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Dresdner Journal : 30.03.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-03-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-189703308
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18970330
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18970330
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1897
-
Monat
1897-03
- Tag 1897-03-30
-
Monat
1897-03
-
Jahr
1897
- Titel
- Dresdner Journal : 30.03.1897
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vezugSprri«: Pür Dresden vierteljährliche 2 Marl »0 Ps, bei den Kaiser- lich denlschen Pvstanstalteu vierteljährlich »Marl; außer» halb des Deutschen Reichel Post- und Etnupelzuschlag. Einzelne Nummern: 10 Pf. Grfchcluen: Täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage abends. Fernspr -Anschluß: Rr1295 Ankündigungsgebühre«: Für den Liaunl einer gespal tenen Zeile kleiner Schrift >0 Ps. Unter „Eingesandt" die Zeile bo M Bei LabeÜen- und Zisfernsatz entsprechender Aufschlag. Herausgeber: Königliche Expedition de« Dresdner JournalS Drcsd.n, Zwrngerstr 20. Fernspr.-Anschluß: Nr 12SS. 1807. Dienst«,, den M. Marz, abends. V 78. Aestellungen auf das „Dresdner Journal" für das zweite Vierteljahr werden zum Preise von 2 M. 50 Pf. angenommen für Dresden: bei der unterzeich neten Expedition (Zwingerstraße Nr. 20), für «usvärts: bei den Postanstalten des betreffen den Orts zum Preise von 3 M. Lönigl. Expedition des Dresdner Journals. Amtlicher Teil. Dresden, 30. März. Se. Majestät der König sind gestern abend 8 Uhr 29 Min. von Weimar nach Dresden zurückgekehrt. Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der von Sr. Majestät dem Deutschen Kaiser und Könige von Preußen zum Ehren ritter des Johanniter-Ordens ernannte Hilfsarbeiter bei der Generaldireltion der Staatseisenbahnen Fmanz- roth von Mücke die mit diesem Orden verbundenen Abzeichen annehme und trage. Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu Lknehmigen geruht, daß der Geheime Kommerzienrath Alfred Thieme zu Leipzig das ihm von Sr. Majestät dem Könige von Belgien verliehene Offizierskreuz des Leopoldorvens annehme und trage. WekannLrnclchung. Mit Genehmigung des Ministeriums des Innern wird vom 1. April dieses Jahres an die Land gemeinde Zelle mit der Stadtgemeinde Aue ver einigt. Dresden, am 27. März 1897. Ministerium des Innern. v. Metzsch. Münckner. Wekanntrnachung. Die Londoner Phönix Feuerversicherungs-Gesell schaft hat an Stelle des bisherigen Vertreters ihres hierländischen Bevollmächtigten Karl Heinrich Otto Zapfe in Leipzig, den Versicherungs-Beamten Herrn Karl August Moritz Lehne daselbst zum ständigen Stellvertreter des Bevollmächtigten der Eesellfchaft Heinrich Nitsch in Leipzig ernannt. Der genannte Stellvertreter Lehne ist von der iterzeichneten Königlichen Brandversicherungs Kammer " der ihm übertragenen Eigenschaft bestätigt und von n Stadtrathe zu Leipzig für das neue Amt in sicht genommen worden. Dresden, den 27. März 1897. "^igliche Brandversicherungs-Kammer. "sA Freyberg. Leonhardi. >. Erneunungen, Versetzungen re. tm öffentlichen Dienste. Im Geschäftsbereiche des Ministeriums ver Finanzen, ^ei der Post-Verwaltung sind ernannt worden: Blech- schmidt, zeither Postvcrwalter in Coswig, Jentsch, zeither Postverwalter in Altenberg (Erzgeb.), als Ober-Postassistenlen im Bezirke der Kaiser!. Oberpostdirektion zu Dresden; Greife ld, zeither Ober-Postassistent, als Bürcauassistent bei der Kaiser! Oberpostdiiektion zu Dresden; Greis, zeither Ober-Postassistent, als Postverwalter in Lauenstein; Häßner, zeither Ober-Post- assistent, als Postverwalter in Gelcnau; Müller, zeither Post assistent, a s Postverwaltcr in Bärenstein (Bez. Dresden). Im Geschäftsbereiche des Ministeriums beö Kultus und öffentlichen Unterrichts. Zu besetzen: 3 ständige Lunst und Wissenschaft Neue