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MKdmfferHWblM Nr. 130 — 1923 — 82 Jahrgang Dienstag / Mittwoch 6. / 7 November „Lusammrnbrueh Der Austritt Her Sozialdemokraten wird von der ge samten Presse -als eine unausbleibliche Folge der letzten Ereig nisse gekennzeichnet. Wie der Reichskanzler die Fortführung Her Rei-chsgeschWe mit der sogenannten „Kleinen Koalition" zu handhaben gedenkt, müssen 'die nächsten Tage zeigen. Einige Pressestimmen zur Beleuchtung der Lage mögen hier Platz finden. Nur Offiziere ohne Soldaten! Die „Kr euz - Z eitun g" : Für uns ist das Ausscheiden -der Sozialdemokraten nicht nur ein Erfolg unseres Kampfes gegen das Dogma, man könne nur mit der Sozialdemokrati-e regieren, sondern wir betrachten es gleichzeitig -als ein Zeichen für den allgemeinen Zusammenbruch des Marxismus. Wir haben ost genug ausgeführt, daß die sozialdemokratischen Mi nister nur noch Offiziere ohne Soldaten sind. Die Sozialdemv- köatie hat aus diesem Grunde jegliches Recht verwirkt, noch weiter maßgehenden Einfluß aus die Regierung auszuüben. Augiasstall deutscher Mißwirtschaft! Die „Deutsche Tageszeitu -n g": Es ist allerhöchste Zeit, mit einer Politik Schluß zu machen, die bei weiterer Fort setzung das deutsche Reich und Volk in den Abgrund führen mußte, mit einer Politik, die auch- dort, wo man auf richtigen Wegen zu gehen! suchte, allenfalls Halbheiten zeitigen, aber nicht die schweren siebet, an denen unser Volk kraust, an der Wurzel fasten konnte. Es müssen neue Wege gesucht werden, um den Augiasstall deutscher Mißwirtschaft auszuräumen. Diese Wege, betont das Blatt, könne nur eine Regierung finden und gehen, die das Bewußtsein habe, daß die stärksten und dosten Kräfte 'des deutschen Volkes hinter ihr stehen. Niemand darf beiseite stehen! „Berliner Lokal-Anzeiger": Die Antwort, mit der Stresemann die unglaublichen Forderungen der Sozialdemo kraten zurückgewiesen habe, habe an Deutlichkeit nichts zu wün schen übrig gelassen.' Sie müsse sür immer den Wahn zerstören, daß mit der Sozialdemokratie eine wahre KoaWonspdsitik ge- des Marxismus." trieben werden könne. Es gelte jetzt, Volk und Vaterland in -der schwersten Not, die sich denken lasse, zu retten. Setzt dürfe niemand beiseite stehen, und niemand dürfe, nachdem das sozialdemokratische Hindernis endlich beseitigt sei, von der vater ländischen Arbeitsgemeinschaft, die wir brauchten, noch ferner hin ausgeschlossen werden. „.. diese veraltete und zerfallene Partei.. „Deutsche Allgemeine Zeitung": Nach außen war keine entschlossene Haltung, nach innen keine Beruhigung der starken Schichten der Rechten und kein Ausgleich mit Bayern möglich, so lange die Sozialdemokratie einen bestim menden Einfluß auf die Entschlüsse des Reichskabinetts aus- übte. Die unfruchtbaren und beunruhigenden Bemühungen, immer wieder zu einem Kompromiß mit dieser veralteten und zerfallenden Partei zu kommen, würden, wenn sie nicht jetzt gescheitert wären, in Kürze gescheitert seim Das Blatt begrün det dann die Notwendigkeit von Neuwahlen, die zur Klärung der innerpolitischen Lage wesentlich beitragen würden. „Ein Flügel zerrt hierhin, der andere dorthin!" Das „Berliner Tageblatt" weist auf die inneren Unstimmigkeiten in -der Sozialdemokratie hin. Seit diese Partei die Unabhängigen und Neukommunisten in ihr Lager ausge nommen habe, sei von einer homogenen Politik nicht mehr die Rede gewesen. Der eine Flügel zerrte hierhin, der andere da-, hin, und wenn die Linke der Partei, wie jetzt auch noch, die Masse mobil mache, gebe die Rechte glatt nach. Die Sozial