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«r. S37 — Jahrgang Tonnrag den Itt Oktober LVLO MchslslheUolksreltung Irlchetnt täglich nachm, mit «ulna-m- der Eo,m- und Zesttage. »«Saab« ». r Mit .Die Zeit in Wort und B!ld" dterteljShrltch 2,10 In Dresden durch Boten 2,40 In gang Deutschland>et Hau» 2 82 »«»gab« Ohne illustrierte Beilage dlertcy. 1,8« I, Dresden d. Boten 2,10 In ganz Deutschland frei Hau» 2,22 ^ -«inzel-Nr. I« 4 - ZeilungSpretSl. Nr- «858. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« «erden die «gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit IS ^.Reklame» mit SO I dte Zeile berechnet, bei Wiederholung«, entsprechenden Rabatt «uchdrnck»r»t, Redaktion und «klchüftSftkll«, Dresden. Ptllnther «trotze 4». - Fernsprecher I»«« 8Lr Rückgabe „»verlangt, «chriftstücke keine Verbindlich»«« Redaktions-Sprechstunde: II—12 Uhr Lssts Ls2UA«gusUs! „„ Voriküxileli« von 60 llark all RivsiAv ^U8vv»t»1, ßUQ8l.iko Lnklvksise, koksi l -llvt-l'lLnoi»! IoIl»i>i>-t!«orr«i>-LU«« IS Litte pi-obieren 5ie Illisei-en lioelifeikieii per Lfunej 1.35. Zerlmg 8< sioctzstrosi, Orescten. «lsUst'Iske.ri In siisn Staclttsiisn. l^lb Das Reichsparlament der Habsburger Monarchie. Von besonderer Seite wird uns geschrieben: Wie», den 14. Oktober 1910. Seit dis Geheimnisse des Voranschlages und der außer ordentlichen Kreditforderungen aufgedeckt vor uns liegen, seit wir die Thronrede und das ErposS des Grafen Aehren- thal kennen, ist uns eigentlich auch schon alles wesentliche, was uns die Delegationstagung bringen kann, bekannt. Die verfassungsmäßige Kompetenz des Reichsparlamentes ist eine recht geringe. Dafür hat seinerzeit schon Ungarn ge sorgt, baß der gemeinsamen Angelegenheiten nicht zuviele als solche gesetzlich festgelegt und dem gemeinsamen Parla mente, den Delegationen zugewiesen werden. Uebrig-S vertreten die ungarischen Staatsrechtler noch immer e n Standpunkt, daß die Delegationen gar kein Reichsparla ment, sondern lediglich Ausschüsse der beiderseitigen Parlamente seien, so wie etwa der Finanzausschuß, der sozialpolitische Ausschuß und der Disziplinarausschuß. Wie fast immer, so ist auch hier der magyarische, staatsrechtliche Fanatismus auf dem Holzwege, denn die Delegationen be schließen bekanntlich ans eigener Machtvollkommenheit Ge setze. Aber der Fall zeigt, von welcher Seite und in wessen Interesse der Bestand des Neichsparlamcntes, dem die Reichsregicrung der drei gemeinsamen Neichsminister ent spricht, fort und fort unterminiert wird. Freilich arbeitet den Transleithanieru, die genau wissen, was sie wollen, hierbei zisleithanischer Unverstand stark in die Hände. Mit einer gewissen gedankenlosen Konsequenz wird auch in der Presse diesseits der Leitha immer wieder von den Dele gationen verächtlich als von einer „Bewilligungs-Maschine" gesprochen. Mit solcher Gleichgültigkeit betrachtet man viel fach die Beratungen der Delegationen, daß nur die wenigsten Parteien darauf Wert legen, im Reichsparlamente durch ihre hervorragendsten Kräfte vertreten zu sein. So kommt es, daß die Delegationen, während alle Parlamente der Welt zu allen Zeiten die Tendenz zeigten, ihre Befugnisse aus zudehnen und ihre Einflußsphäre zu erweitern, erstaun- lichcrweise den umgekehrten Weg gehen und tatsächlich zum Schaden der Fundamente des Reiches immer mehr an Be deutung verlieren. Die Schöpfer der dualistischen Ver fassung wollten die Idee der Reichsgemeinsamkeit, der Ein heit und Zusammengehörigkeit beider Teile der Monarchie in der gemeinsamen Neichsregierung und in den Dele gationen verankern. Indem sie durch die Durchführung der Verwaltungsteilung scheinbar den Trennungs- bestrebnngen. die eben Oberwasser hatten, nachgeben, legten sie aber durch die Schaffung der gemeinsamen Ministerien und der Delegationen den Grund zu einer neuen Zentral regierung und einem neuen