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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.05.1908
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-05-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080508025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908050802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908050802
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-05
- Tag 1908-05-08
-
Monat
1908-05
-
Jahr
1908
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BezugS-PreiS Abend-Ausgabe S. Anzeiqen-P.riS M Leipzig und rette durch unstt« trtgrr und Lpediteur« in» Hau» gebracht: Ausgabe » (nur morgen») »tetteljthrlich 8 M., monatlich 1 M.; Ausgab« S (morgen« und abend») viertel, ithrlich 4.50 M., monatlich l.5O M. Lurch die Lok ,» de,leben: (2 mal täglich) innerhalb Leullchland» und der deutlchen Kolonien vierteljährlich 5,25 M., monatlich 1,75 M. ausschl. Post- beltellgeld, ür Orstetteich 9 IL 66 k, Ungarn 8 L vierteljährlich, ferner in Bel. g>en, Dänemark, ben Tonauslaaien, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Ruh land Schweden, Schweiz und Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch die iixprd. Äl. erhältlich. Abonncmenl-Annabme: Augukusplatz 8, de unieren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmekiellen, iowie Postämtern und Briestragern. Die einzelne Nummer koste: 1V Lfg. birdaktion und Expebitton: Zohannirgasje 8. Telephon Nr. 14692. Nr. >46!», Nr >469». KMgtrTllgMM Handelszeitung. Amtsblatt des Nates und des Nolizeianttes der Ltadt Leipzig. Nr 127 Freitag 8. Mai 1908. fkr Inleraie au» Leipzig uno Ulngebung di« Sgelpaltene ljetitzeile 2ü Pj., linanzielle Anzeigen 80 Pi., ReNamen l M.; von au»wätt» 80 Pj., ReNamen l.20 M.: vomAu»land50Pi., stnanz Anzeigen 7bPi.. Reklame» 1.50 M. Insttatev. Behörden >> anulichen TeU40P . Beilagegebühr 5 M. p. Tauiend exkl. Po>i- gebühr. Geichäsllanzeige., an berdrzu?,ier Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tar, Festetteille dluiträge können > >chi zuruik. gezogen werden. Für da» Orlchetten an bestimmten Tagen und Platzen wird keine Garantie übernommen Anzeigen-Annahme: Augustudvlatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annonceir- Expeditionen des In. und Anslante«. Hauvt-Filiale Berlin: Carl Duncker, Herzogi. Baur Hoibuch- handlung, Lützowstrahe 10. (Telephon VI, Nr. 4-l»8). Huuvt'Kilinle Dresden: Seestrahe 4,1 (Telephon 4621). M. Jahrgang, Dc?s LVichtigste vsin Tage. * Nach Beendigung der Jubiläumsfeierlichkciten haben da? K ai s e r- paar und die meisten Bundcsfürsten Wien wieder verlassen. (S. d. des. Art.) * Urber Fürst Philipp Eulenburg ist gestern abend die ge richtliche Untersuchungshaft verhängt worden. ES heißt, daß Fürst Eulenburg in das Berliner EharitLkrankcnhauS gebracht wird. * Die Gesandtschaft Mulch Hamburg erwartet. (S. Ausl.) Hafids wird morgen ni Der Fall Martin. Es mag vor etwa Jahresfrist gewesen sein, als Graf Posadowsky in seinem Arbeitszimmer an der Wilhelmstraße an einen Publizisten gelegentlich einer rein sachlichen Unterredung über gesetzgeberische Pläne beiläufig auch die Frage richtete: „Wissen Sie eigentlich, was diese Leute von mir wollen?", worauf der Angcredete wahrheitsgemäß nur die eine Antwort geben konnte: „Exzellenz, Ihren Sturz". Es war die Zeit der Preßlampagnc gegen den Staatssekretär des Innern und Stell- Vertreter des Kanzlers, eine Kampagne, die in der rücksichtslosesten