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Sonnabend Nr. 148. —- M. August 1843- ZW? Deutsche Allgemeine Zeitung. WM »Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Ueberblick. Deutschland. " Aus Mitteldeutschland. Die öffentlichen Spielban ken. * Kassel. Die neue morganatische Ehe des Kurfürsten. 'Aus Schleswig-Holstein. Die Gerüchte wegen der Thronfolge. Die Banksache. Die Volksstimmung. Das kieler Fest zu Ehren des Ver trags von Verdun. nFrankrurt a. M. Das Rabbinat über die Beschneidung, und der Reformverein. 'f Frankfurt a. M. Eine Cen- surmaßregel. Preutzem. -f-Aus Preussen. Neue Verordnungen über die Ehren gerichte und die Duelle beim Militair. tsesterreich. "Wien. Der Zolltarif, 'prcsburg. Hoffnung auf Er wählung Deak's. Großbritannien. Unterhaus: Preßgesetz 'Dublin. Die große Volks versammlung in Tara. Frankreich. Der Constitutionnel über die Begünstigung der Depu- tirten. I Paris. Das Eompte-rcndu des Deputirtcn Carnot. Die „Democratie pacifique". Italien. Ungnade und Flucht des modenesischen Ministers der Polizei Grafen Riccini. Dänemark. Kopenhagen. Ausgang der Jastram Snitgcr'schen Ma- nuscrkptsache. Schweden nnd Norwegen. Eine Nettungsanstalt für verwahrloste Kinder in Schonen. Serbien. ' pon der serbischen Grenze. Die Landesversammlung in Kragujewaz. Der französische Konsul. Neuer Aufstand in Bosnien. Vereinigte Staaten von Nordamerika. 'Boston. Unpopu larität und Achtbarkeit de« Präsidenten Tyler. Die amerikanischen Politiker. Die Jesuiten. Die Irländer. Paraguay, 'kio Janeiro. Unabhängigkeitserklärung von Paraguay und Oeffnuyg des Landes. -Sandet und jFndufirie. Berlin. Änkündigungen. Deutschland. **ÄUS Mitteldeutschland, 22. Aug. Es gibt noch Manches im guten Vatcrlande, worüber sich ein Reisender verwundern könnte, wie jener Engländer über das Reglement der Maindampfschiffahrt. (Rr. 142.) DaS Extrem der zu fein ausgesponnenen Polizeiaufsicht hat auch seine schreienden Gegensätze. Was sollte man z. B. einem Fremden antworten, wenn er darüber erstaunen wollte, daß in diesem wesentlich vorsorglichen und erwägsamcn Zeitalter, wo allenthalben Mal aria gewittert und gelüftet wird, oft über die Maßen; in einem mit dem kostbarsten Pcstessige durchräucherten Lande noch öffentliche Spielbanken nicht allein geduldet, sondern sogar gewissermaßen ef- siciell unterhalten werden? „Werbegreift dieses? könnte Jener sagen. An allen Ecken eures bürgerlichen Lebens stehen Constabler als Tu gend- und Sichcrheitswächler; wo ein dampfender Pfeifenkopf sich blicken läßt, erhebt sich ein weißer Warnungßstab gegen das feuerge fährliche Unternehmen; Niemand soll baden im Strom, es wäre die Stelle nicht amtlich bezeichnet, noch in seinem Garten auf Sperlinge schießen, noch Mäusegist legen an zugänglichen Orten — bis zur klein sten Gefahr steigt die vorsichtige Staatsgewalt herab, um euch gegen euch selbst zu schützen — ja, streut Einer nicht Sand bei Glatteis, und «in Vorübergehender bricht das Bein, kann Jener peinlich verfolgt wer den; und doch ist's an gewissen Oertern, an gewissen Stellen gewissen Leuten, die, wie ich höre, bei euch grade nicht zur Elite gehören, wieder «rlaubt, ihre fast tödtlichen Fallstricke öffentlich auszulegen? Wie kommt dies? Ihr seid ja sonst so äußerst kitzlich im Punkte der öffentlichen Sitt lichkeit und seht, was Moralität betrifft, gewaltig vornehm auf uns Andere herab; auch hört« ich diesmal auf meiner Fahrt viel von germanischer Sitte reden, und doch habt ihr neue Spielhäuser errichtet, während die Pariser mit so bedeutenden Opfern die ihrigen abgcschafft? Wie soll ich nun gar dies verstehen, daß in den deutschen Ländern, durch die ich gekommen bin, die Hazardspiele streng verpönt und bis in das tief ver schleierte Privatleben controlirt werden, sodaß es da fast kein Ver brechen gibt, welches mit heißerm Zorne verfolgt würde; während sie in andern Ländern wieder nur ausnahmsweise auf Jahrmärkten oder in Badeörtern geduldet werden, und zwar im Großen, gleichwie die Droguisten bei euch den Arsenik pfundweise verkaufen dürfen, was den Apothekern nach Quentchen zu thun untersagt ist? So sah ich in dem einen Lande groß« Placate mit Verboten gegen jedes Hazardspicl auS- gehangen, und traf zehn Minuten darauf in dem andern auf ein an der Straße prunkendes Spielhauö; ja, ich hörte sogar, daß solche Anlagen, welche dem Bauer und Pachter das