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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1891
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1891-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18910907023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1891090702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1891090702
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1891
-
Monat
1891-09
- Tag 1891-09-07
-
Monat
1891-09
-
Jahr
1891
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VU»or»«emerrt-dret- k» d« H»vpt»rp»dttton oder den tm Stadt» beim »ad d« Larortr» errichteten Au«- aabestellen obgeholt: vierteljithrlich^l4.50, bet uvrimaliaer täglicher Zustellung tu« Hau« ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliLhrlich S.—. Direct» täglich.- Lreuzbondlendung in« Aulland: monatlich ^4 9.—. Dt« Morgen-Au-gobr erscheint täglich 6 Uhr, di« Abend-Au-gabe Wochentag« 5 Uhr. Nrdaction und Expedition: Aahannr-gaffe 8. DI« Expedition ist ununterbrochen ge öffnet von früh 8 bi- Abend« 7 Uhr. Filialen: vtta kle«« » Sarti«. («lfred Hatz«), UntversitätSstrabe 1, L-ni« Lösche. Katharinenstr. 14, part. und KSnigrplatz 7. Druck und Verlag von E. Pol« io Leipzig. Abend-Ausgave. UchMtr Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. JdesertivnDhveelU Vtoraen-Auigabe: di« 6 gespalten, PMt. »eile LO-Z, Reclame» unter dem Redacttoas» strich («gespalten) 50^, vor den Familien» Nachricht»» ik gespalten) 40^. Abend-Au-gabe: die 6gespaltrne Petitzeil« 40 „z, Reclameo unter dem Nedaction-strich <4 ge,polten) 1 X. Familiennachrichteu und Anzeigen verlorener Gegenstände (6gcspalten) 20^. Größere Schriften laut unserem PreiS- vcrzcichniß. Tabellarischer und Ziffernlatz nach höherem Tarif. Vrtra-Beilage« (gesalzt), nur mit der Morgen>Au»gad«, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß sur Inserate: Abeud-Burgabe: vormittag« 10 Uhr. Morge n-AuSgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh 0 Uhr Lei den Filialen und Annabmestellen je rin« halbe Stunde früher. Inserate sind stets an die «rpe»itiau zu richten. 255. Montag den 7. September 1891. 85. Jahrgang Das mit dem 1. Juli d. I. In unfern ausschließlichen Besitz übergegangene Amtliche L-ursblatt der Leipziger Verse, nach den Notirungen der verpflichteten Sensale, . herauSgegeben von der Handelskammer zu Leipzig, ist durch UNS zum Preise von 7 ^ 50 für das Semester, pränumerando zahlbar, zu beziehen. Leipzig, Johannesgasse 8. E. Lolz'sche Vuch-ruekerel. Der Neliquien-Unfug. Die Stadt Trier bietet heute einen Anachronismus dar, wie er wohl nur selten zu bemerken ist. Auf der einen Seite hunderttausende gläubige Seele», welche für ihr körper liches oder seelisches Leiden ein Heilmittel im Anblick veS heiligen Nocke- finden wollen, aus der andern Seile tausend unzufriedene Spcculantcn, denen die Pilger nicht genug ver zehren und denen die ganze Ausstellung des heiligen Nockes nur eine Melkkuh ist. Wir Protestanten sind in anderen Anschauungen ausgewachsen als die Katholiken und sind daher nicht im Stande, die Gebräuche der katholischen Kirche zu verstehen. Wenn wir aber mit vorurteils freien Blicken einmal auf die Verfassung der katho- lischen Kirche und besonder« auf ihre Organe blicken, so müssen wir unumwunden zugestehen, daß mehr als in protestantischen Gegenden in katholischen das Volk mit seiner Kirche verbunden ist, daß es einen größeren kirchlichen Eifer zeigt. Das gilt insbesondere aucb von den Männern. Wir finden auch, daß der Pfarrer in Stadt und Land mehr persönlich zur Geltung kommt, daß er den Mittelpunkt eines größeren gesellschaftlichen Lebens bildet und so auch im freien persönlichen Verkehr mehr auf die Glieder der Kirche ein