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für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebenlehn und die Umgegenden. AmLsötatL für das Königliche GerichLsKMt Wilsdruff rmd den SLadLraLH daselbst. 29. Freitag, den 16. April 1875. TagesgeschichLe. Die Beunruhigung, welche sich der Gcmüther in den letzten Tagen bemächtigt hatte, hat wieder nüchternen Erwägungen Platz gemacht. Das Gespenst der katholischen Liga hat sich in Dunst auf- geWst, und der Krieg mit Frankreich, der vor der Thür zu stehen schien, ist wieder in das Reich der Möglichkeiten und Wahrscheinlich keiten zurückgekehrt. Der alte Moltke hält scharfe Ausschau nach Frankreich und beobachtet genau die fast fieberhafte Thaligkcit in Frankreich, das Heer zu erweitern und umzugestalten. Namentlich die Errichtung von 144 neuen Bataillonen und die Ergänzung der Bewaffnung wird mit Äußerster Anstrengung betrieben. Frankreich wird nach der An sicht der bewährtesten Preuß. Militärs dadurch erreichen, daß cs 1877 kriegsbereit ist, während inan bisher das Jahr 1880 als den Termin ansäh, bis zu welchem die Umgestaltung des französischen Heeres vollendet sein könne. Endlich erfährt man, was die preußischen Bischöfe am Grabe des h. Bonifacius in Fulda ausgesonnen haben. Sie haben am 2. April eine gemeinsame Zuschrift an den Kaiser Wilhelm gerichtet, die am 9. April im Auftrag des Kaisers von dem Preuß. Staats- ministerinm beantwortet und von dem Staatsanzeiger veröffentlicht worden ist. Der Inhalt der bischöflichen Eingabe ist folgender: Die Bischöfe besprechen das Sperrgcsctz (Einhaltung der bischöflichen Einkünfte), erklären, die von ihnen und den Geistlichen verlangte Er klärung zur unbedingten Befolgung der Staatsgcsctze sei mit dem christlichen Gewissen unvereinbar, und erachten das Bestreben, die Geistlichen durch Vorenthaltung ihrer staatlichen Einkünfte zu nölhigcn, für unzulässig. Die Eingabe betont die rechtliche Grund lage der Staatslcistungen an die Geistlichen, deren Einstellung gerade jetzt, wo den Geistlichen anderer Konfessionen Gchaltsverbcsserungen bewilligt würden, bittere Gefühle in den Herzen der Katholiken'er regen müßte. Die DotationSjperre berühre die Bischöfe deshalb sehr schmerzlich, weil sie als Strafe ihres Verhaltens gegenüber den Mai- gcsctzen bezeichnet werde. Die Bischöfe versichern, außer Stande zu sein, ohne Verletzung der heiligsten Pflichten zur Ausführung der Gesetze mitzuwirken, und erklären, die Voraussetzung für unmöglich zu halten, daß es den Absichten des Kaisers entsprechen könne, solche Untreue und Pflichtverletzung von ihnen zu fordern. Sie wendeten sich daher nicht an den Landtag, in welchem das Verständ- niß christlicher Anschauungen mehr und mehr zu schwinden scheine, sondern an den König, als den Schirmherrn der in Preußen aner kannten christlichen Kirche mit der ehrfurchtsvollsten Bitte, dem Sperr gesetze als einer Verletzung wohlerworbener Rechte und einer Quelle unsäglicher Trauer und friedenstörender Verwirrung Lie Zustimmung Zu versagen. Die Antwort des Staatsministeriums an die Bischöfe ist sehr schlagend. Das Ministerium spricht sein Erstaunen und Bedauern aus, daß Geistliche in so hoher Stellung die Behauptung aufstellen, als ob cs in Preußen eine Verleugnung des christl. Glaubens sei. die Befolgung solcher Gesetze zu versprechen, welche in anderen deutschen und fremden Staaten seit Jahr hunderten flnd noch heute von der katholischen Geistlichkeit und ihren kirchlichen Obern bereitwillig befolgt würden und deren Befolgung dort von den katholischen Geistlichen mit einem heiligen Eide bedingungslos gelobt werde. Wenn die bischöfliche Eingabe das Sperrgesctz eine Quelle unsäglicher Trauer und frieden- ftörcndcr Verwirrung neune, fo möchten diejenigen Bischöfe re., welche im Jahr 1870 vor Verkündigimg der Unfehlbarkeit derartige Zu stände als Folge dieser Beschlüsse vorausgesehen und mit beredten Worten öffentlich vorausgesagt und geschildert hätten, sich selbst fragen, ob sie nicht vielleicht durch treue und feste Vertretung ihrer Ueberzeugungen unser Vaterland vor Wirren und Friedensstörungen zu bewahren vermocht hätten, welche sie selbst warnend