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K-. Jahrgang. A-ISS. Mittwoch, 4. Juni ISIS. ve»»s«,<Itebütr »ienUiltzrl. kV» »«n »et IL,ltch zxi. maliger Zotraoung <»» San«, und Moniagea ,ur -lnma» g.d« M . durchau,wllrll,««»m. mllllonüre dl» L. .10 VI. V«i einmaliger Zu- fteNung durch die Polt »M <ohne«esteUgeld>. IIu » Iand: kleiier- reich-Ungorn 5,«d Ar , Schweiz d,i!I> Frk», Mallen 7,17 Lire. — tiachdruii ngr mit deutlicher ouellan- angad« t.,Dr«»dner glachr.")zulälftg. Un- »erlangle Manuilripi« »erd.nlchtauldewahri. Telegramm-Adresse: Nachrichten TreSdrtl. Fernsprecher: I I » 2SSV » 3KSI. 18LO Druck und Verlag von Liepsch 6c Reich ardt in Dresden. A»iet«en-r«rtf. Annahme von Aplün- digungen dt» nachm » Uhr, Sonntag» nur Morienstrahe 00 von ,1 di»'/-> Uhr. Die rinlpalttge Zeile telma 0 Sildkn» .10 P«., di- zweiivallige Zeile auf Deriseile 70 Ps., dle zweilpoll. Reklame»,!« l.k>0 M.. Familien, vlachrtchlen au» Lee». den die etnspa». Zeile A Pf. - In Äum- mer» nach Gon«, und Feiertagen erhhhier Tarif. — Autwlirlig, Aufirllge nur gegen KIkine Kio8 2'/- M. D Xui'pi'inr > 3 fiti-8lsn « 4 well-KIaekl.. 5 ^ulo-lOud .. k enorme LsiclsnIiLus ^ tzrt>e»B«I»-bIaui0PI. Naltbselceit, v»i'! lelmiilei' billigt! ältmaclcl S. bauptgeschastsstelle: Marirnstraße 3K 40 Ore^ner f^elc>8clilö88cken - bleibt unübertrokken! W ^ rnsl.sui'- ^tiol-oxrspti te. siet» neuesten Dalums. IÜD»«» NI«,,! «Iillil. II. kkiiirl. Holl. llSrl NS!l>, «siirir. 28. »ur LL»ut--L»diR- FH»rI Weackreliuek8 Mkt Ltpttuavti'AVVP 11 „Nil Epttskit V ^ Llsblirrsment Wb OU UVVSU aLLV LL. ALrv erNgo Lssov. Mutmaßliche Witterung: Meist beiter, warm. Ge witterneigung. Die Rcichsreg ! c ru^i g wird die beantragte Heran ziehung der Einkommen bis herab zu -MM Mk. nicht qnnehmen: gestern sandcn weitere vertrauliche Be sprechungen statt. Die Borlage über die A b w c h r b e st i m m u n g e n für E l s a H - V o t h r i n g c n wird dem Reichstage be stimmt zugche». Das bayrische P r i » z - R e g c n t e » v a a r ist zum Besuche des Kaisers Franz Joseph in Wien «inge- troffeu. Im ö st c r r c i ch i,s ch c n A b g c o r d n e t e n h a u s e brachten die E h r i st I i ch - S o z i a l e n eine Interpella tion über den Fall Redl ein. Das ungarische Kabinett beschloß, zurückzu- treten. Der französische K a m m e r a u s s ch u st sür die Steuergesetzgebung sprach sich für eine Kapital st c u c r aus. Die I u t e r n a t i v n a l c F i n a n z k o n s c r c n z hält heute In Paris ihre Eröffnungssitzung ab. Das englisch-türkische Abkommen geht weiter, als »ach den ersten Veröffentlichungen ange nommen wurde. DaS bulgarische Kabinett Geschow hat sein E n t l a s s u n g S g e s u ch etngcreicht. «erbten hat sich mit Griechenland und Montenegro über die A b g r c n z u n g S f r a g e be reits vollkommen geeinigt. Me nationale Bedeutung des preußischen Abgeordnetenhauses. Bon hervorragender konservativer Leite gehen uns nachstehende Ausführungen zu, die wegen der ganz neuen Schlaglichter, die sie aus die staatsrechtliche Stellung und Bedeutung des preußischen Abgeordnetenhauses werfen, be sonders interessant sind. Wir geben die Ltudic wieder, ohne allen Betonungen des Verfassers zuzustimmcn. Die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhause sind vorüber. Sie haben das erfreuliche Ergebnis gezeitigt, daß das Unterhaus des grüßten deutschen Bundesstaates seine geschichtlich bewährte Parteistruktur behalten hat. Der kleine konservative Bcrlust, der dem nationalen Liberalis mus zugute kommt, hat nur den Wert einer harmlosen Retusche an dem alten konservativen Porträt. Darüber soll man sich in dieser Heit demokratischer Marktjchrcicrei nicht nur in Preußen selbst, sondern im