wirkt, al« der protestantische Geistliche einwirken — kann! Da- „kann" tst der springende Punct, über den schon so viel geschrieben worden ist und über den noch so viel ge schrieben werden muß. Es wird erst bester werden, wenn die Parochien kleiner geworden sind und cS dan», dem protestantischen Geistlichen möglich gemacht ist, die Seelsorge in dem ganzen vollen Umfange ihrer Auf gabe durchzusühren. Es wird ja jetzt schon viel gebessert, vielleicht erleben wir die durchgreifende Besserung noch. Allein wir entfernen uns von unserem Thema. Wir sagten, daß wir uns nicht in daS Wesen der katho lischen Gebräuche denken könne», e« liegt uns daher fern, die allgemeinen und von jedem Katholiken anerkannten Lehren der Kirche in einem ack koo geschriebenen Artikel zu kritisiren. Allein wenn selbst katholische Geistliche auftreten und gegen den Aberglauben, welcher von der katholischen Kircke genährt wird, Front macken, so können auck wir davon Notiz nehmen. Wie wir zu der Ausbeutung des Aberglaubens durch den heiligen Rock stehen, daö baden wir schon oft dar- gethan. Heute wollen wir einmal einen Schritt weiter geben und sehen, ob denn der heilige Nock das einzige Mittel ist, die Gläubigen nach Trier zu locken. Als ein Pfadfinder bietet sich uns ein ganz kleines Schristchen deS katholischen Geistlichen JaskowSki in Saar brücken dar, welcher ein „Verzeichniß der unzähligen Reliquien der Stadt Trier" bei G. Klingebeil in Saarbrücken hat erscheinen lasten und welches übrigens sich gegen die Aus stellung des heiligen Rockes wendet, weil die Stadt Trier noch viel vornehmere und wirksamere Reliquien besitze. Wir wollen nun unsere Leser einen kurzen Blick aus diese Reliquien thun lasten, denn ausführlich können wir nicht werden, da sich notorisch in den Kirchen der Stadt Trier eine so ungeheure Menge Reliquien befindet, daß ganze Wagenladungen damit gefüllt werden könnten. Man kann die Trierer Reliquien anatomisch eintheilen und zwar eraiebt sich dann folgende Ordnung: ganze Heilige, große Körperslücke von Heiligen, einzelne Körperlheile von Heiligen und Sachen von Christus und von Heiligen. Von den „ganzen Heiligen" sind deren vierzig vorhanden, wovon der heilige Bischof Markus gegen Gicht, Podagra und andere- Ungemach hilft, wa« bei dem Apostel Mathias nicht der Fall zu sein scheint, denn dieser ist getheilt, sein Haupt liegt im Dom, sein Körper im Mathiaskloster und man zeigt von ihm nur einen Arm. BcmerkenSwerth ist der Theodol- phuS. „Der ganze Leichnam diese- Heiligen ist unversehrt und ganz mit Haut und Bein. Er war der Sohn eines Königs auS England und wirkt alle Tage Wunder. Sein Haupt hat man abgebrochen und in Silber gefaßt und ganz zierlick übergoldet. Mit seinem Schädel segnet man Wein, welcher wider Lieber und Zahyweh getrunken wird." Die 300 Leichname aus den Thebäischen Legionen und die vielen von den N 000 Jungfrauen übergehen wir und wenden unS den „großen Körperstücken" zu. Da ist Nr. l der Leich nam de« heiligen Maternus, „der vormals 4V Tage im Grabe gelegen und, durch den Stab de« Apostels Petrus im Namen Ebristi Jesu vom Tode auferweckt, dann noch 40 Jahre da« Stift zu Trier regiert hat und am 14. September 128 ge storben ist." Von der heiligen Barbara sind nur noch vorhanden „die beiden Schulterblätter, die 2 großen Armröhren, die 2 großen Beinrohrrn, ein krummes Bein gleich einer Kinnlade, zwei Rippen nutz ein kleine« Gebein von einem Arme, in 2 Theile gebrochen, 3 Wirbel vom Rückgrat, 1 große- Glied von einem Finger und 3 kleine Stücklrin, welche zu den Gelenken der Arme oder der Beine gehören." Die „einzelnen Körperteile" werden eingetheilt in Köpfe, s eine ganze Maste ganzer Köpfe, wir nennen nur den de« Lazaru«, d. Stücke von Köpfen, d. s. Schädel, Kinnladen rc., m Haare, von denen eS zwölf Reliquien giebt, hervorzuheben sind die von Johanne« dem Täufer, dem Märtyrer Stephan und fünf Partien in fünf Kirchen von der Jungfrau und Mutter Maria. E« folgen nun 35 Zähne, 4 Schultern, 3 Rückenstücke, 6 Rippen, 40 Stücke von Armen, 14 Finge.