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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumcrationS- Prei« 22; Sgr. (4 Wr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. z i n a g a für die Man pränumerirt auf diese» Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllidl. Post-Aemterm Literatur des Auslandes. 26 Berlin, Montag den 29. Februar 1836. Italien. Zwei Abende im Theater zu Mailand. Mus rem noch ungedructten Tagebuche eines Preußen.) Das Erste, was der aus Deutschland in Mailand ankommende Rei sende zu seiner Unterhaltung sür den Abend wählt, ist ganz natürlich der Besuch des Theaters. — Obgleich der Abend des 3. Oktober sehr schon war, so beschloß daher auch ich, denselben im Theater zuzubringen. Das kleine Theater lic war für den ganzen Sommer, das Theater !,» Ounnvkliana für diese Woche geschlossen-, es blieb daher nur das Theater Darcano übrig, wo diesen Abend Fioravanli's heileres Sing spiel: In Danlatrlc« villane (die auch bei uns so beliebten Dorssätt- gerinnen) gegeben wurde. Die Theater in Italien werden erst spät am Abend gegen 8 Uhr geöffnet, und selten beginnt das Spiel vor S Uhr. Nach einem guten Diner bei dem allen Deutschen, die Mailand besuche», rühmlichst bekannten Landsmann, Herrn Reichmann, fand ich daher »och Zeit, einen Gang durch die Stadt zu machen, um die Physiognomie derselben kennen zu lernen, und fand mich zur rechten Zeit am Theater Darcsno ein. Das Theater spielt in Italien und in dem Leben des Ilaliäners eine große Rolle, indem es nicht nur das nationale Haupt-Vergnügen, sondern auch den Vornehmen ein Vehikel zur Existenz ist. Der Italiä- ner, selbst der Vornehme, lebt im Mgemeinen sehr mäßig, ist im Gan zen wenig gesellig, besucht und giebt höchst selten Gesellschaften, dagegen dringt er seine Abende fast täglich im Theater zu. Es gehört daher in Len Stadien Italiens zu den ersten Bedingungen einer sashionablen Existenz jeder nur irgend bemittelten Familie, die auf Anstand hält, in einem Theater das ganze Jahr hindurch eine Loge zu habe», was sie auch um so mehr durchsetzen kann, als die« fast "die einzige Luxus- Ausgabe ist, welche sie sich zu Schulden kommen läßt. Der Preis einer Loge ist jedoch nicht so unbedeutend und steigert sich, da der Bermie- thungs-Termin kurz vor dem Beginn des Karnevals, der eigentlichen Lebens-Saison des Italiäners, statlfindet, oft bedeutend, je nachdem die Theater-Direclion mehr oder weniger berühmte Talente für die Saison zu höheren oder geringeren Preisen engazirt bat. Nicht selten verleitet daher die Mode manchen weniger bemittelten Familienvater aus Be fehl der Signora, seinen Etat zu überschreite», um nur Ruhe im Hause zu haben, denn der Frieden der Ehe durfte nicht selten einen großen Echec erleiden, wenn Signora den Karneval erleben müßte, ohne im Theater einen eigenen I'alcn zu besitzen, in welchem sie jeden Abend dem Publikum ihre Reize und ihren Putz präsentsten und doch von demselben unbemerkt die Privat- Huldigungen der Verehrer empfangen könnte. Das Theatcrleben ist eine so eigenthümlichc Seite der Italiäni- schen Lebensweise, daß es dem Deutschen, der es nicht kennt, fast nn- degreislich erscheint, jedenfalls aber sehr ausfällt, wie man so konsequent alle seine Abende im Theater verleben könne. In der Loge nämlich bringt die Italiänische Familie gewöhnlich ihre Abende zu und steht dort ihre Bekannten, welche ihre Wohnung seltener betreten. Jedes Theater, selbst das unbedeutendste, hat daher mehrere Reihen von Logen (sile <li pnlclii) über einander, deren Einrichtung sich von denen un serer Deutschen Theater bedeutend unterscheidet, und welche fast sämmt- lich — zur Karnevals Zeit wenigstens — vermiethet sind. Die verschiedenen Reihen Logen, ost 8 —st—7, liegen nämlich ohne eine vor der anderen etwa herauszutreten, in einer senkrechten Linie über einander. Jede Loge ist schräg gegen die Bühne gerichtet, von den Nach bar-Logen aber durch neidische Bretterwände geschieden, so daß das In nere derselbe», zimmerartig abgeschlossen, den neugierige» Blicken des Publikums entzogen ist und dem Treiben der Inhaber freies Spiel ge stattet. Das Innere der Logen ist größtentheils — in den besseren Theatern stets — mit Luxus und Eleganz ausgestattet, die Wände sind mit Tapeten — in den erste» Reihe» gewöhnlich von Seide — und mit mehreren Spiegel» dckorirt, die Sitze mit seidenen Polstern belegt, und nur der gebrochene Schein des großen Kronleuchters über den Köpfen de« Parterres erhellt das Innere der Loge zu einem so ange nehmen Olair-obscur. Die Sitze in den Logen sind nicht, wie in unseren Deutschen Thea tern, lnm Nachtbeil der Kniee und Eigot-Aermel der Damen, korb« wagenähnlich in dichten Reihen hinter einander, sparsam anfsteigend ange bracht, sondern an jeder Wand läuft eine gepolsterte Bank, auf welcher die. Zuschauer einander vis ü vi« sitzen. Diese Bänke gestatten daher nicht nur de» Füßen freie« Spiel, sondern gewähren auch »och den