Zentralparlament, alles weitere der logischen Entwicklung überlassend, aber in unserer Monarchie nehmen die Dinge eben oft nicht den Weg der Logik. Die Kleingeister des beschränkten Liberalismus, die hüben und drüben nach der Durchführung der dualistischen Verfassung alle Macht in ihren Händen vereinten, waren zu Tode froh über die Halbierung des politischen Hori zontes der Monarchie und fühlten sich m der Enge wohl. Sie kümmerten sich nur mehr um ihre Schneckenhäuser und verlachten jeden Gedanken ans Reich. Die Leithagrcnze wurde zu einer chinsischen Mauer, die Reichsregierung ver schwamm und entschwand allmählich im mystischen Dunkel. Eine Hnsarenattacke Baron Banffys genügte, um die Posi tion Kalnokys zu erstürmen: der ungarische Minister präsident konnte den Minister des Aeußern und des Kaiser lichen Hauses stürzen, der Kabinettschef einer Reichshälfte obsiegte über den Reichskanzler. So waren alle Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Tie Ziele waren über das ganze ge stellt, oder richtiger, das ganze existierte überhaupt nur mehr zum Scheine. Ter Sieg Banffys über Kalnoky verdeutlicht so recht den Krebsgang, den unsere Verfassungsentwicklung genommen hat. Kalnokys schläfriger Nachfolger Graf Goluchowsky war nicht der Mann, um die verlorene Posi tion zurückzugewinnen. Das Amt des Reichskanzlers wnrde weiter entwertet, bis es zu einer Karikatur herabsank. Tie Neichsregierung beschäftigte damals kaum noch die Witz blätter und an den Delegationen interessierten eigentlich nur mehr die Eerclcsgespräche beim Empfange der Dele gierten in der Hofburg. Das ist nun unter Aehrenthal allerdings anders ge worden. Tie politischen Ereignisse in Europa haben uns genötigt, wieder etwas mehr auswärtige Politik zu be treiben, in die der neue Reichskanzler mit fester Hand er folgreich eingegrisfen hat. Damit erwachte wieder der Sinn für die gemeinsamen Interessen, für das Reich zugleich wuchs die Bedeutung der Neichsregierung und des Reichs- Parlamentes. So wichtig die nationalen Streitereien im österreichischen Reichsrate und die Bankdebatten im ungarischen Reichstage für bestimmte Wählerkategorien sein mögen, wichtiger ist doch, welchen Standpunkt die öster reichisch-ungarische Neichsregierung in der und jener Frage der europäischen Politik einnimmt. Nicht mehr Bansfy und Badeni, nicht Khnen und Biencrtb, sondern Aehren thal repräsentiert unsere Monarchie im Politischen Europa, das gespannt aufhorcht, wenn er spricht. Und sein Forum, das Forum der gemeinsamen Negierung der Neichs- rcgiernng sind die Delegationen, deren Gewicht in eben dem Maße gewachsen ist, indem die Bedeutung der gemeinsamen Ministerien zugenommen hat. Wer Zuknnftspolitik treiben, iver aus dem Volke schöpfen und Positive Politik im Sinne und in der Richtung der natürlichen logischen Entwicklung machen will, der wird die Stärkung des Reichsparlamentcs fördern helfen. Ge wiß werden magyarische Politiker auch jetzt wieder ihr un vermeidliches Veto sprechen. Aber seit man den Weg des regierenden Kossuthismus probeweise bis zum Ende durch messen hat und weiß, wohin er führt, verhallt dieses Veto wirkungslos: Graf Khnen hat gleich in der ersten Sitzung der Delegation einem protestierenden Delegierten eine Ab fertigung zuteil werden lassen, wie eine solche in früheren Zeitläuften nie möglich gewesen wäre. Es wird Sache der Delegierten sein, das Wort von der „Bewillignngsmaschine" Lügen zu strafen. Gewiß, die notwendigen Erfordernisse der Monarchie und die Voraussetzungen ihrer Machtstellung können von keinem Delegierten, der wirklich den Interessen des Vaterlandes gerecht werden will, verweigert werden. Ein starkes Heer und eine tüchtige Marine müssen wir habe». Das ist selbstverständlich. Nicht selbstverständlich ist aber die Politik, die wir in Europa machen. Hier bietet sich den Delegierten ein weiter