vorhcrgesagt und die wir jetzt mit ihnen beklagen. Fürstbischof Förster in Breslau hat die amtliche Aufforderung, sein Amt Wege» Ungehorsams gegen die Gesetze nicdcrzulegcn, ab lehnend beantwortet. Es folgt nunmehr das Verfahren vor dem kirchlichen Gerichtshöfe in Berlin d. h. der Bischof wird abgesetzt. Ohne Ansehen der Person kann man sagen; denn Bischof Förster war bis vor Kurzem bei dem Kaiser und dem Hofe sehr gern gesehen und angenehm. Oertlichc und sächsische Angelegenheiten. Wilsdruff. Mittwoch, den 14. d. M. wurde der Handarbeiter Marx von hier auf dem Osterberge bei Oberwartha erhängt auf- gcfundcn und von der Cossebauder Ortspolizeibchörde aufgehoben. Das königl. Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterichts hat in einer Generalverordnung an die Bezirksschulinspectionen sich grundsätzlich dahin ausgesprochen, daß die durch das Schulgesetz vom 26. April 1873 eingeführte Verpflichtung der Knaben zum Besuche der Fortbildungsschule sich nur auf solche Knaben beziehe, welche von Ostern 1875 ab aus der einfachen Volksschule entlassen werden. ES sollen ferner Knaben, welche nicht sächsische Staatsangehörige sind, nur dann zum Besuch der Fortbildungsschule verpflichtet sein, wenn die Gesetzgebung des Staates, dem sie angehören, ebenfalls einen derartigen Zwang kennt, indem die Sorge des Staates für einen ausreichenden Schulunterricht als eine solche angesehen wird, die dem selben kraft eigener Verpflichtung nur hinsichtlich seiner eigenen Staats angehörigen obliegt. Der zweite deutsche Kriegertag, der am Sonntag unter Theilnahmc von 29 selbstständigen Kriegervereinen aus allen Theilen Deutschlands, auch aus Sachsen, in Berlin tagte, beschloß die Konstituirung der allgemeinen deutschen Kriegerkamcradschast, welche schon der im Sept. vor. Js. in Leipzig abgehaltene erste deutsche Kricgertag im Prinzip zugestimmt hatte. Zweck dieser allgemeinen Vereinigung soll sein: a. die militärische Kameradschaft zu pflegen; fl. die Erinnerung an die ruhmreichen Erlebnisse des letzten Feldzuges, welchem unser deutsches Vaterland die lang ersehnte Einigung ver dankt, wach zu erhalten; o. die Liebe und Treue zu dein angestammten Herrscherhause und dem engeren Vaterlande; sowie ä. unter der Losung „Mit Golt für Kaiser und Reich" und auf Grund der für Deutschlands Macht, Ehre und Einheit geschlossenen Waffenbrüder schaft für diese auch im bürgerlichen Leben zu wirken und zu schaffen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller deutschen Brüder in allen Gauen des Vaterlandes und somit das deutsche Nationalbewußtsein immer mehr auszubilden und zu heben. Riesa, 12. April. Ein verunglückter Streikeversuch, welcher an dem vernünftigen Sinn der Arbeiter scheiterte, ist aus den Dörfern Stauchitz und Weichtentz zu berichten. Die auf Neubauten beschäftigten Maurer und Handarbeiter, durch Agitation angestachelt, versuchten durch die Drohung, die Arbeit liegen zu lassen, höhere Löhne zu er zwingen. Als die Maurermeister auf das gänzlich ungerechtfertigte Verlangen nicht eingingen, sondern einem jeden Unzufriedenen es überließen, zu gehen, arbeiten fast sämmtliche Maurer zu den allen Bedingungen weiter. In Meißen fand am 6. April die Eröffnungsfeier der Real schule mit Proghmnasium statt. Bürgermeister Hirschberg eröffnete in einer Ansprache die Festlichkeit und erklärte, nach Ueberreichung der Bestallungsurkunden als Oberlehrer an Domprediger Franz, Quartus Müller und Lehrer Hönicke, die Anstalt für eröffnet. Eine Ansprache des Director Rockstroh und des Domprediger Franz schloß die Feier. In Großenhain wurde am 6. April die neu gegründete Real schule feierlich eröffnet. Die Zahl der Schüler beträgt bereits 126, von denen mehrere schon soweit vvrgebildet sind, daß die drei untersten Classen eingerichtet und außer dem Director fünf Lehrer angestellt werden mußten. Glauchau, 12. April. Gestern fand hier zur Gedächtnißfeier des 50jährigen Geburtstages Ferdinand Lassalle's und zu Ehren August Bcbel's ein Feftaktus statt, welchen der hiesige Volksverein veranstaltet hatte. Die Festrede hielt der Sozialist Th. Wiemer aus Magdeburg. Auch Bebel sprach sich in längerer Rede aus; er theilte