Weise und in Blättern geführt wurde, die den Inhabern von Minister fauteuils persönliche Schwierigkeiten sonst nicht zu machen pflegen. Es ist wohl wahr, daß sachliche Differenzen zwischen dem Kanzler und seinem Bertreter vorhanden waren, aber es darf hier noch nachträglich aus Grund eigner und unzweideutiger Bekundungen des Grafen Posa- dowsky auch sestgestellt werden, daß der Graf nicht im entferntesten daran dachte, die Blockpolitik des Kanzlers auf eigene Faust zu durch queren und die Führung der Geschäfte zu erschweren. Vielleicht war er tatsächlich zu intensiv Sozialpolitiker, vielleicht war sein ganzes Wesen zu sehr von dem Gefühl sozialpolitischer Notwendigkeiten durchdrängt, als daß er taktische Erwägungen nach ihrer vollen Bedeutung geschätzt hätte. Aber von Absicht dabei zu sprechen, war jedenfalls falsch, und würde dem ebenso bedeutenden, wie geraden Manne nicht gerecht werden heißen. Am meisten geschädigt und wahrscheinlich den letzten Anstoß zu seinem Abschied gegeben haben ihm auch nicht sachliche Gegensätze, auch nicht Differenzen in den Auffassungen, sondern die Plumpheiten von Leuten, die sich plötzlich ostentativ an ihn heranwarfen. Man erinnere sich nur der Tatsache, daß das schwer gereizte Zentrum die parlamen tarischen Abende des Kanzlers boykottierte, aber in Hellen Scharen zum Empfang des Grafen Posadowskh in das Staatssekretariat des Innern strömte. Wozu kam, daß auch in der Presse Gras Posadowskv gewisser maßen auf den Zentrumsschild erhoben und gegen den Vater des Blocks ansoelpielt wurde. Diese Situation muß gezeichnet werden, nm die Bedeutung der Martinschcn Gegnerschaft gegen den Grasen Posadowskh ans das ihr zukommende Maß zurückiunibren. Sie gehört mit zum Bilde der da maligen Zeit, maa auch ihre Wirkung gehabt haben, einen entscheidenden Einfluß aber gewiß nicht. Es hieße doch wohl den Fürsten Bülow unterschöben, ihm auch ungebührliche Geschmacklosigkeit zutraucn, wenn man in ibm etwa den Mann hinter den Kulissen der Martinschcn Fehde suchen wollte. Die Angriffe werden ihm nicht einmal gelegen gekommen kein. Und das fetzt zum Mscblnß gekommene Disziplinarverfahren gegen den Negiernnasrat R"doli Martin mit dem barten Spruch aus Dienst- entlasting wäre nur schwer denkbar, wenn man an ein Einverständnis 'wischen dem Fürsten Bülow und dem früheren Untergebenen des Grastn VosadowSkv glauben wollte. Dagegen ist wobl kein Zwenel, daß manche Organe und Personen, die den Martinschcn Gefühlen zum öffentlichen Ausdruck verhalfen und seiner Stimme die Resonanz ^ben, gemeint haben, damit einem Höheren und vielleicht auch dem Block- gedanken einen Dienst zu erweisen. Zur Verwirrung der Begriffe hat dann die Verabschiedung des Staatssekretärs im zeitlichen Anschluß an die Angriffe noch das Ihrige beigetragen. Es ist möglich, daß die Form der Angriffe Martins durch gefällige Federn noch zugespitzt wurde. Man weiß bei solchen Dingen ja nie, wie weit die ursprüngliche Fassung gewahrt worden ist. Jedenfalls hat die fast stets persönliche Färbung dieser Angriffe selbst bei den sachlichen Gegnern des Staatssekretärs kein Behagen erregt, llnd als es auch weiteren Kreisen nicht mehr verborgen bleiben konnte, daß der Initiator dieser Spezialfehde ein kaiserlicher Beamter und Untergebener des an gegriffenen Chefs war, mußte dies Staunen erregen. Mit der allen Preußen garantierten Freiheit der Meinungsäußerung hatten diese Tinae wirklich nichts mehr