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Wetter-Prognose für Dienstag, den 24. Mai: Meist heiter, Temperatur warm, trocken Seit einigen Tagen steht fest, daß dieses Gesetz nicht zu Stande kommt, denn der Reichskanzler hat durch sein Leiborgan erklären lassen, daß er das Gesetz ohne die Zu schüsse aus öffentlichen Mitteln nichr annimmt und cs vorziehen würde, mit dem künftigen Reichstage eine Ver Zollverein nur im Wege der Gesetzgebung stattfinden könne. Der Reichstag trat damals in seiner Mehrheit diesem Anträge nicht bei, entschied sich aber auch nicht für den entgegengesetzten Standpunkt, ließ vielmehr die Angelegenheit im Sande verlaufen. Herr Delbrück war gewillt, den Antrag als selbständigen Antrag wieder ein- zubringen. Aber einen solchen Antrag kann man nur dann stellen, wenn man der Mehrheit von vornherein sicher ist, denn es ist klar, daß durch eine Ablehnung der Sache Hamburgs viel mehr geschadet werden muß, als man ihr durch die Annahme nützen kann. Es haben sich Anstände ergeben, aus den Kreisen der Nationalliberalen sind Rechtsbedenken gegen den Antrag laut geworden, auch das Zentrum ist von seiner ursprünglichen Geneigt heit, den Antrag zu unterstützen, zurückgekommen, nach- und Tageblatt Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg und Brand Benuttwortlicher RedÄteur Iuliu» Braun iu Freiberg. neigt, alles und jedes vorliegende Material zu erledigen, und möchte daher wie in früheren Sessionen im Einver- ständniß mit der Reichsregierung eine Auswahl treffen, welche Gegenstände als dringlich anzuschen sind. Am Schluß der gestrigen Sitzung machte sich Windthorst zum Dolmetscher dieser Gefühle des Hauses, indem er den Präsidenten bat, an maßgebender Stelle diese Verstän digung herbcizuführen. Der Präsident versprach das, und so wird er vermuthlich heute dem Reichskanzler seine Auf wartung machen, um mit diesem die Liste der noch zu er ledigenden Gegenstände festzustellen. Morgen vor der Plenarsitzung dürfte dann der Seniorenkonvent in Gemein schaft mit dem Präsidenten den Plan für den Rest der parlamentarischen Kampagne feststellcn, und am Schluffe der morgenden Sitzung will der Präsident dem Hause über die getroffenen Feststellungen Mittheilung machen. Ueber den Inhalt dieser Mittheilungen heute schon Kon jekturen aufzustcllen, wäre ein unnützes Beginnen; ich kann mir daher die Nekrologe derjenigen Vorlagen, welche bei dem bevorstehenden „bethlehemitischen Kindermorde" als Opfer zu fallen bestimmt sind, für meinen nächsten Brief verspüren. Nur bezüglich eines Gegenstandes muß ich eine Aus nahme machen, eines Gegenstandes, auf dessen Erledigung zwar von mehreren Seiten gewiß hoher Werth gelegt wird, der aber im Interesse der Würde und des Ansehens Lriefe vom Reichstage. XU. Ll. Berlin, 22. Mai. Seit einigen Tagen lösen sich die widersprechendsten Gerüchte ab über den Schluß der jetzigen Reichstagssession. Heute heißt es: die Geschäftseinthcilung ist derart getroffen, daß bis Pfingsten die dringendsten Geschäfte erledigt sein können; morgen wieder liest man: der Reichskanzler ist nicht gewillt, bis Pfingsten den Reichstag zu schließen, weil letzterer noch eine Anzahl neuer Vorlagen berathen soll. In der That ist bereits ein Gesetzentwurf über Ein führung eines Traubenzolls und Erhöhung des Mehlzolls an den Reichstag gelangt, der