Romane. Wer eine Reihe „moderner" Romane, wie sie der eine i Tag bringt, der andere verschlingt, nacheinander liest und : nicht in völliger Naivetät an die Spannung gebunden und k ihr unterthänig ist, sondern sich gedrungen fühlt, gelegentlich k die Unbescheidenheit der Spannung mit der Bescheidenheit k der Natur zu vergleichen, dem muß es bald auffallen, wie untergeordnet den meisten Erzählern die Hauptfrage nach dem Lebensreichtum, der überzeugenden Wirklichkeit und wie wichtig ihnen die Übereinstimmung mit einem gewissen Augenblicksjargon und einer überlieferten und keineswegs aus den Stoffen erwachsenden Vortragsweise erscheint. Diese Romanschriftsteller gjeichen auffällig einer «Gruppe von Gigerln, die, wenn einmal die Prädikate »„tadellos" oder „schneidig" Mode sind, nicht um die Welt »irgend etwa« als „vortrefflich" oder „entschlossen" bezeichnen »würden! Sie schreiben einer dem anderen die Szenen wie l die Redensarten nach Und noch schlimmer ist's, wenn »sie sich und den Leser über die öde Wiederholung herr- b schender modischer Romanbestandteile und Romanwendungen «mit pathetischen Anläufen hinwegzutäuschen versuchen, wie Lwir sie beispielsweise in dem Nachwort zum Roman I „S pielkinder" von Georg Hermann (Berlin, »F Fontane 1897) finden. „Ich lasse sie noch einmal an U»ir vorüberziehen, alle diese kleinen und großen Spiel- Minder Keiner, der die Kraft und den Mut hatte, trotzig Mnd still seinen eigenen Weg zu gehen, unbekümmert um »die große Menge; keiner, der sich zur Klarheit rang, keiner! Mlle nur Spielkinder ihr Leben lang, Spielkinder ohne Mrnst, ohne Streben. Und nun verzeiht mir. Ich hätte diese »Geschichte nicht erzählen sollen E« verlohnte sich wirklich nicht. Wännern gehört da« Jahrhundert — nicht Spielkindcrn " Wenn Mies Nachwort nicht etwa eine Ironie ist, die auch den Lehrerstellen an der katholischen Bürgerschule io Leipzig Kol- lator: das Apostolische Bikariat im Königreiche Sachsen An- sangSalhalt jährlich t«bv M. einschl 2» LogiSgeld. Gesuche sind bis zum 10. April n. e. bei dem Apostolischen Vikariate einzureichen. nichtamtlicher Teil. Die österreichische Thronrede. Aus Wien wird uns vom 29. d. Mts. geschrieben: Die heutige Ansprache Kaiser Franz Josephs an die beiden Häuser des Reichsrats bietet ein um fassendes und treues Bild aller Fragen, welche derzeit nn öffentlichen Leben Österreichs im Vordergründe stehen. Seit Jahren hat man bei uns keine Kund gebung des Monarchen vernommen, die in so ein gehender Weise alle wichtigeren Einzelheiten der sozialen, innerpolitischen, gesetzgeberischen und administra tiven Entwickelung erörtert hätte, wie diese Ansprache. Außerdem finden sich in der Thronrede bedeutsame Äußerungen über wirtschaftliche Angelegenheiten, eine beachtenswerte Bemerkung über die Ausgleichsver handlungen und endlich ein scharf betonter Abschnitt über die Orientverhältnisse. Der Umstand, daß bei der heutigen Feier die auf Grund des neuen Wahlgesetzes gewählten Volks vertreter zum ersten Male um den Monarchen ver sammelt waren, hat die Regierung veranlaßt, in den Text der Thronrede gleich am Beginne einen Satz über die Reform des Wahlrechtes einzufügen. In dieser Äußerung gelangt die Genugthuung über den erzielten Fortschritt in wohlwollender Form zur Geltung. Dabei wird aber auf den „Abschluß" der bezüglichen „gesetzgeberischen Thätigkeit" in einer Wendung hingewiesen, die nur dahin aufzufassen ist, daß die Bestrebungen zu Gunsten einer weiteren Ausdehnung des Wahlrechtes nach den Intentionen der Regierung in absehbarer Zeit nicht zu einem Erfolge führen dürften. Der betreffende Passus ist ein leicht ver ständlicher Wink für diejenigen, die schon jetzt das Erreichte nur als ein erstes und keineswegs genügendes Zugeständnis bezeichnen. An die gleiche Adresse ist offenbar die ebenfalls in die Bemerkung über die Wahlreform eingeflochtene, scharf