zu tun. Hier kam vielmehr in Frage, daß ein Beamter direkt auf den Sturz seines Chefs hinarbeitete, und dazu in dem Ressort des Angegriffenen gemachte Berbachtunacn verwertete. Wir erinnern uns eines besonders versönlich gefärbten Artikels, worin auch auf die Wirkung einer gewissen Beschwerdeschrift eines höheren Reichsbeamten angespielt wurde. Ob die zahlreichen Broschüren des verurteilten Regiermmsrats, insbesondere seine vor den ruisischen Werten warnende S^rist während des russisch-japanischen Konfliktes, die Verabschiedung des Herrn Martin seinen Vorgesetzten hat wünschenswert erscheinen lassen, wissen wir nicht. Es ist möglich und sogar wahrscheinlich. Aber daß diese Dinge bei dem DiszipUnarprozeß keine Rolle zu spielen brauchten, wird man wohl nach dem Lesen des Prozeßberichts ohne weiteres glauben. Man braucht wirklich kein Freund bureaukratischer Ueberempfindlichkeit und Aengst- lickkeit zu sein und wird doch zugcbcn müssen, daß die Regierung in diesem Falle zur Wahrung ihrer Autorität und ihres Ansehens zum Einschreiten gezwungen war. Neichstagsfernen. Bis zum letzten Augenblick erschien es zweifelhaft, ob es dem Reichstag gelingen würde, mit seiner Arbeit am gestrigen Donnerstag, den man nach langem Schwanken und Hin- und Hermeldungen als end gültigen Schlußtaz auserschen hatte, fertig zu werden. Es ist ihm doch geglückt, allerdings hat er in den letzten Tagen noch sehr emsig arbeiten müssen. Sitzungen von acht-, neun-, zehnstündiger Dauer mit all ihrer Last und Qual waren die Regel. Im Grunde war es eine wunderliche Session. Man war nicht ohne mancherlei Bangen zusammengekommen. Die erste kurze Tagung des neugekürten Reichstages war so gut wie ergebnislos ausgegangen. Nur daß man den Etat mit Einschluß der Kolonialforderungen erieoigl hatte: dann war man hastig auseinandergelaufen, ängstlich bemüht, das nene Haus nicht noch vor Proben zu stellen, denen cs am Ende sich doch nicht gewachsen zeigen möchte. Jetzt — das sagte man sich von vorn herein — waren solche Proben doch nicht zu vermeiden. Sollte diese „nene Situation" sollte der Block „von Naumann bis Normann" sich bewähren, so mußte er vor praktische Aufgaben gestellt werden. Nur gemeinsame Kämpfe und gemeinsame Siege konnten die im einzelnen doch recht vielgestaltigen Elemente zusammenschweißen. Sonst war es am Ende nicht zu vermeiden, daß das Bewußtsein innerer Verschieden- artigkeit stärker ward; daß man sich früherer Waffenbrüderschaften er innerte, und der noch nicht sonderlich gefestigte Bau wieder leise zu zer bröckeln begann. Derlei Empfindungen und Erwägungen beherrschten — vielleicht den Kanzler ausgenommen, der gewöhnt ist, mit einem ganz seltsamen, von fatalistischen Regungen leisgestreiften Optimismus die Dinge auf sich zutreiben zu lassen — Wohl alle, die in deutschen Landen sich ernsthatt mit Politik zu befassen pflegen. Man war sich ganz klar, daß in dem neu anhebenden Tagungsabschnitt bedeutsame Entschei- düngen nicht mehr zu vermeiden waren. Aber — uneingestanden oder nicht — man fürchtete sich vor ihnen. Und die Anfänge der Session schienen solchen Befürchtungen recht geben zu wollen. Mißtrauen hüben und drüben: schon bei der ersten Beratung schien das Blockschiff lein auf Grund zu geraten. Tann machte ein Gewaltmittel es wieder flott: der Kanzler stellte die Äabinettsfrage, und die Verantwortung für so gewichtige Entscheidungen getraute sich niemand zu übernehmen. So vertrug