Volltext Seite (XML)
«Mw»ch. 4. »m« i»r« AblnettWung bis wett nach Mitternacht RM keim EnMIdMI - Irr Ruf na» SiMMra vraNtmolckung uw»«r«r LvrUnor Sollrlktlaltung Berlin, 8. Juni. Die ursprünglich auf 7,80 Uhr abends anqcsetzte Kabinettssitzung begann bereits »m 0 Uhr und dauerte bis in die späten Abendstunden. Nach einem um Mitternacht ansgegcbenen Kommunique beschäftigte sich das Reichskabinett unter dem Vorsitz des Neichskanzlers im ersten Teil der Kabinettssitzung zunächst sehr eingehend mit dem bntwurs eines Gesetzes zur Aendcrung der Arbeitslosen versicherung und Arbeitsvermittlung. Das Kabinett billigte grundsätzlich die vom Rcichsarbeits- ministcr vorgeschlagcnen A bändern ngsbe st immun- aen, deren definitive redaktionelle Festlegung am kommen de» Donnerstag erfolge» soll. Im allgemeinen stützen sich diese Vorschläge aus die Ausarbeitungen, die der Borstand der Rcichöanstalt ans Ansuchen des Reichstages in der letzten Zeit ansgearbeitet hat und kürzlich der Oesfentlichkeit über gab. Diese Nesormvorschläge sehen innere Ersparnisse vor und ansierdcm einen gewissen Abbau der Leistungen bei Kate gorie», bei denen cS fraglich ist, ob sie mit gutem Recht wirk lich noch der Unterstützung unterliegen, lieber das finanzielle AuSmatz dieser Vorschläge herrscht noch nicht vollkommene Klarheit. Man rechnet unter der Hand mit einem Betrage von etwa Milliarde. Die Tatsache der Verschiebung der Vorverlegung der kabinctlssitznug ans k,80 Uhr hatte noch seine besonderen politischen Grunde. Im Laufe des Tages waren »äuilich Verhandlungen gepflogen worden, die Nachrichten über ein angeblich bevorstehendes Eingreifen des Reichs präsidenten im Gefolge hatten. Nach der einen Version hieß es, das, in der hentigcn KabincttSsitznng ein Brief des Reichspräsidenten an de» Reichskanzler vvrlicge und eine Rolle spielen würde, »ach der anderen war die Rede von einem Ausruf des Reichspräsidenten für eine allgemeine -ohn- und Preissenkung. Beide Versionen sind in dieser Form unzutreffend. Richtig ist lediglich soviel gewesen, daß der Versuch geinacht worden ist, für die wirtschastSpolitisch an sich vielleicht durchaus begrüßenswerte Lenkung der Löhne aus der einen Seite und Senkung der Preise auf der anderen Seite die Autorität des Reichspräsidenten in die Wagschale zu werfen. Es haben in dieser Richtung in der letzten Zeit ver schiedene Besprechungen staltgcfunden, die aber im Laufe des heutigen Vormittags zu einem negativen Ergebnis geführt haben. Die A r b c i t n e h m e r v e r t r c t c r, die mit dem Reichsvcrband der Deutschen Industrie in dieser Frage zu- sammcnwirkten, sind zu einer Ablehnung des Vorschlages einer Lohnsenkung gekommen. Die Industrie dagegen stand anf dem Standpunkt, dass eine Preissenkung nur dann möglich sei, wenn auch die Löhne entsprechend gesenkt würde». Fnsolgedcssen mutzte der für die späten Nachmittags» stunden angcscfttc Besuch beim Reichspräsidenten aus- sallcn. Das NcichSkabinett hatte nun keine Veranlassung mehr, seine Sitzung bis )--8 Uhr abends hinauszuzögern. Zu dem Versuche selbst, der vielleicht in den nächsten Tagen eine Wiederholung finden wird, ist nur so viel zu sagen, datz cs kann, angängig sein dürste, für eine Aktion dieser Art den Reichspräsidenten in Anspruch zu nehmen, selbst wenn beide Parteien, also Arbeitgeber» und Arbeitnehmerverbände, ein hellig einer Meinung wären. Praktisch lätzt sich in unserem gegenwärtigen Regierungssystem eine solche tief einschneidende Matznahme nicht durchführen. So etwas ist vielleicht in Italien möglich, wo das Wort eines Mannes entscheidet und den Ausschlag gibt. In unserem parlamentarischen System, in dem die Parteien nach wie vor schrankenlos herrschen, könnte