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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.05.1912
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120529017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912052901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912052901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-29
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
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Arklemen Ml linlerat, non Behörden im ärm liche» Teil di» BettUerl» 5<> P>. ch»lchän»aa»«>g»n mir PlagvarlchrMe» un Breil, erhöht. Aada« »ach larit Netlngegebüd, Gvamt» autlag» b Ml. ». Laulend ritl- voftaedühr. Teildetlag, Haber Festerieilt» Aalt rüg» lönnen »ich« znrück- aeiogen werden <ju, da» Lrlchetn<n an veiniamte» Tagen uns Plähen wird keine Garantie übernommen llnzeigrn»«nnayin» A»d,«m»,«g, 8, dei iämtliche» Filialen u. aüen Unnancen- Erpedttidnea d«. In» and A»»lande». Treck ,»» Beria» »»» Filchee G lvirtz», Inhaber: V»M Xilelte». NedaNw» a»d ckleschäft»»»»«: I»k>anni»oabe U pa»»i»Kiliat» Der»»«»: Seeüraäe «. l lTeleodon «S2ll. Nr. 26S l2S. Zsyrysng Mittwoch, üen 29. Msi 1912. Unsere gestrige Abendausgabe umfaßt 10 Seiten, die vorliegende Morgeanummer 18 Seite», zusammen 26 Seiten. vss Wichtigste. * Die Italiener haben die Stadt Coeffia an der tripolitanischen Küste beschossen. (S. des. Art. S. 2.) * Bei dem Brande eines spanischen Kine rn at o graph ent h ea ters sind 80 Personen umgesonnnen. (S. Tageschr. S. 3.) ' Ein Erdbeben hat am Sonnabend in Rumänien stattgefunden. (S. Tageschr. S. 3.) * Im Großen Berliner Jagd-Ren nen siegte Hrrr. v. Mumms Trianon unter D. O'Connor. — Im Großen Preis von Magdeburg siegte die Graditzerin Flagge unter F. Bullock. (S. Sport S. 8.) * Theateranzeigen siehe Seite 16. Allerlei Rauh. —r>. Konjekturalpolitiker und wirkliche Po litiker haben in den letzten Tagen einen weiten Mantel von Pelz und Rauhwerk zusammenge setzt, zu dem, wie in Grimms Märchen, mancherlei Tier ein Stück von seiner Haut hergebcn mußte. Prüft man das vielfarbige Kürschnerstück, so be merkt man fast erschrocken, wieviel Dinge und Fragen, die uns ans Herz greifen, es auf der Welt gibt. Wenn das deutsche Volk vor dem Feuer einer internationalen Konferenz Scheu hätte, wäre das nicht vewunderrlich, denn wir sind wirklich „ein gebranntes Kind". Noch schmer zen die Wunden, die die Algeeiraskonserenz ein gebrannt. Das Ergebnis war unbefriedigend, wenn man auch nicht in die hämischen, schaden frohen Angriffe einzustimmen braucht, die gegen den Fürsten Bülow um Algeciras willen gerichtet wurden; Schadenfreude ist nicht die richtige Er zieherin zur tätigen Anteilnahme des Volkes an seinen Geschicken; der Erfolg entscheidet, ge wiß, aber er entscheidet nur im großen, nicht im einzelnen: die Beste Ilion sank dahin, sic mußte sinken, aber deshalb war Hektor weder ein Schwächling noch ein Dummkopf. Auch eine andere europäische Konferenz hat uns Unfreude gebracht, der kurze, aber bedeutsame Berliner Kongreß von 1878, der den russisch-türkischen Krieg abschloß. Bismarck selbst führte den Vor sitz; nur ein ehrlicher Makler wollte er sein, namentlich gegen Rußland empfand und betätigte er die freundschaftlichste Gesinnung, und dennoch konnte er nicht verhindern, daß gerade Rußlands Politiker einen wilden Grimm auf Deutschland faßten und sich Deutschlands Feinden in die Arme warfen. Deutsck)e Art mag nun einmal nicht ge eignet sein, die Fäden listig zu weben und zu ver knüpfen, wie es auf den großen, politischen Kon gressen erforderlich ist. Aber auch