natürlich wieder eine große Zolldebatte veranlassen wird, und ferner ein Nachtrags etat, der wohl nicht zu vielen Diskussionen Veranlassung geben würde, wenn nicht unglücklicher Weise ein Theil der verlangten Gelder zur Gewährung von Diäten an die Mitglieder des künftigen deutschen Volkswirthschaftsraths bestimmt wäre. Trotzdem wäre cs möglich, bis Pfingsten fertig zu werden, wenn der Reichskanzler nicht auf der Durchberathung des Unfallversicherungsgcsetzes besteht. wird. Noch weiß man nicht, ob der Kanzler die Grausam keit gegen den Reichstag soweit treiben wird. Soviel ist aber gewiß, daß die Mitglieder des Reichstags, ohne Unterschied der Partei, den dringendsten Wunsch haben, bis Pfingsten von der Reichstagsarbeit erlöst zu werden. Sie haben aber ist ihrer Mehrheit auch noch den weiteren Wunsch, auch während der Dauer des Reichstags ein menschenwürdiges Dasein zu führen, und so kam es, daß man sich entschieden erklärte gegen den auf Anregung der Konservativen vom Präsidenten gemachten Vorschlag, die Sitzungen, die jetzt immer um 11 Uhr anfangen, künftig schon um 10 Uhr beginnen zu lassen, und daß der Vor schlag des Herrn v. Kardorff, Abendsitzungen abzuhalten, mit allgemeinem Hohngelächter ausgenommen wurde. Was man an Gesetzentwürfen noch erledigt, will man in aller Muße berathen, man will aber nickt die wichtigsten Vor lagen durchpeitschen in einer Weise, daß die berühmte .Dampfgeschwindigkeit" der früheren Reichstage dadurch in den Schatten gestellt wird. Man will zwar bis Pfingsten täglich Sitzungen halten, aber man ist nicht ge- - des Parlaments in allererster Reihe auf die Todtenlistc ständigung zu suchen über dieses Gesetz wie auch über die gesetzt werden sollte. Das ist die Hamburger Zollan- von ihm geplante Altersversorgung für die Arbeiter. Nun-schlußangelegenheit. Bekanntlich hat die preußische Regie haben in der Kommission nur die deutschkonservativen Mit-j rung beim Bundcsrathe den Antrag eingebracht, den gliedcr für die Staatszuschüsse gestimmt und aus der s früher schon beschlossenen Zollanschluß der Unterelbe am ersten Lesung des Gesetzes weiß man, daß auch die deutsch-: 1. Oktober d. I. ins Werk zu setzen und bei dieser Ge- konscrvative Partei nicht einstimmig die Zuschüsse billigt,' legenheit das kaiserliche Hauptzollamt in Hamburg auf- daß wenigstens vielen Mitgliedern der Entwurf besser ge-! züheben. Offenbar soll dadurch auf Hamburg ein Druck fallen würde, wenn die Staatszuschüsse wegfielen. Es ist jausgeübt werden, damit dasselbe bei den schwebenden Ver- mithin kaum möglich, daß der Reichstag sich zur Be- Handlungen über die Einverleibung iu den Zollverein sich willigung der Staatszuschüsse herbeiläßt, und so ist das nachgiebiger zeige, denn die Chikanen, denen der Ham- Gesetz von vornherein als gefallen zu betrachten. Wer burglsche Seehandel durch die beantragte Maßregel aus könnte es daher dem Reichstage verdenken, wenn er den gesetzt werden kann, sind enorm. Die Mehrheit des Wunsch hegte, es möchte ihm auch die zweite und dritte Reichstags hat sich bereits im vorigen Jahre in dieser Lesung des Gesetzentwurfs erspart werden! Es hat eben Angelegenheit auf die Seite Hamburgs gestellt und sie nicht Jeder das Bedürfniß, leeres Stroh zu dreschen, in möchte auch in diesem Jahre ihren Sympathien für die dem Maße, wie beispielsweise die