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Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festlagen. Annahme von Inseraten für die nächster- scheinende Nummer bis Vormittag */?11 Khr. Der Abonnementspreis beträgt vier- teljährlich I Mk 60 Pf., monatlich 55 Pf. Einzelne Nrn. 10 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf, für auswärts 1b Pf. und Waldenburger Anzeiger. Filialen: in Altstadtwaidenburg bei Herr» Otto Förster; in Callenberg bei Hrn. Strumpf wirker Fr. Herm Richter; in Kaufungen bei Herrn Fr. Janaschek; in Langenchursdorf bei Herrn H. Stiegler; in Penig bei Herrn Wil helm Tahler; in Wolkenburg bei Herr» Herm. Wildenhain; in Ziegelheim bei Herr» Eduard Kirsten. „-»spr-ch-r Amtsblatt für das Königliche Amtsgericht Md den Stadtrat zu Waldenburg. — Zugleich weit verbreitet in den Stödten Penig, Lunzenau, Lichtenstein-Callnberg und in den Ortschaften der nachstehenden Standesamtsbezirke: Altstadt-Waldenburg, BrLunsdorf, Callenberg, Ehrenhain, Frohnsdorf, Falken, Grumbach, Kaufungen, Langenchursdorf, Langenleuba-Niederhain, Langenleuba-Oberhain Niederwiera, Oberwiera, Oberwinkel, Oelsnitz i. E., Reichenbach, Remse, Schlagwitz, Schwaben, Wolkenburg und Ziegelheim. 162. Freitag, Sen 16. Juli 1909. Witterungsbericht, ausgenommen am 15. Juli, Nachm. 3 Uhr. Barometerstand 764 MM reduziert auf den Meeresspiegel. Thermomelerstand -s- 20° 6. Morgens 8 Uhr -s- 15,5° 0. Tiefste Nachttemperatur -s- 14» 6.) Feuchtigkeit-» gestalt der Luft nach Lambrechts Polymeter 58»/,. Taupnnkt -s- 12» 6. Windrichtnng: Südwest. Niederschlagsmenge in den letzten 24 Stunden bis früh 7 Uhr: 0,^ ww Daher Witternngsausfichten für den 16. Juli: Halbheiteres Wetter. Gewitterneigung. "Waldenburg, 15. Juli 1909. Eine Extraausgabe des Reichsanzeigers, die am Mittwoch Mittags erschien, gab folgendes amtlich bekannt: Seine Majestät der Kaiser und König haben Allergnädigst geruht: dem Reichskanzler, Präsidenten des Staatsministeriums und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Fürsten v. Bülow die nachgesuchte Entlassung aus seinen Aemtern unter Ver leihung des hohen Ordens vom Schwarzen Adler mit Brillanten zu erteilen und den Staatssekretär des Innern, Vizepräsidenten des Preußischen Staatsministeriums vr. von Bethmann-Hollweg, zum Reichskanzler, Präsidenten des Staats ministeriums und Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu ernennen. Seine Majestät der Kaiser und König haben Allergnädigst geruht: den Staatsminister Delbrück zum Staats sekretär des Innern zu ernennen und mit der allgemeinen Stellvertretung des Reichskanzlers zu beauftragen, den Staats sekretär des Reichsschatzamtes, Staatsminister Sydow, von seinen Tienstgeschäften zu entbinden und den Unterstaats- fekretär im Rcichsamt des Innern, Wirklichen Geheimen Rat Wermuth, zum Staatssekretär des Rcichsschatzamtes zu er nennen. Für das Königreich Preußen hat der König Aller gnädigst geruht, den Staatsminister (bisherigen Schatzsckretär, d. Red.) Sydow zum Minister für Handel und Gewerbe zu ernennen, dem Staatsminister und Minister der geistlichen re. Angelegenheiten Or. Holle die nachgesuchte Dienstentlassung unter Belastung des Titels und Ranges eines Staatsministers und unter Verleihung des Roten Adlcrordens erster Klasse mit Eichenlaub zu erteilen, und den Oberpräfidenten der Provinz Brandenburg, Kammerherrn v. Trott zu Solz, zum