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Vie „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 020 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Held und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bi» vormittag zo Uhr. Inserate werden mit w Pf. für die Spaltzeüe berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 108. Freitag, den 9. September 1904. 3. Jahrgang. Oertliches und Sächsisches. Gttendorf-Dkrilla, 8. September ISO-z. «— Des Königs Nock müssen nun bald viele junge Leute anziehen, den mancher Mann mit Stolz und Achtung getragen hat. Gewöhnlich erschwert dos liebende Mutteiherz dem Jungen da« Abschiednchmen und wenn sie es nicht macht, holt es eine andere liebende Seele nach. Nun, da wir scheiden muffen, laß dich noch einmal küssen I so denkt gar mancher zukünftige Vaterlandsverteidiger und recht herzlich zieht er beim Abschiednehmen sein Liebchen an sich. — In der Zeit, die bis zum Eintritt in das Regiment zur Verfügung steht, muß noch Mancherlei erledigt werden' Wir möchten die Militärpflichtigen daran erinnern, etwa rück ständige Staats- und Gemeindesteuern sofort zu bezahlen, damit eine Zwangsvollstreckung durch den Antrag beim Regiment vermieden werde- Im Unvermögensfalle ist ein Gesuch Um Erlaß von Steuern bei der zuständigen Stadt- oder Ortssteuer-Einnahme einzureichen. Ebenso seien die demnächst zu ihren Truppen teilen abgehenden Rekruten darauf hingewiesen, daß sie, sofern, sie der Jnvalididäts- und Altersversicherungspflicht unterliegen, ihre Quittungskarte sorgfältig aufzubewahren haben. Die Militärzeit wird so berechnet, als wären unterdessen die Beiträge vollständig bezahlt worden. — Drachen steigen jetzt wieder in die Höhe. Sie bilden durch ihr schnelle« Fliegen eine Haupifreude unserer Jugend. Was man früher als Drachen bezeichnete, jene fabelhaften Un geheuer mtt feurigen Augen und der ent setzlichen Gestalt, davon ist an den Spielzeugen der Knaben wenig oder gar nichts mehr zu bemerken. Wohl nur der lange Schwanz hat sich bei den Drachen erhalten; während er aber früher eine gewaltige Verteidigungswaffe des lindwurmähnlichen Ungetüms war, besteht er jetzt aus harmlosen Papierschnitzeln. Er Wird höchstens den Telegraphen- und Telephon- drohten gesährlich, wenn er sich dort ver wickelt. Auch der mächtige Nachen, aus dem Feuer und Ranch ausgeatmet wurde, ist ver schwunden, ebenso das angsterregende Gesicht Mit dem gierigen Ausdruck, Statt dessen zeigen sich, bunt bemalt, mehr oder weniger gut aus- gcführtc Physiognomien von Menschen oder Tieren, je nach dem Geschmack des Besitzers. Nur ein Held konnte mit dem Drachen der grauen Vorzeit feitig werden; der moderne Drache jedoch ist so leicht zu handhaben, daß jedes Kind ihn zu behandeln versteht. Ob sich die jugendlichen Freunde desselben dabei wie ein Siegfried oder wie ein sonstiger Bezwinger des Lindwurms fühlen, muß freilich dahin gestellt bleiben. Dresden. Die Kommission für die Große Kunstausstellung versicherte, daß die Einnahmen äußerst zufriedenstellend seien, sodaß ein gutes Endergebnis erzielt werden dürfte. Schon jetzt sei vorauszusehen, daß Elementarereigniffe aus geschlossen, die Privatgarantien nicht in Anspruch genommen werden und daß auch die von Stadl Und Staat bewilligten Garantiesummen von je 20000 Mark nicht angegriffen zu werden brauchten. — Im „N W. Journal" steht folgende „rührende" Geschichte zu lesen: Um eine Schuld iu sühnen unternimmt soeben ein ^fürstliches Paar eine Pilgerreise von Sachsen zu Fuß vach der Ewigen Stadt. Prinz Friedrich von Schönburg-Waldenburg hatte sich im Jahre 1897 in Venedig mit Prinzessin Alice von Bourbon vermählt. Dort wurde das Paar von