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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerötionS-Pre!« 22^ Silbergr. (f Thlr.) vierieljährlich, Z Tdlr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Deit u. Comp., Iägerstraßt Nr. 25), so wie von allen König!. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 13. Berlin, Dienstag den 30. Januar 1844. Frankreich. Ueber die katholische Bewegung in Frankreich. Die neuerlich von einem Theile des katholischen Klerus in Frankreich ausgegangene Bewegung ließ nothwendig tiefer liegende und schon lange arbeitende Ursachen vorausschen. Diese werden dem aufmerksamen, wenn gleich fernstehenden Beobachter zwar in der Hauptsache nicht entgangen sepn, aber den historischen Zusammenhang derselben und ihrer vereinzelten Aeußc- rungcn, welcher die Erscheinung erst in das rechte Licht stellt, konnte nur der jenige verfolgen, der im Bereich der Bewegung selbst stand. Deshalb werden es nicht bloß seine Landsleute dem Herrn Charles Louandre Dank wissen, daß er ihnen in der Uvvne <len <l«>ux lAmulnn die Bestrebungen des KatholiziS mus seit seinem Wiederaufleben in Frankreich mit dem Anfänge dieses Jahr hunderts vorführt. Zwar glaubten wir in dem Aufsatze eine gewisse Gereizt heit zu finden ; doch mag diese gerade unter solchen Verhältnissen am ehesten zu entschuldigen seyn und thut im vorliegenden Falle weder der Gesinnung noch der historische Treue des Verfassers merklichen Eintrag. Fern von jeder theologischen Polemik, die nur gar zu leicht einen sehr unangenehmen Bei geschmack gewinnt, und außer der Partei stehend, wollen wir das Wesent lichste aus seinen Bemerkungen herübernehmen, auf rein historische Fakta uns beschränkend. Wiedergeburt deS Katholizismus. Auf die Revolution folgte naturgemäß eine eben so entschiedene Reaction, und der Anfang des neuen Jahrhunderts wurde als Beginn einer neuen Epoche bezeichnet, in der Politik durch das Konkordat von I80I, in der Literatur durch Chateaubriand s 6«n>e üu (Zu-i-itiimmme. Unter der Restauration wurde die Entwickelung der katholischen Kirche ausgchalten, und zwar gerade durch die Unterstützung, welche ihr von Seiten einer rückwärts schreitenden Politik zu Theil wurde; seit >830 aber nahm fie einen neuen Schwung. Die Kirchen find gefüllt, die theologischen Fakultäten reichlich besetzt, und es wäre mehr als ungerecht, wollte man diesen Erscheinungen durchaus nur Neugierde oder andere unreine Beweggründe unterlegen. Der hauptsächlichste Grund dieser Bewegung liegt vielmehr in der durch die Juli-Revolution bewirkten Tren nung der Politik von der Religion; denn bei der Gewissensfreiheit gedeiht der aufrichtige und wahre Glaube; ängstliche Ueberwachung der Orthodoxie von Seiten der Negierung führt nur zur Heuchelei. Das Wiederaufleben der katholischen Ideen gab sich in der Literatur ver schiedentlich kund. Man gründete in mehreren Städten nach dem Muster der gelehrten Gesellschaft der katholischen Universität zu Löwen religiöse Akademieen, welche ihre Mitglieder namentlich aus jungen Leuten heranzichcn und den Zweck haben, wissenschaftlich thätige Männer zu ihren Ideen zu bekehren. So besteht z. B. in Paris der kercle cstflnliqus, das Ii>8liruk «mbnliqun, die Gesellschaft üe Lsim-Panl und in Lyon das l»8nrut rstbollguv. Noch thätigere Hülse fand die Propaganda in den Gesellschaften zur Ver breitung guter Bücher, und in besonderen Buchdruckereien, welche zum Theil selbst unter Leitung von Geistlichen stehen. So gründete der Abbn Migne im Jahre 1840 zu Petit-Montrougc eine Buchdrnckcrei, welche bereits im erste» Jahre I4o Arbeiter beschäftigte und allmälig eine ganze katholische Encyklo- pädie veröffentlichen soll. Die Kirchen St. Sulpicc und St. Thomas von Aquino besitzen gegenwärtig Parochial-Bibliothckcn, und die religiöse Presse scheint an Thätigkeit mit der der Bibelgesellschaften zu wetteifern. Dieser Buchhandel, der die schwersten Krisen überstanden hat, hat seine Haupt- Niederlagen in Paris, Lyon und TourS. In Paris erscheinen in der Regel die großen Sammlungen, die Prachtausgaben, die illustrirten Bibeln und Evangelien, in Lyon die billigen und für das Volk bestimmten Ausgaben. Die Durchschnittssnmme der jährlichen Erscheinungen seit >835 für ganz Frank reich ist ungefähr folgende: Gelehrte theologisch« Werke 25 Katechismen und Predigtsammlungen 50 Apologistische und mystische Werke 200 Philosophie 8 Heiligenleben - 4» Kirchengeschichtc - 60 Zur schönen Literatur gehörige religiöse Werke . . »5 Summa . . 