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» HiI H a rrr-'i on i o 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1967/68 „Aus Böhmens Hain und Flur." Die vierte der Tondichtungen gilt abermals der Natur des Landes, doch diese Schilderung soll wie ihr Verlauf zeigt, keineswegs als ruhiges Idyll empfunden werden. Während sich in der „Moldau" die Kontraste durch die wechselnden Landschaften und Stimmungen ergaben, tritt hier stärker ein kämpferisches Moment hervor. Es steht deutlich im Gegensatz zu den lyrischen und beschaulichen Episoden. Ohne so bestimmte Hin weise, wie sie uns Smetana in der „Moldau" gab, hören wir dennoch das Rau schen des Waldes, das Wogen der Felder und auch die Tänze und Lieder des Volkes heraus. Indem aber Smetana im Schlußteil der Tondichtung die fröhliche Polkamelodie mehrmals unterbrechen läßt, ehe sie sich voll entfalten kann, will er sicherlich mehr geben, als nur „ein Erntefest oder irgendein Dorffest", wie er gelegentlich sagte. Die Unterbrechungen deuten zweifellos auf die dunklen und bösen Kräfte hin, die zur Zeit der Entstehung des Zyklus der Entfaltung einer tschechischen Nationalkultur im Wege standen. Der Polkarhythmus verkörpert dagegen die gesunden, kämpferischen Kräfte des Volkes und gibt der Über zeugung des Meisters Ausdruck, daß sich das Land eines Tages entfalten wird. „Tabor.“ Die beiden letzten Teile des Zyklus „Mein Vaterland" gehören i haltlich und musikalisch zusammen. Sie zählen wiederum zum Typ der historisc legendären Tondichtung wie schon „Vysehrad und Sarka". Die sinfonische Dich tung „Tabor" trägt ihren Namen nach der südböhmischen Stadt Tabor, dem Sam melpunkt der als Täboriten bekannt gewordenen Gruppe der Hussiten. In einer Zeit der nationalen Sammlung erkannten Smetana und seine Freunde in dem tschechischen Reformator und Volksführer Jan Hus und seinen Anhängern Vor läufer ihrer eigenen nationalen Freiheitsbewegung. Die von den Hussiten nach der Ermordung ihres Anführers auf dem Scheiterhaufen des Konzils im Jahre 1415 geführten sozial-religiösen Kriege erschienen den fortschrittlichen revolu tionären Männern des 19. Jahrhunderts als Sinnbilder der eigenen Pflichten. Deshalb legte Smetana seiner Tondichtung „Tabor" bedeutsam den Hussiten choral „Die ihr Gottes Kämpfer seid" zugrunde, weil dieser während der Hussi tenkriege eine ähnliche Bedeutung hatte, wie etwa hundert Jahre später die von Engels als „Marseillaise der Bauernkriege" bezeichnete Lutherweise „Eine feste Burg". Die ganze Tondichtung beruht auf einer sehr kunstvollen Verwen dung der Melodie des Hussitenliedes oder seiner einzelnen Motive. Sie schildert weniger bestimmte Episoden jener in Gestalt von Religionskriegen geführten politischen Auseinandersetzungen, als vielmehr allgemein die Zuversicht und Kampfentschlossenheit des tschechischen Volkes. „Blanik." Unmittelbar an „Tabor“ schließt sich der letzte Teil des Zyklus „Blanik" an. Der Berg Blanik hat in der tschechischen Volkssage eine ähnliche Bedeutung w'e in der deutschen der Kyffhäuser. In den Blanik haben sich nämlich nach ihrer Niederlage die hussitischen Kämpfer zurückgezogen, und dort schla fen sie bis zum Tage, da das Vaterland ihrer Hilfe bedarf und sie ruft. Der Kom ponist handelt deshalb folgerichtig, wenn er auch diese Tondichtung zum großen Teil aus dem musikalischen Material des Hussitenchorals gestaltet. Aber hi4| sind die Kontraste stärker und deutlicher. Ein zart lyrischer Hirtensang löst a^| kämpferische Stimmung des Anfangs ab. Er charakterisiert die Stille der Natur am Abhang des Berges, der einen so kostbaren Schatz birgt, vielleicht auch das sehnsüchtige Rufen des Volkes nach der Hilfe durch die Kämpfer der alten Zeit. Denn alsbald ertönt der Ruf des Hornes und, zunächst leise, dann immer stärker anschwellend, der Marschtritt der hussitischen Krieger. In kunstvoller kompo sitorischer Verbindung, die jener anfangs erwähnten Forderung von Richard Strauss nach dem Einfalls- und Gestaltungsvermögen auch des Komponisten von Programmusik höchste Ehre macht, verquickt Bedrich Smetana schließlich den Siegesmarsch der täboritischen Kämpfer, ihren hussitischen Choral und — als Symbol der tschechischen Nation — das stolze Hauptthema aus „Vysehrad“ zu einem erhabenen Klangbild. Sowohl in musikalischer Hinsicht als auch in ideeller Durchdringung faßt Smetana in dieser abschließenden Tondichtung den Zyklus „Mein Vaterland" zu einem Bekenntnis zur nationalen Erneuerung