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Rr. 2»S politische Wochenschau. Die vergangene Woche war in innerpolitischer Hinsicht ausgefüllt von krampfhaften Versuchen, dem deutschen Par lamentarismus den letzten Beweis feiner Lebensfähigkeit zu ersparen und eine Mehrheitsregierung zustande zu bringen. Aber alle Bemühungen haben nichts genutzt, selbst der Vor sitzende der Demokratischen Partei, Herr Erich Koch, ist an diesem Problem gescheitert. Niemand wird dem Reichs präsidenten vorwerfen können, daß er irgend einen persön lichen oder antidemokratischen Einfluß aus die Entwicklung ausgeübt habe. Es kann dabei ganz dahingestellt bleiben, wie Reichspräsident v. Hindenburg selbst über diese Dinge denkt. Wenn er persönlich kein Anhänger des parlamenta rischen Regierungssystems sein sollte — und dieser Gedanke liegt nahe bei einem Mann, der in den festgefügten An schauungen des alten Heeres den Hauptteil seiner Lebens arbeit vollbracht hat — so kannte er jedenfalls die inneren Unzulänglichkeiten dieses Systems, wie es sich in Deutschland auswirkt, genau genug, um zu wissen, daß es sich selbst widerlegen werde. Als es galt, Locarno anzunehmen, war doch im Reichstag eine festgefügte Mehrheit vorhanden, jetzt wo es gilt, Locarno in die Tat umzusetzen, und dem vielgerühmten „Geist von Locarno" zur Auswirkung zu verhelfen, ist diese Mehrheit in alle Winde verflogen. Da bei deklamieren die Führer der in Betracht kommenden Par teien die schönsten Sprüche über das Primat der Außen politik. Hier galt es einmal, innerpolitische und parteitak tische Gründe um des gemeinsamen außenpolitischen Zieles hintanzustellen und schon stehen wir einer völligen Unfähig keit der Parteidemokraten praktischen Entschlüssen gegen über. Die Ereignisse der letzten Woche haben erneut zwei Tatsachen bewiesen: Der deutsche Pazifismus bestätigt sich praktisch als willenlose Unterwerfung unter die machtpoliti schen Strömungen in der Welt. Eigenen politischen Willen gibt es auf der deutschen Linken nur in Richtung auf die Innenpolitik, hier aber bestimmt der Machttrieb der Par tei und ihrer sog. Führer das Gesetz des Handelns. Zum andern aber zeigt sich erneut, daß das parlamentarische Sy stem, wie es schematisch von den westeuropäischen Staa ten übernommen haben, bei den unklaren, parteipolitischen Verhältnissen in Deutschland schlechterdings unanwendbar Ist. Wir stehen also als Endergebnis der sog. Regierungskrise der letzten Tage vor dem uneingeschränkten Bankrott des Parlamentarismus. Ob allerdings das deutsche Volk und seine Vertreter den politischen und persönlichen Mut auf bringen werden, dielen Tatsachen ins Auge zu sehen und aus ihnen die gebotene Konsequenz eines grundsätzlichen System wechsels zu ziehen, kann nach den trüben Erfahrungen der hinter uns liegenden Jahre mehr als zweifelhaft erscheinen, immerhin wird man sich darüber klar sein müssen, daß die Aufgaben des vor uns liegenden Winters aus wirtschaft- lick-em wie auf außenpolitischem Gebiet so außerordentlich ernste sein werden, daß die regierenden Faktoren in Deutsch land schließlich durch die Gewalt der Tatsache gezwungen sein werden, unabhängig von demokratischen Theorien und Systemen neue Wege auszusuchen. Reichspräsident von Hindenburg hat aus dem Versagen der parlamentarischen Parteien die einzig logische Konse quenz gezogen, indem er dem grausamen Spiel der Partei Tagesschau. " * Nach Berliner Meldunglen soll im Reickswehrmini sterium die Verhängung des Belagerungszustandes zur Ab wendung drohender Erwerbslosenunruhen erwogen worden sein. In der Zeit vom 16.