andern Ländern ist cs unheimlich, ihr Schicksal in die Hand einer vielköpfigen Ver sammlung zu geben, in der wirkliche Freunde nur die immer in der Minderl-eit befindlichen Ver treter des eigenen Landes sind. So ertönen denn aus der italienischen Presse leidenschaftliche Pro teste gegen den Plan, die Vollendung des Werkes, das Italiens Heer und Flotte begonnen, einer internationalen Trivoliskonferenz anzuvertranen. Es ist der Argwohn, den Blücher vor den Feder fuchsern empfand. Ein Italien, dessen Brust vom Gefühl des Sieges geschwellt ist, braucht keine Konferenz. Nach italienischer Auffassung ist Tri polis italienisch, schon seit Monaten; wozu noch eine Konferenz bemühen? Ta auch aus Wien, Pe tersburg, Paris und London gemeldet wird, der Gedanke zur Beilegung der italienisch-türkischen Differenzen eine Konferenz zu berufen, sei den Mächten amtlich nicht unterbreitet worden, so scheint der Gedanke einstweilen tot zu sein. In London herrschte gar großes „Erstaunen" über die Gerüchte, aus Petersburg meldete der offi ziöse Draht, Rußland beabsichtige nicht, eine der artige Initiative zu ergreifen. Trotzdem kann der Gedanke wieoer anfleben. Es mag in Frankreich Leure geben, die sich schon darauf freuten, wie 1856 nach dem Krimtricge, wieder einmal einen „Pariser Frieden" zu stiften, und sich die Tage der eigenen Herrschaft durch eine große inter ¬ nationale Veranstaltung zu verlängern. Auch in Italien kann die Stimmung umschlagerr. Aus Marokko kommen fortgesetzt Nach richten, die die Herzen der Deutschen wohl be wegen können. Auch aus „unserem" Marokko, aus dem Susgebiet. Wir nähern uns langsam demIahrestage der Entsendung des „Panther"; was wäre geschehen, wenn aus Tarudant die Nachricht von der Einschließung ztveier Deutscher gekommen wäre, solange „Panther" und „Berlin" vor Agadir lagen? Damals — so nehmen wir an — Ausbootung der Mannschaften und im Eilmarsch vorwärts! Heute „Vorstellungen" des deutschen Gesandten in Tanger beim französi schen Geschäftsträger, danebenher Vorstellungen direkt von Berlin nach Paris! Bleibe man uns fern mit dem philiströsen Argument, die Ereig nisse zeigten, wieviel Marokko dem Eroberer zu schaffen mache; das möge man den Leuten sagen, die immer nur Erfolge ohne Kämpfe und Siege ohne Blutopfer wollen. Marokko war entweder nach kühler Berechnung der internationalen Lage möglich, dann durften uns die Schwierigkeiten in Marokko selbst nicht abhalten, wir konnten auch hoffen, sie durch das hohe Maß von Wohlwollen und Liebe, das man bei uns den braunen Söhnen jenes Sonnenlandes entgegcnbringt, leichter zu überwinden alS Frankreich. Oder Marokko war unmöglich, dann war der Verzicht darauf für uns, was die Zurückziehung der preußischen Besatzung aus Luxemburg im Jahre 1867 war. Genug: Frankreich, dessen Frauen keine Kinder haben wollen, breitet sich im Scherifenreiche aus, und die kinderreiche Mutter Germania muß sich be scheiden. Die deutsche Regierung hat mit strenger Folgerichtigkeit und großem Nachdruck sich immer gegen die Behauptung gewendet, sie sei durch das Dazwischentreten Englands von der Verfolgung marokkanischer Pläne abgehalten worden. Die Regierung wird wissen, warum sie das getan, und man muß ihre Absicht ehren. Das Denken des Volkes gehorcht anderen Gesetzen. Das Volkshirn hat richtig erfaßt, daß Sir Edward Grey sich seinerseits marokkanischen Plänen der deutschen Regierung — angenommen, sie hätten bestan den — widersetzen wollte, fa sogar bescheidene Wünsche nach Französisch-Kongo däinpfcn zu müssen glaubte. Das hält die Volksseele fest und man kann ermessen, was es