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für die Komposition." In diesem Sinne verarbeitet das liebenswürdige Werk in seinen drei Sätzen als thematisches Material altes deutsches Volksliedgut des 15. bis 17. Jahrhunderts, für das sich der Komponist zu dieser Zeit besonders interessierte; denken wir in diesem Zusammenhang zum Beispiel auch an seine Oper „Mathis der Maler" aus dem Jahre 1934, in der das deutsche Volkslied gleichfalls eine sehr wesentliche Rolle spielt. Im „Schwanendrehed'-Konzert, des sen Orchesterbesetzung übrigens nur aus Bläsern, Harfe und tiefen Streichern besteht, werden die alten Volksweisen mit großer satztechnischer Kunst, aber stets in äußerst musikantischer, einfach, natürlich und elegant wirkender Weise in der musikalischen Sprache unserer Zeit „erweitert und verziert". Dem ersten Satz des Werkes liegt die elegische Weise „Zwischen Berg und tiefem Tal" zugrunde. Die Melodie dieses alten Liedes wird mit einem energi schen, typisch Hindemithschen Thema verknüpft und in fantasievoller, vor allem rhythmisch abwechslungsreicher Art verarbeitet. — „Sehr ruhig" setzt im zweiten Satz gleichsam improvisierend das nur von der Harfe begleitete Soloinstrument ein. Zwei alte Volkslieder, „Nun laube, Lindlein, laube" und „Der Gutzgauch auf dem Zaune saß", erklingen in diesem Teil des Werkes, wobei das erste anfangs, rein akkordisch gesetzt, von den Holzbläsern vorgetragen wird, während „Der Gutzgauch" alsbald vom Solofagott angestimmt wird und sich zu einem lustigen Fugato entwickelt. Anschließend ertönt wieder die „Lindlein"-Melodie, diesmal in den Blechbläsern und mit dem improvisierenden Anfang des Satzes verknüpft. Der tänzerische Schlußsatz endlich bringt Variationen über das Lied „Seid ihr nicht der Schwanendreher", dem das Konzert seinen Namen verdankt. Das heitere, kecke Tanzlied wird mit größtem Einfallsreichtum in vier Variationen verarbeitet, wobei hier vor allem dem Solisten in reichem Maße Gelegenheit gegeben wird, sein virtuoses Können zu entfalten. Franz Schuberts 7. Sinfonie C-Dur sollte besser seine „Zehnte" genannt werden. Infolge der falschen Zählweise in der Gesamtausgabe der Schubertschen Werke hat man allgemein übersehen, daß zu einer 7. (D) und 8. (E) Sinfonie Skizzen vorliegen (die E-Dur-Sinfonie hat Felix Weingartner voll endet) und folglich die sogenannte „Unvollendete" in h-Moll — übrigens fast zur selben Zeit wie die Beethovensche „Neunte" entstanden - in der Numerie rung eigentlich die Nr. 9 (statt Nr. 8) sein müßte. Neuerdings hat der englische Musikwissenschaftler M. J. E. Brown festgestellt, daß die große C-Dur-Sinfonie, eben die fälschlich als „Siebente“ bezeichnete, identisch ist mit der lange ver geblich gesuchten „Gmundener oder Gasteiner Sinfonie". Die Entstehung des Werkes ist nach neuesten Erkenntnissen in den Jahren 1825 bis 1828 anzuneh men, ein Zeitraum, der die oft zu hörende Behauptung widerlegen dürfte, daß Schubert alles im Augenblick komponiert habe, ohne danach beharrlich zu fei len. Erst elf Jahre nach der Fertigstellung entdeckte Robert Schumann die Sin fonie unter Schuberts Nachlaß in Wien. 1840, zwölf Jahre nach dem Tode des Komponisten, erklang erstmalig das Werk, das dieser für seine bedeutendste Sinfonie hielt, unter der Stabführung Mendelssohns in Leipzig. Ihrer „himm lischen Längen" wegen nannte Schumann die „Siebente" einen „Roman in vier Bänden von Jean Paul" und schrieb über die Uraufführung: „Die Sinfonie hat unter uns gewirkt wie nach den Beethovenschen keine noch. Künstler und Kunstfreund vereinigten sich zu ihrem Preise. Daß sie vergessen, übersehen werde, ist kein Bangen da, sie trägt den ewigen Jugendkeim in sich ... In dieser Sinfonie liegt mehr als bloßer schöner Gesang, mehr als bloßes Leid und Freud’ verborgen, wie es die