-, über 27 Beine, Knie und Füße. Hervorragende Stelle nimmt ein Quantum Milch von der Jungfrau Maria rinll! Kleine nicht näher benannte Sörpertheil« giebt e« von wenig sten« hundert Heiligen etwa 32» Stück und außerdem auch „viel würdige« Heiligtum von den unschuldigen Kindern, von den 10 000 Märtyrern, l 1 000 Jungsraurn u. s w u. s. w" Mit de« »nato«isch«n Register sind wir fertig. E« kommen jetzt die Sachen von CbristnS und von de» Heiligen. Wir lassen jetzt den Trierer Weihbischof Eneu (1514) selbst sprechen und^ finden, daß der ausgestellte Nock unter den Kleidern Christi gar nicht die erste Stelle einuimmt. Es werden aufaezäblt: „Der uuge nähte Nock Christi, den die Ritter Pilati nickt zerschneide», »och zerteile» wolllen, sondern darum loostcu, wem er ganz verbleiben sollte (DaS ist der jetzt ausgestellte Rock!), l Stück von dem Rocke Christi, den die Ritter Pilati zerschnitten, 1 Stück von dem leinenen Kleide, daS Christus mit seinem Blute bespreng hat, 3 Stücke von dem weißen Kleide, das Herodes ihm zum Spotte anzog, 3 Stücke von dem Pnrpurkleide Christi, 1 Stück von den Hosen (!) Christi, welche Maria, die zarte Jungfrau, seine würdige Mutter gemacht hat." Die anderen Toilellcgcgcnstäiide Christi, der Maria und der Heiligen, wie Tücher, Schuhwerk, Möbel, Röcke (Stab Petri, womit er den Bischof MatcrnuS vom Tode aufgeweckt), Kämme, übergeben wir, auch die Steiue, aus denen Christus gepredigt, geschrieben hat, oder von dem auS er in den Himmel gefahren ist, auch daö Brod, welches vom Himmel gekommen ist und wovon die Kinder Israel in der Wüste 40 Jabre lebten, und daS bis heute aufgcbobene Oel lassen wir als untergeordnet bei Seite. BcmcrkenSwertber ist der Nagel, welcher bei der Kreuzigung durch Christi rechten Fuß geschlagen wurde. „Daß dieser Nagel bei der Kreuzigung Cbristi durch seinen rechten Fuß geschlagen worden, hat, wie der Weihbischof Eneu sagt, der Teufel auS einem besessenen Mensche» bezeugt. Und der Mensch ist durch daS Berühren des NagetS erledigt worden. Mit dem Nagel giebt man dem Volke den Segen und berührt sie damit am Hochaltar im Dom." UebrigenS hat einmal rin Bischof zu Metz diesen Nagel mit einem an deren vertauschen wolle». ES „fing jedoch daS Blut an mit Ungestüm aus seinem Arme zu schießen", und damit war das Zcngiiiß der Echtheit erbracht. Wir könnte» nun noch Verschiedenes aufführen, Nägel, Gürtel, Kronen, Messer, Kerze», Becher, aber wir thun es nicht. Natürlich sind die Reliquien nickt umsonst da, sie gewähren auch Ablaß, Vergebung der Sünken. Wie viel sie gewähren, das sagt uns der gute Bischof Enen: „Der Ablaß in St. Paulin beträgt 4220 Jahre 33» Tage und 180 Ouavragtnen. In St. Maximin mag man ver dienen alle Sonntage 100 Tage Ablaß. Im Johanniter kloster ist die Summe des Ablasses, welchen man das Jahr hindurch verdienen mag, 49 600 Jahre, »893 Onadragencn und dazu drei Mal Verzeihung aller seiner Sünden." Verwandeln wir die Quadragenen (L 40 Tage) und die Tage in Jahre und summircn wir, so kann man allein in diesen 3 Kirchen Triers jährlich einen Eündcnablaß von 54 »20 Jahren und 5» Tagen und dazu noch dreimal Ver zeihung aller seiner Sünden erlangen. DaS dürfte genug sein! Angesichts dieses Aberglauben- kann man sich in der Thal nicht über die Worte des genannten katholischen Geist lichen wundern, wenn er schreibt: „Wohl wird der ungenähte Rock Cbristi, nickt der zu Trier, sondern der, welcher nach Gottes