ausgedrückte Mahnung zur Mäßigung gerichtet. Das Gewicht dieser Mahnung wird besonders für die Anhänger der sozialdemokratischen Lohn- und Erwerbstheorien noch durch den Hinweis verstärkt, daß gegenüber den sozialpolitischen Forder ungen auch die Leistungsfähigkeit der Unternehmer, die Konkurrenzfähigkeit der Industrie auf dem Welt märkte gebührend zu berücksichtigen sind. Die Re gierung verheißt den Arbeiten weitere ersprießliche Reformen, d m Kleingeweib: die regste Förderung — sie stellt aber für diese Neuerungen ihr eigenes Pro gramm auf, welches nicht nach dem Belieben der sozial demokratischen Wortführer umgestaltet werden soll, und sie gedenkt mit der Ankündigung anderer Neuerungen pflichtgemäß auch der Interessen ter Landwirtschaft und der Großindustrie. Einen sehr erfreulichen Eindruck muß die Er klärung erwecken, daß die Regierung sich bemühen werde, die Volksbildung durch „ruhige Ausgestaltung der bestehenden Einrichtungen" zu heben. Dieie durch den Mund des Kaisers verkündete Versicherung bietet eine wertvolle Beruhigung gegenüber dem Auftauchen mächtiger Strömungen, welche auf die Zerstörung der modernen Grundlagen unseres Schulwesens hin- arbeiteu. Man darf nun die Hoffnung hegen, daß die Regierung entschlossen ist, den drohenden Ansturm abzuwehren, die segensreichste Errungenschaft der neueren Entwickelung Oesterreichs zu schützen. Der Passus von der Ausdehnung der Befugnisse unserer Landesvertretungen hat schon heute von ein zelnen Seiten eine ungünstige Deutung erfahren. Man befürchtet, die Pläne der Regierung könnten abermalige staatsrechtliche Konflikte zur Folge haben; man begiebt sich aber mit solchen Kommentaren auf das Gebiet willkürlicher Vermutungen, da vorläufig jeder Aufschluß über die Art und den Umfang der Neuerungen fehlt, welche der Regierung vorschweben. Eine beifällige Aufnahme wird die Mitteilung finden, daß die Regierung nunmehr die dringend not wendige Reform des Militärstrafgesrtzwesens durch zuführen gedenkt. Nach der Besprechung beachtenswerter Einzelheiten gelangen wir zur Erörterung jener Stellen der Thron rede, welche die wichtigsten Fragen der gegenwärtigen innerpolitischen Entwickelung, nämlich das AuS- gleichungSproblem und die nationalen Konflikte be rühren. Bezüglich des Ausgleichsthemas konnte in der Thronrede eine erschöpfende Äußerung nicht er folgen, da die Verhandlungen mit Ungarn noch nicht beendet sind und da die Regierung den Ergeb nissen dieser Verhandlungen nicht vorgreifen darf. Der vom Kaiser mit Nachdruck ausgesprochene Wunsch nach „gerechter und billiger" Prüfung dieser noch zu sichernden Ergebnisse, nach einer raschen Erledigung der betreffenden parlamentarischen Beratungen be zeichnet aber wohl nicht nur ein Verlangen der Regierung, sondern auch einen lebhaften persönlichen Wunsch des Monarchen und eine Forderung aller einsichtigen , und wahrhaft patriotischen Kreise der Be völkerung Österreichs. Der Abschnitt über die nationalen Fragen ver kündet das eifrige Bestreben der Regierung, die Gegensätze zu mildern und die Kämpfe zu schlichten, welche seit Jahren den Frieben in vielen Gebieten der Monarchie stören. Die Regierung vermeidet aber vorläufig jede Erklärung über die Mittel, durch welche dieses ersehnte Ziel erreicht werden soll, und man vermag daher nicht zu beurteilen, ob die Ausführung ihrer Absichten uns dem Ziele näherbringen wird. Der Mangel eines autoritativen Hinweises in der Thronrede kann durch die kürzlich erfolgten unbe- glaudigt. n Veröffentlichungen der angeblichen Absichten des Kabinetts nicht wettgemacht werden, und überdies war jenen Veröffentlichungen, die sich insbesondere auf die Lage in Böhmen bezogen, weder bei den Jungtschechen noch bei den hervorragenden deutsch böhmischen Politikern eine freundliche Aufnahme be- schieden. Der augenblicklichen internationalen Lage ent spricht