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und Tageblatt 1 1 Erscheint jeden Wochentag Abends S Uhr für dm /V/H I > 8 andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2d Pf., zweimonatlich 1 M. dv Pf. u. einmonatl. 7ü Pf. heute stehen. Und was wäre die Folge? Sicherlich nicht aber sie kann sich mit de» Gedanken trösten, daß sie alle zeit der Sache gedient und daß gerade diese Angriffe ihre Bedeutung beweisen. Wie sie bei unserem stets auf Ber« tändigung zwischen Regierung und Volksvertretung ange wiesenen Staatsleben schon bisher größere Erfolge erzielte als irgend eine andere Partei, so wird auch für die Zu kunft eine Mittelpartei die einzig mögliche sein, mit der das Staatsschiff durch die Klippen hindurchgesteuert werden kann. der Besitz der Macht seitens der liberalen Partei, andern es würden unter dem Drucke der Zeitströmung, wohl auch erschreckt durch Gespensterseherei, welche ein Zu wachs der nach links neigenden Elemente hervorriefe, Viele der Reaktion Heeresfolge leisten, welche jetzt weit entfernt davon sind. Rechnen wir mit thatsächlichen Verhältnissen, o ist's gar keine Frage, daß weder Reichsregierung noch Reichskanzler daran denken, einer großen liberalen Partei ich zu unterwerfen, auch wenn diese die Mehrheit hätte. Wohl aber würde diese Partei den Reichskanzler und die ReichSregierung um so entschiedener auf die rechte Seite drängen, wo natürlich nicht die gemäßigte, sondern die extreme Partei die Oberhand erlangen müßte. Wir hätten dann das, was wir gerade am meisten vermeiden wollen — den Sieg der ReaktionI Das Alles klingt nicht sehr erbaulich und für Den- enigen, der gern mit klangvollen Redensarten um sich wirft, hat diese Kennzeichnung der Lage gewiß nichts Anmuthendes. Wenn uns alle die muthigen, gefinnungStüchtigen Leute, die so gern von eiserner Konsequenz, von entschiedener Oppo sition und ähnlichen schönen Dingen sprechen, einen Weg angeben können, auf welchem sie ihre Prinzipien zur Durch führung bringen und die Regierung zur Anerkennung der selben zwingen wollen, dann werden wir uns gern eines Besseren belehren lassen. Einstweilen aber glauben wir, daß die Politik ein praktisches Ding ist und man deshalb ein ganz guter Liberaler sein kann, auch wenn man sich den thatsächlichen Verhältnissen nicht verschließt. Noch für lange Zeit muß unser Wahlspruch die klassische Uebersetzung sein, welche Fritz Reuter von dem preußischen Saum euiqu« giebt: „Halt fest, was du hast, und nimm, was du bekommen kannst!" Aus alledem ergiebt sich, daß es ein großer Fehler ge wesen wäre, hätte die national-liberale Partei sich spalten wollen. Der linke Flügel wäre in's Schlepptau der Fort schrittspartei gekommen, der rechte würde bald genug zu einer willenlosen Handhabe der Negierung herabgesunken sein; für die ruhige Weiterentwicklung unserer Zustände wäre aber weder das eine noch das andere von Vortheil gewesen. Fürst Bismarck hätte sich seine Unterstützung nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite gesucht und wer weiß, wohin wir getrieben wären. Konflikte blieben jedenfalls nicht aus und sie kann unser Gemeinwesen jetzt am allerwenigsten vertragen. Das wird vermieden, indem die national-liberale Partei zusammen bleibt und in Achtung gebietender Stärke auf dem politischen Kampfplatz erscheint. Eine solche Partei kann der Reichskanzler nicht tgnoriren — im Gegentheil wird er ihr Zugeständnisse machen müssen und dazu auch bereit sein. Die Unterzeichner des national-liberalen Wahlaufrufes in Preußen geben uns Bürgschaft, daß wir eine solche Mittelpartei haben. Sie geben uns ferner Gewähr, daß die Führer der Partei, die Lage richtig beurtheilend, sich durch die jüngsten Ereignisse nicht nach links abdrängen lassen werden. Wollten sie das, der Entwurf des Wahl programms wäre die beste Gelegenheit gewesen, sich ein wenig in die Brust zu werfen. Sie haben das verschmäht und gerade das gemäßigte Gros der Partei herangezogen. Es darf erwartet werden, daß sie, frühere Fehler ver meidend, sich nicht zu leidenschaftlicher Erregung Hinreißen lassen, sondern auf der Bahn