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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. PrSnumcranonS-Preis 22p SUdcrgr. (j Td!r.) vicrteijädrUch, Z Tblr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, i» allen Theilen der Preußischen Monarchie. W agazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp.. Jägerstraßc Nr. 23), so wie von allen König!. Poß-Acmlcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 97. Berlin, Montag den 14. August 1843. Rußland. Cottrcll's Reise nach Sibirien. Unter dem Titel: „Uecolleeriong vk Liberia in tim ^ears 1840 auä 1841" erschienen vor kurzem die Bemerkungen eines jungen Engländers, Herrn Cottrell, auf einem Ausflug nach Orenburg und Sibirien, welche viele Aufmerksamkeit erregt haben. Unter dem Namen Sibirien stellt man sich gewöhnlich ein Land vor, dessen öde Einförmigkeit durch nichts belebt wird und wo die Natur, in eisigen Banden gefesselt, einem todtenähnlichen Schlaf unterliegt. So wie jedoch früher schon Lesseps und Dobell, vorzüglich aber Erman, in ihren Neisewerken an den Tag legten, daß es dem Auge scharfsinniger Beobachter nicht unmöglich sey, selbst in der Monotonie jener unermeßlichen Schneewüsten bemerkenswerthe Punkte zu entdecken und ihnen ein allgemeines Interesse zu verleihen, ist auch Cottrell durch die groß artigen Natur-Schönheiten dieser verrufenen Regionen und die ihm dort zu Theil gewordene Gastfreundschaft mit einem Enthusiasmus für dieselben er füllt worden, der seinen Landsleuten eben so neu als unerwartet zu sepn scheint. Die Schilderung, die er von seiner Reise entwirft, ist indessen nicht sehr einladend, da sie im Herbst und mithin zu einer Zeit stattfand, wo der Schnee noch nicht festgefroren war. „Dieses", schreibt er, „war unsere erste Reise mit Schlitten, und selbst auf diese Art war das Fahren schwierig genug; auf Rädern wäre es unmöglich gewesen. Der Weg war äußerst gebirgig und führte oft cme Strecke von 8- io Werste lang durch Wälder, wo sich der Schnee bis zur Höhe von mehreren Fussaufgethürmt hatte. Durch diesen waren wir gcnöthigt, uns einen Weg zu bahnen, da er noch nicht hart genug war, um den Pferdehufen Widerstand zu leisten. Im schnellen Hinabfahren wurden wir unaufhörlich umgeworfen, und drei Pferde hatten die größte Mühe, den leichten Schlitten die steilen Schnechügel hinaufzuschleppen, wo der Boden beständig unter ihren Füßen wich Am folgenden Tage hielten wir Kriegsrath und beschlossen, nach der 280 Werste (40 Deutsche Meilen) entfernten Stadt Barnaul auf Rädern zu fahren, da man uns die Straße als gut schilderte und versicherte, daß wir nicht viel Schnee finden Würden, indem die ganze Strecke eine vollkommene Fläche bilde. Wir ließen also unseren Wagen mit starken eschenen Schäften versehen, die an beiden Seiten angebracht wurden, um im Nothfall den Schnee aus dem Wege räumen zu können, und machten uns dann nach Barnaul auf. So beschwer lich unsere Reise bis dahin gewesen war, hatten wir noch immer nicht das Maximum erreicht, und cs war augenscheinlich, daß die Wege sich von Tag zu Tage verschlimmern müßten, bis der Schnee in eine feste Masse verwan delt würde, was in Gegenden, wo so wenig Verkehr stattfindct, einige Zeit erfordert. Wir hatten während der ganzen Reise meistens 10—12 Pferde vorgespannt, ohne im Durchsnitt über fünf Werst die Stunde zurückzulegen. „Nach der ersten Station traten wir aus den Gebirgen in die Steppe, wo wir von einem Schneegestöber mit heftigem Wind begrüßt wurden; dieser ging fast in einen sogenannten Duran (Wirbelwind, von burza, der Sturm) über, der, von starkem Schnee begleitet, den Reisenden oft verderblich ist.... Wird man im Walde von einem Duran überfallen, so ist er weniger zu fürch ten, weil man sich dort nicht verirren kann und nur Gefahr läuft, unter dem Schnee begraben zu werden; in den offenen Steppen aber mischt sich der fallende mit dem von der Erde aufgewirbelten Schnee, wodurch die Luft so verfinstert wird, daß man bei Hellem Tage nicht vor sich sehen kann und nicht weiß, ob man zur rechten oder zur linken Hand abweicht. Auf diese Art ereignen sich öftere Unglücksfälle; Equipagen werden in Abgründe hinuntcr- gestürzt, und Menschen und Thiere erfrieren im dichten Schnee, der sich natür licherweise um die einzigen Gegenstände sammelt, an denen er im Umkreise vieler Meilen einen Anhaltspunkt findet." Einige Abwechselung gewährt eine Fahrt über den gefrorenen Baikal, von der wir folgende Schilderung lesen: „Auf dem Eise fährt es sich rasch und angenehm; an der Stelle, wo wir den See passirten, ist er nicht über 60 Werste (o Meilen) breit, welche Entfernung man zuweilen in zwei und einer halben Stunde zurücklegt (?), und die Berge, die ihn umgeben, bieten einen imposanten und erhabenen Anblick dar. In dem Eise befinden sich mit unter kleine Oeffnungen, die vorzüglich im Frühjahr, wenn sich der Zeitpunkt seiner Auflösung nähert, den unerfahrenen Reisenden gefährlich sepn müssen; da aber