es, daß die Thronrede diesmal eine längere und sehr ausgeprägte Bemerkung über die aus wärtigen Fragen enthält. Die Worte des Kaisers sind geeignet, die griechische Regierung in der eindring lichsten Weise darüber aufzuklären, wie ihr abenteuer liches, die Ruhe Europas bedrohendes Vorgehen von den berufensten Hütern des Weltfriedens ausgesaßt wird. Ein unzweideutiger Tadel wird den griechischen Machthabern bei feierlichem Anlasse aus dem Munde des ältesten Souveräns in Europa zu teil, und diese Mahnung lautet so kräftig, daß sie in Athen — wenn man dort überhaupt noch zu Erwägungen der Ver nunft befähigt wäre — jene Ernüchterung bewirken müßte, welche durch die eifrigen Bemühungen der Diplomatie nicht erzielt worden ist. Das allgemeine europäische Interesse gelangt in den Worten des Kaisers aber nicht nur in dem scharfen Urteil über die Haltung Griechenlands zur Geltung, sondern auch in einem sehr beachtenswerten Appell an den Sultan und seine Berater. Die Bemerkung über die „traurigen Mißbräuche" im türkischen Reiche und über die Not wendigkeit ihrer Beseitigung wird den Politikern im Palais zu Konstantinopel den Glauben benehmen, daß die Aufmerksamkeit Europas durch die kretische Krise von den schlimmen Zuständen im türkischen Staats wesen abgelenkt sei. Damit kann dem Frieden ein guter Dienst geleistet werden, da die Verhältnisse im ottomanischen Reiche eine dauernde Friedcnsgefahr auch dann bilden müßten, wenn die Beilegung der Wirren auf Kreta etwa doch noch ohne weitere Ver wickelungen zu erzielen wäre. Tagcsgeschichte. Dresden, 30. März. Se. König!. Hoheit der Prinz Friedrich August hat sich heute vormittag, begleitet von dem Abteilungschef im Kriegsministerium, Obersten d'Elsa und dem Brigade-Adjutanten Premier lieutenant v. Gerber, nach Kleinstruppen begeben, um der Prüfung der in die Unteroffiziervorschule über tretenden Zöglinge der Soldatenlnaben-Erziehungs- anstalt beizuwohnen. Am Nachmittage ist Se. Königl. Hoheit wieder nach Dresden zurückgekehrt. Deutsches Reich. * Berlin. Se. Majestät der Kaiser begaben Sich gestern morgen zur Teilnahme an den Leichenfeierlichkeiten für die verstorbene Großherzogin von Sachsen nach Weimar und kehrten abends wieder nach Berlin zurück. — Wie die „Staatsb.-Ztg." wissen will, hätten Se. Majestät der Kaiser das Entlassungsgesuch des Staatssekretärs Hollmann unter der Versicherung Seines unerschüttertcn Vertrauens und unter Worten wärmster Anerkennung nunmehr abgelehnt. — Es fehlt dieser Nach richt bisher durchaus an einer Bestätigung. — Auch für deutsche Verhältnisse ist die nachstehende Mitteilung der „Berl Pol. Nachr." aus Frankreich von Interesse: Als eine Kriegserklärung an die Adresse der französischen Industriellen feiern sämtliche radikal sozialdemokratischen Blätter Frankreichs den dieser Tage gefaßten Beschluß der Arbeitskommission, eine Umfrage über die Lage der industriellen Arbeit in Frankreich zu veranstalten Hr Rochefort rühmt in seinem „Jntransigeant" diesem Beschluße sogar nichts Geringeres nach, als daß er „den Keim zu einer Revo lution ausgesät" habe. Man kann nicht sagen, daß dieses Frohlocken der Umsturzelemente so ganz und gar ohne Berechtigung wäre, da die Kammcrmehrheit, deren Genehmigung der in Rede stehende Kommissionsbeschluß zunächst noch bedarf, in wirtschaftspolitischen Dingen keines wegs eine zuverlässige Stütze der Regierung bildet. Die französischen Industriellen sehen deshalb der weiteren Ent wickelung dieser Angelegenheit mit einer gewissen Besorg nis entgegen. Von allen parlamentarischen Kommissionen sind die Engueteausschüsfe gerade die, welche mit der größten Zudringlichkeit auftreten und den meisten Staub aufwirbeln. Ihre Mitglieder betrachten es als ihr gutes Recht, sämtliche Zivil- und Militärbehörden des Landes für ihre Zwecke — und diese sind keineswegs immer mit den Interessen des Gemeinwohls