Fortschrittspartei, von'in ihren Interessen so schwer bedrohte Hansestadt Aus- der man sagt, sie wolle bei der zweiten Lesung des Unfall- druck geben, es fragt sich nur, in welcher Form. Der versicherungsgcsetzes alle die Amendements wieder ein- Abg. Delbrück hat im vorigen Jahre bei Gelegenheit der bringen, die von ihren Mitgliedern in der Kommission Berathung der revidirtcn Elbschifffahrtsakte den Grund gestellt und dort abgelehnt worden sind. Natürlich nicht: satz ausgestellt, daß der Anschluß der Unterelbe an den in der Hoffnung, daß das Plenum diese Anträge an- nehmen wird, sondern nur zu dem Zwecke, um Wahlreden daran zu knüpfen. Es könnte aber sein, daß auch der Reichskanzler den dringenden Wunsch hegte, das Gesetz, -dessen Nichtzustandekommen feststeht, trotzdem die Plenar- berathung passiren zu lassen, um aus den Verhand lungen und Beschlüssen des Plenums für die Wahlen eine Anklageakte gegen die Majoritätsparteien zu formuliren, daß also der Reichstag genöthigt wäre, nach Pfingsten wieder zusammenzutreten, um die Waffe schmieden zu helfen, sie bei den Wahlen gegen ihn selbst sich kehren dem es von dem gleich zu erwähnenden Vorgehen der Fortschrittspartei Kunde erhalten hatte, und so hat Herr Delbrück schließlich sich veranlaßt gesehen, auf die Ein bringung des Antrags zu verzichten. Es heißt jetzt, die Sezessionisteu würden nunmehr den Delbrück'schen Antrag einbringen, aber eben weil dessen Annahme nicht sicher, vielmehr die Ablehnung wahrscheinlich ist, so muß man ge rade im Interesse Hamburgs wünschen, daß der Antrag nicht mehr zur Berathung kommt, sondern als Ausdruck der ein seitigen Rechtsanschauung einer Partei in den Drucksachen des Reichstags vergraben bleibt. Noch mehr muß man diesen Wunsch hegen bezüglich des von der Fortschrittspartei eingebrachten Antrags, welcher dem Reichstage zumuthet, über die vom Bundcsrathe noch gar nicht gefaßten Be schlüsse zu Gericht zu sitzen und zu erklären, daß es weder dem bundesstaatlichen Verhältnisse, noch der Achtung vor dem geltenden Verfassungsrecht entspreche, wenn der Bundes- rath Aenderungen der Zolleinrichtungen vornehmen sollte, lediglich zu dem Zwecke, um einzelne Bundesstaaten in dem freien Gebrauche ihres verfassungsmäßigen Rechts zu beschränken. Es ist offenbar, daß der Reichstag mit der Fassung eines solchen Beschlusses seine Kompetenz weit überschreiten würde. Wie würden die Herren von der Fortschrittspartei schreien, wenn der Bundesrath einmal sich Hinsehen und beschlichen würde, daß es „weder dem bundesstaatlichen Verhältnisse, noch der Achtung vor dem geltenden Verfassungsrecht entspräche", wenn der Reichstag einen ihm vorliegenden Antrag annehmen sollte» Der Reichstag würde sagen: „Das ist unsere Sache, darüber zu befinden, zum mindesten würde der Bundesrath wohl thun, abzuwarten, ob wir denn in der That einen solchen Beschluß fassen werden!" Dieselbe Partei aber, die in einem solchen Falle vor Entrüstung überschäumen würde, scheut sich nicht, dem Reichstage ein Vorgehen gegen den Bundesrath zuzumuthcn, das nur als eine Mißachtung des zwischen Reichstag und Bundesrath bestehenden ver fassungsmäßigen Verhältnisses bezeichnet werden kann. Selbstverständlich hat der Antrag der Fortschrittspartei nicht die mindeste Aussicht auf Annahme, aber von ihm gilt dasselbe wie von dem nicht emgcbrachten