da bedeutet, den Ver trauensmann des englischen Volkes, Lord Hal- dane, im eigenen Lande zu wissen. Er wird angekündigt im Schwarzwald; statt dessen taucht er auf in Göttingen und im Harz. Man nennt ihn einen Freund Deutschlands; wir haben keinen Anlaß, einen solchen zu mißachten oder einem Gaste den Aufenthalt bei uns zu verleiden. Aber man kann kaum sagen, daß sich Hoffnungen an seinen Aufenthalt knüpfen. Mag er nun mit deut schen amtlichen Persönlichkeiten diesmal wieder in Fühlung treten oder nicht, auf deutscher Seite erkennt man die Möglichkeit eines besseren Ver hältnisses zu England unumwunden an, man wünscht jetzt aber Ergebnisse und wird dann daran gerne Hoffnungen knüpfen. Die umge kehrte Reihenfolge wäre nicht angebracht. Oie üeutsch-englllche verltänüigung unü üie Politik Slsmsrcks. Von L. Raschdau, Kaiser!. Gesandter z. D. Dem aufmerksamen Beobachter kann es nicht ent gehen, daß vielfach gerade in Kreisen, deren vater ländische Gesinnung keinem Zweifel unterliegen kann, die Abneigung gegen eine Verständigung mit unseren angelsächsischen Vettern am stärksten auftritt. Ge legentlich haben diese Gegner den Grund ihrer Ab neigung offen ausgesprochen; sie meinen, da» bei einem dahinziclenden Abkommen die deutschen Inter esten Gefahr laufen. Mit anderen Worten: sie setzen Mißtrauen in die Geschicklichkeit unserer Diplomatie. Nun sollte man aber nach der günstigen Aufnahme, die die Ernennung einer so allgemein geschätzten Kraft wie des bisherigen Botschafters in Konstantinopel zu unserem Vertreter in London gesunden hat, schließen dürfen, daß die Besorgnis, wir müßten bei diplomati schen Verhandlungen den kürzeren ziehen, nicht mehr berechtigt sei. Und in der Tat wäre in hohem Matze zu wünschen, daß nach dieser Richtung die öffentliche Meinung sich beruhigt. Denn ohne Zweifel ist die Frage, wie wir zu einer Verständigung mit England gelangen können, zurzeit die bei weitem wichtigste unserer auswärtigen Tätigkeit. Wir können das um so williger zugeben, als auf englischer Seite die gleiche Kiesinnung bekannt wird. Eine gewisse Beruhigung ist in den letzten Monaten bereits eingetreten. Auch die Rüstungsfragc bietet nicht mehr die früheren Ge fahren, und die Meinung, daß die Herstellung guter Beziehungen nicht abhängig sei von einer vorlicrigen Festlegung der Rüstungen, die kaum zu überwindende Schwierigkeiten bietet, hat in den letzten Monaten an Kraft gewonnen. In beiden Völkern beginnt man einzusehcn. daß di- bisherige Verstimmung die Aktionskraft der beiden Großmächte in ihren so un endlich zahlreichen Betätigungen notwendig unter bindet, und daß ihre Kräfte mit dem Augenblick frei werden, wo das gegenseitige Mißtrauen verschwindet. Daß eine solche Möglichkeit freier Betätigung dem gegenwärtigen Druck unendlich vorzuziehen ist, wird auch der schlimmste Britenfeind nicht bestreiten können. Mit Recht ist hierbei auf die Bismarcksche Politik ver wiesen worden. So hat vor kurzem ein großes eng lisches Blatt, der „Daily Telegraph", «inen Artikel seines Wiener Vertreters über die deutsch-englischen Beziehungen gebracht, besten Ursprung man in der britischen Botschaft vermutet. Iedensalls verdient sein Inhalt, wenn auch nicht durchweg zutreffend, Be achtung. Darin wird in Erinnerung gebracht, daß Deutschland auch unter Bismarck wiederholt versucht habe, zu einem festen Einvernehmen mit England zu gelangen. Diese Tatsache ist unzweifelhaft richtig, und den Politikern, die unser« diplomatische Vergangenheit kennen, nicht unbekannt. Man muß aber bei der Bismar rischen Politik einen Unterschied machen