Staatsminister und Minister der geistlichen rc. Angelegen heiten zu ernennen. Der Unterstaatssckretär in der Reichs kanzlei, Kammerherr v. Löbell, wurde unter Verleihung des Charakters als Wirklicher Geheimer Rat mit dem Prädikat Exzellenz zum Oberpräfidenten der Provinz Brandenburg ernannt. Besondere Ueberraschungen bietet diese umfassende Ver änderung in den höchsten Reichs- und preußischen Staats ämtern nicht; es ist vielmehr alles etwa so zugetroffen, wie man cs schon seit Tagen erwartet hatte. Die vom Kaiser vollzogenen Ernennungen stellen aber auch eine Vcrtrauens- kundgebung für den aus dem Amte geschiedenen Fürsten v. Bülow dar, wie sie nicht immer zu konstatieren ist. Der scheidende Reichskanzler hat das Recht, einen Nachfolger zu empfehlen. Fürst Bülow hatte für den Kanzlerpostcn den bisherigen Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg in Vorschlag gebracht. Der Kaiser zögerte nicht, diesem Vorschläge zu entsprechen. Als Fürst Bülow am 17. Oktober 1900 die Rcichskanzlerschaft antrat, da war er in allen Sätteln der aus- wärtigcn Politik gerecht, halte aber in der inneren Politik nicht die geringste praktische Erfahrung. Und doch fand er sich so schnell hinein, daß die innerpolitische Politik des Fürsten Bülow ein unvcrwelklichcs Blatt in der Geschichte des deutschen Reiches darstellt. Dem neuen Reichskanzler v- Bethmann-Hollweg, der die Verwaltung und die innere Politik des Reiches wie einer beherrscht, sind die auswärtigen Angelegenheit zunächst eine terra inovAnita. Der Kanzler hat aber den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes zur Seite und wird sich schnell in die Dinge hineinfindcn. Im übrigen ist die auswärtige Lage zur Zeit auch so klar und befestigt, es sind durch den Fürsten Bülow alle Steine des Anstoßes und alle Hindernisse so sorgfältig aus dem Wege geräumt worden, daß wir der Entwickelung der auswärtigen Angelegenheiten ohne Sorge entgegensetzen können. Schatzsckretär Sydow hat für seine Person gleichfalls die Konsequenz aus dem ablehnenden Beschlusse des Reichstags über die Erbanfallsteuer gezogen und ist von seinem Posten zurückgetreten. Er war aber mit der Blockpolitik des Fürsten Bülow nicht so eng verknüpft, daß seine große Arbeitskraft, wenn nicht für das Reich, so doch für Preußen, weiterhin hätte nutzbar gemacht werden können. Als preußischer Handelsminister steht Exzellenz Sydow auf dem rechten Platz. Auch die Ernennung des bisherigen preußischen Handels ministers Delbrück zum Staatssekretär des Reichsamts des Innern darf als eine sehr glückliche gelten. Daß ein Ober präsident Nachfolger des Kultusministers Holle werden würde, war schon bekannt, ebenso, daß der intime Freund des Fürsten Bülow, der Unterstaatssekretär v. Löbell, mit seinem Chef aus der Reichskanzlei ausscheiden würde. Politische Run-schau. Deutsches Reich. Der Kaiser war schon Mittwoch früh um 8 Uhr im Berliner Schlosse eingetroffen, nicht in Potsdam, und emp fing dort alsbald den Reichskanzler a. D. Fürsten v. Bülow zum Abschiedsvortrag. Nach dem Fürsten erschien der neue Kanzler vor dem Kaiser zur Audienz. Die Entscheidungen ' des Kaisers wurden bereits in den ersten Morgenstunden ! vollzogen, so daß der „Reichsanzeiger" schon gegen zehn Uhr mit der Herausgabe des Extrablattes beauftragt werden konnte, das den bedeutsamen Wechsel amtlich anzuzeigen bc- . stimmt war. Aber Viertelstunde auf