Spielraum ihrer Tätigkeit und je bessere Direktiven sie der Reichsregierung geben, um so stärker wird die Position des Reichsparlamentes werden. Politische Rundschau. Dresden, den 15. Oktober 1910. lieber die Kosten der Kronprinzcn-Reise kann die „Köln. Ztg." auf Grund zuverlässiger Erkundigungen fest- stcllen, daß von Anfang an in Aussicht genommen war und daran festgehalten worden ist, den Hauptteil der Kosten aus den eigenen Mitteln der Krone zu bestreite». In Frage komme nur, inwieweit besondere Nepräsentationskosten, die durch die Stellung des Kronprinzen des Deutschen Reiches entstehen, auf den kaiserlichen Dispositionsfonds zu über nehmen seien. Dabei könne es sich aber nur um eine Stimme handeln, die hinter der angegebenen weit zurück bleibe. — Nativnallibcrale Einmütigkeit, lieber das Maß der Eintracht, die auf dem jubelnden Kasseler Parteitage der Nationalliberalen erzielt worden ist, wird in der liberalen Presse noch immer hin und her gestritten. Ein Dortmunder Blatt hatte hervorgehoben, das Unterlassen einer Resolution sei kein Zeichen der Eintracht, sondern vielmehr ein Zeichen der Schwäche gewesen. Einer uneingeschränkten VertrauenS- erklärnng zur Politik Basscrmanns hätten die Westfalen sich nämlich widersetzt. Diese Auslassung nennt ein national liberaler Parteimann in der „Königsberger Hartungschen Zeitung" (Nr. 474) Indiskretionen, die niemals hübsch seien. Aber er fügt ihnen noch weitere Ausplaudereien hin zu und bestätigt, daß für eine „ungeschminkte Vertrauens- kundgebnng zu dem, was sie die Bassermannsche Politik hei ßen", die Herren aus Westfalen, Hessen und aus Schleswig- Holstein schwerlich zu bringen gewesen wäre». Diese Fest stellung dürfte zur Beurteilung eines einmütigen Beifalles auf Bassermauns Rede genügen. Ter nationalliberale Par teimann ist aber boshaft genug, in einer weiteren „hübschen" Indiskretion mitzuteilen, daß die Vorwürfe der westfälischen Vertreter „glatt zu Boden fielen" und daß die Herren ganz kleinlaut erklärt Hütten, ihre Resolution hätte nur als An halt für weitere Erörterungen dienen sollen. Das ist also alles in der vor dem Parteitage abgehaltenen Sitzung deS Zentralvorstandes „erledigt" worden. Die Verweigerung eines ungeschminkten Vertanensvotums seitens ansehnlicher Teile der uatioualliberalen Partei für Bassermann macht dem Gewährsmann des Königsberger Fortschrittsblattes aber keine Sorge. Er weiß den „brausenden Jubel", der der Rede des Parteiführers folgte, nach besser als eine Resolu tion z» verwerten. Er schreibt nämlich, das sei eine Gene ralvollmacht für Bassermann gewesen und die sei erheblich höher einziischätzen. „Man wende nicht ein — so heißt es weiter — das sei harmlos: jeder könne sich dabei denken. Der Sturz Häckels. Um Häckel, der in der Tat zum Berliner Universitäts jubiläum keine Einladung bekommen hat — mit welchem Rechte sollte man ihn auch eingeladcn haben? —, um den Diktator von Jena handelte es sich in einer recht interessan ten Berliner Versammlung, in der sich am 10. d. M. abends K e p le r b u n d u n d M o n i ste n b u n d in Person gegen überstanden. Von der Berliner Ortsgruppe des Monisten- bundes war der Vorsitzende Dr. Walter Vielhaber erschienen. Es hatte im Weißen Saale des Germaniahauses in der Chausseestraße eine verhältnismäßig zahlreiche Schar von Zuhörern sich eingefunden. Das Besondere des Abends bildete nach der „Deutschen Tageszeitg." das Auftreten eines bisherigen Anhängers von Häckel, der dem Natur-Philosophen lange zugejubelt hatte, aber durch Häckels Verhalten gegenüber den Vorwürfen aus Fälschung wissenschaftlicher Zeichnungen zugunsten der Affentheorie stark ernüchtert worden ist. Der Schriftsteller Hugo C. Iüngst aus Dresden, der nach seinem eige nen Bekenntnisse noch heute in gewissem Grade unter dem Einflüsse der monistischen Weltanschauung steht, hat in einer