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WöchrnUich -rlchemen drei Numm«rn. PränumcrationS - Preis 22 j Silbergr. ff Tdlr.) viertel!-idrlich, z Tdlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie, Magazin für die Man prSnumerirt aus dieses Nterawr- Blatt in Berlin in der Expedition der Mg, Pr. StaatS-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland- bei den Wohllöbl. Poft - Acmteen. Literatur des Auslandes. 123. Berlin, Freitag den 14. Oktober 1842 Spanien. Die Diplomaten von Madrid. (Nach der kevue 6e pari«.) Ich hatte alle Merkwürdigkeiten der Hauptstadt Spaniens gesehen, aus genommen die allermerkwürdigste, jene Diplomatie, welche, wie der alte Römische Hof und die Versammlungen der Generalstaaten im Haag, die Schule aller Staatsmänner des I7tcn Jahrhunderts gewesen und inmitten ihrer Rivalitäten, ihrer erstaunenswürdigen Verschwendungen immer noch so vielen Geist bewahrt hat, seit den Tagen des Herzogs von Harcourt bis auf Herrn von Rayneval. Jetzt wie im Jahre I7M giebt es keine Verfassung, keine Minister und vor Allem keine Diplomaten von so außerordentlicher Art wie die Spanischen. Spanien ist gleichsam der Traum, die Alhambra, das verlorene Paradies der Gesandtschafts-Secretaire, Konsuln und Kanzler ge blieben. Ein junger Attache-, welcher zum ersten Male mit der Post durch die schattigen Alleen der Alcala-Straße fährt, wird von wunderbarem Ehrgeiz ergriffen: er sinnt schon über eine Jntrigue nach. Beim Anblick der ver gitterten Fenster, der Balkonc, des schwarzen Kostüms der mit Degen ge gürteten Alguazil's, der altmodischen Karossen, die vor mit Wappen ge schmückten Portalen halten; beim Vernehmen der Guitarren-Klänge, die ihm aus allen Winkeln entgegentönen, glaubt er schon König der Stadt zu scpn. Gott weiß, wie vielen schönen Scsiora'S er Serenaden bringen wird! So oft er ausgeht, legt er seinen elegantesten Putz an; es fehlt ihm nichts mehr als die feinen Spitzen und die rothcn Absätze des siebzehnten Jahrhun derts. Er träumt von dem Erbfolgekrieg und vom Testamente Karl's ll., jenem Wunder der diplomatischen Kunst Harcourt's. Dem Palaste Buen- Retiro, den er so verödet sieht, nahend, lächelt er etwas unzart über die Trauer der schönen Witwe des Königs von Spanien, Mariens von Neuburg; und wird er eines Tages der „unschuldigen Isabella" — die an allen seinen Täuschungen in der That sehr unschuldig ist — vorgestellt, so bediinkt es ihm, er habe ihr eine der wichtigsten Depeschen Ludwig's XIV. oder des Herrn von Torcp zu überreichen. Solche Wirkungen hat die Luft von Madrid auf einen zwanzigjährigen Diplomaten — glückliches Alter! reizender Jrrthum, der so süß zum Herzen redet! Man weiß ja, was dem Grafen Redorte selbst begegnete. Diesem Herrn fehlte eS gewiß nicht an feierlichem Ernste; allein er hatte auch Geist. Er setzte sich auf den Fuß von I7A). Ja, er wagte eS, seinem Rivalen, dem Englischen Botschafter, ungestiefclt seine Aufwartung zu machen; er trat zu ihm, gefolgt von seinen Livree-Bedienten in großen gepuderten Perücken; und man versichert, daß diese Erscheinung des einzigen Gesandten » la Umü« XIV., den man seit langer Zeit in Spanien gesehen, den kalten Engländer in solchem Grade verblüffte, daß er vor diesem so glänzenden und so gescheidten, so gewandten und so verbindliche» Französischen Diplomaten erblaßte, als hätte er den aristokratischen Schatten Talleprand'ö oder selbst eines der Gespenster von Anna Radcliff emporsteigeu sehen. Zu Harcourt's Zeit war Spanien noch nicht das Land des Gil Blas und jenes anderen Bastardes Figaro, jener schamlosen Bedienten, welche die Jntrigue herabgesetzt und, als Reigcnführer einer gemeinen Politik, den edeln Ehrgeiz seiner poetischen Wurde beraubt haben. Damals kannte man nicht das Haus des Grafen Almaviva, mit seinen jedem Winde offenen Pforten, dem schallenden Gelächter seiner Gäste, jenen kühnen Skeptizismus, der alle Klassen der Gesellschaft durch einander mengte! Zum Glück war Almaviva noch nicht einmal geboren: Spanien war das Land der Mönche, des Adels und des Stolzes, die alte Monarchie Philipp's II. mit ihrer finsteren Etikette. Sein Hof kannte im Gebiete der Jntriguen noch nichts Verwegenes, außer den vcrhängnißvollen Liebeshändeln des Don EarloS in dem Wäldchen des Escurial. Damals lag König Karl II. im Sterben. Als Harcourt erschien, setzte er nicht ohne Gefahr ins Werk, was Schiller's Fiesco nur ausdachte: er zettelte mitten unter Festen, lächelnd und, wie der Jtaliäner, seinen Geist auf geistreiche Weise verbergend, eine Verschwörung an. Er war der Leib und die Seele, der Zauber, dic Kraft und die Feinheit jener merk würdigen Zeit. Der