Land, das vermöge seiner geographischen Lage und seiner geringen Ausdehnung einem der beiden großen Länder, an die «s gränzt, zugcwiesen zn sepn scheint, ein Land, welches alle ver schiedene Regicrungsformen vurchgemacht hat, welches der Schau platz großer politischer unv religiöser Kriege gewesen ist, welches ven Portugiesischen Juden und den Französischen Protestanten, welches Baple und Mirabcau eine Zufluchtsstätte geboten hat, und das, irotz so vieler Kämpfe und so großer Meinungsverschiedenheit, einen «igcuthümlichen Charakter bewahrt hat, wie kaum ein anderes Land in Europa. Dieses Land, man hat cs wohl schon crrathen, ist Holland. Seit den ältesten Zöllen scheint das lange und tiefe Thal, das sich zwischen der Maas und dem Rhein bis zu den Ufern der Nord- See erstreckt, eine Beute fremder Eroberungslust gewesen zu sepn. Zuerst von verschiedenen Deutschen Stämmen besetzt, dann von den Römern erobert, hierauf den Franken unterworfen, scheint Hofland unter den Nachfolgern Karl's des Großen sich nur seiner Abhängig keit zu entwinden," um in sich zu zerfallen. ES wird von Fürsten, Grafen, Bischöfen beherrscht, welche alle nach Geld und Macht streben. Streitigkeiten erheben sich unter dem Volke, die sich durch Jahrhun derte hinziehcn. Im Anfänge des I4ten Jahrhunderts entspinnl sich «ine solche in Friesland, die länger als zwei Jahrhunderte dauert; uu Jahre IZ40 eine andere in Geldern unv neun Jahre später der schreckliche Kampf der lioellnofln und ßiGelPEesii! (der Angelhaken und «Stockfische), de: länger als ein halbes Jahrhundert die Dörfer und Städte gegen einander bewaffnet. Begünstigt durch diese innerlichen Streitigkeiten, welche die Bürger und Bauern schwächten, wuchs Vie Macht der Flandrischen Grafen empor. Ihr weites Gebiet fiel vcm Hause Burgund zu, das allmälig die Herrschaft über die ganzen Niederlande erwarb. Maria von Burgund brachte diese Maximilian von Oesterreich als Mitgift zu. Karl V. vereinigte sic Io48 mit der Spanischen Monarchie. Dreißig Jahre später entriß sich Holland dein Joche der Inquisition und des Absolutismus. Nun bildete cs sich zur Republik aus, und die ganze Welt wurde diesem kleinen Kaufmanusbunde tributpflichtig. Ludwig XIV. überzog Holland mit Krieg, und einige Jahre später schrieb dieses ihm Gesetze vor. Bald aber kam die Zeil stürmischer Revolutionen und furchtbaren Unheils. Der Winter bahnte vcr Armee Pichcgru's einen Weg und führte sie ins Herz des Landes. Holland war besiegt, seine Freiheit vernichtet. Diese stolzen Pro vinzen, welche Plnlivp il. wlverstanven hatten, verlieren Alles, waS sich noch von ihrer alten Verfassung erhalten hatte, Alles, selbst den Namen und die alten Gränzen, nnd vcr Batavischc Löwe wirv ein leerer Schmuck in einem Wappenschilvc. Kaum ist aber der Sturm vorüber, als das Land sich wiever aufrichtet, mit demselben Charakter und mit derselben Physiognomie. Hier wohnt ein ruhiges und bedächtiges Menschengeschlecht, vas sich sucht vnrch ven Schimmer des Ruhmes blenden läßt, Vas gegen das Unglück die Waffe vor Gevnlv hat und seine nicht glänzenden, aber gediegenen Tugenden unverbrüchlich festhält. Die Natur, die ihnen so viel zn schaffen macht, lehrt sic auf ihrer Hut sepn, und das siflecr, mit dem sie beständig im Kampf leben, gicbt ihnen Ausdauer unv Zähigkeit. Ich kenne kein Land, daß in den Reiscbeschreibungcn so unge recht behandelt würvc, wie Holland. Es wirv jährlich von vielen Reisenden besucht, die cs nach seinem wahren Charakter studircn könnten. Aber vie Einen kommen hierher, gleichsam nur um ihr Gewissen zu beruhigen; sic werfen höchstens einen flüchtigen Blick auf den Haag und Amsterdam und schreiben ihren Ramen in der Hütte Pctcr's des Großen cin. Andere bringen vorgefaßte Meinun- gen unv Gesichtspunkte uiit und würden cs sstr eine Schande halten, diese aufzugebcn. Wie viele Epigramme in Versen und in Prosa sind nicht auf ven Geiz unv vas Phlegma der Holländer gemacht worden! Zu wie vielen Spötteleien hat nicht das Rauchen und vas häufige Scheuern der Zimmer Anlaß gegeben! Zur Noth ist cS schon begreiflich, daß vcr Herzog von Alba in seinem katholischen und Spanischen Hasse meinte, Holland liege der Hölle am nächsten. Allenfalls ist cs zu fassen, daß Voltaire, den die Amstcrdamer Buch- hänvlcr geärgert hatten, in die boshaften Worte ansbrach: „Lilien «anaux, esnarsts, ennaille." Daß aber die Engländer und Deutschen, deren Sitten in so vielen Punkten mit denen der Holländer übcr- einstimmcn, ebenfalls dieses ehrliche