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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.01.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980124013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898012401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898012401
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1898
-
Monat
1898-01
- Tag 1898-01-24
-
Monat
1898-01
-
Jahr
1898
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Vezirgr-Prei- t» dtp Haitptipkditi», vd»r d« t» Stadt bezirk und den Vororten errichtet?» Au-, gaorslellsn ab geb alt: vierteliätzrlich^l-HO, bei jweinraliarr täglicher Zustellung in» HauS L.LO. Durch di» Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich L—. Direete täglich, Kreuzbands,»dang in» Ausland: monatlich 7.b0. Die Morgen-Au-gab» erscheint um '/,7 Uhr. d»r Abend-Ausgab« Wochentags um b Uhr. Nedaclion »n- Ervedition: Aohaun«»gasfe 8. Die Sxprdition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Ltto Alemm's Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstrahe 3 (Paulinum), Louis Lösche, Aatdarinenstr. Ich -art. und Köuigsplatz 7. Morgen-Ausgabe. ripMcr.TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aatljes und Volizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen,Pr-iß lr.e 6 gespaltene Petitzeile L0 Pfg. Necla men unter dem Redactronssrrich (4g»> spalten) öO^, vor den Familirnnachrichte» («gespalten) 40/^. Brüßere Schriften laut unserem Preis« Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Vrtlagcn (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderuag 60—, mit Poskdesörderung X 70 —. Annahmeschluß füe Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filiale« und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an di« Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 40. Montag den 24. Januar 1898. 92. Jahrgang. Stiidtebilder aus Sachsen. Königstein. Nachdruck verboten. In dem Städtchen Königstein Hai sich infolge seiner von Natur so günstigen Lage seit Jahrhunderten ein ziemlich reger Handel entwickelt, der durch die beiden, vor vierhundert Jahren schon blühenden Industrien, der Schifffahrt und der Sandstein brecherei, in ausgiebigster Weise unterstützt ward; neben diesen beiden war auch das Königsteiner Brauwesen im Mittelalter von hoher Bedeutung, und stand das „Königsteiner Bier" weit und breit in hoher Gunst. Diese alten, auf ganz natürlicher Grund lage beruhenden Industriezweige haben sich auch bis auf die Gegenwart blühend erhalten und bilden heute noch das be lebende Element für Königstein, wenn auch, der Neuzeit an- gepaßt, daneben neure Industriezweige sich zu ansehnlicher Blllthe entfaltet haben. Die älteste Geschichte der Stadt Königstein verliert sich in das Dunkel der Sage und Dichtung, erst mit dem Eintritt der Bergfeste Königstein in die Geschichte wird es auch licht über die Stadt Königstein. Bei den natürlichen engen Be ziehungen, die beide von Anfang zu einander haben mußten, sind ihre Schicksale so ziemlich dieselben. Die erste sichere Nach richt über Königstein ist eine Lehnsurkunde aus dem Jahre 1289, in welcher des Königsteins, der damals noch „Stein" hieß, gedacht wird. 1396 hatte den Königstein und Lilienstein nebst Stadt und Schloß Pirna Wenzeslaus Jgnanus, König von Böhmen, in Besitz, er versetzte ihn aber in diesem Jahre an Burkhard Stirnad von Jancowitz, seinem Kammermeister und Rathe; 1402 waren die Burggrafen zu Dohna, Heyde und Jahn, die Besitzer des Königsteins, doch ward derselbe meiß nisches Lehn, nachdem Wilhelmus Eocles, Markgraf zu Meißen, Dohna, Weesenstein und den Königstein eingenommen. Im Jahre 1406 starb Wilhelmus