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Sonntag. Nr. t6« 12. Juli I8S7. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Sonntags täglich Nachmit tags für den folgenden Tag. Deutsche Allgemeine Zeitung. Preis für das Bierteljahr l'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. «Wahrheit und Recht, Freiheit und GesetzI» Zn beziehen durch all« Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Srpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Jnsertionsgebühr für den Raum Siner Zeile 2 Ngr. Koma Leopold und die Männer der Reuen Preußischen Zeitung. — Leipzig, 11 Juli. Die bekannten Vorgänge in Belgien, wo die öffentliche Stimmung, aufs Höchste gereizt durch den Fanatismus und MachtmiSbrauch der gegenwärtig im Besitz der parlamentarischen Majorität und der Regierungsgewalt befindlichen klerikalen Partei, sich zu ungesetzli chen Austritten fortreißen ließ, sind seinerzeit von der liberalen und selbst von der demokratischen Presse Deutschlands aufs entschiedenste gcmisbilligt und als eine MiSachtung und Beschädigung des eigenen PrincipS seitens der Theilnehmer an jenen Excessen bezeichnet worden. Jene unruhigen Be wegungen (die übrigens gegen die Grundlagen des Staats, Thron und Verfassung so wenig gerichtet waren, daß mitten in der bewegtesten Zeit der König, wo er sich zeigte, mit Begeisterung empfangen ward) wurden als bald unterdrückt und die Autorität des Gesetzes überall hergcstellt. Inzwi schen hielt König Leopold cs für gcrathen, die Ursache der allgemeinen Aufregung möglichst zu beseitigen, um die erregten Gcmüthcr wieder zur Ruhe und Besinnung kommen zu lassen, und so vertagte er die Sitzungen der Kammern, mit ihnen die Berathung des Wohlthätigkcitsgcsetzes, wel ches der Stein deS Anstoßes war. Gleichzeitig gab er der klerikalen Par tei, indem er an ihre Weisheit und ihren Patriotismus appcllirte, zu be denken, ob sie nicht besser thue, ihren parlamentarischen Sieg nicht wciter- zuverfolgen und das verhängnißvolle Gesetz in dieser Gestalt nicht wieder auf die Tagesordnung zu bringen. König Leopold handelte darin ganz constitutionell. Die klerikale Partei ist durch die parlamentarische Majori tät, also durch den gesetzlich ausgesprochenen Willen der Mehrheit der Wäh ler, in den Besitz der Macht gelangt, und der König, gleichwie er, ob schon im Herzen gewiß nicht dieser extremen Richtung zugethan, dennoch dem anerkannten konstitutionellen Grundsatz von der Herrschaft der parla mentarischen Mehrheit nachgcgeben und aus den Führern der klerikalen Partei sein Cabinet gebildet hat, glaubte auch jetzt nicht eigenmächtig — solange die Majorität der Volksvertretung für das Ministerium ist — das selbe entlassen zu sollen, obschon allerdings zu vcrmuthen stand, daß neue allgemeine Wahlen im gegenwärtigen Augenblick eine andere Kammermehr heit erzeugen würden. Allein es wäre ganz gegen den Geist des wahren parlamentarischen Rcgicrungssystems gewesen, wenn König Leopold zugleich sein Ministerium entlassen und auch die Kammern hätte auflösen wollen, und er durste dies umsoweniger in einem Augenblick thun, wo die außer parlamentarische Mehrheit ungeregelter Volkshaufcn einen ungesetzlichen Druck auf die parlamentarische Mehrheit zu üben versuchte. Ganz Dasselbe wäre cs gewesen, hätte König Leopold erklärt, dem Wohlthätigkcitsgeseh, auch wenn beide Factorcn der Landesvcrtrctung ihm die Zustimmung geben würden, sein Veto entgegensetzen zu wollen. Eine solche Drohung — bei einem Gesetz, welches von seinem Ministerium selbst ausgegangen — war constitutionell unzulässig. Glcichwol glaubte König Leopold cinzusehen, daß