es aber nicht aus- blctbcn, das, diese oder jene Partei die Unzufriedenheit, die naturgemäs, mit einer Lohnsenkung verbunden sein würde, für parteipolitische Zwecke ausnütztcn und bei kommenden Wahlkämpfen dann »ach der Mentalität der breiten Wählcr- massen bestimmt einen grotzen Erfolg einheimste». Insofern kan» es zunächst wenigstens als ein Glück bezeichnet werden, das, der Gedanke, den Reichspräsidenten bei dieser Aktion in Anspruch zu nehmen, sallengclassen worden ist. Schon allzuost in der letzten Zeit ist der Name des Reichs präsidenten mit politische» Aktionen verknüpft worden, bei denen es auf dieser oder jener Seite ernsthafte Verstimmun gen gab und der greise Feldmarschall immer mehr in die Gefahr kam, in die Niederungen des Meinungsstreites her- nntcrgezogcn zu werden. Gerade der dem Reichspräsidenten nahegebrachte Gedanke, sich mit der ganzen Grütze seiner per sönlichen Autorität in dieser heikelsten aller Frage» in die Bresche zu werfen» hätte sicherlich nur dazu geführt, den Namen Hinbenbnrgs in «in Agitationsspiel zu verstricken, das der Würde und der Grübe dieser der gesamten Nation ge hörenden Persönlichkeit kaum entsprochen haben würde. Die Kabinettssitzung zog sich bis wett nach Mitternacht hin. Wie man aus dem Kommnniqnü ersieht, ist die letzte Entscheidung nicht einmal in der Arbeitslvsenversichernngs- fragc gefallen, sonder» man hat sie erneut für einen späteren Zeitpunkt, nämlich nächsten Donnerstag, in Aussicht ge nommen. Diese Verschiebung entspricht auch de» Informa tionen, die wir bereits früher vcrösscntlichen konnten. Im zweiten Teile der Kabinettssitzung wurde dann das viel um strittene A n S g a b e n s e n k u n g S g c s e tz beraten. Es be steht die Neigung, die Durchführung dieses Gesetzes aus den Herbst zu verschieben. Die Stellung des Kabinetts Brüning dürfte durch diese Handhabung der Amtögeschästc in den schwerwiegenden finanzpolitischen Fragen abermals einen Stotz erlitten haben. Schon früher wurde daraus hingcwiesen, datz insbesondere ein rechtsstehendes Mitglied des Reichslabinctts für den Fall, datz die Finanzsanicrung auf die lange Bank geschoben werden sollte, mit icuier Demission ge droht hätte. Grotze Unzufriedenheit herrscht in der Deut schen Volkspartei über das, wie man jetzt zum Teil ganz öffentlich erklärt, „V crsage » des R e i ch sfinanz - in i n i st e r s Tr. M o l d c n h a n e r". Ter »vührcr der Dcnt- schen Vvlkspartet, Tr. Schalt, hat den Pa>te'vvrstand »ach Berlin beordert, um diesen gesamten Fragenkomplex mit ihm zu besprechen. Die Kabinettssitzung war kurz nach 1 Uhr nachts beendet. Es wurde ein zweites Kommunique ausgegcben, das folgen des besagt: „Das NcichSkabinett wurde sich in Fortsetzung feiner Be ratungen über die Deckungsvorschläge zum Reichshaushalt einig. Den Ressorts wnrde ausgegcben, die detaillierte ge setzgeberische Arbeit der Beschlüsse für die abschließende Kabinettssitzung am Donnerstag vorzulegen." Ans diesem Kommuniqnb geht hervor, datz über das Ausgabensenkungsgesetz, einem der wichtigsten Teile des Deckungsprogramms, überhaupt noch nicht gesprochen worden ist. Hinsichtlich der Deckungs vorschläge scheinen die schon bekannten Pläne zur Reali sierung nunmehr vorbereitet zu werden. Immerhin ist auch hier bemerkenswert, daß man abermals die Entscheidung um zwei Tage hinansgezögert bat, was nicht für eine besonders leichte Situation im Reichskabinctt selbst spricht. Kuntgkbima des sMstti»»1g«i Mittelstandes Gin Rede »es ReMstilti-ministkk- Sr. Brr»! Berlin, 3. Juni. lEigcne Drahtmeldung.j Das Neichs- kartell des selbständigen Mittelstandes veranstaltete heute vormittag im Plenarsaal des ehemaligen Herrenhauses eine geschlossene Kundgebung