Volk mit Spott überhäufen, ist in der That etwas wunderbar. Man höre nur den Dichter Butler: „In Holland stehen die Menschen beständig an der Pumpe und glauben sich nicht anders in Sicherheit, als wenn sie den Gestank riechen. Sie leben, als wenn sie gescheitert wären, und wenn sie sterben, werven sie über Bord geworfen. In ihren Schiffen sind sie wie vie Natten aufgeschichtct und mähren sich von allerlei fremden Erzeugnissen. Wenn ihre Kaufleute Bankerott machen, so leiden ihre Stävle Schiffbruch und gehen unter. Als Fisch-Kannibalen fressen sie andere Fische, und auf ihren Tafeln werden ihre Blutsverwandten geopfert. Das ganze Land ist wie ein Schiff, das den Anker auS- geworsen hat." So schreiben die Engländer in ihrem Kumour. Die Deutschen haben vollends erst, wenn man den Holländern glauben darf, das Land in vie übelsic Nachrede gebracht. Diese ungünstige Meinung der Ausländer ist vorzüglich eine Folge der Schnelligkeit, mit welcher sie das Land bereisen; denn es gehört nicht zu denjenigen, dcrcn erster Anblick fesselt. Um cs kennen zu lernen unv zu würdigen, muß man es von verschiedenen Seiten betrachten. Ich selbst piuß gestehen, daß ich nicht angenehm überrascht wnrde, als ich auS dem Norden hierher kam. Jetzt ist eS vorbei, sagte ich zu mir, mit den hohen Gebirgen Norwegens, mit ihren Fichtenumkränzungen und Schneegürtcln. Vorbei ist's mit den klaren Seen Schwedens, in denen vaS Blau des Himmels wie in einem Spiegel wiedcrstrahlt; vorbei mit den dunklen Thälern und den Wasserfällen, wo der Stroemkare die harmonischen Saiten seiner Siiberharfe ertönen läßt. Von dcm Dampfschiffe aus betrachtete ich die Landschaft, die sich vor meinen Augcn entrollte, und ich sah nur die weite einförmige Ebene, den gelben Muß, der sich in der Ferne verliert, und den umzogenen Himmel. Hier unv da drehen sich langsam die Arme einer Wind mühle; cin kleines "Häuschen erhebt sich am Ufer eines Teiches, zwischen einer fächerartig geschnittenen Hecke und einem Tarusbaume, der die Form eines Zuckcrhutes hat. Eine Barke gleitet auf dcm Kanal hin; cin Fischer kehrt langsamen Schrittes nach seiner Hütte zurück. Am Horizonte sieht man eine Kirchthurmsspitze aus einer Laumgruppe aufsteigen; aber nirgend einen Hügel, nirgends einen steilen Pfav, überall cinc grüne, wässerige Fläche, überall Wasser. Man kömmt immer weiter in dcm reichen und bevölkerten Lande; man erwartet, endlich das lärmende Getümmel eines bewegten Handels- und Geschäftslebens zu finden, aber überall herrscht Stille. Hier werden dic Geschäfte nicht geräuschvoll, wie in anderen Län dern, betrieben. Der Handwerker geht gemessenen Schrittes zur Arbeit; der Kaufmann hcgiebt sich bedächtig nach der Börse. Die Müßiggänger sitzen in den Schenken ohne Gesang nnd ohne Geschrei. Der Holländer, vcr vie Sparsamkeit zn den Hanpttugendcn zählt, ist sparsam mit seinen Bewegungen und seinen Worten wie mit seinem Gclve. Alles ist hier abgemessen und folgt dem Gange einer regel mäßigen Bewegung. Man kömmt in eine Stadt nnd sucht vergeblich den Schwarm der Neugierigen unv Geschäftigen, die auf den Straßen gcgcn cin- anver rennen. Die meisten Häuser sind mit einer eisernen Kette verwahrt, welche die Vorübergehenden in einer Entfernung von drei Fuß hält. Die Thüren sind hermetisch verschlossen 'und die Fenster inwendig durch weiße Vorhänge verhüllt. Man könnte fast glauben, baß die Häuser unbewohnt scpcn, ovcr daß vie Bewohner in tiefem Schlaf lagcn. Das Alles ist in der That nicht sehr erbaulich, nnd wenn man bedenkt, daß der Norden und Süden Hollands denselben Anblick dar- bietcn, und daß sich überall dieselbe Ebene unv dieselbe Physiognomie der Städte zeigt, so läßt cs sich wohl begreifen, daß die neugierigen Reisenden sich "mit der Besichtigung einiger hervorstechender Punkte begnügen und schnell ihren Wanvcrstab weitersctzen. Wenn aber ein Fremvcr nicht bei vcm äußeren Anblick stehen bleibt, wenn er die rauhe Schale, die so viele vortreffliche Eigenschaften verbirgt, zu durchdringen sucht, so wird cr Holland lieben und dcm Lande gern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Es gicbt kein bewundcrnswcrthercs Werk der Industrie und dcr Gedulv, als dcn Boven Hollands. Als die Deutschen Stämmc sich in diesen Gegenden nievcrließcn, fanden sie einen so haltlosen und wässerigen Boven, daß sic, wie TacituS sagt, nicht wußten, ob sie ihn Wasser oder Land nennen sollten. Die Familienhäupter zogen weit und breit umher, um einc Bodenerhebung zu fitwen, aus welcher