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Nummer 115 — 26. Jahrgang »mal wöch. v«rugc?rcls für s>M 3.09 Ml,, einschl. BesteNgei» Anzeigenpreise: Die Igesp. Petitzeile S0L, Stellengesuche Sü -Z. Die Petitreklamezeile. 89 Milli, meter breit, 1 ^l. Ossertengebühren für Selbstabholer 29 L. bei liebersenbung tmrch die Post außerdem Portozuschlag. Eipzel-Nr. 10 Sonntags-Nr. 1S L. Neschäftlicher Teil: Artur Lenz in Dresden. LBcklMe Donnersrag. den 19. Mai 192/ Im Halle höherer Gewalt erlisch« jede Berpsiianun- auf Liescrung sowie Enüllnnn o Anzelgen«usträgen u. Leistung u Sä>adene> sntz Für unoeuil «i. o. Ferne rus iibermit! Anzeigen übernehinen wir keine Be», aniworiung llnveriangt e-ngeianoie n m, Rückporto, nicht oersehcne Vlonuilirivte werft, nicht ausieeoahrt,,! Sprechstunde oer Neoaktinn 2—3 Uhr nnchmHtag« Hauptschristleiter: Dr. G. Desczyk, Dreedeist voWelümg <tteschüftsst«lle, Druck und Verla«: «ermania. «ktieil-iSesellschnil siir Verlag und Druckerei. Filiale Dresden. Drcsden-Sl. I, Poliersiratze 17. Fernruf 2WIS. Für christliche Politik und Kultur Vedattt»» der Sächsischen Volkezeituu« Sden-Allstadt 1, Palierslrahe 17. Fernruf 20711 und »1012. Dresden Die kalendermöhige Regierungskrise Am 1. Iu » i 1 9 2 7 ist sie fällig. Im Freistaat Sach sen natürlich. An diesem Tage läuft hier ein sehr kriti- ,scher Wechsel ab, den vier der jetzigen Negierungsparteien «— Deutsche Volkspartei, Wirtschaftspartei, Demokraten jund Volksrechtspartei — bei der Regierungsbildung im Januar den Deutsclinationalen ausgestellt haben. Nur die Vier Altsozialisten, die in der jetzigen Regierung den Mini sterpräsidenten und den Arbeitsminister stellen, haben den sWechsel nicht mit unterzeichnet. Darin haben sich die ge nannten Parteien -wie sich jetzt herausstellt, ohne daß die Deutschnationalen dies gefordert Hütten — schriftlich verpflichtet, von der Regierung zurückzutre te n , falls nicht bis zum 1. Juni die Deutschnationalen aktiv in die Regierungskoalition aufgenommen sein soll ten. Auch die bisherige Regierung, deren Koalition von den Altsozialisten bis zur Deutschen Volkspartei reicht Mit 37 Sitzen gegenüber 4b Sitzen der Sozialisten und ^Kommunisten), war in ihrem Bestände bereits auf die par lamentarische Unterstützung der Deutschnationalen ange wiesen. Nur daß letztere im Januar ihren Wunsch, aktiv an der Regierung beteiligt zu sein, zugunsten der Altsozia listen zurückstellten, als diese unter den damaligen, noch von der Wahlpsychose beherrschten Verhältnissen ein so fortiges Zusammengehen mit den Deutschnationalen tak tisch für untragbar hielten. Man kann kaum behaupten, daß seither die Stellung der Altsozialisten, die ja auf eine Ausdehnung ihrer Bewegung über die Landesgrenzen hin aus verzichtet haben, im Landtag und im Lande stärker geworden wäre. Das läßt es einerseits zweifelhaft er- sä-einen, ob der jetzige Zeitpunkt diese Partei für die Be lastungsprobe mit der Rechtskoalition geneigter finden wird. Andererseits werden die Deutschnätionalen dies mal mit um so größerem Nachdruck auf ihren Schein pochen. Seit einigen Tagen melden die Deutschnationalen ihre Forderungen in der Presse tatsächlich mit Nachdruck «an. Man ist sehr verwundert, daß dis heute. 