identisch — in Anspruch zu nehmen Auf dem platten Lande und in den Provmz- städten lassen sie sich gern von der Gendarmerie assistieren, was natürlich dem kleinen Mann ungeheuer imponiert. In den Departements- und Arondissementshaupt- orten nehmen die Delegierten solcher Umfrage-Ausschüsse mit herablassender Miene die Huldigungen der Präfekten und Unterpräfekten in Empfang — alles das dank der Fiktion, daß in ihnen — den Delegierten — sich die Majestät des Parlamentarismus verkörpere und ihnen, als Hohenpriestern dieses modernen Fetischdienstes, den Anspruch auf ganz besondere Privilegien verleihe. Wenn sie sich auch nicht thatsächlich souveräner Macht vollkommenheit erfreuen, so entlehnen sie doch von ihr wenigstens den Schein und gründen darauf die weitest gehenden Anmaßungen. Wenn nun auch die von der Ärbeitskommission geplante Entsendung von Delegierten zur Untersuchung der Lage der industriellen Arbeit in ganz Frankreich noch nicht gleichbedeutend sein dürfte mit Ent thronung des Kapitals und der Arbeitgeber bezw. mit der Proklamierung des sozialdemokratischen Zukunstsstaals, so könnte sie doch immerhin das ärgste Unheil stiften, wenn man sie unbehelligt wirtschaften ließe. Die In dustriellen wissen aus Erfahrung, was die Einmischung parlamentarischer Streber in die Angejegen- heiten der nationalen Arbeit zu bedeuten hat; man vergleiche den Fall Resseguicr. Hetzerei, Wirrwarr, Lockerung der Disziplin sind noch die geringeren Übel, welche das Auftreten solcher parlamentarischer Untersuchungslockspitzel „Männern", den „Lebenven", den „Schaff-nden" nahe legen soll, daß auch ihr Wesen und Treiben dem von dunklen Trieben, von kleiner Eitelkeit und herkömmlichem Stolze beherrschten Wesen und Treiben der Spielkinder enger verwandt sei, als sie ahnen, so darf man wohl die Frage aufwerfen, warum denn der Verfasser nichts Anderes zu schildern weiß, als reichshauptstädtische Halbwelt der traurigsten Art? Freilich stellt sich die Einleitung der Geschichte vom Verhältnis eines jungen Kaufmanns zu einem verführerischen armen Nachbarskinde und von der dämonischen Gewalt, die dies Verhältnis über sein Leben gewinnt, ein wenig origineller und fesselnder dar, als der nachmalige Verlaus, der der alltägliche ist Der Erzähler, es handelt sich um einen Ichroman, ist der Sohn eines wackern Geschäftsmannes, der sich durch nichtswürdige Spekulanten um sein ganzes Vermögen brinyen läßt und von da an eine trostlose und verkümmerte Existenz führt. Die Rückwirkung dieser Zustände auf den Heranwachsenden Knaben ist zum Teil mit Feinheit und innerer Lebendig keit geschildert, natürlich läuft viel Häßliche« unter, doch auch so Fesselndes, wie die Schilderung des inneren Ge winnes und Trostes, die der Familie des „Helden" und diesem selbst au« der Treue eine« Dienstboten erwächst. Die furchtbare innere Verödung, die im Geleit des äußeren Herabkommen« eintritt, ist aut, wenn auch mit viel Bitter keit dargestellt. „Mutter begann schon Pläne für meine Zukunft zu schmieden Studieren könnte ich nicht, das wäre klar, denn ich müßte frühzeitig etwa« verdienen. Ich müßte ein reicher Mann werden und da bliebe doch nicht« Anderes wie Kaufmann übrig. Sie erzählte mir von leuchtenden Beispielen, die mit wundgelaufenen Füßen und zwölf guten Groschen hier angefangen und eS bi« zu Millionären und Kommerzienräten gebracht hätten Sie sagte mir täglich, daß Geld, sobald man e« besäße, der Gipfel der irdischen Glückseligkeit, ja beinahe der himmlischen gleich zustellen wäre; daß alle Klugheit ohne Geld doch nur Dummheit wäre. Daß man aber fleißig, tüchtig und solide, dejonvers „folive" sim mußte, um es zu erwerben." Trotz- alledem kommt Georg Geiger im Verlauf des Roman« nicht zu den drei Vorbedingungen, daß er nicht solide sein kann, ist die Schuld von Frl. Lies Weise, deren Schicksal den Inhalt des späteren Buches bildet