Volltext Seite (XML)
Dienstag. Die Zeitung «-scheint mit Ausnahme de« Montags täglich und wird Nachmittags -1 Uhr auü- gegeben. Preis für das Viertel jahr I'/, Thlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Nr. 224. 2S. September 18SS Deutsche Mgciltiue Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Erveditiou iu Leipzig (Querstraße Nr. 8). Bnsertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Zum Frieden. ES ist ein seltsames Schauspiel, welches der Eindruck darbictet, den der Fall von Sewastopol hervorgerufcn. Während die Einen nur des Jubels voll sind und die abendländische Ucberlegenheit, wie die eigene That, mit stolzem Bewußtsein feiern, suchen die Andern den Sieg als unbedeutend und erfolglos darzustellen, belügen sich selbst, indem sie behaupten, daß die Russen noch im Besitz der Hauptforts auf der Südseite geblieben, oder ma chen glauben, es sei eine Kriegslist, die ven Fürsten Gortschakow veranlaßte, die Südseite zu räumen, und er gehe stärker aus der Retirade hervor, als er vor dem Angriffe gewesen. Die Weser-Zeitung enthält in einer Beur» theilung des Tagsbefehls des Kaisers Alexander an die russische Armee die schlagendste Kritik für die intendirte Fälschung in den Worten: «Die Kriegs geschichte wird ohne Zweifel das Schicksal Sewastopols auf eins ihrer vor nehmsten Blätter verzeichnen, aber sie wird aus demselben wahrscheinlich ganz andere Folgerungen ziehen. Sie wird sagen, daß der Fürst Gortscha kow dem Feinde nicht .blutgetränkteRuinen-, sondern die erste Festung des Reichs mit erheblichen Borräthen und zahlreichen Geschützen und mit dem Heil einer ganzen Flotte preisgeben mußte, weil der ungeheure Militärstaat, Lem er angehörte, nicht Energie und Einsicht genug besaß, um 100,000 Angreifer von der halben Quadratmeile russischen Küstenlandes zu verdrän- gen, auf welcher sie sich cinzunisten gewagt hatten. An diesem einen ver- hängnißvollen Mangel ist alle Tapferkeit zugrunde gegangen, die hinter den wankenden Bollwerken Sewastopols elf Monate lang Stand hielt.» Nach unserm Ermessen ist darin die Sachlage vollständig präcisirt, und zugleich ein Blick in die Zukunft aufgethan. Möchten wir doch endlich alle Stim men Deutschlands in dem Rufe nach Frieden vereinigt finden. Der ist cs, der uns noththut. Aber eine wahre und fruchtbringende Einigung ist auch bann nur zu erwarten, wenn der Friede nicht aus Vorliebe für Rußland, nicht aus Sympathie für die Westmächte, sondern um unserer selbst willen begehrt wird. Wir haben von Beginn des unseligen Zwiespalts an nicht einen Augenblick verschwiegen, wo wir das Recht erblickten und wo die Schuld. Wären die Wege des Himmels nicht unerforschlich, so müßten wir wol in dem Kampfe in der Krim ein Gotlesurtheil sehen. Aber in dem Siege liegen Verlockungen, denen auch ein tapferes Herz nicht widersteht, und die von der Bahn deS Rechts oft zu Zielen lenken, an die der Kämpfer für sein Recht nicht einmal gedacht hat. Der Krieg selbst verlockt zum Kriege, er ist etwas Dämonisches, was allen Leidenschaften freien Spiel- raum eröffnet und weit über die Grenzen hinaustreibt, die man sonst zu achten entschlossen war. Nicht um Rußland willen wünschen wir jetzt den Frieden, sondern um unserer selbst willen, auch zum wahren Wohle Frank reichs und Englands. Wir wünschen, daß sie Halt machen auf der Bahn der Siege: wir wünschen, daß die Experimente mit neuen Machtgestaltun gen unterbleiben und daß, nachdem für die Erhaltung