Cocles, und Königstein sammt der Markgrafschaft Meißen kam an den Landgrafen Friedrich von Thüringen; 1439 verpachtete Kurfürst Friedrich Schloß Königstein nebst dem Amie und Pflege an die beiden adeligen Herren Siegemund von Scbönfeld und Dietzen von Gorenje. Amt und Schloß Königstein ward wiederholt ver- und gekauft, bis um 1500 Herzog Georg, Markgraf zu Meißen, beim Antritt seiner Regierung dasselbige selbst wieder annahm. Er ließ 1518 zu Lob und Wunder Mariä auf dem Königstein ein Cölestinerkloster erbauen, welches aber um 1524 schon wiederum einging. Seit 1459, in welchem Jahre der Vertrag zu Eger abgeschloffen ward, blieb Königstein nebst dem ganzen District an der Elbe, der sonst von Pirna an bis Schmilka über Schandau nach Böhmen gehört hatte, im Besitz des Hauses Wettin. Unter der landesväterlichen Fürsorge des Hauses Wettin ward das Städtchen Königstein mit mancher Freiheit und manchem Privileg bedacht; als scilche sind zu erwähnen die, die sich auf die Braugerechtigkeit und Salzschank beziehen (1509); auf das Branntweinbrennen (1593 und 1705); Be freiung von Standquartieren, freier Fischerei, die jeder Bürger auf dem Elbstrom am Königsteiner Ufer haben sollte; Be willigung eines Wochenmarktes, der alle Freitage gehalten werden sollte, durch Kurfürst Christian II. ums Jahr 1605; der Stadt wird 1624 das Recht verliehen, von den den Elbstrom passirenden Schiffen, Kähnen ein Kahngeld erheben zu dürfen, desgleichen wird dem Rathe die Befugniß zugesprochen, von den in die Stadt kommenden Wagen drei Pfennige Wagenzins erheben zu dürfen u. s. w. Die aufstrebende Stadt ward im Laufe der Jahrhunderte von manchem schweren Schicksalsschlage betroffen! So drang 1425 ein Hussitenschwarm ins Elbthal ein und verwüstete es, der Königstein ward zerstört; eine Neubefestigung hielt man damals nicht für nöthig, da man den stark befestigten Sonnen stein bei Pirna als Schützfeste gegen Böhmen für ausreichend hielt. Herzog Georg der Bärtige, ein Zeitgenosse und Gegner Luther's, war es, der die Bedeutung des Königsteins als Grenzfeste wiederum erkannte; er ließ das schon erwähnte Cölestinerkloster als einen Stützpunkt des katholischen Glaubens auf dem Königstein aufführen, das Kloster diente aber auch zugleich als Feste. Die zwölf im Kloster wohnenden Cölestiner erhielten zwar den Schlüssel zur Pforte, doch waren sie im Falle eines Krieges verpflichtet, einen Kriegshauptmann mit seinen Knechten aufzunehmen; ohne Erlaubniß des Herzogs durften Aenderungen an den Baulichkeiten nicht vorgenommen werden. Die auf dem Königsteine weilenden Mönche wandten sich nach und nach alle der evangelischen Lehre zu, so daß das Kloster vereinsamte; Herzog Georg gewann die Ueberzeugung, daß das Kloster zu einem Stützpunkte des katholischen Glaubens wohl nie wieder erstehen werde, deshalb gab er den Königstein seiner ursprünglichen Bestimmung zurück. Um 1539 war die Befestigung so weit gediehen, daß unter dem Hauptmann Wolf Helffant die neue Garnison einziehen konnte. „Dem großen Stein", wie die Feste damals kurzweg genannt wurde, fehlte noch ein Brunnen; auf Anordnung des Kurfürsten August I. ward ein solcher von 1552 bis 1592 angelegt. Die Tiefe des selben beträgt 187 Meter, der Wafserstand 17 Meter. Während des dreißigjährigen Krieges brachte ein unbedacht vom Königstein abgegebener Schuß über das Städtchen König stein großes Unglück Im April a6cn lam ein Banner'sches schwedisches Streifcorps auch nach Königstein und lebte hier drei Tage lang in Saus und Braus. Der Festungscomman- dant Jacob von Löben glaubte die Schweden dadurch zu schrecken, daß er einen Schuß auf die Wohnung ihres Komman danten abgeben ließ. Der