Fuhrleute und Pferde daran gewöhnt sind, so ist in der That keine Gefahr vorhanden. Ist die Spalte nur schmal, so springen die Pferde dar über hinweg, ohne sich aufzuhalten; ist sie breit, so wird in aller Schnellig keit eine Brücke aus Brettern darüber gelegt, die man eigens zu diesem Zweck mit sich führt. Wenn die Oeffnung so weit ist, daß auch dieses nicht hin reicht, so werden große Eisblöcke von den Rändern abgchauen; der Fuhrmann springt mit Hülfe einer Stange über die Kluft und fügt die Blöcke auf der anderen Seite mit ähnlichen zusammen, woraus eine Brücke entsteht, über welche man zuerst die Pferde treibt und dann den Wagen an Stricken nach zieht. Es fällt nicht selten vor, daß ein Pferd in vollem Lauf plötzlich an einer Stelle einsinkt, wo das Eis, statt sich zu zerspalten, weich und porös geworden ist; in einem solchen Falle springt der Fuhrmann dem Thiere mit der größten Behendigkeit auf den Rücken, bindet es im Nu von dem Schlitten los und zieht es mit aller Kraft empor, ehe es Zeit hat, sich durch sein Sträuben noch tiefer in den Eissumpf hinein zu arbeiten.. Um ihm den Athem zu benehmen und somit am Ausschlagen zu verhindern, wirft er ihm eine Schlinge um den Hals und zieht diese so straff an, daß es ihm kaum noch möglich ist, nach Luft zu schnappen. Nachdem der Fuhrmann sein Pferd auf diese Weise herausgezogen, spannt er cs mit Blitzesschnelle wieder in den Schlitten, und die ganze Operation nimmt nicht mehr Zeit ein, als ich nöthig habe, sie zu erzählen." Die Gastfreiheit der Sibirier ist bekannt und läßt sich zum Theil aus dem billigen Preise der meisten Lebensaiittel erklären. Zn Orenburg ist Hammelfleisch so wohlfeil, daß die höheren Klaffen es unter ihrer Würde halten, davon zu genießen. Ein ganzes Schaf wird für etwa 10 Silber groschen verkauft. Von einem früheren Reisenden wird eines Fuhrmanns gedacht, der gegen die Vergütung von tl Silbergroschen per Tag für sich und sein Pferd, die ihm anvertrauten Waaren nach einer Entfernung von 200 D. Meilen transportirte. Die Sibirische Gastfreiheit beschränkt sich nicht darauf, die zur Befriedigung des Hungers nöthigcn Lebensmittel fast umsonst herzustellen; sie trifft auch besondere Maßregeln, den etwa fehlenden Appetit hervorzubringen. „Um die Verdauung unseres Frühstücks zu befördern", — erzählt Cottrell, — „mußten wir uns einer Ceremonie unterwerfen, die uns kein geringes Erstaunen cingcflößt haben würde, wenn wir nicht schon früher bet einem in der Gegend von Oranienbaum wohnenden Bekannten, tn der Gesellschaft unseres unvergeßlichen Freundes, des Fürsten Butera, einen Vorgeschmack davon erhalten hätten. Zwölf Mann Soldaten stellten sich einander gegenüber in zwei Reihen aus, nahmen den Gast in die Arme und warfen ihn in die Höhe, woraus sie ihn mit den Händen auffingen und so schnell wie möglich wieder empor warfen. Diese Operation wird mit vieler Geschicklichkeit vollzogen; wenn der Patient seine Sache versteht, so schließt er die Arme dicht an den Leib und hält die Beine steif auSgestrcckt, in welchem Fall er keine weitere Unbequemlichkeit empfindet- Es ist gerade so, als wenn man von einer Decke in die Luft geschnellt würde (tobest in a blanker). Die Leute singen unterdessen einige von ihren lieblichen, obwohl monotonen National-Liedern, denen die Weichheit der Sprache eine Harmonie verleiht, die sie an sich nicht besitzen." Die Handelsverbindungen mit China und Mittel-Asien sind für Sibirien zu wichtig, um in einem Reisebericht über dieses Land unberührt zu bleiben. Die erste unmittelbare Kunde von dem „Reich der Mitte" erhielten die Russen in der zweiten Hälfte des I6ten Jahrhunderts (1367 — 70) durch zwei Kosaken, Petrov und Jalptschew, die bis nach Peking vordrangen und bei ihrer Rück kunft dem Zaren Iwan Wassiljewitsch eine genaue Beschreibung aller Länder von dem Baikal bis zum Meer von Korea, und sogar von Tibet, Turkestan, der Bucharei und Kaschgar vorlcgtcn. °) Um die Mitte des I7ten Jahrhunderts eroberte eine Handvoll Kosaken und Promyschlcniks, unter der Anführung des kühnen Hauptmanns Chabarov, das Land an dem Amur oder Jamur, erbaute die Festung Albasin und belegte die Einwohner mit cinem Tribut (j»Lsk) an Pelzwerk. Nach mehreren erfolglosen Versuchen gelang eS jedoch dem Chinesischen Kaiser Kang-Hi, die Eindringlinge llü83) zu überwältigen. „Ein mächtiges Heer von 10,000 Mann wurde, mit Kanonen und Belage rungs-Material versehen, den Amur hinunter geschickt, um das kleine, nur von 300 Mann vcrtheidigte Fort regelmäßig zu belagern. Nach einem Wider stande von mehreren Monaten nöthigtc Hunger und Krankheit die heldenmüthige Besatzung zur Capitulation. Die Gefangenen wurden größtentheils nach Peking gebracht, wo ihre Nachkommen noch heutzutage ein eigenes Quartier bewohnen und ihre Religion beibehalten haben, was der Russischen Regierung zum Borwand diente, ein geistliches Kollegium in der Chinesischen Hauptstadt ') Siehe Karamfln's Russ. Geschichte, IX, 374 (in, OriginaO.