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Dresdner Journal : 18.06.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-190306184
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-19030618
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-19030618
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1903
-
Monat
1903-06
- Tag 1903-06-18
-
Monat
1903-06
-
Jahr
1903
- Titel
- Dresdner Journal : 18.06.1903
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vej»,sprets: Beim Bezüge durch dir HrschtstsstrKe inner««» Ztresdrn» 2,bO M (einjchl Zutragung), durch dir im Deutschen Reiche S M. (ausschließlich Bestellgeld) vierteljährlich. Einzelne Nummern 10 Ps. Wird Zurücksenduna der für die Echristleitung bestimmten, aber von dieser nicht ein- gesordertrn Beiträge bean sprucht, so ist da« Popgeld beizufügeu. Dres-mr AMrnal Herausgegeben von der Königl. Expedition des Dresdner Journals, Dresden, Zwingerstraße 20. — Fernspr.-Anschluß Nr. 1295. Erscheinen: Werktag» nachm. d Uhr. — Originalberichte und Mitteilungen dürfen nur mit voller Quellenangabe nachgedruckt werden. .1- t»8 Tonncrswst, den 18. Juni nachmitkaffs. 1SOL flnkkndtgun«S»ebühren: Die Zeile kleiner Schrift der 7mal gespaltenen Ankündi- gung»-Seite oder deren Raum 2v Ps Bei Tabellen und Ziffernsay ü Ps Aufschlag für die Zeile. Unterm Re- daktionSstrich (Eingesant oie Textzeile mittler Schrift oder deren Raum bv Pf. Gebühren - Ermäßigung bei öfterer Wiederholung. Annahme der Anzeigen bis mittags 12 Uhr für die nach mittag-erfcheinendeNummer. Amtlicher Tril. Verordnung. die Enteignung von Grundeigentum für den Umbau der Thüringer Verbindungsbahn und der Eisenbahnstrecke Wahren—Leipzig betr. Im Interesse der Sicherheit und Ordnung des Eisenbahnbetriebes macht sich infolge Veränderung der Leipziger Bahnhofs-Anlagen der Umbau der Thüringer Verbindungsbahn und der Gütergleise nach dem Nangierbahnhof Wahren, sowie die Ver legung der Haltestelle Gohlis-Eutritzsch erforderlich. Da das hierzu nötige Land im Wege freihändigen Erwerbes zu angemessenem Preise nicht zu erlangen ist, so wird mit Allerhöchster Genehmigung auf Grund des Gesetzes, die Expropriation von Grund eigentum für Erweiterung bestehender Eisenbahnen betreffend, vom 21. Juli 1855 (Gesetz- und Ver ordnungsblatt S. 120) in Verbindung mit 8 94 des Enteignungsgesetzes vom 24. Juni 1902 (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 153) dem Königlich Preußi schen Staatsfiskus zur Herstellung der bezeichneten Anlagen nach dem von den Ministerien des Innern und der Finanzen unterm 8. Juni 1903 bezw. 28. Mai 1903 genehmigten Plane das Enteignungs recht verliehen. Dresden, am 8. Juni 1903. b778 Ministerium des Innern. v. Metzsch. Grne««ungen, Versetzungen re. tm öffent lichen Dienste. Im Geschäftsbereiche des Ministeriums der Finanzen. Bei der Straßen- und Wasserbau-Ver waltung ist ernannt worden: Löwe, zeither diätarischer Bauschreiber bei der Bauleitung der Neubauten für die Technische Hochschule zu Dresden, als Straßenbauaufseher bei der Straßen- und Wasserbauinspektion Pirna I. lBehördl. Bekanntmachungen erscheinen auch im Anzeigenteile.) Nichtamtlicher Teil. Dresden, 18. Juni. In stiller Wehmut gedenkt das Sachsen volk heute des morgigen Tages, der uns vor Jahresfrist das Leben König Alberts nahm — ein Fürstenleben, das über den Zeitraum von bald dreißig Jahren hinweg wie ein segen spendendes Licht über dem Vaterlande stand. Der tiefe Schmerz, der damals uns Sachsen erschütterte, und mit uns Alldeutschland, ja die gesamte Kultur welt, die mit dem ehrwürdigen Sachsenkönige eine der