abgegebene Schuß traf sicher die Wohnung, wodurch die Schweden aber so aufgebracht wurden, daß sie 1639, den 19. April, den Freitag nach Ostern, die Stadt plünderten und darauf dieselbe vor den Augen der „Vestunger", wie es in einem alten Berichte heißt, anzündeten. Bei dieser Plünderung erlitt besonders LI. Johann Friedrich Cunad viele Blessuren, an denen er am 2. Oktober desselben Jahres starb. In kriegerischer Beziehung ereignete sich für den Königstein bis zum Beginne des siebenjährigen Krieges nichts Bemerkens- werthes. Infolge Verraths durch den kurfürstlichen Geheim schreiber Menzel brach Friedrich der Große Ende August 1756 plötzlich in Sachsen ein, die sächsischen Truppen sammelten sich in aller Eile unterhalb des Königsteins in einer Stärke von 20 067 Mann unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls Rutowsky. Die Ausrüstung und Verpflegung war aber so mangelhaft, daß die getreuen sächsischen Truppen den an Zahl weit überlegenen preußischen Truppen, die in einer Stärke von 39 000 Mann anrllckten, und denen noch 23 000 Mann bs Dresden in Reserve standen, für die Dauer nicht widerstehen konnten. Die zum Ersatz herbeieilenden Oesterreicher wurden von Friedrich dem Großen bei Lobositz geschlagen, so daß sich die Sachsen, bei denen die Noth den höchsten Gipfel erreicht, da Nahrungsmittel gänzlich mangelten, am 15. Oktober 1756 ergeben mußten. Die sächsischen Truppen sollten in die preußische Armee ein gereiht werden, doch verweigerten sic trotz der Stockschläge den Eid, die große Mehrzahl blieb ihrem bisherigen Kriegsherrn treu. Ein preußischer Officier schildert die Eidscene folgender maßen: „Die Sachsen hoben weder die Finger auf noch sprachen sie die Eidesformel nach, sondern nur der Auditeur, der den Schwur vorlas und Fürst Moritz von Anhalt-Dessau, der ihr Befehlshaber werden sollte, sagten ihn nach und schwuren allein." Es erfolgte deshalb die zwangsweise Einreihung der sächsischen Truppen in den preußischen Heerestörper, doch entwichen von den Sachsen viele bei der nächsten paffenden Gelegenheit, so daß Friedrich für die wiedererlangten Deserteure Leibes- und Todes strafe anordnete. Die Kriegsjahre von 1806—1813 gingen an dem Königstein ziemlich spurlos vorüber, die Festungsgarnison ward durch ein französisches Bataillon verstärkt und stand die gesammte Be satzung unter dem Oberbefehl des sächsischen Kommandanten Generalmajor von Warnsdorf. Der Elbübergang war durch zwei Brücken, erst aus Elbkähnen, dann aus sächsischen Pontons, gesichert, eine dritte Brücke führte weiter unterhalb über die Elbe. Am 10. September 1813 hatte man die zwei oberen Brücken abgebrochen, die untere Brücke hatte geöffnete Brücken lücken, von Böhmen her suchte man diese Brücke zu zerstören, man üeß sechs Brandschiffe gegen sie los per Zweck ward aber nickst erreicht; deshalb erschien am 21. September Abends 11 Uhr ein neuer Brander, der aber von dem Pontonier Klie mann entdeckt ward. Mit zwei Elbschiffern fuhr er auf den selben loß, befestigte einen Anker an demselben und brachte ihn zum Halten. Plötzlich gab der Anker nach und der Brander trieb weiter; Kliemann befand sich noch auf dem Brander, um ihn zu untersuchen; schon begannen die auf dem Brander befind lichen Granaten zu springen, entzündeten aber zum Glück nicht die auf dem Schiffe befindlichen Pulverfässer. Unterdessen hatten die zwei Schiffer den Anker wieder gehoben und ausgeworfen, wodurch der Brander noch vor der Brücke zum Stehen gebracht wurde, dadurch ward die Brücke gerettet. Von den Brandern brachte man Pulver, Bomben, Granaten, Pechkränze u. s. w. auf die Festung Königstein; dem heldenmüthigen Pontonier Klie mann