Viertelstunde verrann, ehe die mit fieberhafter Ungeduld erwartete Publikation zur Ausgabe gelangte. Es war ^12 Uhr geworden, als end- ! lich das Extrablatt erschien, auf Grund dessen der telegra phische Funke die große Kunde sofort in die ganze Welt trug. ! An der Spitze des amtlichen Teils des „Rcichsanzeigers" liest man folgendes Handschreiben des Kaisers an den Fürsten v. Bülow: „Mein lieber Fürst! Aus Ihrem er neuten Gesuche habe Ich zu Meinem schmerzlichsten Bedauern - ersehen, daß Sie entschlösset: sind, von Ihren verantwortungs vollen Aemtern als Reichskanzler, Präsident des Staats ministeriums und Minister der auswärtigen Angelegenheiten zurückzutretcn. So schwer es Mir fällt, auf Ihre bewährte Kraft bei der Leitung der Reichs- und Staatsgeschäfte zu § Verzichten und das Band vertrauensvollen Zusammenwirkens, das Mich so viele Jahre mit Ihnen verbunden hat, zu lö sen, habe Ich doch in Würdigung der gewichtigen Gründe Ihres Entschlusses geglaubt, Ihrem dringenden Wunsche Mich nicht länger verschließen zu dürfen. Ich habe daher Ihrem Anträge entsprochen und Ihnen die erbetene Entlassung ge. währt. Es ist Mir aber ein Bedürfnis des Herzens, Ihnen bei dieser Gelegenheit für die Hingebung und Aufopferung, mit denen Sie in den verschiedenen Aemtern und Stellungen Ihrer ehrenvollen und segensreichen Dienstlaufbahn Meinen Vorfahren, Mir und dem Vaterlande so hervorragende Dienste geleistet haben, Meinen wärmsten Dank auszusprechen. Gott der Herr scyenke Ihnen nach einem so taten- und arbeits reichen Leben noch viele Jahre ungetrübten Glücks. Indem ich Ihnen als äußeres Zeichen meiner Dankbarkeit, An erkennung und Zuneigung den hohen Orden vom Schwarzen Adler mit Brillanten verleihe und die Insignien desselben hierneben zugehen lasse, verbleibe Ich Ihr Ihnen stets wohl geneigter, dankbarer Kaiser und König Wilhelm I. ü j Fürst und Fürstin Bülow fuhren am Nachmittage des Mittwoch zu einem Besuch des Kaiserpaares ins Schloß. Während der Fürst zur Entgegennahme der Bewilligung i seines Abschiedsgesuches beim Kaiser weilte, statteten die Kai serin und die Prinzessin Victoria der Frau Fürstin Bülow Zeinen Besuch ab. Prinz und Prinzessin August Wilhelm k machten beim Fürsten Bülow Abschiedsvisite. Kaiser Franz ! Josef wird dem Fürsten Bülow zum Andenken sein Bildnis ! übersenden. Beim Scheiden nach der Vormittags-Audienz ! umarmte der Kaiser den Fürsten Bülow herzlich und schüt- . telte ihm beide Hände. ! Die konservative „Kreuz-Ztg." würdigt die Tätigkeit Bülows und sagt, die zehnjährige Wirksamkeit des Fürsten könne an Erfolgen friedlicher Arbeit den Vergleich mit der des Fürsten Bismarck nach 1871 wohl aushalten. Während der Kanzlerschaft Bülows sei der Wohlstand des deutschen Volkes so gewaltig gestiegen, daß auch das Ausland mit .Staunen und Bewunderung auf die schnelle und stetige Ent ¬ wickelung des deutschen Gewerbes und Handels auf allen Gebieten ihrer Tätigkeit blicke. Um so grundloser seien die Angriffe des Fürsten gegen die konservative Partei, da alle seine Erfolge gegen die freisinnige Blocklinie errungen wur den. Auch die „Deutsche Tagesztg." äußert Bedenklichkeiten und die Zentrums presse verhält sich sehr kühl. Im übrigen aber werden dem scheidenden Fürsten von allen Seiten so herzliche Glückwünsche, Danksagungen und Grüße dargebracht, wie sie seit dem Bestehen des Reiches nur dem Fürsten Bis marck zuteil