gegen die Bestrebungen zur Beseiti gung der Umsatzsteuer, zu der Vertreter sämtlicher bürger lichen Fraktionen des Reichs- und des Landtags, autzer vom Zentrum und den Demokraten, erschienen waren. In einer einstimmig angenommenen Entschltctzung wurden fol gende Forderungen ausgestellt: Als oberster Grundsatz der kommenden Finanzreform ist die Drosselung der Ansgaben das Allernot- niendigste. Der steuerlichen Bevorzugung ösfent- licher und gemeinnütziger Betriebe ist ein Ende zu machen. Die Steuerlasten müßten in gerechter Weise nach der Leistungsfähigkeit des einzelnen »erteilt werden. Die Großbetriebe müssen sür den durch ihr Bestehen vcrursachten SteuerauSsall heran» gezogen werden. Reichsjufiizminlster Professor Dr. Vredt betonte in kurzen Ausführungen, daß das Kabinett mit dem 'Reichskarteü des selbständige» Mittelstandes einer Meinung sei und unbedingt an der Beibehaltung der Umsatzsteuer fest- halten werde. Gleichzeitig betonte er. datz in diesen Tagen ein Gesetz über das Zugabe wesen fertiggestcllt worden sei, das allen Forderungen entspreche. Das selbständige mit- tclständische Bürgertum sei nach Meinung des Kabinetts der Träger des gewaltigen Bcamtcnstabcs, nicht aber die Warenhäuser und Konsumvereine. Deswegen werde man alles daransctzen müssen, um den selbständigen Mittelstand nicht von den Warenhäusern erdrosseln zu lassen. Maßnahmen gegen die «civitalslmdt Berlin, 8. Juni. Der Rechtsausschutz des Preußischen Landtages nahm am Dienstag einen Antrag Gras Posa- dowskys lBolksrechtparteij an, dahin zu wirken, datz der Staatsgert chtShos die Frage untersucht, durch welclie Elemente und Persönlichkeiten die Inflation hervor- gerufen worden ist, durch die so ungeheure Vermögenswerte vernichtet morden sind. Ferner wurde ein Antrag Tr Deerbergs jD.-N.j angenommen, beim Reiche dahin zu wirken, daß unverzüglich gesetzgeberische Maßnahmen er griffen werben, um die immer mehr zunehmende Kapital flucht in das Ausland zu verhindern. Bor neuem Aufschwung Mit der schweren Depression der deutschen Wirtschaft, über deren Ursachen und Ablauf wir bereits vor einiger Zeit an dieser Stelle berichtet haben, beschäftigt sich nunmehr auch die internationale Handelskammer in Paris in ihrer letzten Veröffentlichung vom Mai 1930. Interessant an dieser Untersuchung sind die Feststellungen, datz sich aus der Depression bereits Kräfte gebildet haben, die in sich den Keim zu neuem Ausstieg der Konjunktur bergen. Die internationale Handelskammer betrachtet dabei die deutsche Wirtschaftslage im Nahmen des Konjunktur- ablauses-der Weltwirtschaft, insbesondere in ihrer Beziehung zur gegenwärtigen Wirtschaftsnot der anderen hochent wickelten Industriestaaten, wie Amerika und England. Auch sic waren gleichfalls, wie ihre steil aufsteigcnde Arbeitsloscn- kurve zeigte, von der Krise schwer betroffen, freilich nicht in dem Ausmaße wie Deutschland. Das hat seinen Grund vor allem in der Schwächung der deutschen Kapitalkraft durch die Tributabgaben und durch die größere Belastung der deutschen Wirtschaft mit Steuern, Soziallasten und über normalen Zinssätzen. Welche Umstände sprechen nun im einzelnen für das Er wachen der Kräfte der Selbstheilung? Vor allem das Ab sinken der Preise. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt sind sie seit einiger Zeit im Fallen begriffen. Gewiß, sür den Produzenten ist der Preisrückgang eine bittere Arzenei. Aber nur aus diesem Wege vermag der Verbrauch wieder stärker angeregt zu werden und so mit der Produktion in ein Gleichgewichtsverhältnis gesetzt zu werben. Am stärksten kommt diese Entwicklung in dem kon junkturempfindlichen Großhandelsindex zum Ausdruck, der von 141,0 im dritten Vierteljahr 1923 auf gegenwärtig 126,4 gesunken ist. Den stärksten Rückgang weisen die industriellen Rohstoffe mit 110,0 gegen 130 im Jahre 1928 auf, während die industriellen Fertigwaren nur von 189,g auf 182,9 gesunken stnd. Das starke Sinken der Preise für industrielle Rohstoffe ist ein Beweis dafür, wie sehr die Nachfrage nach ihnen infolge des starken Rückgangs der Pro duktion in allen Industrieländern gesunken ist. Ta Deutsch land mit Ausnahme der Kohle fast alle wichtigen Rohstoffe vom Anslande beziehen mutz, bedeutet die Senkung der Preise sür uns bei einer jährlichen N o h st o s s c i n f u h r von über 7 Milliarden eine fühlbare Erleich terung unserer Wirts chaftsbtlanz zu Lasten des Auslandes. Zweifellos wird der starke Rückgang der Nvhstosfpreise auch den Hauptanstotz zur Uebcrwindung der gegenwärtigen Depression geben. Allerdings hat sich die Senkung der Rohstosspreise bis jetzt noch nicht in erheb- l t ch e m M a tz e a u f d i c P r e i s e d e r s ü r u n s c r e A u s- suhr wichtigen Fertigwaren a u S g e w i r k t, weil andere Kostcnbestandtcile der Fertigwaren bis jetzt nicht ge senkt werden konnten. Das gilt von den Löhnen und den tm Produkt enthaltenen Steuer- und Soziallastcn. Hieraus ergibt sich wohl deutlich, wie notwendig die Vermeidung wei terer Belastung unserer Produktion durch neue Abgaben im Interesse des konjunkturellen Aufschwungs und der Förde rung unserer Ausfuhr ist. In starkem Ausmaße hindernd ans einen stärkeren Rückgang der Preise der Fertigprodukte wirkt sich ferner die Höhe der K a p i t a l z i n s e n ans. Der Zinsabbau in Deutschland hat sich bisher nur bei kurz fristigen Geldern bemerkbar gemacht. Das bedeutet für daS Wirtschaftsleben zweifellos manche Erleichterung. Aber der Zinsabbau des Geldmarktes hat bisher noch nicht auf die Leihsätze für langfristige Kapitalien eingewirkt, weil die letz teren noch immer erst in völlig unzureichendem Matze zur Verfügung stehen. Da Deutschland ebenso wie auf die Einfuhr von Rohstoffen zum Ausgleich seiner Zahlungsbilanz noch immer auf die E i n f u h r f r e in d c n K a p i t a l s angewiesen ist, würde ein Uebergreisen des Zinöabbaucs von dem kurz fristigen Geldmärkten auf die langfristigen Kapitalmärkte von großem Einfluß aus die Anregung der deutschen Pro duktion sein. Es sind Anzeichen vorhanden, die sür diese Ent wicklung sprechen. Die Folge einer Belebung der Wirtschaft wird natürlich ein Rückgang der Arbeitslosigkeit sein, wo durch einerseits Einsparungen im öffentlichen Haushalt er zielt werden können, anderseits durch bessere Ausnützung der Prvduktionöanlagen eine Herabsetzung der Gencralnnkvsten der Wirtschaft entsteht und durch vermehrten Verdienst eine gesteigerte Nachfrage ausgelöst wird. Da sich Anzeichen einer aufsteigcndcn Konjunktur beson ders tm Auslande, das von den besonderen deutschen Schwie rigkeiten nichts weiß, geltend machen, so ergeben sich ans der Verflechtung Deutschlands mit der Weltwirtschaft auch von dieser Seite neue beleben de.Kräfte für die deutsche Wirtschaft. Besonders steht zu hoffen, daß das Ausland in höherem Grade wieder Abnehmer deutscher Produkte wird, als in den letzten Jahren. Während wir also noch Im Zeichen der tiefen Depression stehen, regen sich bereits überall die Keime neuen blühenden Lebens. Sie zu pflegen wird die Aufgabe kommender Monate sein. Wir wollen hoffen, datz die Retchöregterung sich führend durch eine wirtschaftsfreundliche Einstellung an dem Ge- nesungSwerk beteiligt, damit der Unternehmungsgeist, auf den cs in erster Linie ankommt, zu neuen Wtrtschaftstaten ermuntert wird. Dann wird über der deutschen Volkswirt schaft nach langen Regenjahren wieder ein bißchen Himmels- bläue und Sonnenschein leuchten.