demokratie habe sich jetzt zwischen zwei Stühle gesetzt. Starkes Anwachsen der Reaktion prophezeit der Berliner „V orwärt s", -das Hauptorgan der Sozialdemokratischen Partei, der die Dinge an der Quelle sieht. Er erklärt das Ausscheiden der Sozialdemokraten für einen Sieg Kahrs über das Reich. Innerhalb des Reiches sei jetzt mit einem starken Anwachsen der Reaktion zu rechnen. „MßeroraenM... r" Einer bayrischen Zeitung entnehmen wir die nachstehende Betrachtung, die sie über den Begriff „Staatskommissa-r" oder „Diktator" anstellt. Daß es sich bei einer bayrischen Zeitung um Herrn Dr. von Kahr, den bayrischen Staatskommissar, handelt, hat nichts zu sagen. Die Begriffe bleiben. Wer -imstande ist, sich die Person hinwegzudenken, wer sich das Außerordentliche der gegenwärtigen Zeit vor Augen hält, wer das Sachliche als den rechten Kern herauszuschälen vermag, dem werden die Be griffe „Staatskommissar" -oder -auch „Diktator" auch nicht mehr als Kinderschreck erscheinen. Ein Diktator hat sich zu betrachten als die sta-atspolitisch maßgebende Persönlichkeit, die, Kraft dem Verlangen eines Volkes nach entschlossenem Handeln, dem Ver langen nach einem Mann, der volles Vertrauen sindet und es zu rechtfertigen weiß, sich zur Tat berufen fühlt. Zu der Tat, die erforderlich, -die Leiden eines Volkes abzuwenden und es einer besseren Zukunft entgegenzuführen. Die Hemmungen, auf die solche Tat stößt, erweisen sich zunächst als solche, die dem Allgemeinwohl entgegenlaufenden Sonderintereffen ent springen. Ihre Urheber -als Leute, denen das Fischen- im Trüben Vorteile bietet und die um diese Vorteile bangen. —»Die Zeitung schreibt: Ein Diktator nimmt sich das Recht, das er zum Handeln braucht, und sein Recht wächst mit seiner Macht, die er aus dem Erfolg gewinnt und durch die Tat selbst erweitert. Er ist Schützer und Führer zugleich, aber nur sür 'die Ge samtheit, nie sür den Einzelnen. 'Er kennt kein wohlerworbenes Recht, als das der Nützlichkeit für den Staat und der Not wendigkeit sür das Leben -der Nation. Jenes Recht aber, mit -dem ein Diktator bei seiner Wahl ausgestattet wird, ist nur die Abteilung seiner Legitimität und der seines Amtes auf dem bis zu seinem Amtsantritt herrschen den Rechtszustand. Die Gesetzesparagraphen der ihn in sein hohes Amt ein setzenden Regierungsverordnung sind nur der Rechtsschutz für Lie Erwähler des Diktators, nicht aber die Begrenzung seiner Machtbefugnis. Diese bestehenden Paragraphen sind ja auch nur Eventual bestimmungen in der Verfassung, um für außerordentliche Zeiten den Willen und die Tatkraft eines Einzelnen über die normale Rechtsordnung zu stellen, sie sind aber nicht das Amtsstatut für einen Gen-eralstaatskommissar, wie wir ihn sonst brauchen; sonst würde -dieses Amt ja nicht nur -eine vorübergehende Staats- -einr-ichtung sein. Denn in Wirklichkeit wird ja der Diktator, um Lessen Wissen und Gewissens willen die Verfassung suspendiert wird, ja nicht berufen, weil das Gesetz es verlangt, sondern weil die normale Rechtsordnung aufgehoben werden muß, weil die verfassungsmäßige Regierung mit ihrem Latein zu Ende ist. Sonst ist man Oberstwachtmeister und nicht die staats- p-okstisch nunmehr allein maßgebende Persönlichkeit. An diese Wesenseigentümlichkeiten einer Diktatur muß jetzt nachdrücklich erinnert werden; weil nämlich das bayrische -Ge- samtstaatsministerium und die Herren Parteiführer sich ein- bilden, daß das Generalstaatskommissariat ein Ofenschirm sei und der Herr von Kahr -ihr diensthabender Schutzmann, damit sie ungestört ihr unfruchtbares und