Volltext Seite (XML)
wurde wegen des Orakelspruchs (er werde der einst seinen Vater töten) gleich nach der Ge burt im Gebirge ausgesetzt. Ein Hirte fand ihn und brachte ihn zum König Polybos von Ko rinth, der ihn als eigenen Sohn erzog. Als Oedi- pus von dem Orakelspruch hörte, mied er die neue Heimat, um seinen vermeintlichen Eltern fern zu sein. Auf seinen Fahrten erschlug er ahnungslos seinen Vater Laios. Da er das Rätsel der Sphinx löste und Theben von die sem Ungeheuer befreite, erhielt er die Hand seiner unbekannten Mutter Jokaste und die Königswürde von Theben. 1. Akt. Theben ist von der Pest befallen. Der Chor erfleht von Oedipus, der die Sphinx be siegte, Errettung der Stadt. Sein Schwager Kreon wird ausgesandt, das Orakel in Delphi zu befragen. Das Orakel fordert Rache für Laios’ Ermordung. Oedipus rühmte sich seiner Kunst im Rätselraten: er wird den Mörder finden. So befragt er den Seher Teiresias, der längst die Wahrheit erkannt hat, aber den noch schweigt. Als Oedipus Kreon beschuldigt, die Herrschaft über Theben mit Teiresias' Hilfe an sich reißen zu wollen, verkündet der Seher seine Prophezeiung: „Dem König gab ein Kö nig den Tod." 2. Akt. Der Streit der Fürsten ruft Jokaste her bei. Sie glaubt nicht an Prophezeiungen; sie beweist, daß sie lügen. Hatte man nicht ge- weissagt, Laios würde durch die Hand ihres Sohnes fallen? Und doch erschlugen Räuber Laios, wo die drei Straßen von Daulia und Delphia Zusammentreffen. Diese Worte las sen Oedipus erschauern, denn an jener Stelle hat er, von Korinth heimkehrend, einen Greis erschlagen. Der einzige Zeuge der Mordtat tritt aus seiner Verborgenheit hervor. Ein Bote meldet Oedipus den Tod König Polybos’ und offenbart ihm, daß jener nur sein Pflegevater war. Jetzt begreift Jokaste alles. Sie eilt fort und erhängt sich. Zur Sühne blendet sich Oedi- ipus selbst. Das Werk und seine Geschichte Igor Strawinsky, dem für seinen „Oedipus Rex” eine Mischung von Oper und Oratorium, eine „Opera-Oratorio”, vorschwebte, wählte aus den griechischen Tragödien den „Oedipus der Tyrann" (vor 425) des Sophokles (496—406 v. u. Z.). Nicht jenen psychologischen Opern mythos im Geiste Richard Wagners oder Ri chard Strauss’, sondern äußerste Verdichtung des Geschehens, Umwandlung der dramati schen Handlung in objektivierenden Bericht, Verschwinden der dynamischen Aktion hinter bildhafter Statuarik! Wie sein Textdichter Jean Cocteau (1892-1963) mit dessen bedeu tendem Einfluß auf den befreundeten Stra winsky hatte der Musiker nicht das tragische Geschick des gegen die Mächte des Jenseits kämpfenden Oedipus, keinen in „tragischem Pathos" verhafteten Individualisten im Auge: Verkörperung menschlicher Haltung starrer Monumentalität und marmorner Kühle. „Oedi pus Rex” als Zeitsymbol und Signal eines „epischen Theaters" hohen geistigen Niveaus. Die Pläne zu „Oedipus Rex” gehen auf den Sommer 1925 zurück; Strawinsky dachte an ein größeres Bühnenwerk. Angeregt von Cocteaus „Antigone", die er 1922 in Paris sah, die kurz darauf Arthur Honegger komponierte, wandte sich der 43jährige dem „Oedipus"-Mythos des Sophokles zu. Strawinsky wünschte einen la teinischen Text zu vertonen - „eine Sprache, die nicht tot, sondern versteinert ist”, um die Geschehen auf äußerste Distanz zu rücken. Cocteau griff den Gedanken entzückt auf und schrieb ihm diesen Text sogleich französisch, der dann von Jean Danielou flugs ins Latei nische übersetzt wurde. In seiner „Chronique de ma vie" hat Strawinsky davon gesprochen, wie die „Gestalten der großen Tragödie ebenso wie ihre Schicksale durch die lateini sche Sprache wundervoll lebendig" wurden. „Dank ihrer erhielten sie das monumentale Maß und die erhabene Haltung, die dem majestätischen Charakter der antiken Legende entspricht.” Doch ist der Anteil Cocteaus si cher groß: die Fähigkeit der Raffung und Kon zentration der Tragödie bei unmittelbarer Sinnfälligkeit der Optik. Geistige Schau! Um die Handlung zu erklären, wurde ein Sprecher eingeführt, der den Ablauf der Vorgänge in der saloppen Diktion moderner Sprache er zählt. Die Musik