die Ruhe des Landes auf dem Spiel stände, wofern nicht jener schroffe Conflicl, den die kleri kale Partei zuerst durch eine Politik entzündet hat, welche, wenn auch unter scheinbar legaler Form, die Grundsätze der belgischen Verfassung selbst antastct, durch ein Wiedereinlenken in die bisher so glücklich verfolgte Bahn einer weisen Mäßigung und Vermittelung zwischen den Parteien wieder beigelcgt würde. König Leopold theilt nicht die Ansichten des Hrn. Leo, daß, um eine entstandene Volksaufregung zu dämpfen, cs hinreiche, 10,000 Menschen „niederkartätschen" zu lassen, und, mit Erlaubniß deS Hrn. Leo sei es gesagt, wir trauen in diesem Punkte den Erfahrungen und der Klug heit des königlichen Staatsmanns, der mehr als ein Vierteljahrhundcrt lang Belgien mit Kraft, Geschick und einem über allem Zweifel erhabenen Er folge, zum Theil unter sehr schwierigen Zeitverhäitnisscn, regiert hat, etwas mehr al- der Kathederweisheit eines Professors und wäre es ein Professor der Geschichte. König Leopold hat Gelegenheit gehabt, in England, jenem mit Recht einstmals sogar von königlichem Munde gepriesenen „Lande ur alter ErbweiSheit", den Mechanismus eines constilutioncllen Staatswesens von erprobter Festigkeit zu studiren und zu sehen, in welcher Weise man dort sowol durch Widerstehen als durch Nachgeben zur rechten Zeil ebenso wol Uebereilungen als Verzögerungen zeitgemäßer Reform vermeidet und gewaltsamen VolkSausbrüchen vorbcugt, ohne die Autorität der Krone und die nothwendigc stetige Grenze der Gesetzgebung preiszugeben. König Leo pold hat andererseits aus nächster Nähe an dem Beispiel seines Schmie- gervaters und der Minister desselben gelernt, wohin es führe, wenn man, lediglich auf das formelle Recht und den Besitz der Macht pochend, berech- ligte Wünsche deS Volks unersüllt, berechtigte Klagen und Beschwerden un berücksichtigt lasse und sich zur Partei mache, statt über den Parteien zu stehen und deren Gegensätze auszugleichcn. Und endlich hat cs ihm auch nicht an hinreichenden Veranlassungen gefehlt, sich zu überzeugen, wie we ¬ nig die Theorie, welche jetzt Hr. Leo und seine politischen Freunde predigen, die praktische Probe auShalle; cr hat, zu einer Zeit, wo in mehr als einer europäischen Hauptstadt jene ultima intio der Kartätschen angewendet wurde und erfolglos blieb, durch eine bessere rmio, durch die Vernunft eines zur Freiheit und Vernunftmäßigkeit erzogenen, mit Weisheit und Gerechtigkeit regierten Volks seine Krone und die Ruhe Belgiens unerschüttert und un angetastet bewahrt gesehen. Jetzt freilich muß der arme König der Belgier sich von einem Halle- scheu Professor ins Gebet nehmen und von der Neuen Preußischen Zeitung ausschelten lassen, weil er so schwach gewesen, den Ultras seines Lande in ihrem für den Staat gefahrdrohenden trunkenen Stucmlaus gegen die obersten und der Nation thcuersten Grundsätze der Verfassung warnend cin Halt! zuzurufen, statt, ihnen zuliebe, gegen die durch eine wohlerklärliche Erbitterung über einen solchen Parteifanatismus einen Augenblick lang verblendete und allerdings in Ungesetzlichkeit verfallene Bevölkerung mit Feuer und Schwert zu wüthen, wol gar (denn Das wäre doch den Herren das Liebste) die Verfassung aufzuheben und die absolute Herrschaft der Ge walt und des Standrechts zu proclamiren. Die Neue Preußische Zeitung prophezeit dem constilutioncllen Königlhum in Belgien den Untergang, weil cs nicht mit der ciserncn Kraft des legitimen KönigthumS gegen die Par teien einzuschreiten wage und vermöge, sondern nur sich dadurch halten könne, daß es zwischen ihnen vermittele. Wir hegen die zuversichtliche