letzten vom Glanze geschichtlicher Größe um strahlten Heldengestalten der Nation dahingehen sah, ist dankbarer Erinnerung gewichen und der Ge wißheit, daß Sein Andenken im Sachsenlandc im Segen bleiben wird für und für. Schwere Schickungen brachte uns die Zeit seit Seinem Hin gange; König Georg wurde von schwerer Krankheit heimgesucht und schmerzliche Schicksalsschläge gefähr ¬ deten den Frieden Seiner Seele. Aber aus den Nächten dieser göttlichen Fügungen erwuchsen uns aufs neue Tage voll Heller, lichter Augenblicke: unserem Allergnädigsten Herrn schenkte des All mächtigen Güte neue Gesundheit, sie spendete Ihm Trost im Leiden, sie gab Ihm die Kraft zurück, Sein hohes, vcrantwortungsreiches, von Gott Ihm übertragenes Amt zum Segen Seines Volkes aus zuüben. Ten „edelsten besten Fürsten" nannte unser Königlicher Herr in dem Aufrufe, den Er beim An tritte der Regierung an Sein Volk richtete, selbst den dahingegangenen Königlichen Bruder. Er, König Georg, setzte damit dem Verklärten ein Denkmal, das dauernder ist als die aus Erz und Stein geschaffenen. Dieses Zeugnisses wollen wir uns heute am Vorabende des Todes tages König Alberts erinnern; es ist heilsam in einer Zeit, die geneigt ist, großer Zeiten und ruhm voller Männer zu vergessen, die nicht immer und ohne Rückhalt bereit ist, Treue mit Treue zu lohnen, Liebe mit Dankbarkeit zu vergelten. Unseres Königs Gelöbnis bei der Besteigung des Thrones Seiner Vorfahren war dieses: „immer im Sinne und Geiste Seines verewigten Bruders Seines Amtes zu walten"; wie können wir reineren Herzens und lautrerer Gesinnung voll das Andenken des Ver klärten begehen, als indem wir geloben, den Worten unseres Königs zu vertrauen und in Festigkeit und unerschütterlicher Zuversicht zu stehest zu Ihm und Seinem Hause! Bereiten wir dem unvergeßlichen Könige diese Totenfeier, so sind wir nicht nur Seines Segens aus himmlischen Höhen gewiß, sondern auch des huldvollen Dankes Seines er lauchten Nachfolgers auf dem Throne des Sachscn- landcs. Leichstagswahlen. Ganz im Sinne unserer gestrigen Ausführungen äußert sich die heute erschienene Nummer der „Nordd. Allg. Ztg", indem sie schreibt: Die bis zur Stunde vorliegenden Wahlergebnisse gewähren noch kein ab schließendes Bild von der mutmaßlichen Zusammen setzung des zukünftigen Reichstages. Bestätigt wird durch sie aber schon jetzt die von uns ausgesprochene Meinung, daß die Zersplitterung der Parteien in Verbindung mit der Lässigkeit der Wähler den Sozialdemokraten bereits bei der Hauptwahl zu einer größeren Anzahl von Mandaten als bei früheren Wahlen verhelfen werde. Nach der weiter unten wiedergegebcncn Zusammenstellung sind überdies schon eine große Anzahl von Wahlkreisen bekannt, in denen Sozialdemokraten zur Stichwahl stehen. Die Berechtigung unserer seit Monaten wiederholt ausgesprochenen Mahnung an die bürgerlichen Parteien, die Sozialdemokratie als gemeinsamen Gegner zu betrachten und bei der Wahltaktik danach zu verfahren, wird durch diese Tatsache erneut be kräftigt. Der Siegestaumel, von dem die Sozialdemokratie angesichts ihrer vorläufigen Wahlerfolge ergriffen worden ist, und der sich in so phantastischen Wendungen wie „Unser das Reich, unser die Welt" (Vorwärts) oder „Durch den Abend des 16. Juni 1903 ging das Atemwehcn der Geschichte" (Sächs. Arb.