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Skttlao, 28. -tovrmb« I8R» «e,ug«ae»atzr »ei »glich ,welm°lign Lustellung «onaLtch ».Kl VH. <eü>IchlI«tzNch «> Pfg. für rrLgerwhnl, durch Postbezug 3.10 Mi. elnschliebllch »« Psg. Postgebühr lohne Postzuslellungtgebühr) bei Imal wöchentlichem Versand. Linzelnummer 10 Psg., außerhalb Liesden« 1b Psg. «lnzetgeu- preise: Die einspaltige 8i> mm breite Zelle »b Psg., sür aulwärt» 10 Psg. F-mllienan,eigen und Stellengesuche ohne Rabatt 1» Psg., außerhalb rs Psg., die ga mm breite Mcllamezeile roo Psg^ außerhalb «so Psg. Ossertennebühr so Psg. «urwilrtige Aufträge gegen Loraubbezahiung Druck u. Verlag! LIepsch » Reikbarbt, Dresden. Postsche^-Itlo. loes Lrer-den Nlachoruck nur mit dcull.Quellenangabe (Dreidn. Nachr.l zulässig. Unverlangt« Echristftücke werden nich aujbcwabrt Anvühemng -er SW. an Brüning Sie KadimMMcckmigm werten forigeiett Vralitiavlckniig ansvror LorUnor Svkrlttlvltang Berlin, 27. Nov. Im Laufe des heutigen Nachmittags haben wettere Besprechungen des Reichskanzlers mit den Führern der Sozialdemokratie nicht mehr statt- gefunden. Ob svlchc im Laufe des Freitags nach gepflogen werden, steht im Augenblick noch dahin. Dr. Brüning ist durch die Sozialdemokraten vor die Frage gestellt worden, ob er die sozialdemokratischen Forderungen, die sich nicht nur auf die Ftnanzgcsetzc, sondern auch auf die im Juli er lassenen Notverordnungen beziehen, erfüllen will oder nicht. Der Borstand der sozialdemokratischen Neichstags- sraktion hielt am Donnerstagnachmittag eine Sitzung ab, die völlige Uebereinstimmung ergab, das, die in den Besprechun gen mit der Negierung gewünschten Abänderungen der Notverordnung bezüglich der Bestimmungen für die Krankenversorgung, die Arbeitslosenversicherung und die Kopfsteuer unbedingt notwendig seien. Die sozialdemokratischen Unterhändler haben sich für ihre Entschließung ihrerseits Bedenkzeit auSgebeten. Ihre Ent scheidung wird der Negierung aber bis Freitag abend mitgeteilt werden. Ncirhökanzler Dr. Brüning hat die Führung der Sozialdemokratie gebeten, ihm bis zu diesem Zeitpunkt schriftlich mitzuteilen, ob die sozialdemokra tische Fraktion bereit ist, im Neichstag für das Finanz- und Wirtschaftüprvgramm zu stimmen. An sich scheint die Sozialdemokratie, wenn sie wenigstens einen Teil ihrer Forderungen erfüllt bekommt, bereit zu sein, die Negierung von neuem dadurch zu retten, daß sie am 8. Dezember gegen eine vorher erfolgte Verkündung der Finanzgcsetze durch die Notverordnung keinen Ein spruch erhebt und einen Antrag aus llcbergang zur Tages ordnung gegen Mißtrauenöanträge annimmt. Die K a b t n e t t S s i h u n g, in der man sich schlüssig werben soll, ob man den NvtverorbnuiigSweg beschrcitet oder nicht, wird, wie schon gemeldet, am Frcitagnachmitlag oder am Sonnabendvvimittag stattfindcn. Die Lage der Negierung hat auch dadurch noch eine gewisse Verschärfung erfahren, das, die N c i ch s r a t s a u ö s ch ü s s e mit der Einzelberatung des Steuervercinfachungs- gesetzcs, das ursprünglich schon heute im Plenum des Neichsrateö zur Abstimmung gestellt werden sollte, nicht fertig werden konnte, so das, das Gesetz von der Tagesordnung der heutigen Ncichsratüsitzung ab gesetzt werden mußte. Wie wir aus Länderkreisen erfahren, bestehen bei den Ländern gegen zahlreiche Einzelbestimmungen lebhafte Bedenken. Während das Kabinett noch vollauf damit beschäftigt ist, die parlamentarischen Angelegenheiten der nächsten Zeit zu regeln, hat sich auf -em Gebiet -er Nreispolitik eine Entwicklung