man sich wieder und blieb aufs neue zu ammen. Von Preußen kämen dem Nachen, der das schwanke Glück des Blockes Uno. neue Gefahren. Die Erklärung, die Fürst Bülow in seiner Eigensckmit als preußischer Ministerpräsident den ihn wegen der Wahlrechtsreform interpellierenden Freisinnigen zu kosten gab, weckte unbehagliche Empfindungen weit über die linksliberalen Reihen hinaus, ^ie na. in sich in ihrer kühlen Knappheit wie eine Verbeugung vor den mackk- gevietenden Konservativen aus, und für eine Weile ging es wie ein dumpfes Grollen durch den Freisinn: was soll nach iolcher Zurück'etzung der Block uns noch nutzen? Währenddessen nahmen die Tinge im ReichSkag selbst keinen sonder, lich günstigen Verlauf. Die Vereinsgeseykommission kam beim 8 7 bald auf den toten Punkt; die andere Kommission, der die Revision des Bor- sengesetzes anvertraut war, arbeitete so langsam, daß die Temperament volleren bereits unwillig von absichtlicher Verschleppung zu reden be gannen. Hand in Hand damit wuchs eine starke Mutlosigkeit au'. Als die Gefahr am höchsten stand, haben beherzte Männer die Tinge in die Hand genommen und durch kluges Einbiegen, Einlenken, Abschlei'en und Einanderentgegenkommen sie doch noch zum guten Ende geführt. So find, nachdem man schon vor Weihnachten die mildere Bestrafung der Majestätsbeleidigungen durchgesctzt hatte, Vereinsgesetz und Börsen reform zustande gekommen: in ihrer Gesamtheit die drei Morgenaaden des neuen Kurses, der neuen politischen Situation, in der der Liberalis- mus zum Mithandanlegen berufen ist und darum auch stärker als bisher Berücksichtigung seiner Forderungen erwarten darf. Erst die glückliche und reinliche Lösung des Finanzproblems wird die Blockarbeit krönen. Die deutschen Fürsten in Wien. Ueber den Schluß der Feierlichkeiten liegen noch folgende Mel dungen vor: Das Galadiner in Schönbrunn. Wien, 8. Mai. Das Galadiner in Schönbrunn begann um 6^2 Uhr. Es nahmen daran alle Bundesfürsten, der Kaiser und die Kaiserin, so wie alle Erzherzöge und Erzherzoginnen teil. Die Gesamtzahl der Gäste betrug 1250, diese nahmen in der kleinen und der großen Galerie Platz. Im Nebensaal spielte die Hofkapelle. In der kleinen Galerie saßen hundert Personen, darunter die beiden Kaiser, die nebeneinander in der Mitte der Längsseite Platz genommen hatten; dann folgten die Bundcsfürsten, Erzherzoginnen abwechselnd. Ter Prinzregent von Bayern saß neben Kaiser Wilhelm. Die Kaiserin nahm neben Kaiser Franz Josef Platz. Während der Tafel brachte Kaiser Franz Josef folgenden Trinkspruch amSt „Der Besuch, den mir meine treuen Alliierten, Euere Kaiserlichen und Königlichen Majestäten, Seine Königltche Hoheit der Prinzrcgent, Ihre Königlichen Majestäten, die Durchlauchtigsten Fürsten, sowie der Vertreter der Freien Hansestädte heute abstatten, hat mich mit der größten Freude erfüllt. Ich heiße L>ie herzlichst in unserer Mitte will kommen. Sie haben durch Ihre Hierherkunft den Gefühlen wahrer Freundschaft anläßlich der Erreichung meines 60. Regierungsjahres in einer Weise Ausdruck geben wollen, die meinen innigsten Dank wach» rukt und in mir die Ueberzeugung festigt, daß die so engen zwischen uns bestehenden Beziehungen uns allen ein wahres Herzensbedürfnis sind. Von dieser Zuversicht durchdrungen, möge es mir gestattet sein, dic'es Glas auf Ihr Wohl, sowie aus unsere unerschütterliche Freundschaft und Bundesgenossenschaft zu erheben un§ dabei auszurufen: Meine Er