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61. Jahrgang. AL 648. Sonntag. S. September 1617. HegrLrrr-eL 18SS Drahtanschrift: ««chrichte» Deiltzt» Frrnlprecher-Sammklnummer: «»LI. Nur für Rachlgespräch«: »0011. V -77§//VE/F/'/ ///V77^ M!- Schrtstlevung und tzauptgeschltftastell»: Marieuftratz« 38/L«. Druck u. Verlag van LIepsch L Relchardt in Dresden. D«z«g-.s-blihr L.«N..»«:-1rL^'L7LL'! Anzeigm-Pr-is-, Na-dnlck m» «II »««Ilicher Quellen»!-«»« <,Die»dn«r Nachr.") piiaifia. — Unverlanat» s-riltttücke werden nickt mifbewahrt. Kostüms ölaolislsln Mxlniffsi' 8trsks 18, Llsunstrsko 1, Kvsrslsclorlör 8trssts 5 ll ivllk0llL688tzll2 Konkelct.-^bteil. sieräinanäplatr. ^5?° klLnitr Lcicicnksur Praxen Straüe 14. „mit «ier 8iexelmsrlce" rur Stärkung ctes dlaxens uncl lier Vercksuunx sowie rur Kräktixunx äer dlerven. siebt in Orixinsi- klsscben. Verssacl nsck auswärts. Depot: Dresden, ^ Hin »ritt. AIvmMIie verrllikiiilg,« NiveiiMelii R IleeiMiMe. »Mieren m MelnlMen. vergolNeii. verülvern «m. » ^smspi-oclisi' 2?359. SSSKS Tomen von einem einzigen II-Boot versenk. Scheitern eines sravzökschen Angriffes im Foffes-Walde. — Schwere englisch-französische Verluste. — Reiche Beute aus der Schlacht dan Riga.—Sin österreichisch-ungarischer Vorstoß in Slidtirol.—Kerensti gegen die Gegenrevolution.—Die Spionage in Belgien. Weitere 535VV Tonnen versenkt. Berlin, 8. Sept. sAmtlich.j Eins unserer Untersee boote, Kommandant Kapitänlentnaut Meusel, hat 10 Schiffe mit 5 8 5 üü Brutto-Register-Tounen, darunter S bewaffnete Dampfer und 8 bewaffnete Segel schiffe, versenkt. Unter der versenkten Ladung befanden sich 18S5Ü To. Kohlen, 15 888 To. Lebensmittel, 11880 To. «iscuerz. 2508 To. Weizen, 2500 To. Gtttckgitter, 2768 To. Farbhplz, 208 To. Farbholzextrakt, 1400 To. Schwefel, 3888 To. Ltächeldraht, 18 Lokomotive» und die Paketpoft für das kanadische Hanptqnartier in Frankreich. Sechs Geschütze wurden erbcntet. lW. T. B.f Der Chef beS «dmiralstabs der Marine. Der deutsche Abenddericht. Berli«, 8. Sept.» abends. fAmtlich. W. T. 8.) I» Flandern wechselnd starkes Feuer. An der Nordostfront von Berbnn ist der französische vlngriff im Foffes-Walde und nordöstlich von Bezouvaux gescheitert. Im Chaume-Walde, wo der Feind Boden gewonnen hat, wird noch gekämpft. Fm Osten nichts Wesentliches. Lesienelchisch-««arischer «riegrbericht. Wie«, 8. September. Amtlich wird verlautbart: Der Monte Sa» Gabriele lag unter schwerem Geschtttzfener. Ei« nächtlicher Fusanterieangrisf der Italiener wurde abgeschlagen. Bei Bczzecca in Stid- tirol bemächtigten sich unsere Trnppe« eines feind liche» Stützpunktes durch Ucberfall. Es wurden Gefangene etngebracht «ud Maschinengewehre erbeutet. Au der Ostfront keine besondere« Ereignisse. sW. T. B.s Der Ehes des Generalstabs. Ae BerftSndigllng ver BerftSndigen. Die Einnahme von Riga und die gewaltigen Erfolge unserer Truppen im Nordosten haben Herrn Philipp Gcheidemann bewogen, im „Borwärts" einen Verständi- gnngSruf erschallen zu lasten. Verständige für Verständi gung! sagt Herr Scheidemann und warnt eindringlich vor dem „Bergewaltigungsfrieden". wie er von alldeutscher Seite erstrebt werde. Wir wollen uns aus die Friedensfrage