ward für sein umsichtiges tapferes Verhalten keine öffent liche Anerkennung; er starb am 22. Februar 1864 in König stein, wo er nach seiner Verabschiedung lebte; bei seinem Be gräbniß erwies ihm die Besatzung der Festung Königstein die militairischen Ehren. Nach dem Friedensschlüsse 1815 ward Generallieutenant Sahrer von Sahr Commandant der Festung, 1866 umgingen die Preußen den Königstein und 1870 diente er dazu, französische Kriegsgefangene zu beherbergen. Die Festung Königstein ist wegen ihrer großen Fässer, die sich unter der Magdalenenburg befanden, gleichfalls berühmt ge worden. Das älteste ward 1624 von Nikol Wolf erbaut, es faßte 2222 Eimer, es wurde 1680 durch ein noch größeres ersetzt, das 3319 Eimer fassen konnte, 1722 erbaute Meister Philipp Hölbe aus Straßburg ein weiteres Faß, das noch 609 Eimer mehr als das vorige faßte. Eine andere Merkwürdigkeit des Königsteins ist das söge nannte „Pagenbett", ein Mauervorsprung an der Friedrichs- burg. Dieser Vorsprung hat seinen Namen von folgendem Vorfälle. Am 12. August 1675 hielt Kurfürst Johann Georg II. auf dem Königstein ein Hoffest. Bei dieser Festlich keit hatte sich sein Page, Heinrich von Grunau, so voll Wein getrunken, daß er in der Trunkenheit zu einer Schießscharte hinausstieg und sich auf einem schmalen Mauervorsprung zum Schlafe niederlegte. Hier wurde er noch rechtzeitig aufge funden und Kurfürst Johann Georg ließ ihn mit Stricken an binden und dann durch einen Trompetentusch erwecken. Hein rich von Grunau erreichte ein Alter von 106 Jahren, er starb 1744 zu Schmölln bei Bautzen in ärmlichen Verhältnissen. Der Königstein diente auch vielfach als Staatsgefängniß. Einer der merkwürdigsten Gefangenen dürfte wohl Johann Hektor von Klettenberg gewesen sein. Nach einem unglücklichen Duelle verließ er seine Heimath und zog als Abenteurer umher. Den König August den Starken täuschte er dadurch, daß er vor gab, ihm eine Tinctur zu liefern, die nach dreimaligem Be streichen jedes Metall in Gold verwandle. Da er dies Verspre chen nicht erfüllen konnte, kam er dafür 1719 auf den König stein. Von hier aus entkam er, ward aber drrrch zwei Bauern aufgegrisfen und wieder auf dem Königstein eingeliefert. Bei einem zweiten Fluchtversuche, den er unternahm, riß das Seil an dem er sich hinablassen wollte; er brach ein Bein. Nun ließ ihn der König zum Tode verurtheilen; als ihm der Comman dant, General von Kyau, das Todesurtheil vorlas, glaubte Klet tenberg, der alte Herr wollte sich mit ihm einen Scherz erlauben, doch da er sah, daß es Ernst sei, ließ er sich muthig enthaupten, nachdem ihm Kyau versprochen, er wolle ihn mit dem reich mir Silber bestickten Sammtrocke und der Allongeperrllcke auf dem Haupte in den Sarg legen lassen. Ein anderer Gefangener des Königsteins war der sächsische Geheimsecretair Friedrich Wilhelm Menzel, der Friedrich dem Großen die geheimen Abmachungen zwischen Sachsen, Oester reich und Frankreich verrieth; er kam am 2. August 1763 auf den Königstein und starb daselbst 1796. Der Königstein ist in den vielen Kriegen, in denen Sachsen Feuilleton. Das Fahrrad. Humoreske von Adrien Vely. Deutsch von Anna Nagel. Nachdriit verboten. I. Ich war der Glücklichste aller Menschen, denn vor acht Tagen war meine Verlobung mit Fräulein Alice Delorme gefeiert worden. Seit drei Monaten bewarb ich mich um die Gunst, sie mein nennen zu dürfen. Lange Zeit hatte sie gezögert, „ja" zu sagen, denn sie wußte noch nicht genau, ob sie mich liebte. Eines Tages aber mußte sie wohl in ihrem Herzen klar gesehen haben, denn sie theilte ihren Eltern mit, sie wolle keinen Anderen zum Gatten haben als mich. Nun aber ließen es sich Herr und