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ZchimtmiM Tageblatt Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich L Mk. 50 Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und dis Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Mittwoch, den 9. März 1881. *Waldcnburg, 8. März 1881. Das fortschrittliche Demagogenthum erhebt mit einer Keckheit das Haupt, welche weit H hinter den Erlebnissen der Conflictsperiode, ja bei nahe hinter den Wildheiten der socialdemokralischen Glanzzeit zurückbleibt. Die „BerlinerZeitung"droht dem Reichskanzler ganz offen eine neue Auflage des atheniensischen „Scher bengerichts" an gegen „die Gefahren politischer Macht fülle und übermäßiger Beliebtheit eines hochstehenden Mannes für Freiheit und Wohlfahrt des Volkes." Die Berl. Ztg. ist freilich so gnädig, die bei den Scherbengerichten zu Athen übliche „Verbannung auf 10 Jahre" vorläufig noch nicht in Anregung zu bringen, sondern es bei „einem Mißtrauensvotum, bei Budgetverweigernngen und Anklagen bei der Krone" bewenden lassen. Man höre darüber ihre eigenen Worte: „Die Gegenwart kennt kein Scherbengericht, seine Aufgabe hat das Volk durch seine Vertretung zu verrichten; an ihr war und ist es, durch strengste Controle und hartnäckigsten Widerstand die Elemente des Staats im Gleichgewicht zu erhalten. Die Op position gegen das Institut der Kanzlerschaft wird bald allgemein als ein patriotisches Werk erscheinen; nur ein voll verantwortliches Ministerium, collegia- liscy zusammengesetzt im Reich wie im Staat, ver mag die Gefahren des Ministerabsolutismus zu be seitigen, und nur ein parlamentarisches Regiment kann die Freiheit und Ordnung auf die Dauer ver bürgen. Das Mißtrauensvotum und die Budget verweigerung, das Ersuchen der Volksvertretung bei der Krone um eine andere Regierung, das ist die moderne Form des Scherbengerichts; so lange sich das Parlament zu einem solchen Entschlusse nicht aufzuschwingen vermag, muß ein Mann mit den Er fahrungen des Fürsten Bismarck mit Recht sich schließlich allmächtig wähnen." Um dem Volke die „Porträtähnlichkeit des Reichs kanzlers mit Nero" zu veranschaulichen, druckt das Organ Richters eine Charakterzeichnung ab, welche Gustav Freytag von einem cäsaristischen Despoten entwarf. Damit nun Niemand glauben soll, als handele es sich bei diesem Wahnwitz nur um einen isolirten Ausbruch der demagogischen Raserei, beeilt sich das „Tageblatt", in folgender Begeisterungstil ade über die Rede Richters im 3. Berliner Reichstagswahl bezirke nicht nur ein würdiges Pendant, sondern auch gleichzeitig ein Zcugniß dafür zu liefern, daß Eugen Richter von derselben Kriegsfurie ergriffen ist. „Ec — nämlich Richter — war wahrhaft furcht bar; wie ein römischer Tribun zog er die Negie renden zur Rechenschaft und vernichtete noch nebenbei die Zünftler, die Judenhetzer, die Pfaffen und Junker. Mil einer Siegesgewißheit ging er vor, welche seine Hörer zu fortwährenden Jubelausbrüchen Hinriß, wie sie das kühle Berlin sonst kaum kennt. Mit vernichtendem Humor verband er in seiner Ausdrucks weise schneidenden Sarkasmus, und zuweilen ging er mit einer Kühnheit der Rede vor, wie sie nur der volle Kriegszustand gebiert." Was den vollen Kriegszustand betrifft, so kann man sich mit der Thatsache trösten, daß der Kanz ler sich auf das Waffenhandwerk auch einiger maßen versteht und vielleicht blos auf die passende Gelegenheit, nämlich auf die noch frechere Proooca- tion wartet, um dem fortschrittlichen Demagogen thum endlich ein „Scherbengericht" zu bereiten, das es durch seine offenbare hochpotenzirte Gemeinge- sährlichkeit längst herausforderte. *Waldenburg, 8. März 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser empfing am 7. d. nachmittags den zum Minister des Innern ausersehenen Regierungs präsidenten Wolff aus Trier. Der Kaiser hat dem Exminister Eulenburg einen Beweis seiner Gnade zukommen lassen, Eulen burg erhielt die Capitularstelle am Dom zu Bran denburg. Der Exminister hat demnach die Gunst des Souveräns in keiner Weise verloren, trotz seines Zusammenpralls mit Fürst Bismarck, welcher seine amtliche Entgleisung zur Folge hatte. Graf Eulen burg hatte den Wunsch, seins politische Zukunft zu conserviren und trat momentan vom Schauplatz ab. -Die jüngste Audienz beim Kaiser Wilhelm legt die Vcrmuthung nahe, daß man auch bei Hofe die politische Carriere des Grafen Eulenburg noch nicht für abgeschlossen hält. Fürst Bismarck scheint die Gelegenheit benutzt zu haben, um mrt den anläßlich der Hochzeit des Prinzen Wilhelm in Berlin anwesenden deutschen Bundesfürsten eingehende persönliche Unterhaltungen über seine Politik zu pflegen. Nachdem er eine ein gehende Besprechung mit dem König von Sachsen gehabt hatte, begab sich der Reichskanzler Freitag Abend in später Stunde noch in das Niederländische Palais zum Großherzog von Baden, mit wel chem er bis gegen 11 Uhr im Gespräch verblieb. An der Pariser Münzconferenz nimmt der Botschaftssekretär Thielemann als deutscher Dele- girter