dem damaligen Patriarchen Sarto, jetzigen Papst Pius getraut. Die Ehe war indes, wie be kannt, keine glückliche, und es kam zur Scheidung. Seither hat Papst Pius allen Einfluß aufgewendet, um eine Aussöhnung der Geschiedenen hcrbeizuführen, und das ist ihm denn auch gelungen. Die weitere Folge hier von ist die nunmehrige Pilgerfahrt des wieder- vereinigten fürstlichen Paares nach Rom, um dort vom Heiligen Vater die volle Absolution zu erbitten. Das fürstliche Pilgerpaar kehrt auf seiner Fußreise in den gewöhnlichen Gast höfen ein, die es auf seinem Wege vorfindet, und betätigt seine Büßfertigkeit auf dem ganzen weiten Wege durch Werke der Wohltätigkeit indem es überall Almosen verteilt. Prinzessin Alice trägt eine schwarze Reisetoilette ohne jeglichen Schmuck, als Kopfbedeckung einen schwarzen Schleier. Der Prinz legt den weiten Weg in einem schlichten grauen Anzug zurück; er trägt gleichsam zur Betonung des Wesens seiner Pilgerfahrt eine schwarze Arm binde. Als Fußbekleidung trägt er Sandalen, und das Haupt bedeckt ein dunkler Filzhut. Wirklich recht sonderbar I — Die amerikanische Regierung strebt zur Zeit eine Herabsetzung der Portogebühren für Briefe, Postkarten usw. für Sendungen nach Europa an. Die Verhandlungen mit den beteiligten europäischen Regierungen sind bereits in vollem Gange. In Zukuuft sollen, wie der „Konfektionär" mitteilt, die für das Inland normierten Portosätze (2 Cents für Briefe, 1 Cent für Postkarten) auch für den Verkehr mit Europa erhoben werden. Die entgültige Entscheidung wird auf dem im nächsten März stattfindenden internationalen Postkongreffe ge troffen werden. Deutschland und Großbritannien haben bereits ihre grundsätzliche Zustimmung erteilt. — Nach einem unterhalb der Kettenbrücke bei Tetschsn am linken Elbuser im Flußbett liegenden 6 ym großen Basaltstein, auf dem seil dem 14. Jahrhundert die niedrigsten Wasserstände durch Jahreszahlen eingemeißelt sind, soll der jetzige Wafferstand der niedrigste seil dem Jahre 1417 sein. — In Vorstadt Gruna wurde ein Falsch münzer namens Deutschmann verhaftet, der Ein- und Zweimarkstücke anfertigte und in Massen verausgabte. Deutschmann ist von Beruf Kellner und verheiratet. Kemnitz. Explosion einer sogenannten „explosionssicheren" Spirituskanne. Beim Rachgießen von Spiritus auf einen noch wckt verlöschten Spirituskocher ereignete sich hier ein Fall, der sehr leicht schlimme Folgen haben konnte. Ein hiesiger Einwohner goß aus einer „explosionssicheren" Kanne den letzten Spintus- rest auf den erwähnten Kocher nach, wobei die in der leeren Kanne noch vorhandenen Gase sich plötzlich entzündeten, und die Spiritus- kanne unter heftigem Knall explodierte. Außer zum Glück nur unbedeutenden Brandwunden an der Hand kam der betreffende Mann mit dem Schreck davon. Radeburg. Hier wird am 14. und 15 September d. I. Vieh- und Krammarkt abgehalten. Königsbrück. Eine rohe Schlägerei ent stand in der Nacht zum Dienstag am Bahnhofs berg. Einige schwere Lastgeschirre von aus wärts erregten durch das laute Antreiben und Schlagen ihrer Pferde AergerniS. Ein des Weges kommender Bahnangestellter, welcher sich über die rohe Behandlung der Tiere auf hielt, wurde von den Fuhrleuten derart mit der Peitsche geschlagen, daß er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Hoffentlich konnten durch die hinzugeholte Polizei die Namen der Nebeltäter festgestellt werden, damit dieselben ihrer Strafe nicht entgehen. Hainewalde. Schwer verunglückt ist am Sonntag der Arbeiter Haase aus Großschönau durch einen Sturz vom Zweirad, wobei er einen Beinbruch erlitt. Der bedauernswerte junge Mann mußte in ein in der Nähe gelegenes Haus getragen werden, wo ihm Herr