-Ztg.) äußert, wird auf das notwendige Maß von Er nüchterung zurückgeführt durch zahlreiche Äußerungen führender deutscher Zeitungen. Aus der großen Zahl dieser Preßstimmen zitieren wir an erster Stelle die Worte der „Berl. N N". DaS genannte Blatt schreibt: Ganz so weit sind wir denn doch noch nicht. Je schneller die sozialdemokratischen Bäume in den Himmel zu wachsen drohen, um so eher werden schließlich alle bürgerlichen Parteien notgedrungen sich zur Abwehr zusammenschließen. Der „Vorwärts" ruft, Sachsen sei ganz das „rote Königreich" ge worden. Und doch bietet gerade Sachsen ein Bei spiel, das die „Genossen" nachdenklich machen könnte. Als sie im sächsischen Landtage erst 15 Sitze er rungen hatten, forderten sie vor sieben Jahren in ihrem Übermut, daß das schon recht liberale sächsische Wahlrecht noch mehr demokratisiert werde; die Land tagsmehrheit, sogar der Kanunerfreisinn, ging darauf ein, aber in umgekehrter Richtung: man revidierte das sächsische Wahlrecht nach dem Muster des preußischen, derart, daß bei den nächsten Neuwahlen alle Sozialdemokraten aus der sächsischen Zweiten Kammer wieder beseitigt wurden. Es ist sicherlich auch nicht das Ideal einer Volksvertretung, wenn die breitesten Volkskreise in ihr nicht vertreten sind. Daß aber am Ende selbst Freisinn und Zentrum, bevor der Triumphruf des „Vorwärts" „unser das Reich, unser die Welt" wahr und bevor die Umsturzpartei im Reichstag völlig ausschlag gebend wird, eine entsprechende Änderung des Reichs tagswahlrechts vornehmen, ist sicher, mag man heute noch so sehr sich verwahren und des lieben populären Scheins wegen jeden als schändlichen Reaktionär und Verräter behandeln, der nicht auf die Weisheit und Unantastbarkeit des allgemeinen gleichen Reichstagswahlrechts schwört. Die „Cöln. Ztg." schreibt: Wir denken, mit der Welt wende deutscher Politik und der Umwandlung Deutsch lands in den Fackelträger der Sozialdemokratie wird cs noch gute Wege haben. Die Sozialdemokratie verdankt ihre Erfolge längst nicht mehr ihrem prin zipiellen Charakter, sondern dem Zulauf, der sich jeder rücksichtslosen und rohen Opposition zuwcndet. Und die „Nat.-Ztg." äußert sich wie folgt zu den bramarbasierenden Ausrufen der sozialdemokratischen Zeitungen: Die Sozialdemokratie hat ein Sieges taumel erfaßt, der sie das rechte Maß der Dinge völlig vergessen läßt. Heute (gestern) mittag zählte man in der Redaktion des „Vorwärts" 53 sozial demokratische Siege im ersten Wahlgange, dazu eine sozialdemokratische Beteiligung au zahlreichen Stich wahlen. Tie 53 Kreise gehören aber ganz über wiegend zum sozialdemokratischen Besitzstände; sie haben allerdings teilweise ein solches Wachstum der sozialdemokratischen Stimmen im ersten Wahlgange zu verzeichnen, daß eine Stichwahl nicht mehr nötig ist. Welche Siege der Partei noch in den Stich wahlen beschicken werden, muß man erst abwarten. Selbst wenn die Sozialdemokratie, wie sie heute jubiliert, drei Millionen Stimmen erreicht, so ist es noch die Frage, in welchem Verhältnis ihre Vertretung im Parlament hierzu stehen wird. Und auch bei drei Millionen Stimmen ist es eine maßlose Selbst überschätzung, wenn das sozialdemokratische Zentral organ verkündet: „Wenn die Nacht vollendet, was bis Mitternacht begonnen, dann bereitet sich eine Weltwende der deutschen Politik vor. Deutschland wird zum Lande des Sozialis mus, dem unüberwindlich vorwärts drängenden, dem Befreier und Erlöser. Unser das Reich — unser die Lunss und Wissenschaft. Königl. Schauspielhaus. Am 17. d. Mts.: „König Heinrich VIII.". Historisches Schauspiel in fünf Aus zügen von Shakespeare. Nach der Übersetzung von W. A. B. Hertzberg. (Zum ersten Male ) Als Epilog zum großen Cyklus der Königsdramen, zu denen es seiner dichterischen Anlage nach überhaupt nicht, und seiner historischen Grundlage nach nur dann gehört, wenn man die schwachen Nachklänge der