des Gleichgewichts in Europa soviel edles Blut vergossen worden, dieser traurigen Saat end lich die Palme entsprieße. Und an Deutschland ist cs, das nachdrückliche Wort zum Frieden zu reden, so nachdrücklich, so auS Einem Munde, daß cS vernommen und daß die That erspart wird. Dann muß aber freilich die Liebedienerei verstummen und cs muß aufrcchtgestandcn und gegangen werden und die Wahrheit geredet, statt daß die Devotion den Rücken krümmte und in geschminkten Lügen unerschöpflich war. Dann wird man nicht mehr hören: «Nein, der Zar kann in die Beschränkung der Pontus- flotte nicht willigen; nein, Rußlands Würde erlaubt nicht die Sühne zu gewähren und eine andere Garantie als Versprechungen.» Seht, wohin ihr Rußland schon jetzt gebracht habt, und hütet euch, es weiterzuführen durch Aufregung falschen Ehrgefühls, durch Hervorrufen falscher Scham, und durch gleißende Bilder von Sympathie, Unterstützung und Allianz, die sich nie verwirklichen lassen und die ein Hauch verlöscht. Vor allem aber gehört dazu die Einigkeit in unserm Hause, das Zusammenscharen der deut schen Völker um Oesterreich, welches nach seiner Lage berufen ist, unser Stimmführer im Orient zu sein, und daS eben nach seiner Lage den Frie- den mit gleicher Wärme herbeisehnt als irgendein deutscher Volksstamm. DaS erfodert aber freilich, daß man alle Rivalität von sich lhue, daß nicht jedem Vorschläge eine Verneinung oder ein Vorbehalt oder eine Abschwä chung entgegengesetzt werde. Wer darin die Größe sucht, kann den ihm allein verständlichen Genuß allerdings auch jetzt wieder haben. Aber cS wird vielleicht der letzte sein. Die Uneinigkeit Deutschlands kann Schicksalen die Bahn brechen, die aller menschlichen Berechnung Hohn sprechen, schwere Vergeltungen nach sich ziehen und unsern Nachkommen eine thränenwerthe Zukunft bereiten. DaS hieß« denn doch «die stets freie Entschließung oder die Ehre de« Züngleins In der Wagschal«» theuer bezahlen, und e« wäre schmachvoll, zwei mal in einem halben Jahrhundert an den Rand des Ver- ! derbens geführt zu werden durch die gleichen Nationalsünden der Misgunsi und der Eitelkeit. (Frkf. Pz.) Deutschland. Preußen, t Berlin, 23. Sept. In hiesigen Kreisen will man nach Andeutungen, welche in Betreff des russischen Heeres in der Krim einge- lroffen sein sollen, wissen, daß die Russen die Krim vorläufig räu men würden. Die russischen Truppen, welche in der Krim stehen, betra gen etwa 140,000 Mann. Für diese die hinlänglichen Lebensmittel auf längere Zeit zu beschaffen, soll nicht für ausführbar erachtet werden, wes halb eine einstweilige Räumung der Krim aus strategischen Rücksichten fast geboten erscheine. Wir heben hervor, daß diesen Angaben Nachrichten zu grunde liegen, die wohl zu beachten sein möchten. Aus allem Diesem dürfte schon zu entnehmen sein, daß der Verlust, welchen Rußland durch den Fall Sewastopols erlitten hat, in Petersburg keineswegs so leicht genommen wird, wie Le Nord ihn darzustellen sich bemüht. Man scheint daselbst seine Hoff nung darauf zu setzen, daß die Heere der Verbündeten den russischen Trup pen tiefer in das Reich folgen und alsdann eine Niederlage erleiden wür den. In den russischen militärischen Kreisen soll die Ansicht vorherrschen, daß Härteres als der Fall Sewastopols Rußland nun nicht mehr treffen könne und das Kriegsglück sich bei weiterm Eindringen der verbündeten Truppen zu Gunsten der russischen Waffen wenden dürfte. — Der russische Cabinetskurier