Rcchlspruch bei der Kreuzigung weder getheilt, noch zerrissen wurde, von den Kirchenvätern als ein Symbol der steten Einheit der Kirche Cbristi betrachtet, allein diese Einheit der Kirche Cbristi ist längst nicht mehr vorhanden. Rom hat diese Einheit zertrümmert; NomS Hockmuth hat die Trennung der griechisch-katholisckcn Kirche. Roms Aberglaube die Trennung der evangelischen Kirche verursacht, welche Kirchen zusammen mehr als die Hälfte der Christenheit aus- machen. Wenn also der Trierer Nock echt wäre, so würde sein jetziger Zustand, seine Zerrissenheit nur die Zer rissenheit der Kircke Christi versinnbildlichen, konnte aber nicht mehr al« Symbol der Einheit der Kirche Christi gelten." Und wir fügen hinzu, daß die Unterstützung, welche die katholisckc Kircke dem Aberglauben angedeihe» läßt, ihrer nicht würdig ist und daß früher oder später trotz aller Zuchtmittel rer Tag kommen wird, wo auch in da« gläubigste Herz sich Zweifel einschleichen und da« Wort Johannis wieder in der ganzen Christenheit Geltung haben wird: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten." Leipzig, 7. September. * AuS Schwarzenau liegt folgende Meldung vom 6. September vor: Se. Majestät der Kaiser Wilhelm empfing heute Vormittag den Grafen Kalnoky, welcher später von dem Kaiser von Oesterreich zu», Vortrage empfangen wurde. Der Kaiser Franz Josef empfing den Reichskanzler General von Eaprivi, welcher alsdann Sr. Majestät dem Kaiser Wilhelm Vortrag hielt. — Kaiser Franz Joies bat den Cbef de« Militaircabinet«, General von Habnke, den Chef de« Generalstab« der Arm« Grnerallieutenant Grasen von Scklieffrn, den Generaladjutantc» Gencrallieutenant von Wittich, den Chef de« Civilcabinet« Wirklichen Geheimcurath G»O>k»»««t .... den übrigen Herren vom Gefolge Sr. Majestät de« Kaiser- Wilhelm wurden Hohr Orden«auSzeichnungrn verliehen. Der Schloßhrrr von Schwarzenau, Freiherr von Widmann, wurde von Sr. Majestät dem Kaiser Wilhelm durch Verleihung eine» hohen Orden« an«gezricknet, der Gemahlin desselben hat S«. Majestät eine kostbare Base mit Ansichten von Berlin und Pot«dam zum Geschenk gemacht. «- * Nach der überaus arbeitsvollen letzten parlamentarischen Session wäre es wobt begreiflich, wenn die Gesetzgebung in der nächsten Session ein langsamere« Tempo zeigte. In der Thal ist unter Hinweis auf den vorläufigen Abschluß der Arbeiterschiltzgesctzgebiing im Reiche, sowie auf die Land- gcmeindereform und die großen ersten mit dem neuen EtatS- >ahre in Kraft tretenden Steuergesetze in Preußen die Er wartung geäußert worden, daß den Abgeordneten ein Vergleichs weise ruhiger Winter bevorstehe. Indessen lehrt ein lleber- blick über die bereits gestellten oder angelüiidiglcii und i» Vor bereitung befindlichen Aufgaben, daß i» der nächsten Session vielleicht nicht so große und langwierige Fragen wie in der vergangenen zur Entscheidung kommen werden, dafür aber das Pensum um so vielseitiger sein wird. Der Rcick-tag, der bekanntlich nur vertagt ist, hat die in einer Commissiou vorberatbcne Krankciicassciinovellc und ein Gesetz über daS RcichStelegrapbeiiiiioiiopol mit in den Herbst hinübergeiioiiime». Ergäiizend zu letzterem Entwürfe wird eine Vorlage über das EleklricitätSrccht hinzukoiiiincn, die sich bereits seit Februar diese« Jahre« im Biiudesrath be findet. Ebenso ist da« kürzlich dem BundcSrathe zuge- gangene T r u n k s n ch t S g e s c tz i>» Wortlaute bekannt gegeben worden, eine Materie, die wahrscheinlich noch längere Debatten in Counnissioii und Plenum Hervorrufen wird, als die Entwürfe über daS Tclegraphcniiionopvl und über die Elcktricitäiswcrkc. Gutem Vernehmen nach sind ferner ein Warrantaesetz, von dem schon vielfach die Rede war, und ein Gesetz über den