lauchten und Hohen Gäste leben hoch!" Die Antwort des Deutschen Kaisers hatte folgenden Wortlaut: „Im Namen Eurer Kaiserlichen und Königlich-Apostolischen Ma* jestät Gäste bitte ich, unserem Gefühle des ehrfurchtsvollsten, herz lichsten und innigsten Dankes Ausdruck geben zu dürfen für die huld vollen Worte, die Eure Majestät an uns gerichtet haben, und für den Feuilleton. Man bestreite keines Menschen Meinung, sondern bedenke, daß wenn man alle Absurditäten, die ec glaubt, ihm ausreden wollte, man Methusalems Alter er reichen könnte, ohne damit fertig zu werden. Schopenhauer. * Vier bed «tende Frauen. Von Mite Krcmnitz. Im Kampf zwischen Mann und Weib vergessen beide Geschlechter gern, daß sie gemeinsam Menschen sind. Schopenhauer spricht vom Manne: „als welcher der eigentliche Mensch ist". — Das Weib war ihm nur die Zwischenstufe zwischen Kind und Mann. Viel böser noch sind Weiningcrs Aeußcrungen über das schwache Geschlecht. Schon lange pflegen arbeitende Frauen über solche Angriffe nur zu lächeln. Denn mit der Tat, mit Werken, haben Hunderte und aber Hunderte bewiesen, daß der Verstand der Frau, selbst wenn er physiologisch an ders geartet sein sollte, doch nicht minderwertig ist als der des Mannes. In Deutschland allerdings sind die Frauen vielfach dem beschränkten Gesichtskreis der Tradition noch nicht entwachsen. Ihre Allgemeinheit steht geistig tiefer als die ihrer Schwestern in den freieren Kulturstaaten. Daran ist zweierlei schuld: die leit Jahrhunderten fortgecrble eng- herzige Mädchcncrzichun.z und ein Geist der Gesellschaft, der in feinem Ursprung doch auf das Regiment der Männer zurückzusührcn ist. Jener Geist, der die deutsche Frau entweder zur Königin oes Hohlen Scheins oder zur Königin der Küche macht. Aber auch hier wird es zufehends besser. Und eine immer größere Zahl der Frauen Deutschlands drängt zu den Aufgaben und Pflichten der neuen Menschheit. An der Rückständigkeit des überwiegenden Teils unserer Frauen hält der deutsche Michel wie an einem Heiligtum der Vorfahren fest. Statt daß beide Geschlechter gemeinsam an deren Uebcrwindung arbeiten. Der Mann-Philister in Deutschland findet es bequem, die Frau in der Inferiorität der Vorurteile zu halten. Sein passiver Widerstand will den geistigen Aufschwung der Frauen abwehren. Und sein Egois mus hat sich dabei das Sprüchlein zurechlgclcat: cs sei ein Zeichen des Niedergangs einer Rasse, wenn in einem Volke die Frauen den Män nern überlegen seien und eine größere Rolle spielen als bei uns. Als Beispiel wird gern Rußland herangezoacn... Aber es ist nicht wahr, daß der russische Mann in der Dekadenz ist. Es ist lächerlich, das von einem Volke zu sagen, dem in den süngcren Zeiten Potenzen entsprossen sind, die die Namen Tolstoi, Dostojewski), Turgenjew, Gorki führen. Wahr ist dagegen nur, daß die russische Frau mehr als die Frauen an derer Völker von Wissensdurst und Bildungsdrang bestell ist fwic schon Malwida v. Mensenbug vor Jahrzehnten betonte!, und daß dort die weiblichen Zierpflanzen seltener, dagegen die weiblichen ganzen Menschen zahlreich sind. Die ganzen Menschen, die nicht mehr die Vor teile des Geschlechts beanspruchen und daher auch nicht mehr die ein seitigen Nachteile tragen wollen. Tic wie nur irgend tapfere Männer für ihre Ueberzengungen zu leben und zu sterben wissen Ter Gegensatz zwischen Mann und Frau, soweit ihn nichr die Natur, sondern die Willkür des körperlich stärkeren