nimmt das vorgegebene Maß des Marmorn-Strengen. auf, strebt nach Objekti vierung und Statik. Vom Klangrausch und rhythmischen Aufruhr, von den Elementen des Urrussischen des „Sacre du Printemps" (1913) ist hier nichts übriggeblieben. Nicht nur dies: in der „latinisierten” Musik des Opern-Ora- toriums scheint das Gesetz musikalisch-seeli scher Dynamik zugunsten antiromantischer Härte und Kantigkeit der Klanggestalt aufge hoben. Strawinskys konsequent verfochtener Neoklassizismus erreicht hier eine besonders eindrucksvolle Formulierung. Gezügelte Ex pression als ästhetische Ausgangsposition macht neue Werte frei: die geistige Erhellung der einzelnen Gestalten wie die gesammelte Stilgebärde der Männerchöre. Formal herrscht in der Aufteilung von Arien, Duetten und Chören, vom wuchtigen Introitus des Chores bis zu den trostlos klopfenden Bäs sen beim Abgang des geblendeten Oedipus, eine genau programmierte Ordnung des In tellekts. Dem unerbittlichen Formwillen Stra winskys entspricht das klare sprachliche Relief des Lateinischen. („Welche Freude bereitet es, Musik zu einer Sprache zu schreiben, die seit Jahrhunderten unverändert besteht, die fast rituell wirkt.”) So weit er in der Aufhebung jeglichen klas sisch-romantischen Affekts und schwelgeri schen Klanges geht, so fest und hart ist die hochstilisierte, eminent flexible Ausformung der Vokalstimmen: Jokastes beschwörende Orakel-Arie, Oedipus’ selbst in den Koloratu ren gemeißelte Passagen, Kreons von Finster nis geprägter Bericht vom zweideutigen del phischen Spruch. Antike Größe ebenso beim unverrückbaren Dur-Moll der Chöre und im völlig unnervösen, stählern Harten des Instru mentalen. Strawinsky proklamiert mit dem „Oedipus” keine neue Richtung, obwohl das Werk (wie später die Psalmensinfonie) im Tonalen und Metrischen zahllose Mit- und Nachläufer fand. Aus ihm spricht die Ästhetik eines Musik-Denkers, der in streng gefügten Blöcken die lateinische Musiktragödie höch ster geistiger Abstraktion errichtete. Igor Strawinsky komponierte „Oedipus Rex" 1926/27 in Frankreich, vorwiegend in Paris. Seine Uraufführung erlebte das Werk in ora- torischer Form am 30. Mai 1927 im Pariser Theätre Sarah Bernhardt mit dem Komponi sten am Dirigentenpult. Wohl war das allge meine Interesse groß, doch fiel die Neuheit gegenüber dem am gleichen Abend neucho- reographierten „Feuervogel" stark ab. Viel nachhaltiger war die Wirkung der szenischen Uraufführung am 28. Februar 1928 unter Franz Schalk an Wiens Staatsoper. (Marcel Prawy schreibt: „Zum nicht geringen Kummer einiger Dutzend Wiener Gymnasiasten, weil ein paar Professoren, die zugleich echte Opernnarren waren, Teile dieses Textbuches zum lateini schen Klassenlehrstoff erhoben.") Zwei darauf folgte, ebenfalls szenisch, die deu^BR? Erstaufführung in Berlins Krolloper unter Otto Klemperer. 1928 dirigierte Strawinsky sein Werk in einem Konzert der Dresdner Staats oper. Seitdem wechselten beide Aufführungs möglichkeiten - seit 1945 dominiert indes die szenische Form. Die in unserer Aufführung er klingende revidierte Fassung legte Strawinsky 1948 vor. Weitere Opern nach Sophokles schu fen George Enescu mit „Oedipe” (Paris 1936) und Carl Orff mit „Odypus der Tyrann" (Stutt gart 1959) sowie Wolfgang Rihm mit „Oedi pus" (Berlin (West) 1987). VORANKÜNDIGUNG: Festsaal des Kulturpalastes Dresden 4. PHILHARMONISCHES KONZERT Sonnabend, den 13. Januar 1990, 19.30 Uhr (Anrecht A 1) Sonntag, den 14. Januar 1990, 19.30 Uhr (Anrecht A 2) Dirigent: Jörg-Peter Weigle Solist: Ulf Hoelscher, BRD, Violine Werke von Denisow, Korngold und Ives Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in die Haydn-Sinfonie wurde dem Be gleittext zur Eterna-Schallplatte Nr. 826346, der Beitrag über Oedipus Rex von Strawinsky dem Buch „Oper von A—Z" von Ernst Krause (Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1976) entnommen. Chefdirigent: GMD Jörg-Peter Weigle — Spielzeit 1989/90 Druck: GGV, BT Heidenau 111-25-16 4,4 JtG 009-54-89 Foto: Frank Hohler, Dresden EVP —,25 M 3. PHILHARMONISCHES KONZERT 1. JUGEND-KONZERT 1989/90