rühmloses, -aber fest besoldetes Dasein fortsetzen können. Sv, wie die Berufung des Herrn vbn Kahr Boyern vor innerer Erschütterung bewahrt hat, so kann er die Ordnung im Staate Bayern nur aufrecht erhalten, wenn er kraft des Wesens seines Amtes und kraft des Vertrauens der Nation in ihn sich zum Zwingherrn des Staatsapparates macht. In diesen Zeiten der Volks- und Staatsnot gibt es keine Wohlerworbenen Rechte als Sta-atshämeroidarius, als Beamter der soundsovielten Rangklasse mit -oder ohne Titel und Rang, als Parlamentsintrigant, -als politischer Händler usw. In solchen Zeiten ist die Politik weniger denn je ein pensivnsberechtigtes Festbesoldetengewerbe. Ein Generalstaatskommissariat ist ein Amt in außerordent lichen Zeiten und der Inhaber -dieses Amtes muß ein außer ordentlicher Mann mit außerordentlichen Rechten sein, weil wir außer die Ordnung geraten sind, in die er uns zurückführen soll. Ein solches Amt kann nur einmal -durch eine sich selbst be- 'heidende Staatsregierung eingesetzt werden. Weine Altung liir eilige Leset. * Die drei sozialistischen Reichsminister sind aus dem Kabi nett Stresemann ausgetreten, womit Ler Bruch der Großen Koalition vollzogen ist. * Die Reichsrcgierung hat beschlossen, Lie Papiermark in bestimmtes Verhältnis zu der Goldanleihe zu bringen "ad sie zu bestimmtem Termin einzulösen. , * Eine Verordnung der Reichsregierung setzt einen Ein- ^ttskurs sür Goldanleihe fest und verbietet andere Kursbe- '"essungen im Verkehr. * Vom 5. November an werben Lie seit Lem 1. November Wtigen Telegraphen- und Fernsprechgebühren verfünffacht, «".em Telegramm werden 12 Milliarden Grundgebühr und ^--ulliardcn Wortgebühr, für ein Ortsgespräch 7>6 Milliarden '«rk erhoben. Amtsgericht Dresden ist gegen den bisherigen kom- djyKüischen Ministerialdirektor BranLler Haftbefehl erlassen Wer Ms für M'emM. Einlösung gegen Goldarrleihe. Der erschreckende Währungsverfall der letzten Woch« hat die Regierung zu Maßregeln veranlaßt, in denen man wahrscheinlich nicht ein Ende unserer Sorgen und Be» zrängnisse, wohl aber einen Schritt zur Ordnung der zum vilden Chaos ausgearteten Verhältnisse erblicken darf. Von Wichtigkeit ist dabei die Anordnung, daß die nsher von Tag zu Tag im Wert schwankende Papierma-r! in ein festes Verhältnis zur Goldmark, die sich in der deut- chen Goldanleche darstellt, gelenkt wird. Mit änderet, Worten, die Papicrmark wird wertbeständig. Eine Gold- nark hat so und so viele Papiermark und wird zu diesem siurs von den Reichskassen und öffentlichen Zahlstellen ungelöst. Die Ankündigung lautet: Das Reichskabinett hat beschlossen, die Papiermark in eine feste Relation zu sen wertbeständigen Zahlungsmitteln zu bringen, zu der -ie zu einem bestimmten Termin eingelöst wird. Von den wertbeständigen Zahlungsmitteln ist dazu die Goldanleihe in Aussicht genommen, über die Höhe der Relation und ne näheren Einzelheiten steht im Augenblick Endgültiges -roch nicht fest. Jedoch steht ein endgültiger Beschluß un mittelbar bevor. Das bedeutet gleichzeitig das Ende der Inflation, der Überschwemmung mit Papiermark, da diese Inflation ja richt mehr notwendig ist in dem Augenblick, wo man nrit dem wertbeständigen Zahlungsmittel, also der Goldmark, und ihren bestimmten Teilbeträgen in Papiermark, allen Wertanstausch im Handel und Verkehr, wie bei Lohn-, Gehalts- und sonstigen Zahlungen vornehmen kann. Wir würden dann in die Zeit der Devalvation, d-er Einziehung der Papiermarkmassen mittels Einlösens gegen andere feste Zahlungsmittel, eintreten. Der Notendruck würde, da Scheidemünze ja auch