ganzen übrigen Deutschland von Herzen freuen, überall da, wo man sich noch Gefühl und Verständnis bewahrt hat sür die unerbitt lich notwendigen nationalstaatlichen Bedingungen unseres Vaterlandes. In diesem Betracht gehen die preußischen AbgevrdnctenhanSwahlrn nicht nur jeden Preußen an, sondern schlechthin jeden Deutschen, also auch sedcn natio nalen Lachse». Merklicher und bestimmender als die Kammern der übrigen Bundesstaaten wirken die preußi schen Kammern als mittelbare Reichs Parla mente. Es liegt das einmal an dem natürlichen Schwer gewicht Preußens innerhalb Deutschlands, sodann an der verfassungsrechtlichen Sonderstellung desselben, die ge geben ist durch die Verbindung des deutschen Kaisertums mit dem preußischen Königtum. Es kann den ReichS- gedanken nur wurzelfcster machen, wenn man sich unter solchen Voraussetzungen die nationale Bedeutung des preußischen Abgeordnetenhauses auch außerhalb der schwarz-weißen Grcnzpfähle einmal etwas klarer macht. In allen modernen Staaten sehen die Verfassungen das Zweikammersystem vor: ein Oberhaus und ein Unter haus. Es ist nun eine interessante historische Erinnerung, daß im verfassunggebenden Reichstag für den Norddeutschen Bund auch die Forderung eines Oberhauses laut wurde, und zwar von zwei Seiten: non liberaler Seite durch Frtedcnthal, den späteren Minister, und durch Zachariä. den Göttinger Staatsrechtslehrer: von katholischer Seite durch Windthorst. Besonderes Interesse verdient noch heute der Standpunkt Windthorsts. nicht nur um der vornehmen Sicherheit willen, mit der die kleine welsilche Exzellenz gegen den demokratischen Frankfurter Domkapitular 2 hissen polemisierte, sondern wegen der staatsmünnisch- aristokratischen Begründung seiner Forderung. In der un- vermittelten Gegenüberstellung von Monarchie und demo kratischem ÄeichStag sah er eine schwere Bedrohung des monarchischen Prinzips. „Wir werden in der ferneren Zeit sehen, daß da ein Anprall ungebahnt wird, der uns alle sehr schmerzen wird." Des weiteren hatte er die Befürchtung, daß in einem Einzelhause die konservativen Staatsintercssen nicht gewahrt würden. „Ohne Aristokratie aber in ständischer Verfassung ist weder das monarchische Prinzip dauernd ausrecht zu erhalten, noch ist die G c m c i n f r e. i h e i t ohne Aristokratie aufrecht zu erhalten." Der heutigen Zcntrums- partei, in der nicht Windthorst. sondern der demo kratische Geist eines Thissen herrscht, seien diese Worte ihres aristokratischen Führers besonders empfohlen. Der Norddeutsche Bund und das spätere Deutsche Reich be kamen jedoch kein Oberhaus, weil BiSmarck eS nicht wollte. Der Schaffung eines solchen setzte der damalige Bundes kanzler die Bedenken entgegen, daß ein Teil der Funk tionen eines Oberhauses schon durch die Institution des BundeSrates rvahrgenommcn sei. und daß die Ausnahme eines besonderen Oberhauses neben jenem den Bundcsorga- nismuS überladen und die unausbleiblichen Reibungen noch vermehren müßte. Diese Einwändc Bismarcks besitzen poli tische Wahrheit und Weisheit und das natürliche Schwer gewicht, das allen historisch-politischen Urteilen unseres Reichsgründers innewohnt. Ter Bundesrat als Gcsctz- gcbungSfattor besitzt sowohl das Recht der Initiative ldas BorschlagSrechtl. als auch das der Sanktion von Gcsetzcs- oorlagen Iden Geietzesbesehl). Und das sind die wesentlich sten Befugnisse, mit denen ein Oberhaus ausgestattct zu sein pflegt. Trotz dieser legislativen Gewalt des Bundcö- rateö wäre nichts verkehrter, als denselben in dem Schema der Bundesorganisation als das Oberhaus aufzufassen. Ueber den Charakter einer politischen Körperschaft entscheidet nicht nur ihre Machtbefugnis, sondern auch ihre Zusammen setzung, ihre