bemerkbar gemacht, die leicht geeignet sein kann, auf die Gesamtpolitik des Kabinetts den nachhaltigsten Einfluß auszuübcn. Der von der Negierung in die Wege geleitete Preisabbau beginnt nämlich jetzt schon wieder in sein Gegenteil umzuschlagen. Nachdem vor kaum 14 Tagen das Neichsernährungsmintsterium in langwierigen Verhand lungen mit den Vertretern des Nahrungsmtttclhanüels einige wenige Zugeständnisse, die Preise zu senken, erreicht hatte, muß man jetzt feststellcn, daß aus dem Lebenömittelmarkt die Preise für alle Nahrungsmittel steigende Tendenz zeigen. Die Milch, die in Berlin um 2 Pfennig gefallen ist und 28 Pfennig pro Liter kostete, soll vom kommenden Sonn abend ab auf Beschluß des Verbandes der Berliner Milch- Händler wieder 3» Pfennig kosten. Diese Preiserhöhung wird damit begründet, daß die Produzenten ihre Verkaufspreise von 17 auf 10 Pfennig heraufgesetzt hätten. Auch auf dem Eiermarkt zeigt sich eine Entwicklung, die im strikten Gegensatz zu der von der Negierung gewünschten Preispolitik steht. Für Eier werden gegenwärtig nicht nur in Berlin Nekordpreise gezahlt. Für frische Trtnkeier zum Beispiel 24 bis 28 Pf-nntge. Ebenso verhält cs sich mit den Geflügelpreisen; auch die Obstpretsc haben erheb lich angczogen. Der Obsthaudel stützt sich darauf, das, nicht nur in Deutschland, sondern auch in ganz Europa und sogar in Amerika eine Mißernte zu verzeichnen sei. Der Ausschuß des Neichskabinetts, der die Preissenkungöfrage behandelt, wird »och Ende dieser Woche zusammentretcn, um sich mit der durch das Ansteigen der Preise geschaffenen neuen Lage zu befassen. Ob man zu dem Mittel gesetzlicher Maßnahmen gegen die Preissteigerung schreiten wird, ist eine Frage, die man im Augenblick noch nicht beantwortet erhalten kann. An den zuständigen Stellen wird aber versichert, daß die Negierung, sobald sic erst die parlamentarischen Angelegenheiten erledigt habe, sich mit voller Kraft wieder der Frage des Preisabbaues zuwenden werde. Schwere Tumulte im Berliner Rottums A Kommunisten zwangsweise abtransvvrtiert Berlin» 27. November. In der Donnerötagsitzung der Berliner Stadtverordnetenversammlung kam es zu un geheuren, noch nicht dagcwcscncn Radauszenen, die ein energisches Einschreiten der Polizei erforderlich machten. Während der Verlesung des Schreibens des Oberpräsidentcn über die Bestellung der S t a a t s k o m m i s s a r e für Berlin verursachten die Kommunisten, unterstützt von den Tribünen- bcsuchcrn, einen Höllenlärm. Zunächst worden deshalb die Tribünen polizeilich geräumt. Die Kommunisten ließen aber nicht nach und forderten die Wiederherstellung der Oessentlichkcit. Der Vorsteher sah sich gezwungen, einen kommunistischen Stadtverordneten von der Sitzung auszuschließen. Da der Gemaßrcgelte den Saal nicht verließ, wurde ein Kommando der Schutzpolizei in den Saal gcrnscn, das von den Kommunisten mit Rot- Front-Rusen empfangen wurde. Auch der Ausschluß eines weiteren Kommunisten hals nichts. Der Vorsteher ver sicherte sich darauf durch Ausruf der Stadtvcrordnetenmehrhcit, die den Ausschluß der gesamten kommunistischen Fraktion beschloß. Die Kommunisten übten jedoch passiven Wider stand und ließen sich unter dem Gebrüll ihrer Frak» tionsgenosscn einzeln von der Polizei aus dem Saale schleifen. Endlich mußte die Polizei rücksichtslose Gewalt an- wcnden, da die Kommunisten im Saale mit den Stühlen förmliche Barrikaden errichteten. Die kommunistische Fraktion in Stärke von 54 Mitgliedern wurde insgesamt ans dem Saale transportiert. Die Nationalsozialisten verließen