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Dresdner Journal Herold für sächsische und deutsche Interessen. Redigier von Karl Biedermann. Diese» Blatt erscheint täglich Abend« und ist durch alle Dost, »nftalten de» 3n» und Ausland«» zu beziehe». Prei« fstr da» Vierteljahr Thlr. Znserttonsgrdsttz. rrn für den Stan» einer gespaltene» Leilr I, Df. Inhalt. Die Verhandlungen der Nazionalversammlung über den Ravraux'schen Antrag. — TageSgeschichre: Dresden: Ordens verleihung; fünfte Sitzung der zweiten Kammer (Schluß); Hauptversammlung des deutschen Vereins. Crimmitschau: Deutscher Vaterlands verein. Berlin. Schleswig. Mainz Neustadt an der Hardt. Wien. Prag. Triest. Mailand. Turin. Neapel. Bern. Paris. Stockholm. — KunstundLiteratur: Erörterung der Arbeiterverhältnisse und was von dem jetzigen Reichstage in Frankfurt a. M. erwartet werden muß. — Feuilleton. — Eingesendetes. — Geschäftskalender. — Ortskalender. — Angekommene Reisende. Die Verhandlungen der Nazionalversammlung über den Raveaux'schen Antrag. Frankfurt, 28. Mai. Der Sieg, den die Rechte gestern erfocht, war von kurzer Dauer, um so vollständiger aber die Niederlage, die sie heute erlitt. Schon in der Frühsitzung ward ihr eine derbe Lehre zu Theil, indem bei Ver lesung des Protokolls mehrere Redner auf das Unangemessene des gestrigen Verfahrens der Majorität hinwiesen, v. Lindenau sprach nachdrücklich f.'in Bedauern aus, daß nicht einmal den Mitgliedern der nach Mainz entsandten Deputazion verstattet worden wäre, ihre Beobachtungen mitzutheilen und dadurch Entstellungen des Thatbe- standes zu berichtigen. Eisenmann warnte die Rechte vor Miß brauch ihrer Macht. Biedermann hatte einen förmlichen Protest zu Protokoll gegeben dagegen, daß man geschäftsordnungswidrig dem Berichterstatter das Schlußwort entzogen. Herr v. Vincke griff diesen Protest als unberechtigt an, worauf ihm aber die klare Vor schrift der Geschäftsordnung entgegengehalten und ihm und seinen Meinungsgenossen zu bedenken gegeben wurde, daß, wenn bisher die gemäßigte Linke mehrfach mit der Rechten gegen die äußerste Linke zur Aufrechthaltung der Geschäftsordnung gestimmt habe, sie nun auch von der Rechten verlangen dürfe, daß diese nicht ihr numerisches Uebergewicht mißbrauche und sich selbst von der Beobachtung jener Vorschriften entbinde, zu deren strenger Einhaltung sie die Minorität zwinge. Dieser Zwischenfall war von günstiger Nachwirkung für die fol gende Debatte, bei welcher sich die Rechte im Ganzen ungleich ruhiger und mäßiger benahm, als am vorigen Tage. Nur einzelne Mitglie der dieser Seite, wie z. B Fürst Lichnowsky, konnten sich nicht enthal ten, ihrer Ungeduld, zum Worte zu kommen, und ihrem Mißfallen an manchen Reden ihrer Gegner durch laute Ausrufe Luft zu machen. Für diesen Tag stand die Debatte über den Raveaux'schen An trag auf der Tagesordnung. Die Kommission hatte sich in vier An sichten gespalten. Vier Mitglieder (darunter Vincke) wollten T a - geSordnung und ein Vertrauensvotum. Für die einzelnen Regierungen und Stände: daß sie etwaige Differenzen zwischen den Einzelverfassungen und der allgemeinen deutschen Verfassung schon Don selbst auSgleichen würden; sieben andere (darunter der Bericht erstatter Römer, v. Becke rath, Pfizer, Heck sch er) beantragten eine Erklärung de-Inhalts: daß jede mit der allgemeinen deut schen Verfassung nicht in Uebereinstimmunq stehende