Um ihretwillen ist ihm der Erfolg seiner kaufmännischen Laufbahn ziemlich gleichgiltig Aber auch die Schritte, die er in eine andere höhere Welt thut, fördern ihn nicht. Vom Schuljungen verein der freien Geistesbrüder gerät er in die dromatisch- litterarische Gesellschaft der „Novania" und spielt bei einer Dilettantenaufführung deren Regisseur. Das Stück ist von einem Jugendfreunde, „es wäre ein Bastard von Björnsons „Fallissement" und Sudermanns „Ehre" gewesen, wenn nicht der heilige Henrik einen Paralytiker und Gerhart der Große einen stets betrunkenen Kassenboten beigesteuert hätten." Und dann doch das Räuspern L I.-» Moor: „Ja wenn ich das so überdachte, wo war ich hingekommen, was war aus mir geworden! Wo waren alle die Pläne, Hoff nungen, die ich gehegt und gezüchtet hatte? Vollkommen war ich in dieser Großsprecherei, diesem Klatsch, diesen Zoten aufgegangen. Aber mußte ich denn immer so bleiben, konnte ich mich wirklich nicht mehr herausreißen und meine eigenen Wege gehen? So wird ja nie etwas aus mir. So ohne Ernst, ohne Streben bleibe ich in allen Kämpfen der Unterliegende Ich bin jetzt zwanzig Jahre und was kann ich? Was soll ich jetzt noch anders ergreifen, wozu habe ich Fähigkeiten? Schriftsteller? Hm! Al« ob ein Mensch ohne Knochen gehen könnte! Was sonst? Kunsttischler? Ich bin doch zu alt um irgendetwas anzufangen." Zwanzig Jahre und zu „alt", um etwas anzufangen! Und da« redet von Ernst und Streben und offenbart, daß das Jahrhundert den Männern gehört! Wie ehedem der Strebende au«sah, der seine eigenen Wege ging, wißen wir: Spinoza, der seine Brillen schleift und dabei seine Ethik in sich reifen läßt, Lessing, der dem General Tauenzien al« Sekretär dient und dabei die „Minna von Barnhelm" dichtet und den „Laokoon" schreibt, Scharnhorst unv Moltke, die m der Strenge und gclegent lichcn Oede des Kommißdienstes ihre großen Ziele fest >m Auge halten, von tausend minder erlauchten Beispielen zu schweigen. Aber da« sind ja keine modernen Naturen und die „Spielkinder" offenbaren uns leider nicht, wie man sich im neuesten Stil „zur Klarheit ringt". Wir erfahren nur, daß die „Spiele" derer, die nicht dazu gelangen, sehr häßlich und meist geschmacklos, ach unsäglich geschmack los! sind. — Noch unerquicklicher erscheint die Erzählung „Das neue Gewissen" von Adolf Voegtlin (Leipzig, Verlag von H Haessel, 1897) Der Held derselben ist ein Schweizer Bauer und Winzer, der seiner Mutter auf dem Sterbebette ein frevelhaftes Versprechen giebt, seine arme Jugendliebe aufzuopsern und eine ungeliebte reiche Wirts tochter zu heiraten, und der nun zwischen zwei Eiden steht. „Er mochte thuen, was er wollte, so war es verrucht; er war eben vor seinem strengen Eigengericht ein Eidbrecher, ein Meineidiger." Diesen Konflikt und seine tragische oder glückliche Lösung in einer einfach kräftigen Natur und in Verhältnissen darzustellen, in denen die Überlieferung so energisch mitspricht wie die Stimme des eigenen, warmen Blute«, wäre wohl eine poetische Aufgabe, auch sind einzelne Szenen in der Erzählung vorhanden, die zeigen, daß dem Verfasser der Blick für die Wirklichkeit nicht versagt ist. Ja, ein paarmal kommt es zu recht naturalistisch derben Abdrücken dieser Wirklichkeit. In der Hauptsache aber soll Jörg, der freilich das Gymnasium besucht hat und im Scher» von den Bauern „Herr Fürsprech" gerufen wird, die Nietzschesche Entwickelung durchleben und jenseits von Gut und Böse gestellt werden Die Zweifel quälen Jörg Waller, „denn es fehlte ihm die Übersicht über da« Werden seines eigenen Wesen« Er dachte wohl daran, sich selber in rin Doppelwesen zu zergliedern, va« zum Teil eine reine Schöpfung der Natur, zum Teil ein Produkt der Dor- und Mitwelt war. Auch sagte er sich ahnungsvoll, daß in ihm die Stimme der Natur jenen affigen Außer-
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