geschlossen die Versammlung mil der Begründung, dies geschehe nicht etwa ans Snmpathie für die Kommunisten oder ans Widerstand gegen daS Schassen von Ordnung, son dern als allgemeiner Protest gegen daS ganze in den letzten Zügen liegende System. Gegen 2»,SN Uhr kam cs z« einem neuen lärmen den Zwischenfall. Der kommunistische Stadtverordnete Wille war bei der Entfernung seiner Fraktionsgcnossen nicht anwesend und erschien erst später znr Sitzung. Er be trat den Versammlungsraum und erhielt das Wort zur Ge schäftsordnung. Er hielt eine aufreizende Rede und «urde schließlich, da er nicht gutwillig ging, mit HUse der neu hcrbeigeholte« Polizei ans dem Saal entfernt. „Do. X" in Lissabon Lissabon, 27. Nov. Das Riesenflugzeug „Do. X" ist um 12 Uhr mittags MEZ. bei strömendem Regen von La Coruna abgeslogen und um 18,2V Uhr in Lissabon glatt gelandet. Von Bord liegt folgende Meldung vor: „Nachdem wir um 10,48 Uhr in La Coruna gestartet waren, erreichten wir nach Umfliegen des Kap Finisterre um 12,20 Uhr Vigo, wo wir den deutschen Kreuzern ,^köln" und „Karlsruhe" begegneten, mit denen wir Grüße tauschten. „Do. X" fliegt sicher und ruhig. Die Landschaft ist herrlich. An Bord ist alles wohl und begeistert. Hinter Kap Noca wird leider die Sicht sehr schlecht. Kurz nach 15 Uhr taucht Lissabon aus dem Dunst aus und bald darauf erfolgt glatt die Wasserung." Zum Empfang des „Do. X" hatten sich der deutsche Ge schäftsträger, portugiesische Marinefliegeroffiziere, ein Ver treter der spanischen Gesandtschaft, Vertreter der Lissaboner Behörden und zahlreiche Zuschauer eingefunden. Ein Richter von einem Areen erschossen Eberswaldc, 27. Nov. Der AufsichtSrtchtcr des Amts gerichtes in Eberswaldc, Amtsgerichtsrat Dr. Görcke, wurde von einem Geistesgestörten, dem Friseur Bornstetn> erschossen. Der Täter hatte Görcke aufgclauert, als dieser sich aus dem Wege vom Amtsgericht zur Forstakadcmie, an der er Vorlesungen hielt, befand. Unmittelbar vor der Forst akademie schoß Bornstctn mit einer Pistole dem AmtSgerichts- rat in den Stücken. Der Schwerverletzte konnte trotz der so fort im Krankenhaus vorgcnommenen Operation nicht am Leben erhalten werden. Der schon einmal auf seinen Geistes zustand untersuchte, aber für nicht gemeingefährlich erklärte Bornstei» hatte vor Jahren einen Prozeßverloren, der von AmtSgcrichtsrat Görcke in erster Instanz entschieden wor den war. Seitdem hatte Bornstctn den Amtsgerichtsrat mit Eingaben und Beschwerden dauern'* verfolgt. AmtSgcrichtsrat Görcke, der neben seiner Tätigkeit als aufsichtsführcnder Richter des Eberswalder Amtsgerichts noch Dozent und Professor an der Forstlichen Hochschule war, stand kurz vor seiner Pensionierung, da er die Altersgrenze von 66 Jahre« erreicht hatte, . Bülows Kusarenritt Gerade rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft erscheint der zweite Band von Fürst Bülows „Denkwürdigkeiten"*). Ob es ein erfreuliches Weihnachtsgeschenk ist? Darüber wer den die Meinungen geteilt sein. Wenn man im ersten Band, der noch weniger politisch betont war, wegen der Buntheit des Stoffes und der fesselnden Darstellungskraft des allzeit formvollendeten und geistreichen Plauderers Bülom über manche charaktcrologische Schwächen noch nachsichtig hinweg-- gchen konnte, so merkt man, je weiter die Erzählung fort-, schreitet und je tiefer sie während der NcichSkanzlcrzeit von 1003 bis 1000 in die hohe Politik hineinsteigt, die Absicht der Rechtfertigung jeder Einzelheit, auch da, wo nichts zu recht fertigen ist. und des Angriffes gegen jedermann, der