im einzelnen nicht einlasten, sondern möchten nur darauf Hin weisen. daß die Ablehnung der Scheidemannschen Formel „keine Annexionen und keine Entschädigungen", bah das Eintreten für starke Sicherungen des Reiches noch lange nicht gleichbedeutend ist. mit der Forderung eines „Ver- gewaltigungssrtedens". dah insbesondere die Schaffung wirk licher Garantien gegen die Wiederkehr eines solchen Krieges eine „Verständigung" keineswegs ausschlieht. ES zeugt von mangelhaftem Verständnis und. starker Selbstüber- schätzung, oder etwa» Schlimmerem, wenn die Linke so tut. als ob eS außerhalb der Formel „keine Annexionen und keine Entschädigungen" gar keine ander« FriedenSmöglich- keit gäbe als Vergewaltigung und Zerschmetterung. Es heißt dem deutschen Volke jeglichen realpolitischen Ginn und jede historische Erkenntnis absprechen, wenn man ihm zu- mutet, an die neue Lehr« zu glauben, -ab nur dann der Friede Dauer habe, wenn dem Feinde alles wieder zurück erstattet ist, was er vorher besessen hat. Ist denn der alte Zustand so ideal gewesen, dah eS für uns heute nach drei Kriegsjahren kein höheres Ziel mehr geben kann, als Wiederherstellung? Und wenn eS der Fall war, weshalb hqben unsere Feinde dann den Frieden gebrochen in so schamloser und verbrecherisch-leichtfertiger Weise, wie cs durch den Suchomlinow-Prozrh erneut bewiesen worden ist? Hätten sic cs gewagt, wenn ihnen im Westen nicht das belgische Einfallötor offen gestanden hätte, wenn ihnen im Osten nicht von vornherein die höchst ungünstigen Grenzen der Mittelmächte eine» gewissen Erfolg verbürgt hätten? Die Antwort auf all diese Fragen liegt auf der Hand. Wir fragen weiter: -Hat der Versöhnnngsgedankc, wie er beispielsweise in der NeichstagSentschlichung vom 18. Juli seinen Ausdruck gefunden hat. in der Welt solche Fort schritte gemacht, dah Grund zu der Annahme vorhanden ist. die Zeit, wo die Pardel Lei den Schafen liegen und cwiHsr sWede herrsche, stehe nahe bevor? Nun. wir wissen, dich auf die Entschlichung vom 18. Juli die Offensiven^» Fmndern, im Artois, bei Verdun und am Jsonzo folgtest, und dah di« russische Offensive nur dadurch gehindert wurde, dah Prinz Leopold von Bayern zum G^en stoße auöholte. Neunzehn Friedensfreunde und nicht einer mehr Imbcn sich im englischen llnterhause gefunden. Hcrvö aber schrieb in seiner „Victoire": „Es ist klar, daß Deutschland und Oester reich nicht an allen Glvckcnzügen Europas anläutcn wür den. um einen Frieden ohne Annexionen und ohne Ent schädigungen zu erbetteln, wenn sie sich nicht für unrettbar verloren hielten." Der Pariser Berichterstatter des Berner „Bund" stellt ausdrücklich fest, daß der ehemalige Inter nationale damit die allgemeine Stimmung in Frankreich zutreffend wiedergegeben habe. Der unbestreitbare „Erfolg" der Vcrsöhnungsaktion des Reichstages bestand also in einer Aufmunterung des Kricgswillcns der Feinde, in einer Verlängerung des Krieges. Wbnn nach diesen Erfahrungen nun noch immer die Ver söhnung und der Verzicht als kriegsverkürzcndes Mittel von Herrn Scheidcmann und seinen Leuten empfohlen wer den. so empfinden wir das im besten Falle als verstiegenen, unheilbaren Utopismus — oder auch als eine „grenzen