Einzelverfassung abgeändert werden müsse; ein Mitglied (Werner) wollte ganz kurz und bestimmt ausgesprochen wissen: jede mit der allgemeinen Ver fassung in Widerspruch stehende Bestimmung einer Einzelverfassung seiungiltig; eine vierte Frakzion endlich (Schaffrath, Hart mann und Kolb) bestand darauf, daß bei dieser Gelegenheit die Prinzipfrage derVolkSsouveränetät und der allein gesetzgeben den Gewalt der konstituirenden Versammlung zur Entscheidung ge bracht würde. Man konnte diese vier verschiedenen Ansichten so ziemlich als den Ausdruck der vier großen Frakzionen der Versammlung ansehen: den Antrag auf Tagesordnung, also auf Beseitigung oder Umgehung der Frage, alS die Ansicht der Rechten, den Siebnervorschlag al-Ausdruck des rechten Zentrums (insofern dabei im Hintergründe der Gedanke lag, daß die Entscheidung über die Art der Abänderung von einer Verständigung der Einzelstände mit der Nazionalversammlung ad- hängen werde), den Werner'schen Antrag als den de- linken Zentrum- ober der gemäßigten Linken, weil er bestimmt auSsprach, daß der Wille der Nazionalversammlung schlechthin über dem Willen der einzelnen Stände, die allgemeine Verfassung schlechthin über den Einzelver fassungen stehe; endlich den Schaffrath'schen Antrag, als die Ansicht der äußersten Linken, welche gern Alles auf die Spitze stellt und überall Prinzipfragen anregt, auch wo Dies weder nothwendig, noch zweck mäßig ist. Eine Unmasse von VerbesserunqSanträgen waren außerdem ein gereicht worden; glücklicherweise kamen sie nicht zur Verhandlung — man hätte sonsteiner endlosen Menge mikroskopischer Untersuchungen über die Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten aller dieser einzelnen An träge entgegensetzen dürfen. Eingeschrieben waren über diese Frage einige neunzig Redner. Die Versammlung vernahm diese Ankündigung mit Heiterkeit, aber auch mit einer Anwandlung geheimen Schaudern-. Die Verhandlung dauerte 7 volle Stunden (früh 11—3, Nach mittag 5—8 Uhr) und hatte während dieser ganzen Zeit fast durch weg einen gehaltenen, leidenschaftlosen und würdigen Charakter. Die Rechte verhielt sich leidlich ruhig, die Linke mäßigte auch so ziemlich ihr gewohntes Ungestüm — nur die Galerien waren häufig sehr leb haft und mußten wiederholt ernstlich zur Ruhe ermahnt werden. Frei lich waren auch mehrere Reden ausdrücklich auf die Resonanz der Galerien berechnet. Der Antrag der Rechten ward verrheidigt von Vincke in einer ' Rede voll der gewohnten glänzenden Blitze-funken, doch mit stark partikularistischer Färbung, von Welcker, der leider hier wieder sein Steckenpferd rltt und vor „Revolution und Bürgerkrieg" warnte, wo Niemand daran dachte, am scharfsinnigsten vom Grafen v. Arnim, dessen Rede augenscheinlich einen starken und der Gegenpartei gefähr lichen Eindruck machte. Von Seiten der äußersten Linken sprachen Schaffrath und Blum; Ersterer die Prinzipfrage der Dolkssouveränetät in ihrer ganzen Schärfe hervorkehrend, Letzterer in talentvoller, jedoch mehr effektmachender als überzeugender Rede. Für den Siebnerantrag traten, außer dem Berichterstatter, Becke rath und Heck scher auf — Beckerath poetisch gemüthlich, Heckscher juristisch spitzfindisch. Das link-Zentrum endlich ward vertreten durch Werner selbst, Raveaux, Wiedemann, CombeS, Zachariä, Biedermann — Letzterer suchte namentlich Arnim und Vincke zu widerlegen und ihnen Inkonsequenzen nachzuweisen.