zwischen der Zeit vor und nach unserer kolo nialen Betätigung. Vor dieser Zeit, also etwa bis 1884, hat Fürst Bismarck öfter dem Wunsch Ausdruck gegeben, mit England in noch engere Beziehungen zu treten, als die eines bloßen freundschaftlichen Ver hältnisses. das ihm stets am Herzen gelegen hat. Die tiefe Verstimmung, die zwischen dem Kanzler und dem Fürsten Gortschakow Platz gegriffen hatte, seitdem letzterer plötzlich mit der Gloriole als Protektor Frank reichs nach dem berühmten „Krieg-in-Sicht"-Artikel in Berlin aufgetreten war, und die Besorgnis des Kanzlers, daß Rußland eine Deutschland feindliche Richtung steuere, haben ihm den Entschluß nahe gelegt, England mit hineinzuziehen in das BündnlS- lystem, das er zur Sicheruung des europäischen Frie dens für notwendig hielt. Oesterreich-Ungarn wurde zunächst gewonnen. Als dann Italien hinzutrat, be stand iür den Fürsten kein Zweifel, day dessen Hal tung stark beeinflußt würde durch das Verhältnis, in dem Deutschland zu England stehe. So richtig auch der Fürst Len rückstcistslchen Egoismus Englands ein schätzte, und so scharf er sich darüber gelegentlich äußerte, so hoch bewertete er doch das Inrereste, das Deutschland an guten Beziehungen mit England habe. Das hinderte ihn freilich nicht, England fühlen zu lasten, Laß es ohne das Wohlwollen Deutschlands in der großen Politik nicht weiter komme. Ich er innere an den Berliner Kongreß, an die ägyptische und an die Kongofragc. Hervorragende englische Staatsmänner haben wiederholt dazu gera'cn, sich zu der Neigung Bismarcks, in engere Beziehungen zu England zu treten, nicht ablehneird zu verhalten. Unter anderen hat der bekannte englische Botschafter Lord Odo Rüssel (Ampthills feine Negierung in die sem Sinne immer wieder bearbeitet, aber über aka demische Erörterungen scheint man in London nicht herausgekommen zu sein. Als dann Deutschland den Weg der Kelonialpolitik betrat, ist das Verhältnis mit England zeitweilig schwieriger geworden, und es bedurfte wiederholter besonderer Missionen nach London, um die Beziehungen wieder zu ihrer früheren Wärme zu bringen. Wenn nun aber jetzt jenes eng lische Blatt versichert, daß Bismarck am 22. Novem ber 1887 an den Premierminister Lord Salisbury einen Privatbricf geschrieben habe, in dem er vor schlug, England solle als Mitglied in den Dreibund eintreten, so wird man doch gut tun, diese Mitteilung, so bestimmt sie in den Daten auftritt, mit Vorbehalt aufzunehmen, und man wird den Wunsch aussprechen müssen, den Wortlaut dicics Privatscbrcibens zu kennen. Es lag nicht in der Art des Kanzlers, einen solchen Plan auf diesem Wege einzulciten und sich so der Möglichkeit einer Ablehnung auszusctzen, nach dem die früheren Bemühungen nicht geeignet waren, ihn auf diesem Wege zu ermuntern. Dabei mag man sich erinnern, daß zwar das Jahr 1887 sich be sonders kriegerisch astlicß — Dank der Episode Bou- langer —, daß aber gerade kurz vor dem Datum jenes Brieses, dem 18. November, die berühmt« Un terhaltung stattfand, in der Fürst Bismarck dem Zaren die Fälschung gewisser diplomatischer Akten stücke nachwies. Daß in unmittelbarem Anschluß an diese den Frieden sichernde Aufklärung der Kanzler das Bedürfnis gefühlt haben sollte, jene Aufforde rung nach England zu senden, bedarf daher der Be stätigung. Wie es sich aber auch mit jenem Privat- brief verhalten möge, soviel läßt sich mit Bestimmt heit versichern, Latz Fürst Bismarck auch nach der Zeit der kolonialen Verstimmungen bis ans Ende seiner Gcschäftsleituna das Bestreben gezeigt hat. mit England erträgliche Beziehungen zu schaffen. Dafür