Geschlechtes ge schaffen hat, dieser die Entwicklung der Menschheit hemmenbe Gegensatz ist in Rußland geringer geworden. Daß er dies überall werde, nichts anderes — keineswegs die Schrulle männcrseindlicher Selbstüberdebung — ist das Ziel der geistig hochstehenden Frauen in den andern Ländern. Tie heutige Ueberlegenheit der russischen Frau kann das Selbst- bewutztjcin der deutschen Frau nicht verletzen. Denn im Geistesleben — jo sagt eine norditche Dichterin — „gilt glücklicherweife das Gesetz der Konkurrenz nicht. Je mehr Gutes jeder dort produziert, desto mehr Platz bereitet man für ein anderes und besseres . . ." Wir deutschen Frauen fühlen uns durch keinen politischen Farben strich der Landkarte und keinen nationalen Widerspruch von Ellen Key getrennt. Sie, eine Königin im neuen Reiche der Frau, ist Schwedin, aber sie spricht unsere Sprache. Jedes Buch von ihr bringt uns eine andere Seite ihrer Schöpfer natur zur Kenntnis. Wir fragen uns, ob ihr klarer Geist, ihr heitzes Herz, ihr kühner Mut oder ihre bildnerische Phantasie am meisten zu bewundern sind. Alles Ideale findet in ihr eine begeisterte Vor- lämpserin. „Tas Jahrhundert des Kindes" führte sie in die Welt literatur ein. Wer den „Lebensglaubcn" gclefen hat, hält sie für be rufen, gleich einem Johannes unserer Zeit, das kommende Heil zu ver künden. Sie erwartet eine Religion der Menschen- und Erdenlieoe ohne Jenseitshofsnungen. ... Ob sie „die Vielen" je befriedigen könnte? Tic Wenigen hängen ihr jetzt schon an. In ihrem neuesten Buche begeistert Ellen Key *) uns durch dich terisches Nachempsindcn. Sie bildet Menschen. Und da sie über Frauen spricht, spricht es aus ihr. Sic weiß uns zu deuten, was, wie Hugo von Hofmannsthal den Tod sagen laßt, „nicht deutbar" ist. Schon darum ist sie „ein wunder- volles Wesen". Sie zaubert vor unser Auge die Gestalt dreier Hel dinnen des Geistes, die wir nun persönlich zu kennen meinen. Vielleicht kennen wir sie sogar besser, als wenn wir sie selbst gesehen hätten. Ellen Key Kat uns ihre Erscheinung durchsichtig gemacht, hat sic los- gelöst vom Zufälligen aller Erdgeborenen. Von den drei Frauen, deren Seelen uns hier enthüllt werden, sind zwei Landsmänninnen der Verfasserin, schwedische Schriftstellerinnen. Ein«, die in jeder Beziehung Erste, is. Russin, ist Sonja Kowa- l e w s k a sgeb. Dezember 1851, gest. Februar 1891) — ein Stolz der gesamten Frauenwelt. Nicht nur Dichterin, auch Gelehrte, Forscherin war sie. Und sie selbst, ihre Persönlichkeit, wie sie aus Ellen Keys Worten sprudelt, war noch unendlich viel wertvoller als alle ihre Leistungen. Bekanntlich errana sie den Bordinschen Preis, den die französische Akademie der Wissenlchast ausgeschrieben hatte, mit ihrer Arbeit über: „Tie Theorie der Bewegung eines festen Körpers ln irgendeinem wesentlichen Punkt zu vervollständigen." Ganz Europa staunte. Sie aber trug ihre Auszeichnungen „ebenso sorglos wie eine Königin ihre Juwelen und legte sie sobald als möglich ab, um ihr einfaches Alltags kleid wieder anzuleacn". Sie war die erste Fran, die einen wissenschaftlichen Lehrstuhl inne- *> Drei Fraueistchicksalc von Ellen Key. sS. Fischer, Verlag, Berlin.) Inhalt: Sonja Kowalewska — Anne Cbarlotte Leffler, Tn- chessa di Cajanello — Victoria Benedictson sErnst Ablgren). batte — den für Mathematik an der Universität Stockholm. Professor Wcierstraße in Berlin hatte die Vorbildung der glühend ehrgeizigen jungen Russin wohl