—30. November 1925 ist die Zahl der tzauptunlerstühungsempfänger in der Erwersbslosen sürforge von 473 000 auf 684 000, d. h. um rund 41 Proz. s gestiegen. * Im tschechischen Parlament kam es am Freitag zu großen Tumulten. Die deutsche Nationalpartei und die un garische Partei gaben eine Erklärung ab, in der für beide ! Parteien das Selbflbefkimmungsrechl gefordert wird. * Zlwanische Truppen haben am Freitag die Hauptstadt der Mandschurei, Rlukden, trotz entrüsteten Einspruches des Marschalls Tschang-Tso-Lin beseht. * Tschitscherin ist Freitag abend, von Paris kommend, in Berlin eingetrossen und wird sich hier ein b'- zwei Tage aufhalten. Heute wird er dem Reichsaußenminister seinen Höflichkeitsbesuch abstatten. Zu den mit * bezeichneten Meldungen finden die Leser Aus führliches an anderer Stelle. Sonntag, den 20. Dezember 1925. führer ein Ende machte, für die Weihnachtsseiertage eine Art Gottesfrieden verkündete und sich vorbehielt, nach Weih nachten einen Mann seines persönlichen Vertrauens mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Man geht wohl in der Annahme nicht fehl, daß seine Wahl dabei aus den Mann fallen wird, zu dem er in den guten und bösen Tagen des letzten Jahres immer gestanden hat, auf Reichskanzler Lu ther. Es bleibt abzuwarten, ob es Luther dann gelingen wird, nicht nur eine Regierung zu bilden, sondern ihr auch im Parlament die zur Aufnahme der Arbeit erforderliche erste Mehrheit zu verschaffen. Aus den Mittelparteien, die Herrn Luther zunächst zur Verfügung stehen, ist diese Mehr heit nicht zu bilden. Auf die Sozialdemokratie, die sich in der letzten Woche selbst ausgeschaltet hat, ist für Luther nicht zu rechnen. Damit wird das Schicksal eines neuen Kabinetts Luther praktisch in die Hände der Deutschnationalen gelegt. Zwischen ihnen und der bisherigen Regierung klafft aber der tiefe Gegensatz in der Beurteilung der außenpolitischen Notwendigkeiten. Gerade dieser Gegensatz wird sich aber erst in den nächsten Monaten ganz auswirken. Die Ver träge von Locarno erhalten ihre wahre Bedeutung ja doch erst durch den deutschen Beitritt zum Völkerbund, über die sen aber soll erst im Februar oder März entschieden werden. Es Ist also vorläufig nicht zu sehen, wie die Gegensätze zwi schen einem neuen Kabinett Luther und den Deutscknatio- nalen überwunden werden sollen, wenn die neue Regierung sich nicht zu einer grundlegenden Revision ihres außenpoli tischen Programms entschließt. Die schlechten Erfahrungen, die man mit dem Geist von Locarno trotz aller beschönigen den Redensarten gemacht hat, könnten allerdings ganz "un abhängig von taktischen Erwägungen Grund genug zu einer solchen Revision der Anschauungen geben. Aber auch bei solchen Erwägungen tritt immer wieder parteipolitische Vor eingenommenheit hindernd in den Weg. Geplanter Ausnahmerrrstand? Berlin, 19. Dez. Ein linksradikales Berliner Abend blatt glaubte Mitteilen zu können, daß das Reichswehrmini- sterium mit Vertretern der Reichswehrkommandos Bespre chungen über die Verhängung des Belagerungszustandes zur Abwendung drohender Teuerungs und Erwerbslosen unruhen abgehalten habe. Die „Voss. Ztg." will hierzu Fol gendes berichten können: Im Reichsministerium des In nern haben tatsächlich Erwäaungen über die Verhängung des Ausnahmezustandes im Falle auftretender Unruhen ge schwebt. Das Reichswehrministerium des Innern hat sich mit den Landesregierungen dieserhalb in Verbindung ge setzt. Die preußische Regierung hat eine durchaus ablehnende Haltung erteilt. Das Reichsministerium des Innern hat daraufhin den Plan fallengelassen. Die Verantwortung für die Richtigkeit vorstehender Angaben, deren Nachprüfung in später