liegen mannigfaltige Beweise vor. und gerade die jenigen, die auf die Worte unseres größten Meisters unserer auswärtigen Politik schwören, sollten nicht grundsätzlich einer Verständigung Schwierigkeiten machen. Unser,- öffentliche Meinung hat ein gutes Recht, darum besorgt zu sein, oaß wir an unserem Anspruch auf Gleichberechtigung in der sogenannten Weltpolitrk nicht rühren lassen. Läßt sich dieser Anspruch aber vereinbaren mit der Herstellung eines vertrauensvollen Verhält nistes zu England, so würden wir gegen unsere In teressen handeln, wenn wir uns zu einer r-in ab lehnenden Haltung ocrintcilcn wollten. Wir sind heute so stark, Laß auch England das größte In teresse hat, mit uns auf freundschaftlichem Fuße zu leben. Diese Stärke aber sollte für uns kein Grund sein, die Beseitigung von Schmierigkeiten, die sich aus der gegenwärtigen Lage ergeben, zu unterlassen Eine solche Politik würde sicher nicht gegen den Geist Bismarckischcr Staatskunst verstoßen, deren Grund läge nicht ans Gcfühlsstimmungen. sondern auf poli tischen Zweckmäßigkeiten aufgcbout war. Vie neueste phsle üer italienischen Mttelmeerpolltik. Frage keine Frage mehr für die italienische Regie rung. „Kein Mensch kann uns hindern, neue Inseln zu besetzen", sagt das Regierungsblatt, und fährt fort: „Eine Besetzung von Mytilene oder einer andern benachbarten Insel kann in keiner Weise die Schlie ßung der Dardanellen rechtfertigen." Wenn die Türkei dies zum Vorwand nimmt, so wären es die Neutralen, die sie daran hindern müssen, weil Lieser Vorwand ungerechtfertigt wäre. Als es sich bec Beginn des Krieges um einen eventuellen Versuch unserer Flotte gegen die Dardanellen handelte, der Türkei einen entscheidenden Schlag zu versetzen, da sprach man von einem Veto der Mächte. Aber bald erklärte man, daß niemand im Traume daran gedacht habe, «in solches Veto für das Acgäische Meer oder für die Dardanellen auszusprechen. . . Auf der anderen Seite wäre es kindisch anzunehmen, daß unser Vorgehen in Len Dardanellen abhängen kann von der Besetzung von Mytilene oder von einer anderen Insel, die von den Dardanellen nicht weit entfernt ist." Noch lebhafter als das im Auswärtigen Amt redi gierte Organ plädieren die übrigen bürgerlichen Blätter ohne Unterschied der Partei für ein rück sichtsloses Drauflosgehen. Man ist ersichtlich ermuntert durch das Communiquü de: Londoner Regierung, die abermals strikte Neutralität gegenüber weiteren Aktionen der Ita liener im Aegäischen Meere verspricht. Ist die Freundschaft zwischen Italien und England im Wachsen begriffen? Zn den Wandelgängen der Deputiertenkammer unterhält man sich von nichts anderem als der Konferenz Mr. Asquiths, Lord Churchills und Lord Kitcheners auf der Insel Malta. Man hört hier häufig die Frage aufwerfen: „Wird England demnächst seine Entente cordiale mit Frankreich zu einer regulären Allianz erweitern?" Gutinformierte Deputierte glauben schon heute sagen zu können, daß dieses Ergebnis eintreten werde, wenn der Dreibund seine Erneuerung auf der Grund lage eines Schutz- und Trutzbündnisses erleben wird. England und Frankreich würden mit einer Allianz die Anwort auf eine Erneuerung des Dreihundes geben. Don größerem Interesse ist ein Artikel des Ab geordneten Torre im „Corriere della Sera", der sich mit der M a l t a k o n f« r e n z des längeren deschäf tigt und sagt: „Die Zusammenkunft dorr hat ohne Zweifel eine große politische Bedeutung in der gegen wärtigen Stunde. Englano entschloß sich vor Mei Jahren, die Basis seiner Flotte zu verändern, indem es seine Kräfte im Atlantischen Ozean