verbleiben, welche von ihnen seit dreizehn Jahren mit Erfolg betreten wurde. Verharren die Führer auf diesem Wege, bleibt die Partei ihrem Ver halten getreu, dann wird sie, obgleich für „abgewirthschaftet" verschrieen, dem deutschen Vaterlande noch manche Dienste leisten können. An Anfeindungen von rechts und links fehlt es lhr freilich nicht; sie wird von den Einen für „revolutionär", von den Anderen für „servil" gehalten; Vie Mittelpartei. Mit Absicht ist es von uns vermieden worden, die zahl reichen Wahlprogramme wiederzugeben, womit im Nachbar- lande Preußen sämmtliche Parteien und Fraktionen behufs der dortigen Abgeordnetenwahlen in letzter Zeit vor die Oeffentlichkeit traten. Sind doch derartige Programme meist recht dehnbar und ohne schöne Versprechen geht es selten ab. Gerade wie man sich bei Beurtheilung eines einzelnen Kandidaten mehr an dessen ganze Persönlichkeit halten sollte, als an seine Kandidatenrede, mehr an seine Vergangenheit als an das, was er uns für die Zukunft verspricht, so sehen wir uns bet einem Parteiprogramm viel lieber und genauer die Männer an, welche unter demselben stehen, als die schönen Redewendungen, die in ihm enthalten find. Aus diesem Grunde interessirt uns daS Wahlprogramm der national-liberalen Partei mehr durch die Bedeutung der Unterschriften, als durch Ton und Haltung. Bei einer Prüfung dieser Unterschriften sehen wir — mit Ausnahme Bennigsen's, der sich vom öffentlichen Leben vorläufig zurückziehen will — fast alle hervorragende Politiker vereinigt, welche man bisher in den Reihen dieser Partei zu finden gewohnt war. Die Männer des linken Flügels haben sich mit den mehr nach rechts neigenden Mitgliedern die Hand gereicht und damit zu erkennen gegeben, daß sie auch fernerhin eine einheitliche Partei bilden wollen, und die Pläne, welche auf eine Spaltung der Fraktion berechnet waren, gescheitert sind. Diese gemeinsame Unterzeichnung des Wahlaufrufs bildet die allerwichtigste Sette am Vor gehen der Partei. Denn wie die Dinge liegen, dürste die Fortexistenz einer großenMittelpartei die bedeut samste Thatsache im gegenwärtigen Parteileben sein. Es giebt kaum etwas, was die glückliche Weiterbildung unserer Zustände sicherer in Aussicht stellt, als die Gewißheit, daß sich die Männer, welche seit 13 Jahren gemeinsam für's Vaterland arbeiteten, auch ferner unter der alten Fahne zusammen finden. Die Geschichte lehrt ja auf jedem Blatte, wie gerade in leidenschaftlich bewegten politischen Kämpfen eine starke Mittelpartei nothwendiger ist denn je; daß verhängnißvolle Krisen meist dadurch herbetgeführt werden, wenn extreme Parteien die Oberhand erhalten. Es hat freilich etwas Verlockendes, an englische Zustände zu denken, wo zwei große Parteien einander gegenüberstehen und infolge dessen jederzeit Klarheit über die politische Situation herrscht. Aber erstens haben wir weder Whigs noch Tories und können sie auch gar nicht haben; und zweitens fehlt unseren Volksvertretungen die Machtbefugniß des englischen Par laments, ohne welche eine solche Mehrheits-Herrschaft, wie in England, gar nicht denkbar ist. Deshalb halten wir eS weder für möglich noch segenbringend, auf eine „große liberale Partei" zuzusteuern. Diese würde keine Mehrheit erlangen, denn wir wollen uns doch die Augen nicht vor der Thatsache verschließen, daß die Aussichten für eine „große liberale Partei" augenblicklich sehr ungünstig sind. Selbst wenn sie, was gar nicht anzunehmen, die Mehrheit hätte, würde sie doch nicht an's Ruder kommen. Wir haben eben nicht das parlamentarische Regiment, wie die Engländer, und noch andere Faktoren als die Volksvertre tung sprechen in Deutschland ein gewichtiges Wort mit. Würden also schwerlich die liberalen Prinzipien durch eine große Partei zur Geltung gebracht, so müßten andererseits nur die Gegensätze durch sie verschärft, die Leidenschaften entfacht und endlose Krisen heraufbeschworen werden. Es könnte bei solcher Scheidung in zwei große Parteien gar nicht ausbleiben, daß die Einen weiter nach rechts, di« Anderen weiter nach links gedrängt würden, als sie Amtsblatt für die königlichtu uud städtischen Behörden zu Freiberg und Brand Berautworüicher Redakteur Julius Brauu in Freiberg. 