nicht durch dick und dünn mit Bülow gegangen ist. Und in dem Maße, wie man die Absicht merkt, wird man mehr und mehr verstimmt. Nur wenige, mit denen Bülow zu tun hatte, kommen unbeschädigt aus seinem Mcmvircngcricht heraus. Darum nimmt es nicht wunder, baß die wirklichen Gerichte bereits mit diesem zweiten Band befaßt werden, weil sich manche der darin mit posthumen Fußtritten Bedachten in ihrer Ehre gekränkt fühlen. Auch die Familie Bülow ist nicht einverstanden mit der Art, wie Kaiser Wilhelm be handelt wird. Das ist der wundeste Punkt des Buches. Man braucht durchaus nicht die Augen zu verschließen vor den Fehlern, die neben manchen großen Vorzügen den Charakter, das Austreten und die Negierungs weise Wilhelms II. ausmachten. Wenn Bülow mit rauhen Händen den majestätischen Nimbus der Vorkriegszeit zer pflückt, so vollendet er nur, was andere vor ihm begonnen haben. Abstoßend aber ist die unsachliche, gehässige Art, w i e er es macht. Die Pfeile aus dem Grabe sind nur zu oft vergiftet mit kleinlicher Nachsucht. Aus dem Staatsmann, der sein Lebenswerk verteidigt, wird zuweilen ein politischer Pamphletist, der die ganze Umwelt nach ihrer persönlichen Einstellung zu ihm beurteilt. Seine Verdienste um das Reich werden deshalb nicht geschmälert: aber es ist schade, daß der große Diplomat, der in den Memoiren soviel von Takt redet, diese notwendigste diplomatische Eigenschaft selbst so sehr vermissen läßt. Er schildert die Erregung, welche im Jahre 1006 die Veröffentlichung der Denkwürdigkeiten seines Amtsvorgängers hervorgcrufen hatte, so daß der Kaiser Er innerungswerte von Staatsbeamten gesetzlich verboten wissen wollte, und rühmt es, daß Hohenlohes Memoiren „im großen ganzen in dem Geist der Mäßigung und vorsichtigen Behut samkeit gehalten waren, der den alten Fürsten ausgezeichnet hatte". Warum hat er selbst die Grenzen so weit über schritten? Bülow deutet die Antwort an durch die Be geisterung, mit der er von St. Simon, dem Chronisten Ludwigs XIV., spricht. Der große französische Spötter hat ihm als Beispiel vorgeschwcbt; wie jener den Hof des Sonnenkönigs im NegligS gezeichnet hat, so wollte er ein erbarmungslos realistisches Gemälde der wilhelminischen Epoche geben. Daß das aus solcher Absicht entstandene Bild verzerrt wurde, ist sehr natürlich: denn Bülow war doch nicht, wie St. Simon, unbeteiligter Beobachter, sonder» Hauptakteur auf der politischen Bühne. Als solcher bezweckt er mit seinem Werk die eigene Verteidigung, und als altem Husaren scheint ihm die beste Verteidigung der Angriff. In drei großen Abschnitten zieht die Kanzlcrzeit des Fürsten an uns vorüber, gekennzeichnet durch die Marokko krise, die bosnische Krise und die inncrpolitische „November krise". Es wäre ungerecht, wenn man nicht anerkennen wollte, daß Bülow vor allem in den außenpolitischen Dingen eine sichere Hand hatte. Nicht umsonst war er durch Bismarcks Schule gegangen. Er beherrschte die außenpolitische Kla viatur als Virtuos und blieb mit Abstand das beste Pferd im diplomatischen Stall. Die Behandlung der Marokko- angelegcnheit kann diesen Eindruck nur bestätigen. In der Beilegung der bosnischen Anncrtonskrisc von 1008 sicht Bülow selbst sein Meisterstück. Wie er Oesterreich vorsichtig gestützt, Rußland gegenüber den ehrlichen Makler gespielt und für Deutschland ans der gefährlichen Affäre noch einen Prestigccrfolg herausgcholt hat, schildert er mit behaglicher *) Bernhard Fürst von Bülow: „Denkwürdigkeiten." Zweiter Band. Verlag Ullstein, Berlin. Neute: ver «rattiakrer 8eite 13 unä 14