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Wilsdruff, Tharandt, Nossen, Siebenlehn und die Umgegenden. Amtsblatt für das Königliche Gerichtsamt Wilsdruff und den Stadtrath daselbst. ^7 78. Freitag den 4. October 1872. Versügung an sämmtliche Gemeindevorstände des Gerichtsamtsbezirks Wilsdruff. Nach § 9 des Gesetzes vom 14. September 1868 sind die von den Gemeindevorständen zu haltenden Urlisten der zum Amte eines Geschwornen Befähigten alljäbrlich bis zur vollständigen Erneuerung zu revidiren und zu ergänzen, nach Z 10 des angezogenen Gesetzes auch im Monat October jeden Jahres während 14 Tagen zu Jedermanns Einsicht öffentlich anszulegen, nachdem vorher öffentlich bekannt gemacht worden ist, daß und wenn dies geschehen werde, und daß diejenigen, welche nach K 5 von dem Geschworenen-Amte befreit zu werden wünschen, ihre Gesuche bei deren Verlust schriftlich in der angegebenen Frist einreichen sollen. Die sämmtlichen Gemeindevorstände des hiesigen Amtsbezirks werden daher mit der Anweisung hierauf aufmerksam gemacht, diesen Vorschriften allenthalben genau nachzugehen, im Uebrigen auch auf den Listen zu bemerken, an welchem und bis zu welchem Tage sie ausgelegt worden sind und diese Listen bis zum 12. November dieses Jahres hier einzureichen. Königs. Gerichtsamt Wilsdruff, am 3. October 1872. Leonhardi. Tagesgeschichte. Gegend von Freiberg, 30. Sept. Ich habe Ihnen heute von einem UnglückSfall zu berichten, der sich am 27. v. M. in Groß hartmannsdorf ereignet bat und ebenso bedauerlich als seltsam ist. Aus einem Kartoffelsclde waren auch ein Ibjähriger Bursche und ein Mädchen von 12 Jahren beschäftigt. Sie fingen an aus Muthwillen sich mit Kartoffeln zu werfen. Dabei wurde schließlich das Mädchen so unglücklich an die Schläfe getroffen, daß es nur einige Stunden nach dem Vorfall verstarb. Untersuchung und Section werden das Nähere feststellen und insbesondere auch, ob vielleicht noch andere Umstände bei dem traurigen AuSgange mitgewirkt haben. Die Sache ist, wie ich höre, bereits in den Händen der Staatsanwaltschaft und werde ich seiner Zeit weiter darüber berichten. Am Sonntag Vormittag verstarb in Dresden der in der litera rischen Welt viel gekannte vr. Ferdinand Stolle. Am 28. Sep tember 1806 in Dresden geboren, wo sein Vater Wirth auf Kammer diners war, besuchte er die Kreuzschulc und später die Universität Leipzig, um Jura zu studiren. Bald jedoch entfloh er dem Acten- staube der Jurisprudenz, um sich in den vollen literarischen Strom zn werfen. Er schrieb zunächst für verschiedene Leipziger Zeitungen, die Sachsenzcitung, die Schnellpost für Moden, den Hochwächtcr und war Hauptmitarbeiter am „Komet" von Herlossohn. 1844 gründete er den „Dorfbarbier", der seinen Namen zu einem der populärsten in Sachsen machte. Der „Dorfbarbier" ging 1862 ein. Wesentliches Verdienst hatte er um die Gründung der „Gartenlaube." Dauernde Schöpfungen, die ihm zugleich in der Literatur einen ehren vollen Platz sichern, siiw seine historischen und humoristischen Romane: 18IS; Elba und Waterloo; Napoleon in Aeghpten; die Erbschaft in Kabul; die deutschen Pickwikicr u. A. Auch als Lyriker trat er her vor und spiegelte sein liebenswürdiges Gemüth in zahlreich innig empfundenen Gedichten wieder, die Tausenden von gebeugten Herzen Trost und Erbauung gespendet haben. Seine „Palmen dcS