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Wöchentlich »scheinen drei Nummern. Pränumeration». Preis 22^ Sar. (4 Tdlr.) vierteNSHrNch, 3 Tblr. für da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Weilen der PreMschen Monarchie. für die Man prönumerirt auf dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (Friedrichsstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 109. Berlin, Freitag den 10. September 1841. Frankreich. Briefliche Mittheilungen aus Paris. Die Universität. — Französische Philosophie. — Cel- tisches in der Französischen Sprache. — VictorHugo. — Soumet'S Göttliche Epopöe. Im August 184t. . i.. Wenn ich auf das verflossene Jahr zurückblicke, so muß ich sagen, daß der Aufenthalt im Ccntrum des Französischen Lebens uns im Allgemeinen sehr befriedigt hat, obgleich unsere Erwartungen in vielen Einzelheiten allerdings sehr getäuscht worden sind. Zu den letzteren gehört uyter Anderem auch die hiesige Universität, die frei lich in der letzten Zeit bedeutende Verluste erlitten hat. Die eigent lichen Professoren, welche entweder nach dem Vorgänge der jetzt am Staatsruder stehenden wissenschaftlichen und literarischen Autoritäten die Wissenschaft nur als Mittel zum Zweck betrachten oder zu sehr mit ihrer schriftstellerischen Unsterblichkeit beschäftigt sind, Pflegen die Vorlesungen den sogenannten AgpegöS zu übertragen, wobei denn freilich ein guter Theil Geist und Leben verloren geht und oft eine Nachlässigkeit im Unterrichte herbcigeführt wird, die durch die be rühmten Namen derer, die ihn zu ertheilen eigentlich verpflichtet sind, nicht kompensirt wird. Auch Saint-Marc-Girardin hat in die sem Semester seine Vorträge suspendirt, und leider ist sein Stell vertreter ebenfalls ein junger unbedeutender Agrögö. In Girardin's Vorlesungen über die Literatur und Eloquenz, denen wir im vorigen Wenter beiwohnten, war die moralisch-politische Seite auf Kosten des ästhetischen Elements zu sehr hervorgehoben. Geist (««prir) und Kunst des Stils mußten gediegene Wissenschaftlichkeit ersetzen. Unter den Literarhistorikern, welche gegenwärtig an der Universität thätig sind, dürfte wohl Ampere die erste Stelle einnchmcn. Dieser geist- unv kenntnißreiche Mann, der mit den Germanischen Literaturen eben so vertraut ist als mit den Romanischen, möchte wohl alle Eigenschaften vereinigen, welche eine große literarische Zukunft ver sprechen. In seiner letzten Schrift hat er mit großem Scharfsinn die schwachen Seiten der Rapnouardschen Theorie über die Entwicke lung der Französischen Sprache aufgedeckt. Der Lehrstuhl der poli tischen Oekonomie hat durch die Berufung des geistreichen Rossi in den Unterrichtsrath einen Verlust erlitten, welchen sein Nachfolger, der leichte, oberflächliche Journalist Michel Chevalier, ehemaliger Rcdactcur des <llnbo und Saint-Simonisten-Ches, nimmer wird ersetzen können. Die Vorlesungen des bekannten Historikers Michelet sind"sehr besucht und ziehen nicht weniger durch reichen und geist vollen Inhalt, als durch anmuthige Form an. Die Philosophie wird auf der Universität durch Damiron rc- präsentirt, der in seinen Vorlesungen über die Geschichie der Philo sophie durch Anhäufung des historischen Materials, so wie durch eine zu breite Detail-Forschung, die Gränzen eines gewöhnlichen Univer sitäts-Vortrages überschreitet, wodurch er trocken und unklar wird. So hat z- B- zur Darstellung des Kartcsianischcn Systems das ver gangene Semester kaum hingereicht. UebrigenS ist seine Betrach tungsweise vorurthcilsfrci und seine Einsicht in die Verhältnisse der spekulativen Philosophie ziemlich klar. Wenn auch das Gedeihen der spekulativen Philosophie,^ als Culminationspunkt einer ganzen volks- thümlichen Bildung, in Frankreich andere Zustände und Bedingungen der Entwickelungen voraussetzen dürfte, als diejenigen sind, welche sich aus den gegenwärtigen Verhältnissen per Französischen Bildung ergeben, so ist es doch sehr erfreulich und verdienstlich, daß die neueren Französischen Philosophen ihre Aufmerksamkeit dieser wich tigen Erscheinung auf der Buhne des geistigen Lebens zuzuwcndcn anfangen, welche in der neuesten Geschichte ihres Nachbarvolkes eine so bedeutende Rolle spielt. Im Salon des Herrn Lutheroth, Re dacteurs des Journals Lomvur, haben wir viel Interesse für die Deutsche Philosophie gefunden. Hier werden in leichter, anmuthiger ^"dersation, woran auch die Damenwelt regen Antheil nimmt, die wichtigsten Fragen im Gebiete der Theologie, Philosophie und Lite- raiur abgehandelt. Lutheroth'S Salon ist in Paris der gesellschaft liche Centralpunkt der Protestanten und füllt so gewissermaßen die durch den Tod des trefflichen Stapfer, dessen