Nachtstunde nicht möglich war, bleibt dem obenge nannten Blatt überlassen. Napides Steigen der Erwerbslosen- Ziffer. In der Zeit vom 16. bis 30. November 1925 ist in Deutschland die Zahl der Hauptunterstützungsempfänger in der Erwerbslosenfürsorge von 473 000 auf 644 000, das heißt um rund 41 Prozent, gestiegen. Im einzelnen hat sich die Zahl der männlichen Hauptunterstützungsempsänger von 432 000 auf 610 000, die der weiblickfen Hauptunter stützungsempfänger von 41000 auf 59 000 -K erhöht. Die Zahl der Zuschlagsempfänger (unterstützungsberecktigten Angehörigen von Hauptunterstützungsempfängern) ist von 572 500 auf 819 500 gestiegen. Vas Deutschlandlied im tschechischen Parlament. — Neue Tunrmtsreuen im Prager Abgeordnetenhaus. Prag, 18. Dezember. (Drahtber.) In der heutigen Sitz ung des Abgeordnetenhauses kam es wieder zu großen Tu multen, da die Slowaken und die Deutschen schärfste Abstruk- tion trieben. Ministerpräsident Svohla wurde an der Ver lesung der Regierungserklärung verhindert. Unter größtem Lärm und unter begeisterten Kundgebungen der Opposi tion überreichte eine slowakischer Abgeordneter dem Mini sterpräsidenten ein großes Paket, in dem sich die Heimat scheine aller derjenigen Slowaken befanden, denen da» Hei matrecht aberkannt worden war, wodurch sie politisch völlig entrechtet werden. Al« ein Abgeordneter der Regierungs parteien die Papiere zerriß, stürmten die slowakischen ?kb- geordneten auf die Soalitionsparteien ein. In da» Hand gemenge griffen darauf auch die Deutfchen und die Ungarn ein, sodaß sich eine förmliche Schlacht entwickelte, in der zahl 80. Iahr-ang reiche Ohrfeigen ausgeteilt wurden. Endlich konnte der Ministerpräsident zu Wort kommen, wobei er die schärfste« Angriffe gegen die Opposition richtete. Plötzlich erhoben ich die Slowaken und fingen während der Red« das slowa» kische Nationallied zu singen an. Die deutschen Parteien unterstützten die Slowaken. Mit großem Beifall erhoben sie sich dann ebenfalls von ihren Sitzen und sangeu da» Deutsch-s landlicd, das von den Slowaken stehend angehört wurde. Während dieser Vorgänge sah man in verschiedenen Ecken des Hauses ständig raufende Abgeordnete. In dem allge»! meinen Gewirr sah man, daß einige Abgeordnete der Koa< litionsparteien die Hand erhoben, was, wie nachträglich festgestellt wurde, die Annahme der Regierungserklärung bedeuten sollte. Im weiteren Verlauf der Sitzung gab die deutsche Nationalpartei und die ungarische Partei eine Er»! klärung ab, in der für beide Nationalitäten das Selbstbe» stimmungsrecht gefordert wurde. In der Erklärung wird u. a. gesagt: Durch die Ariedensverträge des Jahre« ISIS wurde« mehr als 40 Millionen Menschen in Europa um ihr Bestim mungsrecht betrogen, darunter fast vier Millionen Sudeten, deutsche, die in den tschechischen Staat gewaltsam eingepfercht und seither in der brutalsten Art und Weise in ihren Exi stenzbedingungen bedroht werden. Die Erklärung kündete den Kampf gegen das national staatliche System an, aus dem die Tschechoslowakei aufgebaut sei und was zu den schwersten Benachteiligungen der natio nalen Minderheiten auf dem Gebiete des Schulwesens, der Wirtschaft und der Kultur geführt habe. Erschütternde Szenen aus den Schuten in Südtirol. Berlin, 18. Dez. Der Professor an der Universität Wien Hofrat Dr. Brockhausen veröffentlicht über die Schulzustände in Südtirol einen Zeitungsartikel »Schule der Tränen", in dem er ausführt: „In einer südliroler Volksschule von sechs- bis achtjährigen Hindern sitzen Lehrerin und Schüler wei nend beieinander. Die Lehrerin verbirgt ihr tränenüber- strömkes Gesicht in den Händen und die