31. Jahrgang. Donnerstag, dm 18. September. Inserat« werden bis Vormittags 11 Uhrangenmn. men und beträgt der Preis für die gespaltene Zelle oder deren Raum 1ü Pfennige. Tagesschau. Freiberg, 17. September. Kaiser Wilhelm ist gestern Abend mit seinem Gefolge wohlbehalten in Berlin eingetroffsn. Mit diesen wenigen Worten wäre die Summe der heutigen TageSneuigketten erschöpft. Von Alexandrowo spricht man nicht mehr, die Mission Manteuffels ist vergessen; das Banket im Arthus hof, die Oderbeleuchtung bei Stettin und so ganz neben sächlich Bismarcks Reise nach Wien — das sind die Be gebenheiten, womit augenblicklich die Zeitungen ihre Spalten füllen. Bismarcks Reise nach Wien! Der Reichskanzler reist sicher von Gastein nach Berlin; ob über Wien oder München läßt sich erst feststellen, wenn der Telegraph die Ankunft des Fürsten hier oder dort meldet. Geplant war allerdings ein zweitägiger Aufenthalt in Wien; ob er zur Ausführung kommt, muß die Zeit lehren. Inte ressant ist allerdings, wie jedes Wiener Blatt etwas anderes über die Ankunft deS deutschen Reichskanzlers zu berichten weiß. Die „Deutsche Ztg." erklärt in sympathischer Weise: „Die Freundschaft zwischen den Schloßherren von Varzin und von Terebes in allen Ehren, aber Fürst Bismarck kommt wohl weniger hierher, um mit dem Grasen Andrassy Empfindungen auszutausche», als um sich der österreichischen Politik zu versichern, sich an Ort und Stelle darüber klar zu werden, ob er auf den Freiherrn von Haymerl« ebenso wird zählen können, als er auf den Grafen Andrassy zählen konnte. Darüber wird er vor Allem Klarheit zu gewinnen versuchen, und wir wünschen, daß er sie finde. Die Freundschaft mit Deutschland ist uns durch unser Lebensinteresse vorgeschrieben, und je unumwundener wir uns mit Berlin verständigen, desto besser für unS. Doch muß es eine Freundschaft sein, die nicht nach dem Sprüch lein: „Dem Einen die Last, dem Andern die Rast, mir der Genuß, der Andere muß", geregelt wird, sondern eine solche, die auf der Basis der vollständigen Gleichheit beruht." — Am giftigsten geb.hrden sich einige Organe der russischen Presse. Die „Neue Zeit" verspottet anscheinend^, jedoch mit etwas gepreßtem Herzen, den Fürsten Bismarck als Wanderdiplomat. Sie schreibt: „Fürst Bismarck wird in Wien erwartet, obgleich er erst vor Kurzem die Entrevue mit dem Grafen Andrassy in Gastein hatte und dort Alles erfahren, ja selbst entscheiden konnte, was noth that. Längst schon hat die politische Welt sich davon entwöhnt, den deutschen Kanzler in der Rolle eines Wanderdiplomaten zu erblicken. Damals zwar, als Oesterreich den ersten Platz im deutschen Bunde einnahm, mußte Fürst Bismarck andere Diplomaten aufsuchen, seit dem Tage der sür Preußen so glücklichen Schlacht von Sadowa aber sind viele Diplomaten bei ihm gewesen, er selbst empfing sie blos bis zur Ermüdung. Im vorigen Jahre versammelte sich „ganz Europa", vom Grafen Beaconsfield an bis zum Grafen Schuwaloff bei ihm. Demnach erscheint es etwa- seltsam, den deutschen Kanzler in der Rolle eines Diplo maten auf der Suche zu sehen. Freilich müssen die Gründe dazu höchst wichtig sein. Der Hauptgrund scheint darin zu bestehen, daß er seine äußere Politik in den letzten Jahren der bedenklichen Lage Deutschlands im Zentrum Europa's nicht anpaßte. Der ehrliche Makler hegte den Wunsch, es Allen auf dem Kongresse recht zu machen und hat es, allem Anschein nach, Niemandem recht gemacht, da sich die Noth wendigkeit für ihn herausgestellt hat, sogar Oesterreich den Hof zu machen." Der „Reichs-Anzeiger" publizirt eine aus Stettin da- tiite königliche Verordnung, welche das preußische Abgeord netenhaus für aufgelöst erklärt, sowie eine Bekanntmachung des Ministers des Innern, welche den 30. September als Tag für die Wahlmännerwahl und den 7. Oktober für die Abgeordnetenwahl festsetzt. — Der russische Botschafter Fürst Oubril ist in Berlin eingetroffen und übernahm be reits die Botfchaftsgeschäfte. — Das Obertribunal hielt