Verkehr mit CbcckS in Vorbereitung, der bisher einer gesetzlichen Regelung gänzlich ermangelt — auch der Entwurf zuni Bürger lichen Gesetzbuch überläßt diesen Stoff der Special gesetzgebung — und überhaupt erst seit zwei Jahrzebnten namentlich durch die ReichSbank in Deutschland auSgcbildel, fast ausschließlich auf den immerhin unsicheren Handels gewohnheiten beruht. Alle diese Angelegenheiten werden an allgemeiner Bedeutung durch die Handelsverträge über» trösten, welche, wenn sie gleich ihrer Natur nach die Arbeits kraft des Reichstags nicht ans lange Zeit in Anspruch nehmen, doch den Schwerxuiict der Session bilden werden. Man siebt, an Stoff fehlt es nicht, und wenn auch schließlich dieses oder jenes, wie z. B. da« letzterwähnte Gesetz, für spätere Zeit Vorbehalten wird, so bleibt immer noch genug für eine arbeits reiche Session übrig. * AuS Berlin wird geschrieben: Für die Weltaus stellung in Chicago war ansänglich in deutschen industriellen Kreisen (eine besonders lebhafte Thcilnahme bemerkbar. Seit einiger Zeit ist indessen ersichtlich eiu Umschwung ein- gctreten. ES wird dies auf die Eröffnungen zurück geführt, welche die Negierung über die Lage der Sache an der Hand deS gewonnenen Materials z» geben in der Lage war. Auch dem Geschick des Reichscoiiimissar« Geh. Rath Wcrmuth wird ein Verdienst daran zugcsckriebcn. Aller Voraussicht nach wird sich die deutsche Betkeiligung bei der Ausstellung recht lcbbast gestalte». Die Wahr»cbm»ngen, welche der NcichScommissar, der sich jetzt auf der Reise nach Chicago befindet, an Ort und Stelle z» machen gedenkt, sollen für eine dem Reichstage zu unterbreitende Telikschrijt ver werthet werden. * Man schreibt der „Politischen Corrcspondcn:" aus Berlin: Mancherlei Anzeichen und Andeutungen sprechen dafür, oder scheinen wenigstens dafür zu sprechen, daß das ofsiciclle Rußland doch einige« Unbebagen über die allzu lebhaften Sympathiekundgebungen der Franzosen empsände, und man gab sich der Erwartung hin. daß von jener Seite ein bische» Oel aus die stürmischen Wogen gegossen werden würde. Diese Erwartung hat sich jedoch nicht bestätigt. Man hat zwar dafür Sorge yttragen, haß Zaren iiahe- stebcnde fürstliche Persönlichkeiten nicht zu uniniltclbar von den Aeußerimgcu der französische» Nuiseiischwäriiierei bc troffen werden, aber im klebrigen helfen russische Ge nerale und russische Diplomaten redlich mit, die Begciste rung immer intensiver anzufacken. Diesbezüglich braucht nur auf die Ovationen, deren Gcgciiltaiid General Ob rutsch ew in Bergerac war, und auf die durch de» Bot schaster Baron Mohrrüben» in CautcrctS veranlaßtcn Manifestationen verwiesen zu werden. Wohl ist weder dort, noch hier ein Wort gesprochen worden, da« im Ausland An stoß erregen oder verletzen könnte, aber man muß sich vor Augen halten, daß bei der etwas erhöhten Temperatur, in welcher sich die heißblütigen Franzose» gegenwärtig befinden, eine sonst wenig bedenkliche Redewendung, ja selbst ein fast landläufiges glattes Coiiiplimciit genügt, um in ihre» Ge- müthern Hoffnungen zu erwecken und Illusionen zu nähren, die, wie die Dinge nun einmal liegen, ans friedlichem Weg« nicht verwirklicht werden können. Welchen ent schiedenen Ausdruck diese Hoffnungen in crnstzuiich- mendcn politische» Kreisen Frankreichs finden, bezeugt der SchlnßpaffuS des Berichtes über da« Budget des Ministeriums de» Aeußern, welchen der Berichterstatter Herr Pichon seinen College» zugcscndct hat; derselbe lautet: „Wir haben von Niemandem etwas zu fürchten, und wir haben Freundschaf, en erworben, welche unsere Zuversicht auf eine gutmachende Gerechtigkeit (iustico rr-pai Mnco) zu einer un erschütterlichen machen. DaS Herz von Freude erfüllt, grüßen wir dieses