gefördert, sie selbst und ihr rastloser Fleiß hallen aber das Beste getan. Drei ihrer ersten Abhandlungen hatte sie im Jahre 1874 nach Göttingen gesandt. Dort erregten sie solches Aus- sehen, daß die Verfasserin ohne weitere Prüfung von der Universität zum Doktor ernannt wurde. Noch wunderbarer aber ist die Vielseitigkeit von Sonjas Natur. Nur eine Ellen Key vermag sie zu verstehen und zu schildern. Frühere Biographen konnten bloß einem Teil des Wesens gerecht werden. Die ideelle, impulsive, ruhelose Frau Kowalewska ist aus dem Geist ihrer Nation allein nicht zu erklären. „Eine Persönlichkeit, deren Reichtum man nicht erschöpfen kann, . . . mit der dreifach problematischen Natur des Genies, des Weibes und der slawischen Rasse." Eine große Welt mit geheimnisvollen Tiefen, in die niemand, nicht einmal sie selbst, eindrang, und mit schwindelnden Höhen, die nur wenige ersteigen konnten." . . . Und diese große Frau — so läßt Ellen Key uns erraten — sollte an einer unerwiderten Liebe zugrunde gegangen sein? Der Mann, zu dem sie sich, nach einem an Wechselfällen reichen romantischen Dasein im Sommer des Lebens hingezogen fühlte, bot ihr seine Hand und seine höchste Achtung, aber nicht seines Herzens heiße blinde Hingabe. Da kam der Tod. . . Aber, meiner tiefen Ueberzeugung nach, nicht als Wir- kung jener Ursache. Gewiß nicht. Der mächtige Tod kam täppisch, zu fällig, wie alles in diesem ungeordneten Chaos vieler sich kreuzender Wirkungen und Ursachen, in die der Mensch mitten hinein versetzt ist. So, wie Ellen Key uns Sonja Kowalewska schildert, hätte sie den giftigen Krankheitsstoff unerwiderter, einseitiger Liebe bald ausgeschieden. Viel- leicht nach wenigen Monaten schon. Ein Zufall, ein tückischer Zufall war es, daß der Lcbensfaden abriß, gerade in dieser Phase ihrer inneren Entwickelung, gerade inmitten ihrer Seelenqual. Wie der Mensch die Ereignisse trägt, das liegt freilich tief in ihm begründet. Doch das Ereignis selbst, das Geschehen der Außenwelt, an und für sich, steht in keinem Zusammenhang mit dem inneren Be- dürfen des Betreffenden. Der Stein vom Dach tötet den Glücklichen wie den Unglücklichen, das Genie wie den Toren, den Edlen wie den Verbrecher unterschiedslos, mit derselben brutalen Rücksichtslosigkeit, nach dem Gesetz seiner eigenen Ursachen und Wirkungen. An ein ge heimnisvolles Wechselspiel zwischen dem Menschcnherzen, dem Gcsiikl des Einzelwesens und den äußeren Triebkräften zu glauben — das wäre Aberglaube, schädlicher Aberglaube. Wenn dieser mnsti'cbe Traum auch im Reiche des Gefühls verankert scheint, — wenn auch selbst ein Schoven- Hauer „lieber die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Ein- zelnen" geschrieben und die Frage aufgeworfen hat, ob ein gänzliches Mißverhältnis zwischen dem Charakter und dem Schicksal eines Menschen möglich ist. Ellen Key sagt: „Tic Einheitslcidenschaft, der UncndlichkeitSsinn, mit einem Wort: der morgcnländische Wesensgrnnd, bestimmte Sonja Kowalewskas Sckick'al. Ihr Geist hatte in den kühnsten Ahnungen der Wissenschaft, im Weltenraum und im Sonnensystem, im Denken und im religiösen Gefühl, in der Dichtung, in der Arbeit und im Weltleben, in der Vaterlandsliebe und in der Freundschaft unaufhörlich da Grenzen lose gesucht, cs aber niemals gefunden. Am allerwenigsten fand sie es im Ruhm, den sie in den Jugendiabren so glühend ersehnte, aber jetzt
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