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Sonnabend. Nr 253. 28. Oktober I8S4 E-iVzi-. !»''« Zeitung erscheint mit Ausnahme de« vtontatz» täglich und wird Nachmittags 4 Uhr auS- gegeben. Mpei» für das Vierte», sähe I"/, Nhlt.; jede ei»^ zrln» RUMMW 2 Ngr. s, ' -isö !^0!. NI'iis »LiÄ' „,^h ; . . ,' -, Dtlltscht MgkMM Zcitmig. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Scseh!» Ztr tieziehrn durch alk Postämter de« Zu- Und Auslanves, sawieduech die tLrpedition in Leipzig (Ouerftraße Nr. 8). «nsertisnpgebühr für den Raum einer Zeile r Rge. Deutschlands Neugestaltung ein österreichisches Bedürfnis. -----Leipzig, 27. Oct. Zwei Dinge sind jedenfalls durch die bisherigen Verhandlungen Oesterreichs mit Preußen und den übrigen deutschen Staa- ten klar: das Eine, daß Oesterreich des Beistandes deutscher Kräfte drin gend bedarf, sobald es, den Änfoderungen seiner Großmachtstellung ent sprechend, in den allgemeinen Angelegenheiten Europas ein entscheidendes Wort mitsprechen und zu dem Ende sich Eonflicten mit andern Großmächten aussetzen will; und das Zweite, daß die gegenwärtige Organisation Deutsch lands und die dadurch bedingte politische Haltung der einzelnen deutschen Staate» sowie der Bundesgesammtheit eine auch nur einigermaßen sichere Gewähr dieses Beistandes ihm niemals bieten. Wenn wir auch nicht (wie gewisse ofsiciöse Organe Preußens thun) die Berufungen Oesterreichs an di« Bunde-Pflicht, den Patriotismus, das stammvEandtschaftliche Interesse Drutschlands für einen „Schrei der Verzweiflung" halten, da die Ersah- nmgen der letzten Jahre uns gelehrt haben, die Hülfsquellen und die Wi derstandskraft des österreichischen Staats nicht zu unterschätzen, so steht doch so viel außer allem Zweifel, daß man zu Wien, trotz aller großartigen An stalten zur Vevtheidigung und nöthigenfalls zum Angriff (und sie sind, nach den Urtheilen der competentesten Beobachter, wirklich in jeder Beziehung großartig), trotz der über alles Erwarten gelungenen Nationalanleihe, trotz der glücklichen Erfolge der türkischen und der englisch,französischen Waffen, welche die Macht des Gegners theilen und lähmen, dennoch dem bevorste henden Zusammenstoß mit Rußland nicht ohne eine gewisse Bangigkeit ent gegensieht und mit sehr verlangenden Blicken nach einer Deckung von deut scher Seite ausschaut, Wenn nun Oestcrrtich schon in der gegenwärtigen Katastrophe, wo alle Verhältnisse überaus günstig für dasselbe liegen, ein so lebhaftes Bedürfniß nach Ergänzung seiner, wie es zu fühlen scheint, nicht für alle Eventualitäten ausreichenden Wehrhaftigkeit empfindet, und zwar einer Ergänzung durch deutsche Kräfte, als die allein ihm einen zu verlässigen. und nachdrücklichen Beistand in Aussicht stellende Bundesgcnos- sensihaft — wie sollte es erst gehen, wenn Oesterreich allein, ohne dieWest- mächte und- die Türkei, dazu vielleicht bei minder günstigen Zuständen im Innern in einen Kampf mit Rußland verwickelt würde? — ein Fall, der früher oder später, wenn Rußland sich von dem gegenwärtigen Kriege wie- der erholt hat, «intreten kann, ja «intreten wird, da Oesterreich durch seine jetzig« Haltung sich gewiß den unversöhnlichen Haß seines ehemaligen Bun desgenossen zugezogen hat. Wie dringend würde Oesterreich dann erst des Beistandes seiner stammverwandten Brüder und Nachbarn bedürfen! Und doch hat dasselbe schon jetzt die Erfahrung machen müssen, wie schwer die ser, Beistand zu erlangen, wie wenig im voraus auf denselben rechnen sei. Schon jetzt, wo die Gefahr, zu deren Abwehr der Deutsche Bund hel fen soll, «ine so zweifellos