14 Tage vor Ablauf der Frist, die dieser Negierung gesetzt ist. noch Heine Verhandlungen über die Neubildung der Regierung eingeleitet worden sind, obwohl der Landtag noch in die ser Woche nach Erledigung des Haushaltplanes in die Pfingstferien zu gehen gedenkt. Gestern haben die Par teien zum ersten Mal lose „Tuchfühlung" genommen. Die Deutschnationalen wissen zu genau und betonen das auch unverhohlen, daß es die Altsozialisten zu allerletzt auf eine Landtagsauflösung ankommen lassen werden. DerGedanke der großen Koalition ist heute wohl ganz und gar begra ben, nachdem selbst ein so gemäßigter Mann wie Lobe letzthin die O pp o s i t io n als die gegenwärtige Aufgabe der sozialdemokratischen Partei bezeichnet hat. Vom Kie ler Parteitag wir- man also nur eine Festigung des radi kalen Kurses der sächsischen Sozialdemokratie erwarten dürfen. Die Demokraten bemühen sich zwar auch jetzt noch um die große Koalition. Die Dinge in Sach sen liegen aber nun einmal so, daß sie sich damit nur immer neue Abfuhren von seiten der Sozialdemokratie holen müssen, die man sich vesser ersparen könnte. Am letzten Sonntag hatte beispielsweise die demokratische „Neue Leipziger Zeitung" an die S. P. D. die erneute Aufforde- rung gerichtet, sich in Sachsen für eine Koalitionsregierung zur Verfügung zu stellen. Die „Meißner Volkszeitung" gibt daraus folgende unverblümte Antwort: „Schön! Aber glauben die Demokraten im Ernst, mit den Aufwertlern, mit >der Wirtschaftspariei könne die S. P. D. in diesem Landtag zusammen arbeiten? Eine Utopie wäre es, so KU denken. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die Deutsch- nationalen zurllckzuschlagen: Entweder Landtags- Neuwahl! Oder Bildung einer sozialdemokra tischen Minderheitsregierung, die von den Demokraten ruhig toleriert werden könnte. Auf den Alt sozialisten und Demokraten lastet die Verantwortung für das Kommende mit aller Schwere, wenn sie nicht eine von diesen Möglichkeiten im Interesse der Republik ins Auge fassen." Das ist die Sachlage, wie sie sich in Wahrheit dar stellt. Daß die Demokraten aber einer auf Kommunisten Bnaden gestellten sozialistischen Minderheitsregierung in den Sattel helfen würden, ist kaum anzunehmen. Es hat also den Anschein, als ob uns nach Jahren der Konsolidierung eine unruhigere politische Entwicklung in MM We M M UMW Protest ge«;en die Durchsuchung -er russischen Kandelsagenkur in London Abbruch -er englisch-russischen Äandelsbeziehungen? rie heutige Nummer enthült vi« Beilage „Unter- »«ltnng'nnd Wissen." London. 18. Mai. --7'- Rate bei S o «vset r e g i e r u n § , in der diese gegen die polizeiliche Durcksuchnng der Räume der allrussischen koope- raliecn Gesellschasien („Arcus") in London protestiert, ist gestern dem britischen Geschäftsträger in Moskau übergebe» mor den. De Rote, die i n ä n ß e r st scha rfemTo n e gehalten ist. trügt die 'Unterschrift des Außenministers Litminom. Die Rote führt ini wesentlichen aus: „Die Sowjetregierung stellte dei ihren Verhandlungen über ,deu Abschluß von Handelsverträgen mit besonderem Nachdruck die Forderung, daß ihren Handelsagenturen >m Auslande volle Immunität und Unverletzlichkeit gesichert werde. Dieser von sas! allen Ländern, zu denen die Sowjetrsgierung vertragliche Beziehungen unterhält, anerkannte Grundsatz, der auch im Art. 5 des f o w j e t r n s s i sch - b rl t i s ch en A bko m- «mens von 1921 Ausdruck gefunden hat. ist von den britischen Autoritäten in der gröblichsten und beleidigendstem Form ver letzt worden. Die Sowjetreglevung erklärt Kategorisch, daß die Fortsetzung der HandclsbeziehünMn nur unter der Bedingung genauer Er füllung des Handelsltberelnkommens durch die großbritannische Regierung und der Garantierung ruhiger sachgemmtzer Arbeit der wirtschaftlichen Organ« der Särvsetunimr möKtch ist. Mit gleicher «Entschiedenheit erklärt dle Sowjetregiernnq. daß sie sich nicht da. mit zufrieden geben kann, daß Sie Durchführung der Handels operationen in Zusammenhang mit zufälligen innerpartei lichen