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18S7^ Redigirl und verlegt von C. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg. Die Raben. (Fortsetzung.) „Da haben wir», so hat er immer gesprochen!" rief Veronika dazwischen; „Ihr wußtet also seinen Willen, und was thatet Ihr?" „Was ich that? Ich verbeugte mich tief und ging. Das Fräulein de la VerriLce ist eine kleine, auf beiden Beinen hinkende Person, und von sehr häßlicher Gesichtsbildung, sie gilt für dumm und ihre Physiognomie drückt keineswegs Her- zen-güie aus. Mehrere Tage ging ich in der schrecklichsten Bestürzung herum; der Baron sprach von dieser Heirath als von einer völlig abgemachten Sache, und schon war ich ent schlossen, mich zu ergeben und ihm zu gehorchen, allein mein ganze- Innere empörte sich gegen diese Verbindung; ich glaube, ich hätte mich viel eher entschließen könnet, Kapuziner zu werden, als Fräulein de la Berridre zu heirathen. Eine» Tage- faßte ich einen raschen Entschluß, ich suchte meinen Großvater auf und erklärte ihm meine Weigerung in zwar ehrerbietigen, aber bestimmten Ausdrücken. Soll ich die Wahr heit sagen, so that ich es nicht ohne Zittern —" „Jesus, mein Gott, das glaublich gerne," sagte Ve ronika, „und dann?" „Dann — ja das weiß ich nicht mehr zu sagen, was sich nun zutrug; ich war völlig außer mir, denn das erste Wort, was ich hörte, war die Drohung, mich einzusperren. Noch am selben Abend verließ ich das Schloß, ich fürchtete, mich zu irgend ein gewattthätigen Handlung Hinreißen zu lassen, und schlug auf gut Glück den Weg nach Marseille ein. Seitdem habe ich nichts mehr von meinem Großvater gehört; aber ich kenne ihn nur zu gut, als daß ich je hoffen könnte, daß er mir verzeihe; er wird sterben, ohne mir ein anderes Vermächtnjß als seinen Fluch zu hinterlassen!" „Das kany sich Alles noch anders machen," sagte Su sanne, den Kopf schüttelnd, „man mnß die Hoffnung nicht aufgeben, es gibt nur eine Sache aus der Welt, gegen die «S keine Hilfsmittel gäbe, dies ist der Tod, und selbst von dem kehrt man zuweile» wieder zurück, wie Ihr an Euch selbst erfahren habt." „Wir werden Alles aufbteten, um Euch nützlich zu sein, so wett es unsere beschränkten Kräfte zulassen," fügte Vero nika hinzu; „habt Ihr Geld nöthig, so können wir Euch ei niges vorstrecken, da- wird besser sein, als wenn Ihr Eure Zuflucht zu Wucherern nehmet." „Und zuvörderst nehmet wieder die Summe zur Hand, die Ihr mir vorhin aus den Schooß gelegt habt," sagte Su sanne, ihm die Börse hinreichend, „wir können sie nicht an- nehmen, gewiß nehmen wir sie nicht. So viel Geld sür eine einzige Nacht, das wäre ja erschrecklich! Nähmen wir eS, so könnte man uns erst mit vollem Rechte den Namen von Raub vögeln beilegen! Lie Raben!"» „So wisset Ihr also, daß man Euch diesen Namen gibt?" fragte KaSpar mit halbem Lächeln. „Zuverlässig; doch waS haben wir darnach zu fragen! Man fürchtet uns, man deutet mit Fingern auf uns; können ^»tr uns aver nicht dabei beruhige^ da wir nie et«-m Men schen etwas zu Leid« gethan haben, und im Frieden leben, bis e- Gott gefällt, un- in sein heilige- Paradte- aufzu-" nehmen?" Herr von Greonlx wurde durch diese Worte voll der einfachsten Leben-.vetsheit und voll Glaubens gerührt. „Ich kehre wieder," sagte er, den beiden Alten die Händ«, reichend, „ich werde ost wiederkehren, um Euch zu besuchen. Bewahret diese- Geld, und sollte ich welche- bedürfen, so könnt Ihr mir davon borgen." Al» er die- gesagt, legte er die Börse abermals auf Susannens Schürze. Diese nahm eS und sagte: „ich will es behalten, aber nicht al- mein Ei genthum, sondern nur, um e- Euch zu bewahren." „Ihr werdet Euch wohl noch unserer Thüre erinnert ha ben," sagte Veronika, „zu der Ihr uns unlängst geleitet, al» Ihr uns auf dem Kat gegen die Rohheiten eine- Schiffer» verthetdigtet." „Ja, ja, ich erinnere mich, e» war gerade der Tag mei ner Ankunft," erwiderte er zerstreut, denn er glaubte eine leise Bewegung hinter dem Bettvorhänge bemerkt zu haben. „Sie schläft immer noch," sagte Veronika, die seine Ge- ' danken errieth. Hiermit stand er ans und entfernte sich unter dem Versprechen, bald wiederzukehren. Während ihii nun die beiden Alten begleiteten, schob Gabriele den Vorhang zur Seite und steckte ihr Köpfchen hervor; sie kniete aus ihrem Bette und hatte in dieser Stellung seit einer lStunde dem schö nen Kaspar von Greoulx zngehört und ihn betrachtet. So bald die beiden Naben zurückkehrten, legte sie sich wieder hin, und stellte sich, als ob sie schliefe. „Schwester," sagte Veronika lebhaft, „dieser junge Mann wird ohne Zweifel bald Geld nöthig haben! wir dür fen aber nicht so lange warten, bis er welches fordert; wir können ihm zuerst dies geben, allein was wollen fünfzig Tha ler viel heißen? Wir legen all' da- bet, was in dem Säck chen von blauer Leinwand ist." „Ich habe auch schon daran gedacht; es liegt mancher schöne Thaler in unserem Schranke, und wenn eS nöthig ist, so gehen wir zu Herrn Vincent." „Wie schön er ist, welch adeliges Aussehen er hat, ganz das der Familie," sagte Veronika seufzend. „Geh, geh," unterbrach sie Susanne, „Du nimmst Dir das Alles viel zu sehr zu Herzen! Was geht uns die Fa milie Greoulx an? Was haben wir noch mit ihr zu schaf fen? Was den Kaspar betrifft, so ist das was anderes; er . hat uns nicht verachtet, weil wir arme Frauen find; er hat ein dankbare» Herz, und ich wünschte, daß er eine» Tage» sagen könnte: Die Raben haben^mir Gutes gethan." 5. Al» Herr von Greoulx einige Tage später wieder in dies Haus zurückkehrte, dessen Schwelle Niemand außer ihm freiwillig überschritten hätte, saß Gabriele zwischen den beiden Raben am Kamine. Veronika hatte sie in eine große Robe gehüllt, die einst von einem Doktor getragen worden zu sein schien; ihre zarsen, weißen Hände traten au» einem Paar un- geheueren Aermeln hervor; ihr blonde- Köpfchen verlor sich j in einer unermeßlichen Setdenkapuze, und ein Pair-mantel