lose Gewissenlosigkeit", wie Herr Scheidcmann sie auf der anderen Seite sehen will. Herr Scheidcmann macht dem Kanzler Borwürfe und setzt ihm hart zu. weil er sich bisher gegenüber der Friedens resolution des Reichstages weder zu einem klaren Ja noch zu einem klaren Nein habe verstehen können. Er ver langt von ihm ein klares Bekenntnis zu dem Satze: Jeder trage seine eigenen Lasten. Dabei hat cs die Sozialdemo kratie bisher pcinlichst vermieden, auch nur in den allge meinsten Umrissen anzudeuten, wie die Verwirklichung hiefes Programms möglich gemacht werden kann. Daß die ungeheuren Kosten dieses Krieges nicht einfach aufgebracht werden können dadurch, dah von einer bestimmten Stufe an die direkten Steuern verdoppelt und verdreifacht wer den. weil eine derartige Gewaltmahnahmc geradezu kata strophale Wirkungen im Wirtschaftsleben anslösen und Millionen deutscher Arbeiter brotlos machen und zur Aus wanderung aus der Heimat, die sie mit ihrem Mute ver teidigt haben, zwingen würde, das dürfte man auch in der Sozialdemokratie cinsehen. Dann aber ist cs zum mindesten nicht ganz ehrlich, derartige Schlagworte in die Menge zu werfen. Mit Recht hat -er Leipziger Oberbürgermeister Dr. Dittrich in der Ersten Kammer auf diese verhängnis vollen Folgen des Scheidemannschen Grundsatzes hin- gewiesen: „Nach einem faulen Frieden würde die be- stehende Blockade unserer Feinde nur verschärft werden, und wir würden auf Jahrzehnte hinaus die schwersten Bedrängnisse durchzumachen haben." Daran ist gar nicht zu zweifeln, auch die schönsten Reden von Versöhnung und Vülkerverftändigung. von den gemeinsamen Zielen und Jntereffen -er Internationale können hierüber nicht hin- wogtäuschen. Die Internationale ist tot — die KrtegSziele der englischen Sozialisten, das Programm der französischen Genoffen für die Stockholmer Konferenz, sie beweisen eS deutlich gcnug. Sin starker Friede, der unsere Grenzen sichert und uns unsere wirtschaftliche Bewegungsfreiheit wiedcrgibt, ist schlechthin eine Lebensfrage für unser Volk. Dah ein solcher Friede erreicht werden kann und erreicht werden wird tu absehbarer Zeit, wenn die Heimat die Nerven behält, LaS haben uns die Männer, die allein ein richtiges Urteil über Deutschlands Kraft haben können, oft genug versichert. Wir werden den Krieg innerhalb einiger Monate zum glück lichen Ende führen, sagte Ludendorss, und der sächsische Finanzministcr erklärte in der Ersten Kammer, dah uns ein ehrenvoller Friede und die nötigen Entschädigungen zuteil werden, darüber lasse die Kriegslage keinen Zweifel aufkomme». Diese Worte wiegen ungleich schwerer, als die im Hinblick auf die Siege im Osten ausgesprochene War nung Scheidcmanns, sich dadurch in der Auffassung von der Hrt des Friedens nicht beirren zu lasten. Es darf vielleicht als gutes Zeichen für die Stimmung in unserem Volke ge deutet werden, daß Herr Scheidemann sich zu einer solchen Mahnung veranlaßt sieht. Im Interesse der weiteren Festigung unserer inneren Front gegenüber den Angriffen auf den Siegeswillen von innen und außen wäre es aber zu wünschen, daß die Erkenntnis von der entscheidenden Bedeutung eines starken Friedens auch von behördlicher Seite mehr gefördert