Frau Delorme, die meine Bewerbungen zu ermuthigen schienen, so lange sie ihre Tochter zurückwies — das heißt, so lange es sich in ihren Augen nur um eine Convenienzheirath handelte, — einfallen, ihre Absichten zu durchkreuzen, als das liebenswürdige kleine Geschöpf Geschmack für mich zu zeigen schien; das heißt, als es sich für beide Theile um eine wahre Neigungsheirath handelte. Glücklicher Weise zeigte Alice, daß sie eine junge Person war, die es fertig bekam, vor Hunger zu sterben, wenn man ihr den Erwählten ihres Herzens vorenthielt. Angesichts einer so kategorischen Erklärung waren die Eltern gezwungen, nachzugeben, und ich erhielt die Erlaubniß, jeden Tag nach VSsinet zu kommen, wo die Familie Delorme sich den Sommer über aufhielt. So war ich denn schon seit acht Tagen der Glücklichste aller Sterblichen. Alice war mir gegenüber reizend; allerdings ein bischen herrisch, doch ich war so glücklich, daß ich mit Freuden allen ihren Launen gehorchte. Und dann wußte ich auch, wenn ich versuchte, mich ihnen zu entziehen, so würde sich das reizende Kind zu bedauernswerthen Zornesanfällen hinreihen lassen, denn sie war äußerst lebhaften Charakters. Eines Abends plauderten wir gerade in dem kleinen Salon. Wir waren nicht allein. In dem Zimmer befanden sich noch die beiden Brüder Alice's, sowie zwei Cousinen von ihr, die sich ebenso wie sie zur Sommerfrische in Vssinet aufhielten. Alice sagte seit einigen Minuten kein Wort. Dieses Schweigen beunruhigte mich; wenn Alice das Plappern einstellte, so war das ein sicheres Zeichen, daß sie irgend einen Plan mit sich Herumtrug. Ich hatte nicht Unrecht gehabt, als ich unruhig geworden war, denn plötzlich erhob meine Braut den Kopf und rief: „Hört mal, wie wäre es, wenn wir morgen früh alle eine Partie zu Rade machten!" „Ja, das wäre nicht übel!" riefen die beiden Brüder. „Ach ja!" erklärten die beiden Cousinen. „Und S i e sagen nichts, Gustav?" sagte Alice und sah mich dabei mit beleidigender Starrheit an. „Sollte Ihnen mein Vorschlag nicht gefallen?" Selbstverständlich sagte ich nicht», und zwar au» dem aus gezeichneten Grunde, weil ich noch nie in meinem Leben auf's Rad gestiegen war. Hätte ich mich einfach geweigert, mich an der geplanten Partie zu betheiligen, so hätte das von Alice's Seite Vorwürfe zur Folge gehabt, die ich um jeden Preis zu vermeiden suchte; wenn ich meine Unfähigkeit dagegen gestand, so hieß das mich ihrer Verachtung aussctzen — und die Ver achtung tödtet die Liebe. Das Beste war zunächst, Zeit zu gewinnen. „Morgen bin ich leider nicht frei", versetzte ich, „ich habe eine geschäftliche Zusammenkunft von höchster Wichtigkeit." „Nun gut, dann für ein anderes Mal", erklärte meine Braut mit liebenswürdiger Harmlosigkeit, und ging mit größerer Schnelligkeit, als man es beschreiben kann, zu einem anderen Unterhaltungsthema über. II. Am nächsten Morgen begab ich mich nach einer Radfahrbahn, die in meiner Straße gelegen war. „Wie viel Zeit braucht man, um Rad fahren zu können?" fragte ich den Lehrer, an den man mich gewiesen hatte. „Das kommt darauf an", erwiderte er mir, „wenn Sie Talent haben, können Sie in drei Tagen fahren." „Nun schön, dann wollen wir sofort anfangen." Der Lehrer ließ eine Maschine holen und forderte mich auf, hinaufzuklettern; mit der einen Hand hielt er die Lenkstange, mit der anderen hatte er das Hintere Ende des Sattels erfaßt und hielt mich so in senkrechter Stellung fest. „Die Hauptsache ist", sagte er, „Sie dürfen nie aufhören, die Beine zu bewegen, wenn Sie merken, daß Sie nach einer Seite neigen, so suchen Sie nicht sie nach der entgegengesetzten Seite zu stemmen; Sie würden dadurch nur stürzen. Folgen