wurden. Der entlarvte Polizeispitzel Harting hat auch, wie das „Berl. Tgbl." meldet, in Berlin ein Gastspiel als Beamter der russischen politischen Polizei gegeben. Nach den Fest stellungen des genannten Blattes ist Hartings ursprünglicher Name Abraham Häckelmann. Abraham Häckelmann war ein junger, fleißiger Jude, der viel Umgang in revolutionären Kreisen hatte. Eines Tages trat er in den Dienst der rus sischen Geheimpolizei. Er wurde getauft, Graf Murawiew, später russischer Minister des Auswärtigen, war sein Tauf pate. Der Zar änderte seinen Namen in Harting und nun begann die Zeit des Spitzeldienstes. Hartings Jahresauf wand in Berlin betrug fast eine halbe Million Mk. Wenn es galt, sich in den Besitz irgend eines wichtigen Dokuments zu setzen, scheute Harting nicht die größten Ausgaben. Zur Zeit befindet sich Harting, der gleich nach Burzews Enthül lungen aus Paris verschwand, in Petersburg. Von dem Posten in Paris ist er jedoch enthoben worden. Der Reichskanzler Or. jur. Theobald von Bethmann- Hollweg wurde am 29. November 1856 in Hohenfinow bei Eberswalde geboren, steht also im 53. Lebensjahre. Am 20. August 1879 wurde er Kammergerichts-Referendar, trat 1882 zur Verwaltung über und wurde 1885 Regierungs assessor. Noch in demselben Jahre wurde er erst auftrags weise und 1886 endgültig Landrat des Kreises Ober Barnim. Im April 1896 zum Ober-Präsidialrat ernannt, wurde er am 1. Oktober 1899 Regierungspräsident in Bromberg und schon drei Monate später Oberpräsident der Provinz Bran denburg. Im März 1905 erfolgte seine Ernennung zum preußischen Minister des Innern an Stelle des verstorbenen Freiherrn v. Hammerstein und im Juni 1907 wurde er für den zurücktretenden Grafen Posadowsky zum Staatssekretär des Reichsamts des Innern und zum stellvertretenden Reichs kanzler ernannt. Der neue Reichskanzler ist ein Studien genosse des Kaisers. Während seiner Landratszeit wurde v. Bethmann im Frühjahr 1890 als Kandidat der Deutschen Reichspartei in Ober-Barnim in den Reichstag gewählt, legte aber schon am 21. Mai 1890 das Mandat nieder. Gleich seinem Vorgänger ist auch der neue Kanzler im Lande der Philosophen und Künstler heimisch, in seinen Adern fließt Kaufmannsblut. Der neue Staatssekretär Clemens Delbrück wurde am 19. Januar 1856 in Halle an der Saale als Sohn eines Kreisphysikus geboren, ist also kein volles Jahr älter als der neue Reichskanzler. Nach absolviertem Studium der Rechtswissenschaft wurde er 1877 Gerichtsreferendar, trat 1879 zur Verwaltung über und wurde 1882 als Regierungs assessor der Regierung in Marienwerder überwiesen. 1885 bis 1892 war Delbrück Landrat in Tuchel. 1896 wurde er an Stelle des verstorbenen Baumbach Oberbürgermeister von Danzig und Mitglied des Herrenhauses. In demselben Jahre wurde er auch dem Kaiser vorgestellt. 1901 rühmte der Kaiser in Danzig die Entwickelung der Stadt „unter der sicheren Hand eines weitblickenden Stadtoberhauptes". Im Oktober 1902 wurde Delbrück, der der freikonservativen Parteirichtung angehört, zum preußischen Handelsminister er nannt, und heute ist er Staatssekretär des Reichsamts des Innern und stellvertretender Reichskanzler! Eine so glän zende Laufbahn vermochte nur eine Persönlichkeit von her vorragender Tüchtigkeit und politischer Begabung zurückzu legen. Gleich dem zurückgetretenen und dem gegenwärtigen Reichskanzler ist auch der neue Staatssekretär Delbrück ein