Friedens" reihten sich den besten Gaben der Rückerl'scheu Muse an. Selten hat Jemand wie Ferdinand Stolle verstanden, so populär zu schreiben. Stolle's Styl war launig und gutmüthig, verletzende Pointen lagen ihm fern, wie er auch die politischen Gegner nie persönlich kränkte. Treu stand er bis zum letzten Augenblicke unter dem Banner des Fortschritts, die politische Einigung Deutschlands begrüßte er als einen langersehnten Fortschritt. Zu hassen vermochte er nur Eins: die Lüge, die Falschheit. Schloßchemnitz, 1. October. Gestern Nachmittag fand hier ein Begrabniß statt, von dem man auch in weiteren Kreisen mit Theilnahme vernehmen wird. Ein Vater und seine zwei Kinder wurden zugleich beerdigt. Der Vater, Fabrikarbeiter Schmidt war am Sonnabende an innerer Verblutung gestorben; die Kinder, ein Knabe von ü'/r Jahren und ein Mädchen von 4*/i Jahren, er lagen etwas später an demselben Tage den schwarzen Blattern. ES war ein ernster, feierlicher Trauerzüg, der von der Leichenhalle der Gattin und Mutter nach den stillen Hügelreihen folgte, wo ein weites Grab dem Gatten und den beiden Kindern — die einzigen, die ihr noch am Leben geblieben waren — als letzte Ruhestätte auf Erden bereitet war. Dabei möge bemerkt sein, daß beide Kinder nicht geimpft waren, weshalb bei ihnen die Krankheit mit außer ordentlicher Heftigkeit auftrat. In dem Hause, wo diese Familie wohnt, waren fünf ungeimpfte und drei geimpfte Kinder. Die Nicht geimpften sind sämmtlich an den Blattern erkrankt, drei derselben sind gestorben; die andern beiden waren auch schwer erkrankt, sind aber gerettet worden. Die geimpften Kinder sind von der Krankheit verschont geblieben, obschon sie von den Kranken nicht abgesperrt werden konnten. Annaberg, 29. September. Seit 14 Tagen sind hier die Volksschulen wegen des hier und da auftretenden Scharlachfiebers aus ärztliche Veranlassung geschlossen. Heute wollte man eigentlich den Unterricht wieder beginnen, da aber erneute Erkrankungen in den letzten Tagen vorgekommen sind, mußte davon abgesehen werden. Die Vorsicht, welche man in dieser Hinsicht anwendet, ist durch die überaus ungünstige Lage unsererer Volksschulen (sie liegen gerade in den Punkten der Stadl, wo die Stürme am ärgsten wülhen) und durch die ungünstige zu allerhand Krankheiten disponirende trockene Luftströmung, unter der wir seit 14 Tagen ärger als sonst zur Ae- quinoctialzeit zu leiden haben, in erhöhtem Maße geboten. Großenhain. Dem Militärfiscus ist durch den Nalhhausbrand, bei welchem die in den oberen Stockwerken aufbewahrten Militür- effecten in Asche gelegt wurden, ein Schaden verursacht worden, der sich auf 30,000 Thlr^ beziffert. Die VerdachlSgründc, das Feuer ver ursacht zu haben, belasten mit steigender Wahrscheinlichkeit eine noch jugendliche Armcnhausbewohncrin. Während des Feuers spielten sich sehr unliebsame Scenen ab. Es wurde von den geretteten Effecten viel gestohlen und auch sonst excedirte der Pöbel. 8 Personen werden sich vor dem Untersuchungsrichter darüber ausznweisen haben, daß sie nicht reicher von dem Feuer wcggegangen sind, als sie an da- brennende Nalhhaus herantraten. Die bewaffneten Bürger hatten alle Mühe, das gerettete Gut vor Gesindel zu schützen. In dem Dorfe Bernsdorf bei Moritzburg sind in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag sieben Bauerngüter niedergebrannt.