Dr. Bufe die erste Hilfe leistete. Alsdann wurde er nach der Wohnung seiner Eltern gebracht. Zittau. Der bei dem Eisenbahnunglüc bei Bertsdorf am 7. August schwer verletzte und bereits totgesagte Herr Mönsch, an besten Aufkommen zuerst sehr gezweifelt wurde, ist am Sonnabend aus dem hiesigen Kcankenhause entlassen worden, und befindet sich wieder bei einen Angehörigen. Doch sind die Spuren les Unfalls noch sichtbar und das linke Auge jat die Sehkraft noch nicht wieder erlangt. Meißen. Am Sonnabend gegen Abend satte auf der oberen Burgstraße ein Radfahrer das Unglück, einen ungefähr sieben Jahre alten Knaben umzufahren. Dieser war kurz vor dem Herannahen des Radfahrers noch über die Straße gelaufen uud griff dann in seinem Schreck in das Rad, um sich festzuhalten. Da durch zog er sich verschiedene Verletzungen am Arme zu. Dem Radfahrer trifft nach Angabe von Augenzeugen keine Schuld. Die auf der Fußbahn befindliche Mutter war über den Vorfall derart erschrocken, daß sie laut aufschrie und zu ihrer Beruhigung in das Haus eines Anwohners gebracht werden mußte. Leisnig. Ein Deserteur, der Matrose Terbsch von der 4. Matrosendivision in Wilhelmshaven wurde am Sonntag in Mink witz verhaftet und in die hiesige Kaserne ein- gcliefert. Terbsch war bis 4. Juli nach Dresden beurlaubt gewesen, aber nach Ablauf seines Urlaubes nicht zu seiner Division zurückgekehrt. Leipzig. Die unter dem Verdachte des Rauchwarendiebstahls im Hause Lomer Ver- zafteten leugnen jede Schuld; voraussichtlich muß gegen die geriebenen Spitzbuben unter Indizienbeweis verhandelt werden. — Der 18 Jahre alte Handlungsgehilfe Arthur Horn brannte am I.v. M. seinem Chef mit 1800 Mark durch, verjubelte das Geld vollständig und ward am Dienstag mittellos verhaftet. — Buben- und Diebeshände scheuen selbst vor Vernichtung oder Aneignung solcher Ein richtungen nicht zurück, welche zur Rettung einzelner Personen geschaffen sind. So muß daß Polizsiamt eine Bekanntmachung erlassen zum Schutze der Rettungsringe an den Fluß ufern. Die Ringe sind oft beschädigt und ins Wasser geworfen, die Leinen wiederholt ent wendet worden. 30 Mark Belohnung werden für die Ermittelung eines Täters ausgesetzt. — Herr Rudolf Witzgall, städtischer Turn ehrer in Leipzig, hat sein Amt als Kreisturn- vart im Kreise Sachsen freiwillig niedergelegt. Begründet wird dieser Schritt damit, daß die vielseitigen Pflichten seines Berufes und die Rücksichtnahme auf seine Gesundheit es ihm unmöglich machen, das Amt weiterhin zu be kleiden. Die Gauturnwarte des Turnkreises Sachsen sind somit vor die Notwendigkeit ge stellt, in ihrer nächsten Versammlung zwei neue Kreisturnwarte zu wählen, da bekanntlich der frühere erste Kreisturnwart, Herr Seminar oberlehrer Fickenwirth-Dresden-Plauen, an Stelle des Herrn Direktors W. Bier-Dresden zum ersten Kreisvertreter gewählt wurde. Chemnitz. Die übliche Angewohnheit mancher Kinder, sich an im Gange befindliche Fahrzeuge anzuhängen, hat hier wieder ein neues Opfer gefordert. Auf der Fürsten straße hängte sich ein dreijähriger Knabe an das Trittbrett eines zweispännigen Doktor wagens, wie er es kurz zuvor von seinem größeren Bruder gesehen hatte. Der Kleine geriet jedoch unter die Räder und wurde mit so schweren inneren Verletzungen aufgehoben, daß er kaum mit dem Leben davonkommen dürfte. — Nicht weniger als 113 Personen wurden diesmal von der Schußmannschaft am Sedantage wegen Verübung groben Unfugs durch Abbrennen von explosiven Feuerwerks körpern auf öffentlichen Plätzen und Straßen zur Anzeige gebracht. Wolfers grün. Beim Spielen mit einem scharf geladenen Teschin hat der Dienstknecht Laudert den 16 Jahre alten Dienstknecht Fröhlich erheblich