Botschafter Ludwig's XIV., der brillante Harcourt, regierte Spanien schon geschickter als Limenez Cisneros. Man hat die Altfranzösischc Leichtfertigkeit sehr getadelt; man hat ge glaubt, sie sep die vornehmste Eigenschaft großer Herren gewesen. Aber welche Kunst und Geschicklichkeit entwickelten unsere Gesandtschaften neben ihrer ganzen turi» lr-moese! Sehet nur die Bewunderung der Freunde Harcourt's, das Zutrauen des Kardinals Porto-Carrero, des Herzogs von Medina und jener so schwer befriedigten Höflinge, der ManqueseS von Montijo und Villafranca! Harcourt steht mit ganz Spanien und Italien in Korrespondenz; in der Angelegenheit des Testamentes hat er den Papst auf seiner Seite; aber der Beichtvater des Königs erregt so viele Skrupel zu Gunsten des Erzherzogs von Oesterreich, und die Rechte des Enkels Lud wig's XIV., des Herzogs von Anjou, werden in Madrid selbst durch den Prinzen von Darmstadt, durch Oropeza und den Admiral von Castilicn so lebhaft bestritten! Harcourt hat gar manchen Vertrauten, dem er nicht trauen darf, namentlich auch den Staats - Secretair Ubilla, und doch soll eben dieser Ubilla bald selber das Testament abfassen! Der Gesandte ist, um die Wahrheit zu sagen, nur von Feinden umgeben; er sieht einen Bürgerkrieg und einen Krieg mit dem AuSlande vorher und rüstet sich kaltblütig zu beiden: er verlangt vom Könige den Oberbefehl über das erste Armee-Corps, das er in Bayonne zusammenzuziehen räth. Welche Paarung diplomatischer Schlauheit mit kriegerischem Muthe! Welche Pläne in dem Kopf eines Mannes, den seine Mitbewerber als einen citeln Menschen betrachteten, der nicht einmal fähig war, die Oesterreeichische Kammerfrau Belips vom Hofe zu entfernen! (Fortsetzung folgt.) Frankreich. Uebcx den Teppich von Bayeux. (Schluß.) Vom Standpunkt der Kunst aus, die uns zunächst beschäftigt, erscheint es als eine etwas untergeordnete Betrachtung, ob der Teppich der ersten oder der zweiten Mathilde, deren Leben nur durch einen kurzen Zeitraum getrennt ist, zuerkannt werden müsse; denn cs dürfte wohl Niemanden einfallen, ein Nadel werk aus der letzten Hälfte des elften Jahrhunderts von einem aus der Mitte des zwölften, abgesehen von allen begleitenden Nebenumständen, bloß nach Styl und Charakter der Arbeit und zum Grunde liegender Zeichnung unter scheiden zu wollen; dieser Kunstzweig blieb während der ganzen Zeit auf derselben Stufe der Ausbildung stehen, weil die Grundelemente aller bildenden Kunst, d. h. die Fähigkeit zu entwerfen und die Geschicklichkeit, Entwürfe zu zeichnen, keine so bemerkbaren Fortschritte machten; auch kann der Teppich, zu welcher Fürstin Gunsten man entscheiden möge, nicht als Produkt der Thätigkeit eines Einzelnen gelten; er ist offenbar eine Kollektiv-Arbeit, bei der viele Hände wirksam gewesen sepn müssen, und wohl könnte man sich der auf der Insel eingeborenen Frauen, vie sehr kunstreich mit der Nadel arbeiteten, dazu bedient haben. Nach diesen Vorbemerkungen über Alter und Urheber gehen wir zur Be schreibung des umfangreichen Werkes über. Der figurative Theil desselben nimmt ungefähr zwei hundert und zwölf Fuß °) auf einer achtzehn Zoll breiten, schön und dicht gewebten, bräunlichen Leinewand ein, und ist mit wollenem Garn in verschiedenen Farben, vorzüglich in Roth, Blau, Gelb und Grün, nach Geschmack und Eigensinn des Urhebers, ausgeführt; die quer neben einander gelegten Fäden werden durch andere, die über jene in ge wisser Entfernung horizontal gehen, zusammen verbunden oder fest gehalten. Die Flcischpartien, als Gesicht und Hände, bildet die von der Nadel ver schonte Leinewand, und es sind nur die Umrisse davon durch Fäden in ver- schiedcncn Farben angegeben; eben so sind in den Gesichtern Augen, Augen brauen und Bart angedeutct. Es fehlt dem Gemälde an Licht und Schatten und an Perspektive, deren Mangel zum Theil durch den Gebrauch verschieden farbiger Wolle ersetzt ist; auf diese Weise sind z. B. die dem Beschauer zu- gewandten Füße der Rosse von den entfernteren unterschieden; jedoch ist man sich hierin nicht gleich geblieben, und hat, wie in anderen Partien des Gemäldes, die Farben ohne Rücksicht auf Naturwahrheit vcrthcilt. Dic dem- selbcn zum Grunde liegende Zeichnung, obsckou in Folge der Schwierigkeiten, die Material und Technik der Darstellung boten, an mehreren Stellen etwas verrenkt, ist mit der Fertigkeit der Zeit in Uebereinstimmung; die Figuren stehen in diesem Punkte eben so hoch als dic gleichzeitigen Skulpturwerke, die man hier und da im Lande antrifft. Der Zeichner hat sichtbar im Römischen Styl der letzten Epoche gearbeitet, daher man viel Römisches Wesen im ') Nach Französischem Maß.