Druckschrift „Der Sturz Häckels" mit dem Jenenser alten Herrn abgerechnet. Sein Vortrag in der Versamm lung war der Entrüstungsschrei eines Nichtfachmannes, eines Laien, der die wissenschaftlichen Angaben nicht nach- prüfen kann, sondern auf Treu und Glauben hinnehmen muß, der Ausdruck der Empörung darüber, daß Häckel durch Fälschung der bekannten Embryonen- bilder seine Anhänger getäuscht habe. Der Vorsitzende Dr. med. S a ch s - Charlottenburg sprach erst einige Worte der Aufklärung über den Kepler- bnnd, der für Häckel ein Gegenstand besonderen Hasses und fortwährender Angriff« ist. Jetzt wieder hat er die Univer- sitätsnummer der Deutschen medizinischen Wochenschrift be nutzt, um den Freunden des Keplerbundes „Verlogenheit" vorzuwcrfen: „die Verlogenheit der Gesellschaft", sagte er, „nimmt in dem Maße zu, wie ihre Publikationen". Dr. Sachs protestierte gegen diese Beschimpfung so vieler ehr licher Männer, deren Ehrlichkeit und wissenschaftliche Ueber- zeugung sogar von dem Nachfolger Häckels, dem Professor Plate, anerkannt wurde. Schriftsteller Jüngst hielt dann seinen Vortrag. Er erzählte, wie er als Anhänger Häckels der teutonenkräftigen Abwehr dieses schwer beschuldigten Mannes zugejubelt habe, wie er aber a l l m ä h l i ch st u tz i g geworden sei, als immer mehr wissenschaftliche Angriffe erfolgten, und wie er sich als Laie, der dem Manne vertraut hatte, schließlich getäuscht fühlen mußte. Den letzten Anlaß zu diesem Umschwünge gab Häckels lange Erklärung in einem Münchener Blatt«, in der wieder peinliche Beschimpfungen ande rer reichlich enthalten waren, und nur ein ganz kleiner Teil auf die Sache selbst cinging. Und was tat Häckel da? Die als freche Lügen und Verleumdungen bisher znrückgewiese- nen „Fälschungen" gab er plötzlich zu und fügte nur bei, daß auch andere so „fälschten"! Das habe viele Anhänger Häckels erschüttern müssen. Eine doppelte Moral dürfe es aber nicht geben. Das Vertrauen der Menge zur Wissenschaft habe einen argen Stoß erlitten — und das sei außerordentlich bedauerlich. Der Fall erhalte seine tiefste Bedeutung dadurch, daß Häckel wie kein anderer Gelehrter als Popularphilosoph in der großen Menge eine besondere Stellung einnehme. Jetzt müsse man sehen, daß es nicht „Wissenschaft" war, die Häckel brachte, sondern auch nur ein Glaube. Zum Schlüsse betrachtete der Redner im Hinblick auf de» Fall Häckel die philosophische Lage und glaubte, fest stellen zu können, daß man vor einer Neubelebimg deS reli giösen Bewußtseins stehe. In der Besprechung, die sich bis Mitternacht hinzog, wünscht« ein Herr Hans Eber, daß über die Embryonen- l'ilderfälschungen doch lieber ein Fachmann sprechen sollte. Dr. Hauser bemerkte dazu, daß die Wissenschaft sich bereits darüber geäußert habe. Hier handelt sich es nicht mehr um die wissenschaftliche Seite, sondern darum, ob ein Fanatiker und Zelot wie Häckel das moralische Recht habe, einen Bund von AOOO gebildeten Menschen als verlogene Gesellschaft hinznstellcn. Diese Frage verneinte Dr. Hauser sehr energisch. Dr. Walter Pielhaber bestritt, daß der Monisten- bnnd eine absolute Gefolgschaft für Häckel bedeute. Es sei ein Unglück gewesen, daß einmal zwei Anhänger Häckels, di« Herren Schmidt »nd Breitenbach, die Führung hatten (Hört, hört!): aber diese Herren seien ja doch zurückgetreten, Gegen die Naturphilosophie Häckels habe er selber die schwer sten Bedenken. (Hört, hört!) Zum Schlüsse fand Dr. Viel haber, das; der Entwickelungsgedanke, den er an Giordano Bruno, Herder, Schleicrmacher gefunden hat, Keplerbund und Monistenbund eine. Dr. med. Sachs legte u. a. dar, daß Fachleute in der Frage der Embryoncnbilder ja schon gesprochen haben. Häckel wendet sich aber an Laien, und darum ist eS nur billig« daß auch ein Laie einmal antwortet. Dieses auch in moni stischen Kreisen immer häufiger werdende Abrücken von