politisch-soziale Gesamtstruktur und die per sönliche Unabhängigkeit ihrer einzelnen Mitglieder. Und da ist klar, daß in diesem Betracht der BundeSrat kein Oberhaus ist: denn seine Bevollmächtigten sind keine sozia len Klassenvertreter, sondern rein politische Funktionäre. Sic sind die Repräsentanten der Souveränität der Einzel staaten und als solche nicht frei, sondern gebunden an In struktionen. Das Reich besitzt also kein verfassungsmäßiges Oberhaus, sondern nur ein Repräsentantenhaus der Einzel- staatcn, das zwar in zwei wichtigen Punkten Oberhaus- stcllung einnimmt, in dem aber was Windthorst gerade ver hindert wissen wollte, „die Monarchie ohne weitere Aus gleichung, ohne Vermittlung, ohne Schutz dem VolkShauS cntgegengcstcllt wird". In diese Lücke einzutrctcn, ist nun das preußische Ab geordnetenhaus berufen, selbstverständlich nicht cio znre, aber cia kaeto, und hierin liegt zu einem Teil seine natio nale Bedeutung. Es ist im Gegensatz zum BundeSrat ein gewähltes Parlament, eine soziale Machtvcrtrctung, in der das konservative Element seit mehr denn drei Jahrzehnten eine ausschlaggebende Rolle spielt. Seine Politik ist also eine gemüßigte, gegründet auf die lebendigen Kräfte im Lande, aus die realen Mächte, in denen Wertcschüpsung und Staatserhaltung noch harmonisch miteinander verbunden sind. In der Person des preußischen Ministerpräsidenten und dcü deutschen Reichskanzlers berühren sich Preußen und das Reich unmittelbar. Daß diese Personalunion von Reichskanzlerschaft und preußischer Ministcrpräsidentenschast eine Staatsnotwendigkeil ist, beweisen die beiden vorüber gehenden Versuche ihrer personellen Trennung. Es kann nun nicht ausbleibcn, daß die konservative Politik in Preußen temperierend zurückwtrkt aus die RcichSpolitik, zu mal da Preußen nach Artikel 35 und 37 der Rcichsver- fassung in Militär-, Zoll- und Stcuersachen ein besonderes Veto bat, d. h., es kann ohne seine Zustimmung keine Acnde- rung der bestehenden Vorschriften erfolgen. Der Reichs kanzler nun ist der Stimmführer Preußens im Bundcsrat. Als solcher ist er dem preußischen Landtage verantwortlich sür sein dortiges Votum. Dasselbe gilt auch vom preu ßischen Handels-, Finanz, und KrtegSministcr. Ter preu ßische Handclsministcr z. B.. der in Zoll-, Handels- und ge werblichen Sachen für Preußen im Bundcsratc stimmt, haftet dafür dem heimischen Landtag. Will sich also der Reichskanzler seine Stellung als preußischer Ministerpräsi dent nicht unmöglich macken, io muß er in seiner Reichs politik die gebührende Rücksicht nehmen auf die preußische Volksvertretung, uornchmitch auf das Abgeordnetenhaus. Diese preußische Fessel gibt ihm dem Reichstage gegenüber zugleich «ine mächtige Stütze, ohne die das Amt des Reichs kanzler» überhqupt nickt standfest wäre. Dadurch allein ist der Kanzler imstande, den Uebcrgang der gesetzgeberischen Tätigkeit des Reichstages aus dem heutigen Eiltempo in das Automobiltempo zu verhindern, dem lcidcnschastlichcn Begehren des Radikalismus einen harten, unbeugsamen Staatswillen cntgcgcnzustellcn. Ob das immer geschieht, diese Frage wollen wir durch ihre Nichterörterung beant wortet sein lassen. Jedenfalls aber hat jeder Reichskanzler die Möglichkeit, dem gierigen Gcsctzcshunger des Reichs tages Diät vorzuschreibcn. so lange er sich auf ein konser- vatives preußisches Abgeordnetenhaus stützen kann. Das wissen natürlich Demokratie und Radikalismus ebenso gut wie wir. daher ihr unbezähmbarer Haß gegen das Di eiklasscnwahlrecht, das so geräuschlos, so unamerikanisch arbeitet, das ihr hitziges Agitationssicbcr im eigenen Blute sich verzehren läßt, und doch ein so arbeitsames, würdiges und kluges Parlament schasst. Als ob diese Erzfeinde