Morgenroth, welches über unsere nächsten Geschicke emporsteigt." In einem Trinksprucke würden diese Worte mit ihrem jugendlich dithyrambischen Schwünge vielleicht wenig Bedeutung baben; aber in einem Schriftstücke, daS die Grundlage parlamentarischer Beratkuna bilden soll, sind sie Wohl geeignet, Befremden zu erregen. Vielleicht aber baben sie das Gute, daß sie die Diplomaten und Generale de- Kaisers von Rußland, dessen friedliche Gesinnung sich so oft bekundet hat, veranlassen, sich einige Zurückhaltung im Hervorrufen von Manifestationen anfzuerlegen. « * Auf Grund eine- Schulgesetzes, welches ihm daS Recht verleiht, „staatsfeindliche" Schulbücher zu verbieten, bat der ungarische CultuSminister Csaky in der jüngsten Zeit die Benutzung einer größeren Zahl deutscher Schulbücher (unter Anderen die von Beck, Weber, Seydlitz, Kozenn und Schüller) in den Schulen Ungarns und Siebenbürgens untersagt. Als staatsfeindlich scheint mau i» Ungarn Bücher anzusehen, wenn der Monarch von Oesterreich Ungarn Kaiser genannt wird, wenn darin der alte Lande-name Siebenbürgen oder überhaupt deutsche statt der magyarisirten Namen (Preßburg statt Pozsony, Wien statt Becs, Kronstadt statt Brassv, Oedciibnrg statt Sopron, Stein am Anger statt Szvmbatbely, Groß-Wardcin statt Nagy-Varad) angewcndet werden. Anscheiuend erachtet man alles Nichtmagyarische in Ungarn für staatsfeindlich. Frübcr wurden fast nur rumänische, slowakische und serbische Schulbücher von solchen Verboten betroffen. * Nach den von dem italienischen Ackerbauministcrium veröffentlichten Mittheilungen sind die aufaetauchten Befürch tungen, daß sich in Italien in diesem Jahre ein größerer Gctreidemangrl fühlbar machen dürfte, unbegründet. Darnack beträgt der Gesammtbedarf deS Landes etwa 52 Millionen Hektoliter. Die vorjährige befriedigende Ernte ergab im Ganzen 48 Millionen Hektoliter, so daß jetzt von einem drohenden Nothslaude durchaus keine Rede sein kan». * Der Prinz von Wales soll sich, wie Pariser Blättern aus Nom telegraphier wird, aus Anlaß der in Palermo bevorstehenden großen Ausstellung »ach dieser Stadt be geben. Zugleich wird der Prinz von Wales dem italienischen KönigSpaare eine» Besuch abstatten, um den vom italienischen Kronprinzen der Königin von England gemachten Besuch zu erwidern. Auch der König und die Königin von Italien werden sich bei Gelegen!,eit der Ausstellung von Palermo nach der sicilianischen Hauptstadt begeben. * Die „Dorksbire Post" ist autorisirt mitzutheilen, die Königin von England habe die Einladung des deutschen Kaisers zu einem Besuch Deutschlands im nächsten Sommer angenommen. * DaS liberale Cabinet in Holland hat, wie man aus Amsterdam berichtet, im Lande im Allgemeinen eine gute Ausnahme gefunden. Der Minister deS Auswärtigen, van Ticnhovcn, wird den Vorsitz im Ministcrrathe führen. Obwohl eS auf Grund der Verfassung nicht unzulässig ist, daß Minister zu gleicher Zeit Abgeordnete sind, so haben doch die drei Abgeordneten, welche Ministcr-PortefcuillcS über nommen, sich entschlossen, ihre Mandate nicderzulcgen. Voraus sichtlich dürsten an ihrer Stelle wieder Liberale gewählt werden, so daß die liberale Mehrheit dadurch keine Einbuße erleide» wird. DaS Programni der neue» Regierung wird nickt lange mehr im Dunkle» bleiben, da am 13. d. M. die neue Kammer von der Königin-Negentin eröffnet werden soll. * AuS Paris wird geschrieben: Für Niemanden, der den Peripetie» der russisch-französischen Beziehungen der letzten sechs Monate aufmerksam gefolgt ist, hat eS auch nur einen Moment zweifelhaft sein können, daß die St. Peters burger Negierung allerhöchstcuS den Honigmonat verstreiche» lassen würde, bevor sie dem französischen Volke die Rechnung kür die Kronstädlcr Feste präsentiren