durch die Nentenbank zu er warten ist, überflüssig werden. EinHsitswert der Gowanleihe. Schon vor dieser Ankündigung wurde eine Änderung der Devisengesetzaebung bekannt, die der eingerissenen Spekulation mit der Goldanleihe einen Damm entgegen wirft insofern, als ein Zivanaskurs für die Goldanleihe festgesetzt und anderer Handel damit nicht zugelassen wird. Die Verordnung lautet: Die Einheitsverordnung wird auf den Handel mit wertbeständiger Anleihe des Deutschen Reiches (Goldan- leihr) ausgedehnt. In der Verordnung ist bestimmt, daß Goldanleihe bei Warenlieferungen nur zürn amtlichen Kurs angenommen und hingegeben werden darf. Bei Preisstellung in Goldmark kann auch Annahme und Hin- gabe zum Nennwert erfolgen. An diese Hauptbcsiimmnng schließen sich noch zwei weitere Verfügungen, die Änderungen der Deviseuver- fügungeu bringen. Sie lauten: In Verfolg der Bestrebungen, unwirtschaftliche Ausgaben und Hemmnisse zu beseitigen, -wird ein« Reihe Melde pflichten ausgehoben. Wenn Las Finanzamt den Er werb ausländischer Zahlungsmittel genehmigt hat, und bei allen kleinen Beträgen fällt die Meldung an den Kommissar für Devisensrfassung fort. Entsprechend wird die wöchentliche Meldung Ler Devisenbanken beschränkt. Firmen, die regel mäßig Devisen erwerben und abgeben, brauchen kein beson deres Devisenbuch mehr zu führen. Auch fällt die wöchentliche Meldepflicht fort. Es genügt, daß die Buchführung ordnungs mäßig ist und Abschriften dem Kommissar sür Devisenerfassung auf AnforLern jederzeit erteilt werden können. Bis zum 30. November ist ferner Lie Annahme ausländischer Zahlungsmittel im Warenverkehr zugelassen. Ver boten bleibt, solche Zahluirg zu fordern oder solche Zahlungs mittel zur Beschaffung der Waren zu erwerben. Endlich ist das Verbot der Preisstellung in Goldmark auch sür Len Ein zelhandel beseitigt. An der Verpflichtung für alle Wirt- schastskreise, die Papiermark nach wie vor in Zahlung zu nehmen, ändern Liese Erleichterungen nichts. Die Reichsregie- rung wird Lie Annahme Ler Papiermark als Zahlungsmittel, wenn cs sein muß, auch mit den schärfsten Mitteln durchsetzen. Unter Aushebung der geltenden Verordnungen über Aus - fuhrdcviscn werden neue Bestimmungen bekanntgemacht. In Zukunft müssen Lie 30 Les Ausfuhrgegenwertes spä testens innerhalb von drei Monaten, bei übcrseegeschä'ten innerhalb von sechs Monaten abgeliefert werden, soweit nicht der Reichswirtschaftsminister Ausnahmen zuläßt. Stresemann gegen polinäres MMe. Folgen fr an zö fisch er Maßnahmen. In einer Unterredung mit dem Berliner Vertreter der „Times" äußerte sich Reichskanzler Dr. Stresemann gegen die Angriffe PoincarSs auf Deutschland in seiner Rede zu Nevers. Besonders wird die immer wieder hervorge holte Legende von dem „betrügerische Bankrott" Deutsch lands zurückgewiesen. Der Kanzler sagte u. a.: Die schweren wirtschaftlichen und politischen Krisen in Deutschland sind nicht eine Folge deutschen Verhaltens oder falscher Maß nahmen der.Reichsregierung, sondern lediglich das Ergebnis der von der französischen Negierung gegen uns angewende^ ten Methoden. Läßt nran uns im Ruhrgebiet und im Rhein land arbeiten, zwingt man unseren Landsleuten gegen ihren ausdrücklich unzählige Male feierlich verkündeten Willen nicht eine separatistische Bewegung auf, deren Führer auch von Ihrem Blatte als das größte Gesindel der Gegenwart gekennzeichnet worden sind, regelt man die Re parationsbedingungen so, daß Deutschland sie tragen kann, dann werden auch die Erschütterungen verschwinden, durch die jetzt die Existenz Deutschlands bedroht ist.