weithin schallenden wilden Kämpfe der roten und weißen Rose und ihrer jähen Glückswechsel im Sturz Buckinghams und Kardinal Wolseys zur Hauptsache macht, erscheint das Schauspiel „König Heinrich VIII.". Seine Ein studierung zum Zwecke eines neuen, literarisch interessanten Abschluffes der großen Dramenfolge, seine Darstellung mit allem Prunk, den die Eigenart dieses merkwürdigen Stückes fordert, ist ein neuer Beweis der außerordent lichen geistigen Arbeit, die an die Königsdramen auf unserer Bühne gesetzt wurde und die kaum genug an erkannt werden kann. Einen dauernden Gewinn für den Spielplan verbeißt „König Heinrich VIII." noch viel weniger, al» die ihm vorangegangencn Heinriche; das seltsame Drama erhebt sich, trotz der Prachtgestalt der Königin Katharina (von Arragonien), nicht einmal in die Höhe der Haupt- und Staatsaktion, sondern bleibt ein Gelegenheit», und Ausstattungsspiel ohne treibende» starkes Motiv, ohne durchgehende Gegensätze, ohne inne ren Zusammenhalt, ohne überzeugenden lebendigen Anteil de» großen Dramatiker« am ganzen Georg Brandes meint in seinem „Shakespeare" mit allem Recht: „Da« Schauspiel löst sich dem Gedächtnis in eine Reihe von Au«stattung«szenen mit Aufzügen, Gesang, Tanz und Musik auf. Große Versammlung im StaatSrat wegen Buckinghams Schicksal; große« Fest bei Wolsey mit Masterade und Tanz; große Verhörsszene über die Königin von England; große Krönungs prozession mit Fanfaren, Thronhimmel und Kron juwelen. Das Traumgesicht der totkranken Königin, tanzende Engel mit goldenen Masken und Palmzweigen in den Händen. Endlich große Tauffestlichkeiten auf dem Schlöffe, wieder mit Prozession, Thronhimmel, Trom peten und Herolden." Fragt man aber, wie Shakespeare, der zur Zeit der Abfassung dieses Dramas die dramatische Gestaltung der Begebenheiten und Charaktere aus der stürmischen und blutigen Geschichte Englands im fünfzehnten Jahrhundert längst hinter sich hatte, zu diesem Epilog kam, so wird man eine äußerliche Veranlassung, eine Bestellung auf alle Fälle annehmen müssen. Gleichviel, ob man die Entstehung des Dramas in die Zeit der Krönung der Gemahlin Jakobs I., Stuart, der Königin Anna von Dänemark setzt (1603), oder mit mehr Wahrscheinlichkeit annimmt, daß „Heinrich VIII." aus Anlaß der Ver mählungsfeier der Tochter Jakobs, der schönen Prinzessin Elisabeth mit dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, dem nachmaligem König von Böhmen, ein volles Jahr zehnt später (1613) gedichtet wurde, es handelt sich um ein Festspiel, das mehr vom Wesen der inzwischen modisch gewordenen „Masken" in sich ausgenommen hatte, als für seinen dramatischen Wert und seine dramatischen Wirkung gut war. Diese offenbare dramatische Schwäche de« Drama» hat eine Anzahl eng lischer und amerikanischer Kritiker veranlaßt, die Mit wirkung Shakespeares an „Heinrich VIII." überhaupt in Frage zu stellen. Bewunderer Shakespeares, die lieber alle urkundlichen Zeugnisse der Welt bezweifeln, al« zu- qeben würden, daß auch der Geniu« schwache Stunden haben könne, sprechen dem Dichter jeden Ver« des Schau- spiel«ab. FeineKennerdcrVer«kunstund deSTonfallSderver- schiedcnen altcnglischrn Dramatiker glauben „Heinrich VIII." zum größeren Teil John Fletcher zuwenden zu müssen, ver um diese Zeit in der Tat so etwas wie einen Rivalen Shakespeares m der Meinung der Oberflächlichen und der Gunst des wetterwendischen Publikums vorstellte. Sie geraten in einige Verlegenheit, wenn man sie fragt, ob sie Fletcher wirklich die Gestalt der Königin Katharina zutrauen? Diese Gestalt aber, von der schon der ehrliche Samuel Johnson