Kleinen schluchzen und heulen, daß es Steine erweichen könnte. Dieser jam mervolle Auftrlkl wiederholt sich Tage und Wochen, und was ist die Ursache? Deutsche Bauernkinder kommen aus ihre« Berghütten in die Dorfschule, in welche die faschistische Re gierung eine Italienerin au» dem Süden als Lehrerin ge schickt Hal, die so wenig Deutsch versteht, als die Sinder die ses rein deutfchen Lande» Italienisch verstehen. Auf diese weise sollen die Kinder ihrer Muttersprache entwöhnt werden. Von einem Unterricht ist natürlich keine Rede. Anstatt ihre Schüler zu unterrichten, singt die Lehrerin ihnen italie nische Lieder vor. Das geht eine Weile. Dann tritt die Reaktion ein. Die kindliche Seele empört sich gegen di« fortgesetzte Vergewaltigung. Aus dem Gesang wird ein Geschrei. Die Lehrerin kann keine Disziplin mehr halten. Ihre Befehle werden, weil kein Kind sie versteht, nicht aus geführt. Ihre Drohungen auf Strafen sind wirkungslos. Das ist die zweite Entwicklungsphase dieses Unterrichts. Die dritte, die Schule der Tränen, ist geschildert, denn nach ein paar Wochen dieses wüsten Betriebes ergreift alle Teilnehmer der sich wiederholenden Auftritte eine gräßliche Verzweiflung. Das Weinen der Sinder wirkt herzzer reißend, aber auch die Lehrerin kann sich der Tragik ihrer Lage nicht entziehen. Sie hatte ja gewiß guten Willen, als die italienische Regierung sie aus Süditalien an die deutsche Schule versetzte. Nun erkennt sie aber, daß sie Unmögliches auf sich genommen hat. Sie war bereit, fremde Kinder zu entnationallsieren. Jetzt sieht sie, was ihr zugemutet wird. Harmlose Kinderseelen soll sie ermorden helfen, und nun weint sie im Bewußtsein Ihres pädagogischen Frevels genau so wie die unschuldigen Kinder, die ihr anvertraut wurden. Sie möchte vielle'cht deren Sprache erlernen, aber das wäre im Sinne der itallenisckcn Regierung eine schwer« Diszipli- narwidrigkeit, die mit Entlassung bestraft wird." Hofrat Brockhousen schließt seine Ausführungen mit den Worten, daß er es nicht wage, den Ort dieser Szene und den Nomen der weinenden Lehrerin zu nennen, ober die Szene sei nicht vereinzelt, sondern sie kehre in Hunderten von Schulen wieder. Zum Steineerweichen ist das! Die ewige Arife in Frankreich. Die Krise in Frankreich nimmt offenbar ihren Fort gang. Wenn auch der neue- Finanzminister, Herr Doumer, die ganze Nacht darauf verwandt hat, ein neues Finanz programm auszuarbeiten, so ist es doch fraglich, ob er diese fleißige Ausarbeitung überhaupt vor die Kammer wird DerSSHWeLrMer Anzetgenpret» (in (Soldmarly: Die 43 mm breite einspaltige jederzeit Bestellungen entgegen. Be,«S»pres« >ür die Zeit eine, halben Monats: Frel Hau» halbmonatlich Mk. 1.20, beim Abholen in der Geschäftsstelle dcrgeSLcrtt-- Unabhängige Zeitung für alle Stände in Stadt und Land. DichtesteVerbrettung inallenVolksschichten Beilagen: Sonntags «Unterhaltungsblatt und Landwirtschaftliche Beilage Geschäftsstelle Bischosswerda, Altmarkt 15. -» Druc» und Verlag von Friedrich May G.m.b.H. in Bischosswerda. Fernsprecher Nr. 444 und 445 zum amtlichen Briefkurs vom Zahltag, jedoch nicht niedrig« al» zum Kurs vom Tage der Rechnung. — Rabatt nach Taris. Für Zammelan,eigen tarlnn. Aulschlag. — LrsüllungsortBischosswerda : Um« Dresden Nr. ISSt. Gemeinde» verbandsgtrokasfr Bischofswerda Konto Nr. 84. Im Falle höherer Gemalt — »vrr !»n,»grr irgrno wriairr Störung des Betriebes der Zeitung oder der Betörderungseinrich- ' - ' hat der Bezieher keinen Anspruch am Lieferung oder Nachlieferung der Zeitung oder aus Rückzahlung des Bezugspreise? WMofsweröcrer /FMH. 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