Musik schon hundertfältig ausgesprochen; sie führt uns in eine Region, wo wir vorher gewesen zu sein uns nirgends erinnern können." Unbegreiflich will es uns erscheinen, daß damals die meisten Hörer vor den Längen und Schwierigkeiten kapitulierten, während uns heute die Einmaligkeit des Werkes in der gesamten nachbeethovenschen Sinfonik voll bewußt geworden ist. Das, was die C-Dur-Sinfonie immer wieder zu einem nachhaltigen Erlebnis werden läßt, ist die rätselhafte Kraft ihrer Melodik, ist das Lebensstrotzend- Volkshafte ihres Ausdrucks. Die Melodik ist es, die den Riesenbau dieser Sin fonie trägt, nicht die Form, obwohl auch sie klassisch proportioniert ist. Man hat einmal treffend von der „pflanzenhaften Schönheit" dieses großartigen „Lieder zyklus ohne Worte" gesprochen, der nach Harry Goldschmidt die „Zeit der Tat und Kraft" - als poetische Idee - besingt, realistisch, national zwar, doch nicht im Sinne von Programmusik. Die C-Dur-Sinfonie zeigt Schubert auf der Höhe seiner Meisterschaft. Seine Tonsprache hat hier wohl die optimistischsten und heroischsten Elemente, deren sie fähig war, entfaltet. Eine breit angelegte langsame Einleitung steht am Beginn des ersten Satzes. Die Hörner stimmen einen ruhigen Gesang an, das Motto gleichsam, das gegen Schluß des Satzes in einer Steigerung wiederkehrt. Holzbläser, Streicher und Posaunen tragen diese Einleitung, die allmählich in das Allegro ma non troppo übergeht mit seinem rhythmisch gestrafften Streicherthema und seincÄ schwerelosen Holzbläsertriolen bei typischem C-Dur-Glanz. Dem Haupt- unW Seitensatz folgt eine durchführungsartige Schlußgruppe. Wunderbar ist der Stimmungsreichtum dieses Satzes, das naturhafte Wachstum der einzelnen Melodien, die „tief seelisch getragene" Dynamik (H. Werle). Wie eine über dimensionale Liedform mutet der zweite Satz, das Andante, an, mit seiner begnadeten Fülle von musikalischen Gedanken, die episch verströmen, öster reichisch-schwärmerisch, melancholisch, verträumt-innig, aber auch energisch und immer gesund, echt, zum Herzen gehend. Das Scherzo (Allegro vivace) gibt sich zunächst mit den rumpelnden Vierteln seines Hauptmotivs derb-polternd, aber auch heiter, graziös und mündet schließlich in eine herzhafte Wiener Länd lerweise, während das Trio in melodischem Gesang schwelt. Das Finale (Allegro vivace) umfaßt mehr als 1000 Takte. Immer und immer wieder stellt der Kom ponist seine musikalischen Einfälle vor, spürt ihren Verwandlungsmöglichkeiten nach, ohne sinfonische Auseinandersetzungen herbeizuführen. Das epische, nur von Stimmungskontrasten getragene Ausmusizieren dominiert. Farbig ist der Orchesterklang, kühn die Harmonik. Dieses Finale zeigt Schubert auf dem Gip fel seiner Themenerfindung und -Behandlung. Der Hörer wird von der Innigkeit des Gefühls und von der heldischen Kraft dieser Musik zutiefst berührt. Das ist der beglückende Eindruck, den die Sinfonie immer wieder hinterläßt. Dr. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: Das 12. AUSSERORDENTLICHE KONZERT muß infolge Absage der Solistin Gloria Davy ausfallen. 7., 8. und 9. März 1969, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal Einführungsvorträge jeweils 18.30 Uhr, Dr. Dieter Härtwig 7. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Werner Richter, Leipzig, Klavier Werke von Webern, Schönberg, Prokofjew und Beethoven 14. und 15. März 1969, jeweils 19.30 Uhr, Kongreßsaal 13. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solistin: Cecile Ousset, Frankreich, Klavier Werke von Hindemith, Franck und Chopin Anrecht A Freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1968 69 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden, Zentrale Ausbildungsstätte 40229 III 9 5 1,8 169 ItG 009 11 69 »hiharmoni 6. PHILHARMONISCHES KONZERT 1968/69