gemeint hat, daß Shakespeares Genius mit ihr komme uno gehe, veranlaßt die Parteitcndenz, die Shakespeare zum Kryptokatholiken machen möchte, sich aufs festeste an die Autorschaft Shakespeares gerade bei „Heinrich Vlll." anzuklammern. Denn was würde aus der ganzen von del Rio bis zu Schuler verfoch tenen Behauptung von Shakespeares Katholizismus, wenn die rührende und edle Figur der Königin einem andern Dichter angehörte? Der Schluß mit dem Sieg Cranmers über Bischof Gardiner von Winchester muß dann, nach der Parteitheorie, von den protestantischen Herausgebern Heminge und Condell angeflickt und ge fälscht worden sein. Und da bei der ersten Aufführung „Heinrichs VIII." am 29. Juni 1613 durch die Böller schüsse, die das Kommen des Königs zum Feste bei Kardinal Wolsey ankündigen, das Strohdach des Globe- theaters in Brand geriet und das Haus alsbald nieder brannte, so ist freilich keine Möglichkeit vorhanden, zu beweisen, wie der Schluß ursprünglich und vor dem Druck in der Folioausgabe aussah, obschon das ganze Stück unzweifelhaft von vornherein auf diesen Schluß: die prophetische Verherrlichung der großen Königin Elisabeth und ihres Nachfolgers König Jakobs I. zugeschnitten wurde. Man sieht, so viel wilde Rosen wachsen nicht leicht an einer Hecke, als sich „Fragen" an das Stück von „Heinrich VIII." hängen. Es wäre mehr als anmaßlich innerhalb einer kurzen Besprechung auch nur eine der vielumstrittenen Fragen lösen zu wollen. Aber klar ist, daß der Epilog zu den Königsdramm nicht zu den Schöpfungen Shakespeares gehört, in denen die ursprüngliche Kraft und Macht de» Geniu« Sinne, Welt!" Die deutsche Politik wird durch die Wahlen von 1903 in keine „Weltwende" gedrängt werden! Sie wird mit ziemlich der gleichen Stärke der Mittelparteien zu rechnen haben wie bisher und braucht selbst vor 70 oder 80 Sozialdemokraten nicht in ein Mauseloch zu kriechen. Das vollständige Ergebnis der ersten Wahlen ist bis zur Stunde noch nicht bekannt geworden; aber nach mancher Richtung kann man aus den vorliegenden Mitteilungen doch bereits Schlüsse auf die Zu sammensetzung des neuen Reichstages ziehen. Tie nächstliegende und unerfreulichste Erscheinung bleibt natürlich, was wir schon gestern betonten, das aber malige Anwachsen der sozialdemokratischen Mandate. Es hat sich gezeigt, daß auch der Zusammenschluß der Ordnungsparteien nicht genügt, um einen stand haften Damm herzustellcn, an dem die sozialdemo kratische Hochflut abprallt. In unserem engeren Vaterlande nicht nur, sondern auch in anderen deut schen Ländern, in denen eine starke Phalanx den Sozialdemokraten entgegcntrat, ist eine Überwindung der Sozialdemokratie nicht erreicht worden. Beson ders bezeichnend kann der Umstand genannt werden, daß die Mandate sämtlicher deutschen Hansastädte nunmehr in sozialdemokratische Hände übergegangen sind, obwohl die gesamte Bürgerschaft dem Anstürme der Sozialdemokratie gegenübergetreten war. Die sozialdemokratische Hochflut steigt — nicht weil das deutsche Volk in größerer Zahl die Ziele der revolutionären Partei billigt, sondern weil ihm diese Ziele uckdrkannt sind. Wir haben wieder holt darauf hingewiesen, in welchem Um fange die sozialdemokratischen Agitatoren be müht waren, die wirklichen Ziele, das wahre Wesen ihrer Partei zu verbergen, um leichtgläubige Wähler, die in der Sozialdemokratie die Partei der Besitzlosen und Unterdrückten erblicken, zu täuschen. Das geltende Reichstagswahlrecht begünstigt diese Agitationsweise, und die Gleichgültigkeit zahlreicher Wahlberechtigter gegenüber den Reichstagswahlen und dem politischen Leben