Fürst Gortschakow ist vor mehren Tagen aus Petersburg hier angekommen. Es will den Anschein gewinnen, daß Rußland in Bezug auf die Anbahnung einer Vermittelung sein Hauptaugenmerk auf Preu ßen gerichtet habe. Uebrigens wird in hiesigen diplomatischen Kreisen die Angabe entschieden in Abrede gestellt, daß von Seiten Oesterreichs eine Er öffnung des Inhalts, wie ihn die Zeitungen angegeben, an die Westmächte in Bezug auf ein mögliches kriegerisches Vorschrciten Oesterreichs gegen Rußland gemacht worden sei. Die Unterhandlungen, welche zwischen Oester- reich und den Westmächten gepflogen werden, sollen noch nicht so weit ge diehen sein, wie in der Presse behauptet wird. — Beim hiesigen Handels ministerium ist der Antrag gestellt worden, eine Ermäßigung der Gebühren für recommandirte Briefe von 2 auf l Sgr. eintreten zu lassen, da eine solche Ermäßigung in gleicher Weise dem Interesse der königlichen Post kasse wie jenem des correspondircndcn Publicums entsprechen würde. Die früher gehegten Befürchtungen, daß die Herabsetzung des Briefporto einen Ausfall in den Ueberschüsscn der königlichen Postvcrwaltung zur Folge ha ben werde, seien auch durch den Erfolg glänzend widerlegt worden. Der selbe überraschende Erfolg würde sich ebenfalls durch die beantragte Ermä ßigung kundgebcn. — Die Wahlthätigkeit ist nunmehr in den verschie- denen hiesigen Stadtbezirken seit der erfolgten Auffoderung des hiesigen con- servativ-constitutionellen Wahlvereins im vollen Gange. Heute Abend findet im hiesigen Englischen Hause die Generalversammlung der Mitglieder unter dem Vorsitz des Justizraths Geppert statt. Von der Thätigkcit der demo kratischen Partei ist äußerlich weniger wahrzunehmcn. — Die Berliner Börsen-Zeitung schreibt: „Die unerwartet eingetretene Acnderung in dem Reiscplane des Kaisers von Rußland beschäftigt die hiesige politische Welt. Man halte hier, in Wien und Paris die genaueste und zuverlässigste Kunde von dem bevorstehenden Eintreffen des Kaisers in Warschau. Ein hiesiges, für officiös geltendes Organ bezeichnete bereit« den Tag, an welchem der Kaiser unsere Grenze berühren werde, und man wußte, daß eins der jüngcrn Mitglieder unscrs Königshauses den Auftrag habe, den Kaiscr an dieser Grenze zu begrüßen. Die Gesandten rüsteten sich, der Einladung nach Warschau zu folgen, und plötzlich tritt mit glei cher Zuversichtlichkeit die Nachricht auf: Kaiser Alexander begebe sich nach der Krim, während zugleich au« Odessa gemeldet wird, man sehe dort der Ankunft des Kaisers entgegen. Wir wollen nur noch hinzufügen, daß man in hiesigen militärischen Kreisen die Wiederaufnahme der Offensive von Sei» ten Rußlands erwartet, und eine solche Operation in der Reise des Kaisers signalisirc findet." — AuS Paris vom 22. Sept. Abends wird dec Jndc'pendance belge ge meldet: „Die preußische Regierung hat in Paris und London anfra gen lassen, ob der Augenblick zur Wiederaufnahme der Friedensver handlungen jetzt gekommen sei; eine verneinende Antwort ward durch den Telegraphen von hier nach Berlin geschickt und muß in letzterer Stadt be reits eingetroffen sein." Kurhessen. Aus Kurheffen, 2l.Sept. Seit einigen Jahren hatte das Ministerium bei Anstellung katholischer Geistlicher darüber hin- wcggesehcn, ob solche im Besitz deS vorschriftsmäßigen Gymnasialzeugnisses der Maturität und des landesherrlichen Tischtitcls seien. Das Ministerium hat nunmehr wieder angeordnet, daß, sobald die landesherrlich« Bestätigung