Anträge Delbrück: seine Ablehnung könnte der Sache Hamburgs nur Schaden bringen, und so muß man auch von diesem Anträge wünschen, daß er nicht mehr zur Berathung und Abstimmung gelangt, wenn man auch gleichzeitig auf das Tiefste bedauern muß, daß es die Fortschrittspartei ver standen hat, die ganze Angelegenheit so gründlich zu ver pfuschen und es dem Reichstage unmöglich zu machen, für die bedrohten Interessen der Stadt Hamburg etwas zu thun. Die Novelle zur Rcichsverfassung erlitt in der Montag sitzung das Schicksal, das ich bereits in mxinem vorletzten Briefe als möglich andeutete: die beiden in der zweiten Lesung beschlossenen Artikel wurden wiederum angenommen, und zwar jeder mit einer anderen Majorität, und schließ lich wurde das ganze Gesetz abgclehnt, weil keine Partei die von ihr durchgesctzte Bestimmung für so Werth hielt, um dafür die von der anderen Seite beschlossene Ber- assungsbestimmung mit in den Kauf zu nehmen. Nur Diejenigen, welche in beiden Fällen auf der Seite der Majorität gestanden halten, Windthorst und einige Mit glieder und Hospitanten des Zentrums, erhoben sich für das Gesetz. Es heißt, daß die Konservativen den Versuch machen wollen, die Bestimmung wegen der vierjährigen Legislaturperioden doch noch zu retten, indem sie einen dahinzielendcn Gesetzentwurf eiubrinaen. Bis jetzt liegt der Entwurf nicht vor, es ist auch zweifelhaft, ob derselbe noch zur Erledigung gelangen würde, da viele andere Anträge und Petitionen die Priorität beanspruchen können. Es schadet auch nichts, wenn es vorläufig noch bei der drei- ährigen Wahlperiode verbleibt, denn abgesehen davon, daß es sehr ungewiß ist, ob es dem nächsten Reichstage vergönnt sein wird, sein natürliches Ende zu erleben, so ist cs auch in der gegenwärtigen Zeit, wo jedes Jahr neue überraschende Gesetzesprojekte auftauchen, nützlich, wenn dem Volke in kürzeren Zwischenräumen Gelegenheit ge geben wird, durch die Wahlen seinen Willen kundzuthun. In der abgelaufenen Woche hatte der Reichstag Ge legenheit, sich als aufrichtiger Freund der Bier- und Weintrinkcr zu erweisen. Zunächst wurde die Brausteuer vorlage abgelehnt und dadurch verhindert, daß das Bier in der nächsten Zeit vertheuert oder verschlechtert wird; sodann wurden Gesetzentwürfe über das Verbot der Malz surrogate und über die Bestrafung der Wcinfälschung m wohlwollende Erwägung gezogen. Bei dieser wohlwollen den Erwägung wird es nun zwar vermuthlich sein Be wenden haben, denn die Kommissionen, welche mit der Prüfung der Gesetzentwürfe beauftragt worden sind, werden mit ihrer Arbeit wohl kaum so rasch fertig werden, um noch in dieser Session Bericht erstatten zu können. Dafür ist aber ein anderer, für den Biertrinker hochwichtiger Gesetzentwurf zur definitiven Feststellung gelangt. Vom 1. Januar 1884 an muß jeder Wirth in Deutschland dem Gaste das Bier in gesichten Seideln vorsetzen, sodaß der Gast stets in der Lage ist, beurthcilen zu können, was ihn der Liter Bier kostet bez. um wieviel der wahre Inhalt Erscheint jeden Wochentag Abends S Uhr für den andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., zweimonatlich 1 M. dv Pf. u. eimnonatl. 7b Pf. Dienstag, den 24. Mai. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom- ü M men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile ü oder deren Raum 1b Pfennige. N - -