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Adorter Wochenblatt. Mittheilungen über örtliche und vaterländische Angelegenheiten^ Sechzehnter Jahrgang. Preil für den Jahrgang bei Bestellung von der Post^ ^Lha^er^^bei Bestellung bet Blatter durch Botengelegenbeit: 9. Mittwoch, L6. Februar Drei Tage aus dem Leben eines sächsischen Volksvertreters. III I8S0. (Fortsetzung.) Wir habe» in unserer allgemeinen Charakteristik zugleich die Gründe angedeutet, warum hinsichtlich der deuischen Frage in beiden Kammern so verschiedenar tige Ansichten obwalteten. Es gab in dieser Bezieh, ung eine sogenannte kleindeutsche und eine großdeut« sche Partei, letztere aber war aus den heterogenste« Elementen zusammengesetzt. Sie bestand nämlich 1) a«S den wenigen reaktionären Elementen, 2) auS den Radikalen und 3) auS den ü tout prix Ministeriellen; welcke — wenn die Regierung der Proklamation vom 30. Mai treu geblieben wäre — eben so gern, ja, ihrer Gesinnung nach, vielleicht noch lieber mit der sogenannten kleindeutsche» oder Gotbaer Partei ge stimmt haben würde. Letztere war der Zabl nach di» stärkste, aber doch für sich allein nicht stark genug, um jener unnatürlichen Coalilion die Spitze bieten zu können. ES war daher kein Wunder, daß die Regier- ung gerad» in der wichtigsten Frage, wenn auch nicht einen Sieg erfocht, so doch auch keine entscheidende Niederlage erlitt, wenigstens nicht der Stimmcnzahl nach. Das deutlichste Bild jener unseligsten Spal. tung, wie der deutschen Zerrissenheit überhaupt, gab die Verhandlung der deutschen Frage in der ersten Kammer, die wir denn auch deshalb als die charakte ristischste und interessanteste etwas näher beleuchten wollen. Schon in der auS nur L Mitgliedern bestehenden Deputation hatten sich nicht weniger als vier verschie- dene Ansichten gebildet, v. Carlowitz und Kütt- ner wollten Beschickung det Erfurter Reichstage-, Schenk (der Referent) wollte wenigstens Wiederan, kuüpfung der Verhandlungen mit Preußen, Mam. men wollte Wiederberufung der Frankfurter National. Versammlung und Joseph wollte zur Zeit gar nicht-, brachte aber später eine Erklärung in Vorschlag, die in der Hauptsache eine Vertagung der Carlowitz,Küttner, scheu Anträge bezweckte und beiläufig für einen, alle deutschen VolkSstämme umfassenden Bundesstaat mit Volksvertretung sich auösprach. Noch deutliche« aber trat diese Spaltung in eine kleindeutsche, mini« sterielle, radikale und großdeutsch« Fraktion bei der Verhandlung selbst hervor und es war daher nicht zu verwundern, daß schließlich gar Nichts beschlossen wur. de, indem bei den Carlowitz-Kültnerschen Anträgen di« drei letzten Fraktionen gegen die erste stimmten, wah rend andererseits gegen die Joseph.Mammenschen An träge wiederum die beiden ersten Fraktionen zusam- menhielten, der Schenksche (mehr ministerielle) Ver. mittlungsantrag aber keiner Partei genügte. Da« Re sultat war also — Nicht-, was überhaupt das LooS der deutschen Angelegenheit zu sein scheint. Desto rei. cher war aber der geistig« Gehalt der Debatte, und besonders interessant der Zweikampf zwischen den Hrn. v. Beust und v. Carlowitz. Es war am 18. Februar v. I., al- wiederum — wie am Sonnabend vorher — alle Tribünen überfüllt waren, denn die Debatte war damals geschlossen wor- den, ohne daß Minister v. Beust auf die schlagenden Angriffe seines Gegners geantwortet hatte, und man erwartete nun heut« seine Antwort. Im Saal« wa- ren alle Minister, auf den Tribünen Diplomaten uno Diplomatinnen, fast alle Mitglieder der zweiten Kam. mcr (die zu diesem Behuf ihr« Sitzung ausge. setzt hatte) und außerdem ein zahllose- männliches und weibliches Publikum zugegen. Nach einem Vortrag« Küttner's «rgriff endlich der genannte Minister da« Wort. Er sprach zuvörderst seine Befriedigung mit dem Schenk'schen Bericht» aus, der doch noch vaterländischen (d. h. sächsischen) Sinn bekunde, während leider! ein Theil der Presse (da- Siegel'sche Journal) nicht ohne Erfolg sich b«. müht habe, daS gute sächsische Recht in den Hinter, grund zu dränge». Zugleich suchte er die im Berichte ' angegriffene Form der Regierungsvorlage (wonach di« deutsche Angelegenheit nun zur Kenntnißn-abm« der Kammern gebracht worden war) ausführlich zu rechtfertigen. WaS die ihm vorgehaltene Proklamation vom 30. Mai betreffe, so dürke man — sagt« e, — dabei nicht vergessen, daß sie geschrieben worden sei zu einer Zeit, wo das Land noch gezittert habe unter den