allgemein« deutsche, das Risico, welches der ein zelne Staat oder Staatenbund durch seine Theilnahme am Kampfe über nimmt- durch die Zahl und Macht der Theilnehmer so sehr verringert ist! Welche Hoffnung könnte Oesterreich auf Deutschland setzen, wenn es, allein stehend, von Rußland angegriffen würde? Daß dies so ist, deshalb darf man? nicht- dis Menschen, man muß vielmehr die Verhältnisse anklagen, Die klein«« und halbgroßen Staaten, aus denen Deutschland besteht, haben, ihrer ganzen Anlage nach, weder den Beruf noch den Trieb zu großen Tha- ten, wss er Mächten ersten Ranges natürlich ist; ihre vorwaltenden Instinkte sind der Instinkt der Selbsterhaltung und nächstdem der Instinkt möglich ungestörten Waltens. Woher soll dem Staat« Ku,Hessen oder Mecklen burg der Schwung kommen, für ein europäisches Interesse Partei zu neh men und Opfer zu bringen, da er ja doch weiß, daß, möchte die Entschei dung des Kampfes aySfalle« wie sie wolle, in seiner Stellung dadurch schwer lich etwas -UM Bessern, eher zum Schümmern geändert werden würde. Selbst Preußen,, obgleich ein« Großmacht, ist di-S doch noch nicht in jener vollbürtige«, naturwüchsig«« Weise, welche in gewissen Lagen- gewisse Ent schließungen unausbleiblich, gewisse andere undankbar macht. Dazu kommt jene, unglückselig« Ehrsucht zwischen ihm und Oesterreich, welche Von den bestshmchen Verhältnissen dieser beiden Staaten zu dem übrigen Deutschland beinahe unzertrennlich scheint. Wir sind überzeugt, wäre Oesterreich ein fremder, kein deutscher Staat, Preußen wüM sich leichter entschließen, ihm beizussshen, als sitzt, wo es befürchten muß, fedt Machtvergkößerang, welche eS Oesterreich erringen hilft, gegen sich selbst und seine Ansprüche auf einen beherrschenden Einfluß über Deutschland benutzt zu sehen. WA daher Oesterteich einen bereitwilligen und zuverlässigen Bundes- genossen statt eines immerfort argwöhnischen und scheelfehenden Rivalen an Pteußen haben, so muß es sich definitiv und aufrichtig mit ihm auseinan- versehen in Bezug auf ihre beiderseitige Stellung zu Deutschland. Und, will etz der! Hülfe Deutschlands für alle Fäll« einer gemeinsamem Gefahr oder eines gemeinsam zu wahrenden Interesse sicher sein, so muß eS dafür sor gen, daß die Leitung der deutschen Angelegenheiten, die Beifügung über die deutsche VolMtast in solcher Weiss geordnet sei, daß nicht kleinstüat- liche Verzagtheit ödet particuläristifcher Selbsterhaltungstrieb, sondern das Bollbewußtsein und der ThatelllKang einer großen, einigen Nation d-tbei den Ausschlag geben. Oesterreich hat seinetzeit Alles daran gesetzt, um di« alte Bundesverfassung wieverhetzustellen, unstreitig in der Erwartung, an derselben ein stets bereites Organ zur Geltendmachung eines ausgedehntesten Einflusses übet Deutschland zu besitzen. Jetzt nun zeigt sich, daß, wenn die ses Organ für gewisse hemmende Einwirkungen brauchbar wat, es um so schwerer zugänglich ist für eine Politik, welche positiv haNdKnd auftre- ten und durch kühnes Vbrangehen große Erfolge erringen will. Durch Zerstörung der yegemoNischen Stellung Preußens und dadurch, daß es selbst wieder als Präsidialmucht des Bundes an dessen Spitze trat, glaubte Oester reich sich der Anhänglichkeit der Mittlern, der unbedingten Unterwerfung der kleinern Staaten auf immer versichert zu haben. Und siehe dai im ent- scheidenden Augenblick, wo man auf mehr als blvs negative Resultate auk- gtyt, wirft sich der größere Theil der Staaten zweiten und dritten Range» auf Preußens Seite hinüber und zeigt sich gegen Oesterreichs Anmuthun- grn, wenn nicht feindselig