508 Die beim Gottesdienst gebrauchten Gebetbücher sind in dieser Uebersicht nicht mitgezählt; aber die angegebenen Werke übersteigen durch die große Zahl der Abzüge bereits die Anzahl der Erzeugnisse aller anderen Pressen, mit Aus nahme der Universitäts-Buchdruckerei. Abgesehen von dem Bedürfniß und dem billigen Preise, erklärt sich diese außerordentliche Fruchtbarkeit durch den beharrlichen Eifer der Geistlichkeit. ES bestehen nämlich bei mehreren Semi naren wirkliche Boutiquen (bmmqnvx, der stehende Ausdruck für diese Nieder lagen), welche für das Bedürsniß des Sprengels zu sorgen haben. Die An kündigungen werden an die Kirchthüren angeschlagen; der Verkauf geschieht zuweilen in der Sakristei. Den Büchlein wird ein Gebet beigegeben, an welchem Ablaß haftet, und die Dürftigen erhalten sie als geistliche Almosen. Manche Orden beschäftigen sich selbst thätig mit der Ausbreitung dieser Lite ratur. So findet man bei den Augustinern zu Avignon neben den Brüdern Eremiten und Hospitalitern auch Missionaire zur Verbreitung guter Bücher. Die Künste haben den Einfluß deS Proselytismus eben so wohl erfahren als die Literatur. Im Jahre <833 befanden sich bei der Ausstellung nur zwan zig Bilder, die für Kirchen geeignet gewesen wären; >838 bereits scchsund- achtzig und 1842 hunderteinundsechzig. In der Baukunst ist die Rückwir kung noch fühlbarer und bringt wenigstens der Kunst selbst einen wesentlichen Nutzen. Die christliche Ionographie ist zu einer neuen Wissenschaft erhoben worden, und an den Seminaren hat man Lehrgänge der christlichen Archäolo gie eröffnet. Ja selbst bei der Erbauung von Kirchen hat man das Mittel- alter Wiederkehr«» sehe». So baut man gegenwärtig zu Rouen auf dem Hügel der „guten Hülse" der Jungfrau Maria eine Kapelle; die Arbeiter arbeiten an gewissen Tagen umsonst, und der Erzbischof und der Präfekt schenken Fenster, unter der einzigen Bedingung, daß ihre Wappen daran abgebildet werden. Aber das religiöse Gefühl deS loten Jahrhunderts hat auch seine praktische Seite. Erschreckt von dem Elend, bas unabweiSlich im Gefolge der Civili- sation einherschleicht; erschreckt von der Härte gesetzlicher Mildthätigkeit und von der ost hervorgetretenen Ohnmacht der Philanthropie, haben die Gläu bigen der Gegenwart sich die Ausübung christlicher LiebeSwerke aufgelegt; und während materialistische Reformatoren dem Volke von paradiesischen Luft schlössern vorpredigtcn, reichte die dcmüthigcre und einfältige Frömmigkeit dem verlassenen Dürftigen die Hand. Auch die gleichgültigsten und lauesten Gemüther müssen diesen Bestrebungen ihren gerechten Beifall gewähren und einen etwaigen weltlichen Anflug gern verzeihen. In Paris bestehen für diese Zwecke zahlreiche Gesellschaften aus allen Ständen, und eine Tochter-Anstalt der Gesellschaft des heil. Franz Regis, welche für die Legitimation der Kinder und die bürgerliche und kirchliche Einsegnung der im niederen Volke häufigen wilden Ehen arbeitet, besteht sogar in Konstantinopel. Ausschließlich kon- fessionelle Rücksichten und Bestrebungen machen sich aus diesem Felde selten be merklich. Daneben aber giebt eS andere besondere Verbindungen, welche sich haupt sächlich mit dem Proselytismus beschäftigen. Die bedeutendste derselben ist unstreitig die Gesellschaft zur Ausbreitung des Glaubens (die Propaganda, l'oenvre <Io I« propaxarion üe I» flüj, welche die Missionen durch Gebete und Geldspenden unterstützt. Sie wurde >832 zu Lyon gegründet und zählt gegenwärtig 700,000 Mitglieder. Ihre Einnahme im Jahre >84> belief sich auf 2,752,215 Franken, was um so benierkenswerthcr ist, als jedes Mitglied nur zu einem wöchentlichen Beitrage von 5 Centimen verpflichtet ist. Die Annalen der Gesellschaft erscheinen in >50,000 Exemplaren. Dennoch find die Opfer des katholischen Europa s für die Verbreitung seines Glaubens hinter den Bestrebungen der Protestanten zurückgeblieben. Die verschiedenen prote stantischen Vereine in Europa haben nämlich im Jahre 1842 für Missionen und Bücher 26,734,474 Franken ausgegcben. In Paris hat j«de Parochie ihre Brüderschaft. Die größte, „die Erz brüderschaft des heiligen Herzens", geleitet vom Ablw DeSgenetteS, dem thätigsten und einflußreichsten Apostel des parisischen Proselytismus, vereinigt in der Hauptstadt 50,000 Seelen. Die politische Gesinnung ihres Vorstehers ist von den Ideen der Revolution himmelweit entfernt, und doch zählt sie sehr viele republikanische Mitglieder und hat gleichsam die Trümmer der „Gesellschaft der Menschenrechte" und die Zerstörer des erzbischöflichen Pa lastes christianisirt. Selbst der Jansenismus ist wieder erwacht. Zweihundertundsuufzig Familien haben sich in der Parochie St. Severin in vollkommener Neberein stimmung des religiösen wie des politischen Glaubens vereinigt. Auch das MönchSthum breitet sich aus. Der strengste Orden, die Trap pisten, hat die zahlreichsten Stiftungen, und es find überhaupt in Frankreich binnen weniger als fünfundzwanzig Jahren mehr Klöster gestiftet worden, als