Hoff- nung, die Geschichte werde diese Prophezeiung, wie bisher, so auch ferner hin glänzend Lügen strafen, der Neuen Preußischen Zeitung und selbst Hrn. Leo, dem großen Halleschen Gcschichtskundigen, zum Trotz! Deutschland. -L- Bom Rhein, 9. Juli. Schon vor längerer Zeit legten wir auf dem Grund der Bundesgesetze dar, daß die deutsch-dänische oder vielmehr schles wig-holsteinische Frage bei der Bundesversammlung auszutragcn war. Wenn Ihr Herr 2-Korrespondent aus Wien in seinem Schreiben vom 6. Juli darauf hinwies, daß Rußland und Frankreich in diesem Au genblick Alles ausböten, die deutschen Mächte von der energischen Verfol gung der Angelegenheit beim Bunde abzuhalte», und daß die Rundreise des Kaisers von Rußland an den Höfen der deutschen Mittclstaaten dieser Ab sicht nicht fremd sei, so liegt hierin die beste Rechtfertigung auch unserer Ansicht. Die rechtzeitige Vorlage beim Bunde hätte Rußland und Frank reich am ehesten einen Strich durch die Rechnung gemacht. In dem Vcr- hältniß, wie nach dem Pariser Frieden Zeil verlief, wurde die Aufgabe für Deutschland schwieriger. Benutzt die russische Politik zu., ihrer Einwirkung sogar die Rundreise dcS Selbstherrschers, so ist es hinwieder die französische Politik, welche nicht blos brieflich und diplomatisch, sondern auch mit Hülfe dcütscher Blätter Einfluß übt. Jndeß ist die Verschleppung nun einmal eine vollendete Thalsache, an der sich nicht mehr rütteln läßt. Dermalen dreht sich die Angelegenheit lediglich um die Frage: ob angesichts der dä nischen Antwort vom 24. Juni, die mehr ausweichend alS ablehnend ist. Wenn anders die bezüglichen Meldungen richtig sind, der Zusammentritt der Stände von Holstein und Lauenburg im August und der Verlauf der Ver handlungen zwischen ihnen und der dänischen Regierung abzuwarten oder ob ohne weitern Verzug diese oder jene Schritte beim Bunde zu thun seien? Sicherlich steht die Beantwortung dieser Frage mit der Reise des Königs von Preußen nach Wien in Verbindung. Gern betrachten wir den Besuch als ein erfreuliches Zeichen der so wünschenSwcrthen Einigkeit zwischen Oester- reich und Preußen und schöpfen daraus immerhin einige Beruhigung. Doch beharren wir in der Hauptsache auf unserer Meinung, daß die deutsch-dä nische Frage vorläufig wenigstens formell beim Bunde anhängig zu machen sei. Wird der Weg des Abwartens gewählt, bann ist Dänemark jedenfalls die Möglichkeit gewährt, die Angelegenheit in die Länge zu ziehen, ohne daß sich der definitive Schluß absehen läßt, es müßte denn gerade der Vor behalt bestehen, etwa schon auf die Vorlagen der dänischen Regierung hin oder bei sich ergebenden unzweideutigen Anzeichen dänischer Böswilligkeit in die entschiedenere Bahn einzulenken. Ihr wiener 2-Korrespondent äußert sich in dem erwähnten Schreiben auch noch dahin, daß es Rußland und Frankreich darum zu thun sei, die deutsch-dänische Frage durch ein weite res Protokoll der europäischen Großmächte entscheiden zu lassen, während ihr berliner r-Korrespondent in seinem Schreiben vom 7. Juli davon spricht, als wolle man in Berlin wissen, daß diese beiden Mächte wenig geneigt seien» der Anregung Lord Palmerston's entsprechend, jene Frage vor einen europäische» Kongreß zu bringen, der insbesondere auch über die Abän- derung des Londoner Protokolls vom 8. Mai 1852 in Absicht aus die, Rußland in gewissen Fällen günstige dänische Thronfolgeordnung verhau - dcln würde. Der Gegenstand der dänischen Zusicherungen und der Verein barungen mit den beiden deutschen Mächten von 1851 und 1852 gehört cin für alle mal nicht vor ein Schiedsgericht der Großmächte, sondern ist