würde. Mit Recht hat cs Dr. Dittrich in seiner oben ermähnten Rede beklagt, daß über die Folgen eines schlechten Friedens noch lange nicht in allen Kreisen Klarheit bestehe. Diese Klarheit ist notwendig, sic zu ver breiten heute um so mehr eine unabweisbare Pflicht, als wir mit der Obersten Heeresleitung die feste Ileberzengung hegen dürfen, daß uns der Friede bringen kann, was wir brauchen, daß er nicht mehr fern. ist. wenn wir stark und siegcsmutig bleiben und uns nicht beirren lassen in der Verfolgung des hohen Zieles, das uns heute schon dank der glänzenden Erfolge von Heer und Flotte greifbar nahe gerückt ist. Hierüber hat sich das deutsche Volk in erster Linie zu verständigen, und diese Verständigung ist wert voller als alle anderen, die uns bisher empfohlen wurden. Die Wirkung des Falles von Riga. d. Schon Montag früh hatte Kcrcnsli anläßlich öck Ministcrberatung den Kabincttökollegcn Mitteilen rönnen, daß Rigas Fall unmittelbar bcvorstchc. Bereits am frühen NachmittW, als Kcrcnskis Mitteilung durchgcsickert war, fing die Volksmenge sich vor dem Gcncralstabsgebändc, vor der Kasan-Kathedrale und dem Marienpalais anzusammcln. Es erschollen die Rufe: „Nieder mit d e r N c g i e- rung!" „Nieder mit dem Krieg!" Gegen 8 Uhr abends umzingelten die Junker der Kriegsschule und Kosaken die genannten Gebäude, um diese vor dem Ein dringen zu schützen, während berittene Patrouillen die Ord nung aus den Straßen notdürftig ausrechterhicUen. Noch bevor die amtliche Meldung bekannt wurde, hnngtc der Depcschensaal der „Nowoje Wrcmsa" am Ncmski am Fenster die Meldung von Rigas Fall aus und wenige Minuten darauf versammelten sich dort viele Tausende, die sofort im provisierte Meetings abhielten. Ein Redner nach dem ande ren hielt leidenschaftliche Anklagen gegen die Regierung und insbesondere gegen KercnSki. Als Mit glieder des neu begründeten Soldatenvcrbandcs der Gevrgs- ritter zu Worte kommen sollten und mehrere Ruse: „Nieder mit dem Sowjet!" ausstießcn, entstand ein Handgemenge. Massenaufgebote von berittener Miliz und Kosaken zerstreuten allmählich die Menge. Weit ernster waren die Auftritte aus der sogenannten Petersburger Seite. Um 8 Uhr abends marschierte eine Vieltausendsache Menge auf den Ostrowskiprospckt unter Absingen der Internationale und schrie unaufhörlich: „Gcnug des Men- schenschlachtens! In das Zuchthaus muß Kercnskl!" „Tod den Engländern!" An der Troitzki-Brückc, die zum briti schen Botschaftspalais führt, waren bewaffnete Abteilungen der Regimenter Prcobrashcnski und Ssemonow mit vier Maschinengewehren aufgestellt, während aus der anderen Brückenscite die Botschaft selbst von Militär bewacht wurde. Man fürchtete wohl vornehmlich Demonstrationen vor Buchanans Heim. Das Ueberschreiten der Brücke durch. Demonstranten wurde somit verhindert, aber noch stunden lang harrte jenseits der Newa die Volksmenge, die in zwischen durch von Wyborgcr Seite zustrvmcndcn Arbeitern wesentlich verstärkt wurde. Am Montag abend war die Petersburger Einwohnerschaft von einer Panik crgri»-n, als ob der Feind schon direkt vor der Residenz stünde. Der 12 Uhr-Zug nach Moskau wnrdc von den Reisenden mit Sack und Pack förmlich gestürmt.