des tschechischen Volkes und seines Landes großartig zusammen. Prof. Dr. Richard Petzoldt uns in die alten Zeiten, aus denen uns der Meister berichten will. Natürlich ginge es zu weit, wollte man jeden einzelnen Takt, jede musikalische Wendung mittels eines konkreten Vorganges ausdeuten, also vor dem inneren Auge gewisser maßen einen Film abrollen lassen. Es genügt dem Komponisten völlig, wenn wir — um einen Hinweis Smetanas zu verwenden - „die Ereignisse um Vysehrad, den Ruhm und Glanz, die Turniere, die Kämpfe und schließlich den Verfall und die Ruinen" in seinen Tonbildern mitempfinden. In musikalischer Hinsicht ist es angebracht, sich die festumrissenen Motive gerade dieses Werkes gut zu merken, weil beispielsweise das Vysehrad-Motiv auch noch in anderen Teilen des Zyklus als Symbol für das tschechische Volk, seine alte Größe und seine vom Meister erhoffte, aber nicht mehr erlebte Erneuerung erscheint. „Die Moldau." Der zweite Teil des Zyklus „Mein Vaterland" gehört zu den volkstümlichsten Werken der musikalischen Weltliteratur und wird sehr häufig auch selbständig aufgeführt. Galt der Inhalt von „Vysehrad" vorwiegend der Nationalgeschichte, so singt Smetana in der Tondichtung „Die Moldau" das ked der schönen tschechischen Landschaft. Wir folgen dem Lauf des Moldau- Fjsses von seinen Quellen im Böhmerwalde bis zu seiner Einmündung in die Elbe. Mit einem gleichsam quirlenden und spritzenden Motiv malt der Kompo nist zu Anfang das hurtig zu Tal eilende Bächlein, aus dem nach und nach ein Fluß wird. Eine volksliedhafte Weise symbolisiert ihn, bis dann noch andere musikalische Bilder hinzutreten : Fanfaren kennzeichnen eine Jagd, die in den dich ten Wäldern längs des Stromes stattfindet; der Rhythmus des tschechischen Na tionaltanzes Polka lenkt unsere Phantasie auf ein Dorf, wo vielleicht eine fröhliche Hochzeit gefeiert wird; eine geheimnisvoll stille Nachtmusik läßt Nixen aus dem mitternächtlichen Strom auftauchen; leise Marschrhythmen mögen an die Ritter auf ihren Burgen erinnern, zu deren Füßen die Moldau dahinrauscht; Strom schnellen lassen das Wasser gischtig spritzen und sprudeln. Endlich kommt Prag in Sicht. Das uns bereits aus der ersten Tondichtung bekannte majestätische Motiv des Vysehrad versinnbildlicht die Begegnung von Strom und Königsburg, bis schließlich die Moldau mit leisem Wellenschlag sich allmählich unseren Blicken entzieht und in der Ferne verschwindet. Doch zwei starke Schläge des Orchesters reißen uns aus unseren Träumen und führen uns in die Gegenwart zurück. „Sark a." Als einzige der sechs Tondichtungen schildert der dritte Teil des Zyklus, „Sarka", ein ausgesprochen dramatisches Geschehen, und es sei erwähnt, daß die Heldin des Werkes auch zur Titelfigur mehrerer Bühnenwerke tschechischer Künstler geworden ist, darunter einer Oper von Jandcek. In der sagenhaften Ge stalt der Sarka, die mit der griechischen Amazonenkönigin Penthesilea verwandt zu sein scheint, lebt noch ein Anklang an die mütterliche Gesellschaftsordnung alter Völker, deren Ablösung durch die Vorherrschaft der Männer in Sarka den Willen zur Rache am gesamten Männergeschlecht keimen läßt (eine etwas ver äußerlichte Erklärung ihres grausigen Tuns ist die verschmähte Liebe). Eine Fiegerische, wilde Musik charakterisiert zu Beginn der Tondichtung den stolzen, ungestümen Charakter der Sarka und ihres Amazonenheeres. Nur in kurzen Augenblicken treten gefühlsinnigere Wendungen auf. Verhaltene Marschrhythmen versinnbildlichen das unter Führung des Recken Ctirad heranrückende Heer der Männer. Sarka beschließt, es nicht in offener Feldschlacht, sondern durch List zu vernichten. Sie läßt sich von ihren Gefährtinnen an einen Baum fesseln, und Ctirad verfällt in der Tat ihrem vom Komponisten durch eine klagende Klarinet tenmelodie dargestellten Flehen um Hilfe. Er befreit sie, und eine von Smetana mit verschwenderischem Klangzauber ausgestattete innige Liebeszene deutet auf das Gelingen von Sarkas heimtückischem Plan. Die ahnungslos und trunken gemachten Mannen des Ctirad beginnen einen täppischen Tanz, bis sie in Schlaf versinken. In einem Anflug von witzigem musikalischen Naturalismus läßt sie der Komponist in tiefen Tönen schnarchen, während Sarkas Horn ihre Gefährtinnen herbeilockt. Sie verdrängt ein kurz aufwallendes Gefühl echter Liebe zu Ctirad, und im tosenden Sturm schildert das Orchester die Mordgier des Amazonenheeres, dem die Männer bis zum letzten zum Opfer fallen.