überhaupt kommt der überaus tätigen Sozialdemokratie zu statten. Es wird aber erwartet werden dürfen, daß die bisherigen uner warteten Wahlcrfolge der Feinde alles Bestehenden wie ein Leuchtfeuer wirken und dahin führen werden, daß alle bürgerlichen Parteien ohne jeden Unterschied ihrer Richtung sich zusammcnschließen, um noch in letzter Stunde dem weiteren Anwachsen der Umsturz- Partei Einhalt zu tun. Auch den Säumigen und Gleichgültigen unter den Wählern wird über ihre Verantwortung für eine noch größere Vermehrung der sozialdemokratischen Mandate hoffentlich ein Licht aufgehen, so daß wir vor dem Schicksal bewahrt bleiben, die Sozialdemokratie als stärkste Fraktion in den Reichstag einziehen zu sehen. Bei den vorigen Wahlen vor fünf Jahren gewann die sozialdemo kratische Partei den vierten Teil der Stichwahlen nur mit Hilfe freisinniger Wähler. Diesmal werden die Freisinnigen wohl eingeschen haben, daß ihre ärgsten Feinde in jeder Hinsicht die Sozialdemokraten sind. Was die übrigen Parteien betrifft, so wird wahrscheinlich deren Stärke im neuen Reichstage keine sehr wesentliche Veränderung erfahren. Verlieren dürfte in erster Linie die extrem agrarische Richtung und deren Gegenfüßler, die Freihandelsvertretung. Tie übermäßige Betonung von Sonderinteressen findet, wie mit einiger Genugtuung festgestellt werden kann, keinen Boden in der Bevölkerung. Ausschlaggebend bleibt auch im neuen Reichstage die Zentrumspartei. Die Zersplitterung unseres Parteiwesens kann angesichts der Geschlossenheit der konfessionellen Vertretung der Herzen und Geister unwiderstehlich mit sich fort und auf die Höhe der vollen dramatischen Wirkung cmporreißt. Nun bleibt eS immerhin ein sprechendes Zeugnis für die Bedeutung der dichterischen Mitwirkung Shakespeares an diesem Gelegenheitsstück, daß diese unverkennbare Mit wirkung in gewissen Szenen und einer Hauptgestalt des Dramas hinreicht, dreihundert Jahre nach Entstehung der Arbeit, einem Festspiel aus den Tagen des ersten Stuart auf dem englischen Thron, die Neubelebung auf dem deutschen Theater und die gespannte Teilnahme eines modernen Publikums zu gewinnen. Wenn sich diese Teilnahme vor allem auf Schicksal und Charakter der Königin Katharina sammelt, so liegt dies, wie mehr gesagt, an der dichterischen Ausführung und Verklärung gerade dieser Gestalt. Daß Shakespeare auch bei diesem seiner eigenen Zeit so naheliegenden Stoff die Menschen richtig sah, darüber läßt auch die Königsfigur HeinrichsVlll. keinen Zweifel. Er sah richtig, aber er durfte nicht wagen, auch nur den größeren Teil dessen, was er sah, wieverzugeben. Hinter all den Prunkschleiern, mit denen er ihn umhüllt, schaut nichtsdestoweniger das Gesicht de« leidenschaftlichen roh-genußsüchtigen, heuchlerisch-grau samen, mit dem wohlfeilen Mittel plumper Zutulichkeit regierenden Königs Blaubart deutlich hervor. Wirk- liq frei war der Dichter eben nur bei seiner Charak teristik der verstoßenen ersten Gemahlin. Und daß er sich hier so völlig frei fühlte, weist entschieden auf die späte Entstehungszcit des Stückes hin. Elisabeth würde sich schwerlich an einer Verherrlichung der Spanierin erfreut haben, die durch ihre Mutter aus dem Hause und der Gunst des Königs verdrängt worden war König Jakob aber, der Versöhnung mit Spanien suchte und mit seiner Königskunst Feuer und Wasser binden wollte, hatte sicher gegen die dichterische Verklärung der Leiden und Schmerzen, wie de« hohen Sinns der verstoßenen Königin nichts einzuwendrn. In der theatralischen Wiedergabe der Katharina von
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