Kombinationen in England. Wahlmonövern oder phan taisti sch« n V ora u s setzu n ge n dieses oder jenes Ministers gebracht wird. Dle Sowjetregierung hält sich sür berechtigt, von der groß- britannischen Regßovung ein« klar« umll» unzweideutige Antw » rtzu gerkangen, aus »er nchn entsprechende Schlußfol gerungen ziehen kann. Sie hält sich ferner für berechtigt, di« Forderung zu stellen, daß dl« großbi'ibanntsche Regiertgig wegen der Verletzung vertraglicher Verpflichtungen, mögen der der San», jetrogierung zugefügtlcn Beleidigung und tp-r durch polizeilich? Handlungen z»gefügten rUateriellen Schäden Genugtuung gebe." Einen schärferen Ton anzuschlagen, als das in der russischen Note geschehen ist, war nicht gut möglich, wenn man nicht dein Ab bruch der diplomatischen Beziehungen m'st England geradezu er zwingen wollte. Dieser schar feTon entspricht der Erregung, die in Rußland Mer das Vorgehen der englisch» Behörden gegen die russischen Handelsgesellschaften herrscht. Man weiß nur nicht recht: Führt Litwinow eine so scharfe Sprache, weil in Ruß- land diese Erregung herrscht, oder fst die Erregung erst von oben „gemacht" worden, um einen scharfen Ton anlschlogen zu können? «Bei der ausgezeichneten Regie, über die die bolschewistische Par tei verfügt, erscheint das letztere durchaus möglich. Wozu ist nun aber die ryssische Regierung tatsächlich ent schlossen? Darüber kann man positiv nur sagen, daß sie zunächst offenbar nicht entschlossen Ist. die Beziehungen z u E n g- land abzubreche ». Ob ein Abbruch der Beziehungen ge plant ist. wenn England — wie zu erwarten — keine befrie digende Antwort erleilt, das ist eine offene Fraqe. Rach dem Vorgang in Peking muß man mit der Möglichkeit rechnen, daß auch dann kein Abbruch der Beziehungen erfolgt, s o n ü e r n daß ilediglich wirtschaftliche Repressalien angewandt «werden. Bor allen Dingen in Ser Weise, daß für England be stimmte Aufträge an Industrien anderer Länder vergeben wer- den. Derartige Rlaßnahmen sind von seiten Moskaus bereits in den letzten Tagen angekündigt worden. Wie wird mm die Wirkung inEngIand sein? Dar über wird die große Debatte, die am Donnerstag im Unterhanfe slaltsindet, Aufschluß geben. Lliamberlain müßte seine ganze bisherige Stellung ändern, wenn er seinerseits aus dem heftigen Ton Moskaus radikale Folgerungen ziehen würde. Wenn eine Antwort, die mehr als eine Empfangsbestätigung ist. übcrl>aupt erfolgt, dann dürste sie Angaben über die Spionage-Tätigkeit von russischen Handrlsbeamten enthalten, die bekanntlich den Anlaß zu den «Haussuchungen in London gegeben l>at. — In der Debatte im Unterhaus wird voraussichtlich die Arbeiterpariei gegen das Borgehen der Regierung protestieren, es wird über auch der Standpunkt der radikalen Konservativen sehr schnrs be tont werden. So ist nicht anzunehmen, daß die „Arc«os"Mfsäre auch nur zum Abbruch der Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der «Sowjetunion führen werde. Dennoch ist nicht zu verken nen, daß das Verhältnis zwisrlicn den beiden Ländern sich dauernd verschlechtert, sadaß im Laufe der ständig «lenen Konflikte doch Mit einem völligen Abbruch der Bezie hungen gerechnet werden muß. Ein Gerücht Berlin. 