Theil. Ursprünglich war der Geheimrath Schrautt, nicht aber Dechend, ausersehen. Am 4. d. verschied, wie die „Köl. Ztg." berichtet, in seiner Stadtwohnung zu Frankfurt a. M. Prinz Georg von Hessen, Oheim des Landgrafen Friedrich von Hessen, im vollendeten 88. Lebensjahre. Die Beisetzung wird in Schloß Rumpenheim stattfinden. Als Geheimrath Rommel nach der bekannten verhängsnißvollen Verlesung des ihm im Auftrage des Fürsten Bismarck durch Geheimrath Stüve übergebenen Schriftstückes beim Reichskanzler erschien, empfing ihn dieser mit sehr ernster Miene, hielt ihm eine Strafpredigt darüber, daß er ein Schrift stück, welches er, der Fürst, weder gesehen noch unterschrieben habe, in seinem Namen verlesen habe, und machte ihn auf die ernsten Folgen aufmerksam, die daraus entstehen könnten, und sogar die Ver abschiedung des Ministers des Innern. Es werde nichts übrig bleiben, als das man ihn, den Unheil stifter, zur Strafe zum Minister des Innern mache. Aus dieser scherzhaften Redewendung konnte Ge heimrath Rommel abnehmen, daß es mit seiner Ungnade denn doch nicht sehr ernst gemeint sei. Es hat übrigens seine buchstäbliche Richtigkeit, daß der Reichskanzler das fragliche Schriftstück weder gesehen noch unterschrieben hat, denn — er hat es nur dictirt! Die Sache der Boeren findet in Berlin große Theilnahme. Herr v. Weber aus Dresden, der bekannte Afrikareisende, hielt in dem Verein für Handelsgeographie eine Vorlesung über die Boeren, worin er deren Sache der allgemeinen Theilnahme empfahl. Es hat sich daselbst ein Comile zur Un terstützung der Verwundeten in Transvaal gebildet, das zu Beiträgen auffordert und deutsche Aerzte und Krankenpfleger nach dem Kriegsschauplatz senden will. Oesterreich. Der türkische Botschafter Edhem Pascha in Wien ist angewiesen worven, sich in Wien zu bemühen, daß Kronprinz Rudolph auf seiner Orientreise auch Konstantinopel besuche. Der Sultan läßt für den Kronprinzen einen Medjidie-Orden in Brillan ten anfertigen. Belgien. Erzbischof Dumont reichte eine neue Klage bei der Staatsbehörde gegen Diejenigen ein, welche im Jahre 1879 in seinem bischöflichen Palaste mit Hilfe eines Schlossers seine Kasse erbrachen und 74,000 Frcs. entwendeten. Der Prozeß dürfte merkwürdige Enthüllungen bringen. Frankreich. Gambetta machte am 6. d. dem Präsidenten Grevy einen Besuch und halte mit demselben eine anderthalbstttndige Conferenz, deren Gegenstand die Frage des Listenscrutiniums gewesen fein soll. Italien. Die neuesten Nachrichten über das Erdbeben in Ischia lauten entsetzlich. Das Erdbeben dauerte sieben Secunden; der obere Theil von Casamicciola ist ganz zerstört. Die berühmte Mineralbadeanstalt ist stark beschädigt, alle bisher noch aufrecht stehen den Häuser drohen einzustürzen. Dreihundert Men schen sind der Katastrophe bereits zum Opfer gefallen. Die zur Hilfe herbeigeeilten Truppen arbeiten un unterbrochen an den Rettungsversuchen. Die Stra ßen haben große Erdrisse erlitten, die telegraphische Leitung ist unterbrochen. Das Erdbeben auf Ischia erfolgte in Verbindung mit. einer starken Eruption des Vesuvs. England. Gladstone ist um eine Niederlage reicher; man wird sein Cabinet nachgerade das „Cabinet der Niederlagen" nennen können. Seine Politik in Bezug auf Afghanistan ist von einer auffallend starken Majorität des Oberhauses getadelt wor den. Nunmehr wird das Schicksal der liberalen Regierung davon abhängen, ob auch das Unterhaus sich dem Tadelsvotum anschließt. In einem am Sonnabend abgehaltenen Minister- rathe wurden die den Boeren anzubietenden Friedensbedingungen festgestellt. Dieselben sollen bereits dem General Wood telegraphisch über mittelt worden sein. Die „Daily News" sagen, es unterliege keinem Zweifel, daß den Boeren solche Bedingungen angeboten werden würden, wie sie Englands Ehre erheische. Das den Boeren unwissent lich zugefügte Unrecht werde wieder gut gemacht und die Unabhängigkeit der annectirten Republik werde unter Schutzwehren hergestellt werden, mit denen sich die Boeren im Voraus selber einverstanden er klärt hatten. Aus Newcastle wird unterm 6. d. gemeldet: „Zwischen dem General Wood und dem Anführer der Boeren, Joubert, fand eine Unterredung statt, in welcher heute ein bis zum 14. März dauernder Waffenstillstand abgeschlossen wurde. Den Boeren ist es gestattet, an den von ihnen besetzten Punkten acht Tage lang Proviantvorräthe zu empfangen. Die Boeren beharren auf der Forderung der Un abhängigkeit und der Amnestirung aller Führer." Nach einem Gerüchte soll General Wood bei einem Angriffe auf die Boeren gefallen fein, doch wird diese Nachricht als unbegründet bezeichnet. Aus dem MuldeuLhaLe. *Waldenburg, 8. März. Die Socialdemokraten beabsichtigen für den hiesigen Reichstagswahlkreis wiederum Herrn Auer als Candidat zur nächsten Neichstagswahl aufzustellen. — Der studentische Gesangverein „Paulus" traf am 5. d. Nachmittag 3 Uhr, 80 Mann stark, auf dem Bahnhof in Glauchau ein und wurde von ehemaligen Paulinern, Mitgliedern der Casinogesell-