Sie im Gegentheil der Bewegung so, daß Sie energisch strampeln; dann bekommen Sie das Gleichgewicht von selbst wieder." Wir fingen also an. Mein Lehrer wollte zuerst die Steifheit meiner Beine bekämpfen und hörte nicht auf, die Lenkstange nach rechts und nach links zu drehen. Ich lauschte aufmerksam seinen Erklärungen und vergaß dabei ganz, die Beine zu bewegen. „Aber so strampeln Sie doch, strampeln Sie doch! Zum Donnerwetter, Sie werden schließlich noch auf die Erde purzeln." Ich sah allerdings seinen Worten die That folgen, denn plötzlich neigte ich mich nach der anderen Seite über. Er machte unerhörte Anstrengungen, mich zu halten; doch es gelang ihm nicht, und von meinem Gewicht mitgerissen, fiel er mit mir zur Erde über mich, während das Rad unserem Beispiel folgte. „Ich hatt's Ihnen ja gesagt", rief er, „Sie würden fallen, können Sie denn nicht die Beine bewegen?" „Ich will's versuchen", erwiderte ich und setzte mich wieder in den Sattel. Die Lection ging weiter, sie war entsetzlich. Wohl zwanzig mal küßte ich den Boden des Saales, und zwanzigmal stieg ich wieder auf, ohne größeren Erfolg. Schließlich erklärte mein Lehrer, das genüge für den ersten Tag. „ES geht nicht übel", fügte er hinzu. „Morgen werve ich Sie schon loslaflen können." Mir stand schon bei dem Gedanken, losgelassen zu werden, ein kalter Schweiß auf der Stirn, doch faßte ich mich, denn ich wollte meinen vertrauensvollen Lehrer nicht entmuthigen. III. Am Abend sprach man in Vßsinet nur noch vom Radfahren. Das Wetter, das regnerisch geworden war, verhinderte die un mittelbare Ausführung des Ausfluges, doch Alice hoffte, das Wetter würde bald günstiger werden. „Ihr werdet sehen", sagte sie zu ihren Cousinen und zu ihren Brüdern, mit den Fingern auf mich deutend, „er wird uns Allen über sein. Ich bin überzeugt, er fährt viel besser als wir alle." „Glauben Sie doch das nicht, ich kann im Gegentheil nur sehr mäßig radfahren!" »Ja, ja, das sagen Sie nur, um uns eine Ueberraschung zu bereiten und uns mit Ihrer Ueberlegenheit zu erdrücken; doch ich bin überzeugt, Sie werden uns allen den Rang ablaufen." Am nächsten Tage kehrte ich nach der Rennbahn zurück, von der Wucht meiner Stürze vom vorigen Tage noch ganz und gar erschüttert, von dem Gedanken an die, die mich er warteten, tief bewegt. Doch zu meiner großen Ueberraschung hielt ich mich weit besser auf dem Rade, als am vorigen Tage, gerade als wenn sich in mir eine unbewußte und nützlich: Arbeit vollzogen hätte. Ich machte mehrere Touren, ohne daß mich mein Lehrer zu halten brauchte. „Achtung", sagte er plötzlich zu mir, „jetzt werde ich Sie ganz frei fahren lassen, blicken Sie ganz genau geradeaus; sehen Sie weder nach rechts, noch nach links und lassen Sie sich nicht vom Hinderniß locken. Vor allem aber blicken Sie nicht auf Ihre Füße, denn dann können Sie die Richtung nicht innehalten. Vorwärts!" Er hielt mich noch einige Secunden, dann ließ er mich los. Zu meiner größten Bestürzung rollte ich mit einer Sicherheit und einem Gleichgewicht fort, die mich in Erstaunen setzten. Nur eins beunruhigte mich. Was hatte mein Lehrer damit sagen wollen, als er mir empfahl, mich nicht vom Hinderniß locken zu lassen? Ich dachte noch über diese Frage nach, als sich plötzlich gebieterisch eine Stimme vernehmen ließ: „Zum Donnerwetter, geben Sie doch Acht! Lenken Sie doch nach links. Sie fahren ja in die Mauer hinein!" Und in der That wandte ich mich geradeswegs auf die Mauer zu. Ich wollte, wie er mir gerathen, die Lenkstange drehen, doch unmöglich. Das Hinderniß lockte mich und ich fuhr geradeaus darauf zu. Ich stürzte zur Erde und zwar so, daß ich mehrere Minuten betäubt