Geld aus der Tasche locken, bei euch so zu sagen zur Domaine des Grundherrn gehören und einen Theil seiner Einnahme bilden. Wie wollen eure Kasuisten das nur vertheidigen? Ich kann nicht vorauSsctzen, daß ihr blos aus Ge fälligkeit gegen uns Ausländer Volkssittlichkcit und Staatsgcwissen solcher Gefahr und Verantwortung preisgcbt, denn was uns Englän der betrifft, so machen wir die Tollheit des halsbrcchendcn Reizes we gen wol einmal mit, verachten aber hinterher den Gelegcnheitsmachcv und sitzen überhaupt lieber still und meditiren. Um den Russen die Langweile zu kürzen, unternimmt aber ein philosophisches Volk gewiß keine solchen Experimente. Die Franzosen nun gar könnt ihr darüber cinbüßen; denn welches gute pariser Haus ließe wol, wenn das bei euch so hergeht, noch einen heißblütigen Jungen in eure Bäder und auf euern Eisenbahnen reisen, wo die hermetisch verschlossenen Wagen- thüren grade da auf Stunden geöffnet werden, wo die Spiclhäuscr Gelegenheit geben, den Hals zu brechen? Ich muß daher annehmen, daß bei euch ein unzähmbares Naturgebot für diese Anstalten streitet, und daß die Verwaltungen keinen andern Rath wissen, als stellenweise das Laster euch preiszugeben, damit die im Volkscharakter heillos wo gende Gewinngier an gewissen Orten Gelegenheit finde, gleichsam aus zuschwären. Nun, man kann zugeben, daß eure Moralisten, wenn sic auf die Spiclhäuscr zu reden kommen, wie gewöhnlich, den Mund gar zu voll nehmen und mit dramatischem Schwung gegen eine wahrhaft scandalöse Einrichtung auftreten, welche längst verdient hätte, durch den bittersten Spott gestürzt zu werden; daß auch die Schilderung von den «unseligen Folgen» und «traurigen Opfern» der Spielwuth nicht selten übertrieben, und auf der andern Seite bei euch diese Art von Beutelschneiderei mit einer gewissen Bonhommie und formalen Accuratcsse betrieben wird; aber dies nur bedenkt: daß, wo anerkannt Sträfliches ausnahmsweise, aus meist eigennützigen Gründen des Macht- inhabcrs, wieder geduldet wird, die Vernunft des Gesetzes sich in So- phistik verkehrt und das Ansehen desselben durchweg gefährdet wird." Was hätte auf diese Rede des Fremden der Patriot nun zu ant worten? Soll er den Sachverhalt nennen, wie er ihn weiß? oder schwei gen? oder lügen? Soll er sagen, daß das Volk in der sehr großen Mehrzahl dieses Laster nicht kennt und die Minorität, die es kennt, theils desselben sich öffentlich schämt, theils es verabscheut? Soll er die deutschen Verwaltungen nennen, die seufzend dem Unwesen zuschen und nichts thun können als sich die Hände in Unschuld waschen? Dies wäre für die Nation, die nach Ucbereinstimmung strebt, die be schämendste Antwort. *Äassel, 2l. Aug. Schon seit einiger Zeit waren mancherlei Gerüchte hier im Umlaufe, die bald mehr, bald weniger Glauben fan den, daß der Kurfürst gesonnen sei, sich wiederum zu vermählen. Erst in voriger Woche aber trafen nähere und bestimmtere Nachrichten hierüber ein, die zu einer vollkommenen Bestätigung jener Gerüchte dienten. Vorgestern endlich verlangte der Geschäftsträger des Kurfür sten, Staalörath Woehlcr, eine Audienz beim Kurprinzen-Mitregenten, die ihm gestern gewährt worden ist. In dieser hat nunmehr eine förm liche Notifikation der beabsichtigten Wiedervermählung des Kurfürsten stattgehabt. Dessen Wahl zu einer neuen Gemahlin ist auf eine der Töch ter dcS hiesigen Obersten ».Berlepsch (Nr. 145), gegenwärtigen Comman- danten der Residenz, gefallen, die sich in diesem Sommer in Begleitung ihrer Mutter im Bad Ems befand, wo sie dem Kurfürsten durch ihren Oheim, den Hrn. v. Kruse, welcher in der Eigenschaft eines Hofmar schalls dem Hofstaate des Kurfürsten attachirt ist, vorgestellt ward. Der vorläufige Verlobungsact hat bereits dort in Ems stattgefunden. Die Verlobte gehört einer allen Familie der hessischen Ritterschaft an, die im Kurhessischen, Hannoverschen und Preußischen begütert ist, und be findet sich in einem Lebensalter zwischen 2V und 25 Jahren. Man erzählt, daß der Kurfürst bereits früher, schon bei Lebzeiten der Grä fin von Reichenbach-Lcssonitz, während feines Aufenthalts in Baden, Gelegenheit gehabt habe, das Fräulein v. Berlepsch persönlich kennen zu lernen. Der Kurfürst ist jetzt im 67. Jahre seines Lebensalters. Dem Vernehmen nach hat derselbe daS Geschenk eines Capitals von 108,088 Lhlr. zur Mitgift für seine künftige Gemahlin bestimmt und