doch schwierig, gleich als ob Niemals ein BregtNz und ein Darmstadt existier hätte.' Wird Nean nunmehr in Wien sich dar über klär werde«; was jtnt Staats« wollten, als sie so eiftig Vas Bünd- Niß Oesterreichs suchten, und daß dies gerade Dasjenige ist, wä» Oesterreich selbst entschieden von sich weisen muß, wenn es Mehr sein will als ein blo ßes Moment der Trägheit' und des Widerstandes in der deutschen und der europäischen Staatenmaschine? Nach dem vormärzlichen Metternichsschtn System sollt« Oesterreich nur dieses sein und war- es nur dieses. Nach dem System,, welches cs seit 1849 angenommen, will es mehr sein, und es hat sich bereits mit rüstigem Muth auf den Weg gemacht, m«hr zu werden. Au dem veränderten Zweck gehören aber veränderte Mittel. Di« alte Bundespolitik Oesterreichs paßt nicht zu der europäischen Politik, wtlche diese Großmacht gegenwärtig verfolgt. Als Mitglied der Heiligen Allianz, in der es immer nur die zweite Stell« einnahm, wachte es sich berusm füh len, Deutschlands Schwäche zu verewigen, um Rußlands Stärke> iw der eS damals seine eigene fand, zu befestigen; als der nunmehr erklärte Gegner Rußlands, entschlossen, sich und ganz Europa von dessen lastendem Einfluß zu befreien, muß es Deutschlands Starke suchen, denn Deutschlands Stärke ist Rußlands Schwäche und folglich Oesterreichs Stärke. Ob Oesterreich in sich die Mittel finden, ob es sich zu dem kühnen Entschluß erheben könne, selbst diese Kräftigung und Neugestaltung Deutschlands in die Hand zu nehmen (was uns freilich sehr schwer, wenn nicht unmöglich scheint), oder ob es, diese Unmöglichkeit erkennend, sich mit den Rückwirkungen einer solchen Neugestaltung auf seine eigene Kräftigung und Sicherung begnü gen und den unmittelbaren Vortheil derselben seinem alten Rivalen, Preu ßen, freiwillig überlassen wolle — freilich ein fast noch größerer Entschluß! Gleichviel! Das Eine ist und bleibt gewiß: nur auf diesem Wege wirb Oesterreich erreichen, was es erstrebt; der scheinbare Verlust seines formel len Einflusses über Deutschland wird zehnfach aufgewogen wetdcn durch den mittelbaren Gewinn an reeller Kraft und Sicherheit, den ihm ein star kes und engverbundenes Deutschland gegen jeden Feind, vom Osten wie vom Westen, verheißt, und die Entsagung, die es übt, indem es ein unna türliches Verhältniß aufgibt, welches ihm keinen Segen und dem ander« Theile schweren Unsegen gebracht hat, wird ihm reichlich vergolten werden durch den Machtzuwachs, den eine natürliche Gestaltung der mitteleuropäi schen Dtaattnverhälttiisse auch ihm eintrage« muß. Deutschland. „Wir sind in den Stand gesetzt", schreibt man dem Hamburgischen Cor- rcssondenten aus Frankfurt a. M., „die Nachricht des Moniteur, al- hätten die Freien Städte bereits exklärt, und zwar durch die Organe ihrer resp. Senat«, daß sie die Anträge Oesterreichs in der oricntalischen Frage unter stützen würden, und zwar im Sinne der Depesch« vom 14. Sep!., wenig ste»« was die Freie Stadt Frankfurt betrifft, als vollkommen unwahr zu erklären." Preuße». Brvlitt, 26. Oct. Der Besuch deo Minister v. d. Pforbten und v. Beust am hiesig«« Hofe hat begreiflicherweise die all gemeine Aufmerksamkeit in hohem Grade erregt und zu allerlei Conjecturc« Veranlassung gegeben, wi« sie «b«n in den Neigungen und Wünschen der Parteien wurzeln. Wir wollen diese Cvnjecturcn unerwähnt lassen, die meist auf hohlem Böden stehen. Unser- Wissen« geht da« Bestreben der genannten Minister »ich« darauf aas, die l«idev nicht mehr in Abrrde zu stellende Differenz zwischen den deutschen Großmächten' zu einer unhcilbrin-