blieb. Mein Lehrer erklärte sich trotzdem mit meinen Fortschritten sehr befriedigt und theilte mir mit, am nächsten Tage werde er mich das Auf- und Absteigen lehren. Dann brauchte ich nichts mehr zu wissen, denn das Uebrige erlerne sich unterwegs und durch die Uebung. Am Abend theilte mir Alice mit, daß die Wege noch nicht trocken genug wären und der Ausflug erst am übernächsten Tage stattfinden könne. Ich kehrte also am nächsten Tage noch einmal in die Renn bahn zurück, um meine theoretische Erziehung zu vollenden. IV. Am übernächsten Morgen erwartete mich Alice im Rad- fahrcostüm mit ihren beiden Brüdern, ihren beiden Cousinen und ihren Maschinen am Bahnhof von VSsinet. Ich stieg aus dem Waggon, mit einem Costüm bekleidet, das ich mir eben in einem englischen Hause gekauft, und ließ mir aus der Gepäckkammer ein ganz neues Fahrrad bringen, das mir der Director der Rennbahn freundlichst zu einem recht hohen Preise verkauft. Ich war schrecklich aufgeregt und mußte sehr blaß aussehen. „Wir fahren nach Saint-Germain", rief Alice, „und vor allem, Gustav, mäßigen Sie sich; fahren Sie nicht zu schnell!" Gott ist mein Zeuge, daß es mir gar nicht einfiel. Ich dachte nur daran, recht elegant loszufahren, und glücklicher Weise gelang mir das auch, und nun rollte ich inmitten dieser Schaar erfahrener junger Radfahrer, heftig von der steilen Landstraße geschüttelt, denn bis dahin war ich nur an die gleiche Fläche der Rennbahn gewöhnt. Trotzdem sammelte ich meinen Muth und radelte, die Augen starr vor mich her gerichtet, langsam und aufmerksam. „Ach, das ist nett", rief Alice, welche sehr elegant fuhr; „seht nur, seht: er hält sich zurück, um nicht zu schnell zu fahren, damit wir ihm folgen können." Ich antwortete nicht, denn wenn ich es gethan, so hätte ich das Gleichgewicht verloren." Alice hörte nicht auf, zu schwatzen; sie war in ihrem eleganten Radfahrcostüm wirklich reizend und anmuthig. Doch ich wagte nicht, sie zu sehr anzusehen, denn ich fürchtete, mich von diesem reizenden Hinderniß anlocken zu lassen. Plötzlich bemerkte ich, wie sie, ganz in ihre Unterhaltung vertieft, gar nicht sah, daß sie auf einen Haufen Kieselsteine zufuhr; ich erkannte augenblicklich die Gefahr, erinnerte mich an die Rathschläge meines Lehrers und rief: „Achtung, zum Donnerwetter! Achtung, lenken Sie doch nach links! Sehen Sie denn nicht, daß Sie auf die Kieselsteine zufahren?" Es war zu spät . . . auch sie lockte das Hinderniß . . . wir stießen Alle einen Schrei des Entsetzens aus; die unglückliche Alice fiel über die Lenkstange hinweg in den Steinhaufen. Ich war bereits zur Erde gesprungen, vergaß vollständig, daß ich nichts thun konnte und hob das unglückliche Kind auf. Ihr Rad war in tausend Stücke zerbrochen, doch die liebe Kleine war glücklicherweise unverletzt geblieben. Da sah sie mich mit einem unaussprechlichen Blicke an. „Oh, Gustav", sagte sie mit ersterbender Stimme, „bald wäre ich für Sie verloren gewesen." „Sie sind unverletzt, meine Theure", erwiderte ich und drückte sie an mein Herz. „Doch Sie dürfen sich nicht länger der Ge fahr aussetzen. Sie haben nicht mehr das Recht dazu; versprechen Sie mir, daß Sie nie mehr radfahren wollen?" „Aber das würde Sie doch unendlich betrüben, mein Freund; Sie fahren doch so gut. Ich möchte Sie nicht eines Sports be rauben, in dem Sie so Vorzügliches leisten." „Ich will gern aus Liebe für Sie darauf verzichten." „Wirklich?" „Wirklich!^ „Nun, mein Herr Bräutigam, so will ich Ihnen denn ge horchen." Ich brauche wohl nicht erst zu bemerken, daß ich persönlich mit Vergnügen auf das Radfahren verzichtet habe.
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