würde; und Herr Wyschncgradski hat sich auch diesmal als guter Geschäfts mann und Finanzpolitikcr bewährt: noch ist der Honig monat nicht verstrichen und schon sind die ersten russischen Anleiheschwalbcn hier ringctrofse». Wie erinner lich , wollte Rußland bereits ini Frühjahr in Paris neue Fonds ausnchmc». Die Vorverhandlungen mit der Roth schild-Gruppe galten für abgeschlossen. Da kamen die Judenedictc und kam die rauhe Antwort des Zaren auf die französische Anfrage, wie cö mit dem Bündniß stehe, wen» Frankreich wegen eventueller Beleidigungen der Kaiserin Friedrich mit Deutschland in Streit acrathc» sollte. Roth schild nahm sein Wort zurück; die französische Negierung dcsinteressirte sich: die Anleihe fiel momentan ins Master. Die nächsten Monate brachten dann die Erneuerung der Tripelallianz, sie brachten den warmen Empfang de« deutschen Kaisers in Holland und England, brachten für Frankreich und Rußland die Befürchtung, Eng land könne sich dem Dreibünde anschließen, ja cs habe sich demselben bereits angcschloffen. Das gab zunächst den politischen Beziehungen zwischen Paris und El. Peters burg einen neuen Impuls. Vom Ouai d'Orsay auS warb man wärmer und eifriger denn je um die russische Freund schaft; wen» auch ein geschriebenes Bündniß nicht zu Iiabeu war — und ich glaube versichern zu können, daß man sich in hiesigen Icilcnden Kreisen nie mit der Hoffnung geschmeichelt hat, den Zaren zur Unterzeichnung eine« Bündnisse- ver anlassen zu können —, so wollte man doch wenigstens daS eigene Land und bis zu einer gewissen Grenze auch daö übrige Europa glauben mache», eS sei zwischen der slawischen und der romanischen Vormacht Alles klipp und klar. Bei diesen Bestrebungen ist Rußland, da« officielle wie daö populäre, aber letzteres doch erst aus Wunsch des erstcren, den Franzose» sehr weit entgegengekommcn, so weit, daß Alle, die den Zaren kenne», im höchsten Grade erstaunt über dessen plötzliche Liebe zu der fraiizösichen Republik und den französischen Republi kanern gkweien sind. Diese- Erstaunen wurde liier zu einem Furor der Russcii-Bcgcistcriing, der heute noch nicht verraucht ist; in den Dreibundländern rief cS vielfach Mißtrauen und Beängstigung hervor. Nur an den Börsen, sowohl an der Pariser, als an der Berliner und Londoner, war man weder erstaunt, noä, begeistert, noch beängstigt. Bon den Börsen aus bat man über die Schultern des Zaren hinweg Herrn Wyschncgradski von vornherein und bi« zuni Schluß in die Karte» gesehen. Als die französische Begeisterung ansing, allzu chauvinistische Blüthen zu treioe», wurde auS St. Peters burg gedämpft; aber gleichzeitig hat man von der Newa in sehr gewandtem Doppelspiel Alles gethau, was nur möglich war, ui» den einmal entstandenen Enthusiasmus für Rußland und alles Russische zu erhalten. Jetzt wird der EntbusiaS- muS dem Proccß unlcrworsen, zu dem man ihn geschaffen. Er wird in Baargeld, in Gold und Silber verwandelt, lind da sage noch Einer, daß es keine Alchymie und keine Alchymistc» gebe! Erstaunlich ist nur die Bescheidenheit, mit der Herr Wyschncgradski zu Werke geht. Er, der, wenn er sie nur forderte, eine bis zwei Milliarden haben könnte, und der sie bekanntlich auch brauchen könnte, begnügt sich, wie verlautet, mit 500 Millionen Francs, die er vom Pariser Markt in der nächsten Zeit fordern wird und welche er, gutem Vernckmcn nach, zu einem Eoursc von 83 bei 4 (?) Procent Zinsen, erhalte» soll. Die Rothschild freilich sind hart gcbliebc»; sie werde» die Anleihe wenigsten« nicht auflcgen. Wie weit sie sonst dabei betheilgt sind. bezw. wie weit sie sich an derselben betheiligeu werden, ist eine andere, schwer zu beantwortende Frage. —NE -
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