Einfluß auf die Fran zösische Literatur und Bildung bekannt ist, veranlaßte Lücke aus. In den Salons von Paris lernt man erst das große Eonver- sations-Talent der Franzosen und den ihnen eigenen Sinn für Formfertigkeit kennen. Mit welcher Gewandtheit und Leichtigkeit die Sprache hier gehandhabt wird, ist in der That bewunderungswürdig. Die Französische Sprache als eine Sprache der Konvenien; muß nicht bloß grammatisch richtig, sondern auch gerade so gesprochen werden, wie alle Franzosen sprechen. Ihre feste und ausgebildete Tabulatur läßt dem Individuum in der Ausdrucksweise wenig Frei heit. Sie ist deshalb viel ärmer als unsere Deutsche Sprache. Was die Etymologie der Französischen Sprache betrifft, so hat sich auch hierin, wie in der Geschichte, die Celtomanic in der letzten Zeit stark geltend gemacht. Indessen scheinen mir die meisten der soge nannten Lettischen Wörter auch eine rein Germanische Ableitung zuzulaffen, welcher letzteren bei der Unsicherheit der Lettischen Sub stanz im Falle der Konkurrenz jeder vorurtheilSfreie Forscher unbe dingt den Vorzug cinräumen wird. Denn es bleibt immer sehr schwierig, die Lettischen Bestandtheile in wer Französischen und Pro- venzalischen Mundart zu unterscheiden, da die Kritik hier vergebens nach einem sicheren Stützpunkte sich umsicht. Das Verhältnis der Lettischen Sprache zu dem alten Baskischen ist doch auch noch keincsweges hinlänglich aufgeklärt. Die hier in Frankreich in dem sogenannten bsa brotun und den verschiedenen Gallischen PatoiS noch fortlcbcnden Mundarten der alten Lettischen Sprache scheinen eine merkwürdige, mir noch nicht erklärliche Verwandtschaft mit den Finnischen Sprachen des nördlichen Europa und Asien zu haben. Eine der wichtigsten Begebenheiten in der hiesigen literarischen Wett dürfte wohl die Reception Vicior Hugo's in die Akademie ge wesen seyn. Endlich haben sich dem Heros der modernen Rdmantik die Thore des Französischen Pantheons geöffnet, nachdem er mehr als einmal vergeblich angeklopft. Die ganze literarische Journalistik, romantischer so wie klassischer Farbe, Hai diesen Akt mit einstimmi gem Beifallsrufe begrüßt, indem die Einen darin einen Sieg, die Anderen eine Versöhnung lang verjährter Gegensätze erblicken. In seiner Rede, deren Gegenstand die ganze Französische Geschichte seit der Revolution bildet, findet sich dieselbe fatalistische Weltanschauung ganz abstrakt ausgesprochen, die in Nmrs Daum mit konkreter poe tischer Form überkleidct ist. Die ganze Geschichte wird als nothwen dige Manifestation einer Idee (d<^cin) aufgefaßt und weder die Vergangenheit noch Gegenwart einer Kritik unterworfen. Diese philosophische Indifferenz, welche in der ganzen Rede genau beobachtet wird, erlaubt dem Redner auch nicht, in eine Kritik der ästhetischen Prinzihicn ces Klassizismus, oder wenigstens eine Entwickelung der romanttsLen Theorie über die Schönheit einzugehcn, obgleich die Schilderung der literarischen Wirksamkeit Lcmcrcier'ö die Gelegenheit vazu darbot. Aber der Poet hat in dieser Rede dem Philosophen und, Politiker gänzlich das Feld geräumt. Unter den neuesten literarischen Productionen nimmt unstreitig Soumet s Divine Lpopee den ersten Rang ein. Indessen beruht die Grund-Idee dieses Gedichts, das man mit Dante'S und Milton's unsterblichen Werken zu vergleichen keinen Anstand genommen hat, auf einem inneren Widerspruche, wodurch demselben jeder Anspruch nicht nur auf die religiös-metaphysische, sondern auch poetische Wahr heit geraubt wirr. Wenn auch der christlichen Eschatologie die Idee der Wiederbringung aller Dinge nicht ganz fremd seyn mag, so ist doch unverkennbar, daß die Art und Weise, wie Soumet diese Idee sich realisircn läßt (nämlich durch eine zweite Passion Christi, wodurch der Teufel für das göttliche Reich gewonnen wird), das Prinzip des ChristenihumS dermaßen verletzt, daß die Einheit des ganzen Ge dichtes, das doch christlich seyn soll, ganz zerstört wird und vom Christenthum nichts übrig bleibt, als eine Menge von einzelnen aus einander gerissenen Hypothesen. Das Motto des Verfassers „la I^ro peur vlmmor rom ee gue flame reve" ist eine auf dje Spitze getriebene Konsequenz deö ästhetischen Prinzips der romantischen Schule. UebrigenS ist die Form des Gedichts vortrefflich, der Styl ist kernig und dabei klassisch rein, mannigfaltig und im Allgemeinen dem erhabenen Gegenstände angemessen. Die übrigen literarischen Erscheinungen der letzten Zeit sind von zu ephemerer Natur, als daß sie eine besondere Erwähnung verdien ten. Von den I2i» Romanen, welche das vergangene Jahr produzirt bat, dürften wohl die wenigsten über die Region der literarischen Eintagsfliegen sich erheben. v. G-