vermehrte unter gleichzeitiger Verminderung seiner Schiffszahl im Mittelmecr. . . Heute macht sich Lord Kitchener Sorgen um die Streitkräfte zu Lande, die von ge ringercr Bedeutung sind, und ebenso um die See streitkräfte. di« nach seiner Ansicht nicht auf der Höhe der Mittelmeerbedürfnisse Englands stehen. Die Zusammenkunft von Malta wird sich mit diesem großen Problem in erster Linie beschäftigen. Die englische Regierung glaubt, daß infolge des italienisch türkischen Krieges die Situation im Mittelmecr für di« britische Politik ein Gegenstand größter Sorge sein muß. . . Zu diesem Problem gesellt sich noch ein zweites: die Haltung Rußlands im Schwarzen Meer. Wenn die Türkei in ihrer gefährlichen Haltung ver harrt, wenn die Ereignisse sich überstürzen, und Ruß land gezwungen wäre, durch den Bosporus zu gehen, würde die Frage von Konstantinopel und damit auch dis Mittelmeerfrage in eine Phase eintreten, die sich von der gegenwärtigen durchaus unterscheidet. Eng land rechnet mit dieser Wahrscheinlichkeit und will für alle Fälle gerüstet sein. Das Problem des ägyptischen Nationalismus und die Siege Idris' in Arabien spitzen die Frage des Islams zu, und ein Reich wie England, das allein in Indien über KO Millionen Mohammedaner zählt, muß sein Augen merk auf diese Dinge richten." Noch mehr erregt die Frage einer interna tionalen Ballankonferenz hier die Ge müter. ' Der Aerger, daß der Gedanke zu dieser Kon ferenz von Frankreich ausgeht, demgegenüber man ein nur zu berechtigtes Mißtrauen hegt, kommt In fast allen Organen in scharfen Wendungen gegen die italienfeindlichs Haltung des Ministeriums Poincarö zum Durchbruch. Der bloße Hinweis, daß eine solche Konferenz in Paris stattfinden könnte, ho» in nationalistischen Blättern förmliche Wutausbrüche ausgelöst. Es ist bezeichnend, daß man alles U n heil gegenwärtig von Frankreich be fürchtet. Selbst der so überaus franzosenfeindliche „Messaggero" kann nicht umhin, den Pariser Konferenz gedanke» energisch zurückzuweisen, indem er meint, das Beispiel des Kongresses von 1856 nach dem Krim kriege (in Paris) warne vor einer Wiederholung. Damals batte kein Geringerer als Camillo Cavour mitten in Len Beratungen die italienische Frage in die Debatte geworfen, und cs könnte sich jetzt aber mals ereignen, daß auf einem europäischen Kongreß eine rdeliebige andere Macht andere Fragen vor brächte, die mit dem italienisch-türkischen Kriege nicht das mindeste gemein haben. „Aber ganz abgesehen davon würde die Türkei — so fragt das Blatt — den Beschlüssen der Konferenz zustimmen, wo cs sich gar nicht mehr um die Diskussion über die italienische Souveränität über Libyen handelt? Und könnte Italien sich für die Konferenz begeistern, wenn das Souneränitätsdekret vom 5. November nicht non vornherein angenommen würde?" In ollen Erörterungen über die Kanscrenzsrag« kommt dis Furcht zum Ausdruck, ein curopäiicher Areopag würde Italien einladcn, die von ihm besetzten Inseln der Aegäis wieder h e r a u s z u g e b e n. Einer solchen Aufforderung aber will man in Italien unter allen Umständen aus dem Wege gehen, denn in den Gedanken der defini tivcn Annektierung dieser Inseln Hot man sich bereit, cingelebt. (Bon unserem römischen Mitarbeiters „Wer will unsere Flotte hindern, zu einem neuen Schlag gegen dis Dardanellen auszuholen" fragt der „Popolo Romano", das Organ der Regierung, in einem Artikel, der sich mit der Inselbcsetzung im Aegäischen Meere beschäftigt. Eigentlich ist diese AW" Man beachte auch die Anserate in der Abend-Aurgabe.
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