verletzt. Aue. Unter dem schweren Verdachte, ihr eigenes dreivierteljähriges Kind ums Leben ge ¬ bracht zu haben, ist die aus Sehma bei Anna berg stammende, in Aue wohnhafte 34 Jahre alte Handarbeitersehsfrau Therese Leonhardt geborene Pollmer verhaftet worden. Das Kind >as am 28. vor. Mts. verstorben und am 31. beerdigt worden ist, soll von der Mutter der maßen unmenschlich behandelt und vernach- ässigt worden sein, daß es vollständig er blindet und gänzlich abgemagert war. Schließlich oll es von der Leonhardt in Betten erstickt worden sein. Aus dem Erzgebirge. Hier wie im Vogtlande machen von Zeit zu Zeit sogenannte „Geldmännel" von sich reden. In Zschorlau und Griesbach haben wieder zwei „Geprellte" das Nachsehen. Dem einen dieser beiden ging kürzlich ein Brief aus Brunndöbra zu, in welchem ihm mitgeteilt wurde, daß er ein gutes Geschäft machen könne, wenn er sich mit dem Briefschreiber in Verbindung setzen würde. Ersterer reiste schleunigst nach Brunndöbra, rndet auch den Briefabsender, wird aber von Kesern an einen dritten verwiesen. Dieser präsentiert ihm eine ganze Anzahl echte Kaffen cheine und Geldstücke als unechte, und ver- pricht, ihm von dieser Sorte 12000 Mark zu beschaffen, wenn er 1000 Mark echtes Geld dafür legen könne. Schleunigst fährt der Verblendete nach Hause und gewinnt seinen Freund als Kompagnon. Mit dem nötigen Bargeld reisen nun beide nach Brunndobra, wo ihnen der Vermittler, nachdem er die von dem ersten mitgebrachten 1000 Mk. eingeheist, versicherte, nach der „Bank" zu gehen, die Angelegenheit zu regeln und baldigst zurückzu kehren. Er kam natürlich nicht und soll noch jeute kommen, Die beiden kehrten aber um 1000 Mark erleichtert in ihre heimatlichen Gelaffe zurück. Reichenbach i. V Ein Realschüler be- chäftigte sich mit chemischen Experimenten. Dabei erfolgte eine Explosion, infolge deren der betreffende Schüler eine schwere Verletzung des einen Auges erlitt und sich auch an den Händen erheblich verletzte. Plauen. Der rätselhafte Leichenfund bei Asch ist immer noch nicht aufgeklärt, trotzdem die Behörden, wie dem „Vogtland. Anz." aus Asch geschrieben wird, mit größtem Eifer be müht sind, Licht in die mysteriöse Angelegenheit zu bringen. Bekanntlich fehlte, als man die Leiche des jungen Mannes auffand, einen Teil der Uhrkette und die Uhr selbst; diese sind nun auch gefunden worden. Von der ur sprünglichen Annahme, daß ein Raubmord vorliegen könnte, darf jetzt keine Rede mehr sein. Es fragt sich nun, ob Selbstmord vor liegt, oder ob es sich um einen Unglücksfall handelt. Wie erst bekannt wird, haben die Aerzte bei der Obduktion der Leiche Seidels an deren Halse eine Strangulierungsfurche festgestellt. Dieses Merkmal ist jedoch so gering daß es lediglich auf einen Strangulierungsversuch schließen läßt. Der Untersuchungsrichter, der die Erhebungen leitet, wies auch die Möglichkeit nicht unbedingt ab, daß ein Selbstmordversuch durch Erhängen erfolgt, infolge Reißens des Strickes aber mißglückt sei. Die eigentliche Todesursache des jungen Mannes ist innere Verblutung, herbeigeführt durch Bxüche des Brustbeins und der Wirbelsäule; außerdem war auch der Rechte Unterarm gebrochen. Nun deuten diese schweren Verletzungen am ehesten auf einen Sturz aus beträchtlicher Höhe hin. Es wäre ja möglich, daß Seidel in diesen Felspartien abgestürzt ist, aber unmöglich ist eS nach Ansicht der Gcrichlsärzte, daß sich der junge Mann mit gebrochener Wirbelsäule und gebrochenem Brustbein 500 m weit schleppen konnte. Und durch einen Sturz auf ebener Erde, etwa infolge Stolperns, konnten Ver letzungen der bezeichneten Art nicht entstehen. Die ganze Angelegenheit ist also noch wie vor unaufgeklärt.