18. Mal. Der „Tag" verzeichnet mit allem Vorbehalt ein in Berliner diplomatischen Kreisen verbreitetes Gerücht, wonach das Akten stück, daß die englische Polizei in der Sowjethandeknieder- jassung in London gesucht hat, angeblich einen englisch- französischen Aufmarschplan gegen Deutsch land für den Fall einer Abkehr Deutschlands von Locarno und seines engeren Zusammengehens mit Rußland darstellt. Dieses Gerücht muß mit größter Vorsicht ausgenommen werden. Zunächst bleibt abzuwarten, üb tatsächlich der Versuch gemacht wird, ein solcl>es Dokument zu veröffentlichen (denn nur das könnte der Zweck des Diebstahls sein). Es wird sich dann zeigen, ob es sich nicht bei diesem Dokument um eine rein theoretische Arbeit handelt, wie sie in allen Deneral- stäben der Welt gemacht werden. Das Gerücht scheint freilich in erster Linie bestimmt zu sein, in Deutschland gegen den Locarno-Pakt Propaganda zu machen. Eine derartige Propa ganda muß von der deutschen Ocffentlichkeit mit Entschiedenheit abgelehnt werden. Sachsen bevorstehen sollte. Denn die Rolle der Altsozia- «listen in einer Regierung, in der sie jedenfalls nicht mehr mit zwei Ministersitzen, in der aber die Deutschnationalen maßgebend vertreten sind, dürfte eine ungleich schwie rigere und für die Gesamtlage auch unsicherere werden. Eine Regierungsumbildung wird unbedingt kommen müssen. Denn es ist nicht daran zu zweifeln, daß die «fünf Minister, deren Parteien sich in so liebenswürdiger Weise selbst verpflichtet haben, am 1. Juni ihre Aemter «zur Verfügung stellen. Dann wird aber auch noch eine weitere Frage akut, die der Herabsetzung der Zahl der Ministerien von sieben auf fünf. Da Sachsen früher einschließlich Gnes Kriegsministers mit fünf Portefeuilles ausgekommen ist, muß diese Herabset zung, die den Deutsäinationalen ebenfalls schriftlich zuge- -sichert worden ist, durchaus als durchführbar und auch als «wünschenswert erscheinen. Welche Ministerien aber sollen «zusammengelegt werden? Daß dies durchaus nicht nur eine parteipolitische Reä>enaufgabe ist. haben ja bereits die gewerkschaftlichen Proteste gegen eine Einziehung des Arbeitsminsteriums bewiesen. Die Personenfrage wird zu ihrem Teil die Lösung erschweren. Und trotzdem sollte dieses Problem am ehesten von rein sachlichen Gesichts- Punkten aus einer befriedigenden Lösung entgegengeführt werden. Jedenfalls verdient es als eine Originalität ersten Ranges in der Geschichte des parlamentarischen Systems festgehalten zu werden, daß man hier in Sachsen mit vie ler Regierungsweisheit künstlich, fein kalendermä ßig bis auf die Stunde eine Regierungskrise fe-st- gelegt hat, so etwa wie inan eine Sonnen- oder Mondsin- fternis errechnet. Denn um eine neueKrise scheint man nach der heutigen Lage der Dinge tatsächlich nicht l)erumzukom- men. Es mag sein, daß man nach Pfingsten auch ohne die wärmende Sonne der sächsischen Regierung ganz gut aus- «kommt. Vielleicht wäre ein Interregnum van zehn Jah ren sogar ganz gut. um die sächsischen Parteiverhältnisse etwas auszuheilen. Aber wir lieben diese Krisen nicht, die am meisten die sachliche Arbeit kompromittieren und Was ser auf die Mühlen der Opposition leiten, obwohl wir in der sächsischen Zentrumspartei an dem Bestände dieses Landtages kein besonderes Interesse haben. Wir wün schen nicht, daß mit dem politischen Ansehen eines Landes wie Sachsen ein leichtes unverantwortliches Spiel getrie ben und Parteipolitik auf Kosten der Gesamtinteressen un seres Landes und Volkes gemacht wird. Eine neue und gegebenenfalls noch unwürdigere Regierungskrise inner- l>alb so kurzer Zeit dürfte nur zu einem Erfolge führen, den r a d i k a le n E le m e n te n in Sachsen sür die näch sten Wahlen ganz wesentlich d e n N ü ck e n z u st ä r k e n. Diese Gefahr allein sollte genügen, um eine kalendermü- ßige Krise, wie in unserem Falle, unmöglich zu ma chen. Es gibt Dinge, die auch unter sächsischen üierhält- nissen einfach nicht statthaft sein dürsten, wenn wir unsere Landespolitik nickt dem Rute der Lächerlichkeit auslio- sern wollen. M. D