Vortheil, daß man sich gegenseitig in da« Ange sehen und so die be redte wie die stumme Convcrsation, welche nicht immer ohne Einstuß auf die Reunion im Theater ist, desto freier und ungestörter führen kann. Lie eine Hälfte der Zuschauer kehrt dabei freilich, auf diese Weise placirt, der Bühne den Rücken, doch ist dies auch von keiner Bedeu tung, da das Schauspiel selbst weniger Gegenstand und Zweck, als Mittel des Vergnügens ist. Da die Logen überdies noch "sehr schmal (ost kaum 8 Fuß breit) sind, so können gewöhnlich nur die beiden zunächst an der Brüstung sitzendem Personen die Bühne und das Pu blikum scheu und von diesem gesehen werden. Mehr sollen aber auch nicht zu sehen sehn, indem diese beide» Plätze von den beiden Haupt figuren in der Loge eingenommen werden: denn in der Loge findet so gut ein Schauspiel statt, als auf der Bühne, und nicht selten beschäf tigt ersteres die Zuschauer im Parterre und m den Logen mehr, als das letztere. Lie Aufmerksamkeit aller Zuschauer ist wenigstens stets zwischen beiden getheilt und wird abwechselnd von denselben angezogen. Auf den beiden vorderen Plätzen der Loge sitzen nämlich: auf dein Sitze gegen die Bühne zu, die Padrona der Loge, im neuesten, modernsten, mehr oder minder geschmackvollen Kostüm, mit Etalirung ihre« besten Schmuckes und Putzes, und zeigt sich dem Publikum. Hier empfängt sie die Bisilen ihrer Freunde, Bekannten und Verehrer, welche den gan zen Abend hindurch einer den anderen verdrängen. Der Besuchende nimmt den Sitz vis ü vis der Padrona — also mit dem Rücken nach der Bühne — ein und ist aus diese Weise den Gefahre» der Zerstreuung durch das Schauspiel wenig oder gar nicht ausgesetzt, wohl aber genö« lhigt, vor den Augen des Publikum« seine ganze Aufmerksamkeit der Padrona zu widmen. Je mehr Besuche und Huldigungen die Dame hier erhält, desto höher steigt ihr Ansehen, und es gehört demnach zum hon ton, möglichst viel Besuche zu empfangen. Während man in Deutsch land gegen die gute Sitte verstoße» würde, wenn mau eine Dame wäh rend der Aufführung einer vortrefflichen Oper mit läppischer Konver sation über Tages-Geschichten und Weiler :c. unterhalten wollte, erwirbt man sich in Italien durch dergleichen Störungen einen Stein im Brette, ja man würde sich die Ungnade der Damen zuziehen, wenn man sie — ihnen einmal vorqestcllt — in der Loge zu besuchen unterließe; eine Sünde, die sogar Feindschaft und Haß »ach sich ziehen kann, wenn man seinen Besuch gar nur einzelnen Dame» feiner Bekanntschaft widmete. In den Lögen wird man den Leute» vorgcstellt, in die Logen wird man zu ihnen eingeladen, in den Logen macht man seine Besuche, und wenn dies auch allerdings aus der einen Seil« seine Bequemlichkeiten» hat, so hat es doch auf der anderen auch seine Unbequemlichkeiten und Gefahre», indem man gewissenhaft jeden Abend, wo man im Theater ist, entweder gar keine Loge besuchen oder die Tournce in sämmtlichen Logen aller Bekannten machen muß, wenn man nicht riskiren will, später von der einen oder der anderen Dame für Unterlassungs-Sünden mit Kälte behandelt zu werden. Nachdem man bei einem solchen Besuche der Padrona einige Zeit gewidmet hat, überläßt man bescheiden seinen Platz dem Neuangekom menen und verweilt dun», ehe man die Loge verläßt, »och einige Zeit bei der übrigen Gesellschaft. Diese besteht in der Regel aus dem Ge mahle der Padrona, dem Freunde desselben, welcher als Davslivrc servemke der Gemahlin beigegeben ist, aus einigen Freunden und Be suchende», und dem CiciSbeö der Signora, welchen der Italiänische Witz, zum Unterschiede von dem als Tugend- und Ehren-Wächter der Gemahlin eingesetzten Freunde de« Gatte», den Davaliero soppenl» oder kurzweg 8vi-z,onG »eunt. — Die Conversation in den Logen wird durch das Stück selten ge stört. Jedem Stücke wird in der Regel nur bei der ersten und zweiten Aufführung einige Aufmerksamkeit geschenkt; später bleibt es fast unbe achtet, und nur einzelne schöne Musikstücke, von FavoritsSängern oder Sängerinnen vorgetragen, veranlassen den Zuschauer i» den Loge», einige Lebenszeichen von sich zu geben. Dieser Mangel an Interesse für das Stück selbst ist übrigens ganz natürlich, sobald man weiß, daß eine und dieselbe Oper ost 30 dis 40 Abende hinter einander gegeben wird, so daß der Zufchauer, der-sic jeden Abend hören muß, »ach einiger Zeit mit der Darstellung so bekannt wird, daß er sie fast auswendig kennt, und unbegreiflich würde die Langmulh desselben seyn, wen» man nicht bedächte, baß das Schauspielhaus nicht bloß Vergnügungs-Ort für den Italiäner ist, sondern zugleich seinen Geschäft«- und Reunion«- Saal abgicbt. Obgleich das heutige Stück sehr amüsant, das Orchester gut besetzt, die Aufführung nicht übel war, blieb doch Alle« weit hinter der Er wartung zurück, welche ich mir von einer Oper in einer Hauptstadt Italiens, des Vaterlandes der Musik, gemacht batte. Die Italiäner selbst aber tadelten Alles und bedauerten, daß ich nicht zum Karneval