der preußischen Verfassung die gelehrigsten Schüler Bismarcks wären, so wiederholen sic wieder und wieder als an- gcbcteten Glaubenssatz das vernichtende Wort von dem widersinnigsten und elendesten aller Wahlrechte, ohne in ihrer Unschuld zu ahnen, daß Bismarck mit diesem Urteil nur jene ehemaligen Wirkungen diese» Wahlrechts treffen worlte, die mit demokratischem Unverstand und demokratischer Verbissenheit gerade recht bezeichnet sind. Die Demokratie, die bis tn die Reihen der Nationalliberalen ihre Vertreter findet, hängt sich neuer dings im Kampfe gegen Preußens Wahlrecht ein natio nales Mäntelchen um. Man gebraucht daS taktische Mätz chen, sich als Imperialisten auszuspielen, als reine Ver treter des NeichSgedankcnS. Als unitarische Natio nalisten laufen sie Sturm gegen die verderblichen Schranken des Partikularismus, d. h. gegen die preußische Vcrfassungshohcit, gegen die preußische Fuianzhohcit usw.. um die wahre deutsche Einheit aufzurichten. Soweit Natio- nalliberalc an diesem imperialistischen Feldzuge wider Preußen und im weiteren Sinne gegen die Vismärckische ReichSvcrfassung sich beteiligen, rufen wir ihnen das Wort ihres großen Fraktionsgenosscn H. v. Snbel ins Gedächt nis: „Der Imperialismus bedeutet die Dikta tur der Demokratie". IStcnogr. Berichte über die ReichStagsvcrhandlungen, Band l, S. 429.s Wir teilen ganz die Ucberzeugung des Tübinger Staatsrechtslehrers Trie- pel, die dieser in seiner prächtigen staatsrechtlich-politischen Studie über „UnitarismuS und Föderalismus" also ausspricht: „Noch hat das Kaisertum die stärksten Wur zeln seiner Arast gerade im preußischen Staate. Den preußi schen Staat „in Deutschland ausgchen lassen" hieße heute noch so viel, wie das Kaisertum zur Ohnmacht verurteilen. Das Ergebnis würde ein parlamentarischer Zäsaris- m u s sein, der sür kein Land der Welt weniger geeignet ist als für das unsrige." Dieser parlamentarische Zäsarismus oder, um mit Sybcl zu reden, diese Diktatur der Demo kratie hat aber neben dem monarchischen Bundesrat nur noch eine mächtige Schranke: eben das aristokratische preu ßische Abgeordnetenhaus. Darin liegt, wie schon eingangs gesagt, zu einem Teil die nationale Bedeutung dieses Par laments. Und zum anderen Teil? Wir brauchen nur das Wort Polenpolitil zu nennen, um unseren Lesern die Ant wort auf diese Frage zu geben. Wessen Aufgabe ist es den», die Wacht an Weichsel und Warthe zu halten? Den stolzen Hochmcistersitz der deutschen Ordensritter in unserer Ost mark zu schützen? Die Universität Kants und Schlesiens stolze Hauptstadt, die Geburtsstadt der Befreiungskriege, vor slawischer Vernichtung zu retten? Mit anderen Worten: Wer hat die vcrantwortungöschwcrc Aufgabe, die un geheure Kulturerrungenschast der deutschen Ostmarlcn- politik von den Zeiten der Sachscnkaiser an bis herab aus BiSmarck dem Deutschtum zu erhalten? Ist das nicht allein die Aufgabe des preußischen Staates? Und mit wem soll die preußische Regierung ihre Polcnpolitik machen, wenn nach der Demokratisierung des Wahlrechts eine nltramvntan freisinnig-sozialistisch polnische Majorität im Abgevrdnetcnhausc die „ArbcitSmchrhcit" bildet? Wir haben Verständnis sür parteipolitischen Ehrgeiz, aber wir sind nicht gewissenlos genug, ihm zu Liebe unsere poli tische Vernunft und die wertvollsten nationalen Güter zum Opfer zu bringen. Preußens Polcnpolitik aber steht und fällt mit der heutigen Zusammen setzung seines konservativen Abgeordneten- Hauses. Diese Erkenntnis allein sollte genügen, um im Lager der doktrinären DreillassenwahlrechtSgegner der nationalen Vernunft zum Siege zu verhelfen. Mit einem Wort des bereit» erwähnten Staatsrcchtlers lTricpel wollen wir schließen. Air dürfen cs freimütig