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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.05.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960516010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896051601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896051601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Bemerkung
- Bindung fehlerhaft: Seiten in falscher Reihenfolge
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-16
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
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246 Die Morgen-AuSgabe erscheint um V»? Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Filialen: ?tto Klcmm's Tortim. (Alfred Hahn), UniversitütSstraße 8 (Paulinum), Louis Lösche, llatharinenstr. 14, vart. und Königsvlatz 7. Redaction und Lrvedition: S-hanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. VezugS-PreiS « der Hauptrxpedition oder den im Stadt« bqtrk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliaer täglicher Zustellung m- .v-auS 5.50. Durch die Post bezoarn für Deutschland und Oesterreich: vierte (jährlich >l 6.—. Dirrcte tägliche Nveuzbandleudung in» Au-land: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. Mipffgcr Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Tonnabenb den 16. Mai 1896. AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Sieclamen unter dem Redection-strlch l4ge- spalten) 50H. vor den Familirunachrichten (6 gespalten) 40-H. Größere Schristen laut unserem Preis- vrrjeichniß. Tabellarischer und Zifsernsa» nach höherem Tarif. Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung 60.— mit Postbefürderung »l 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgrn-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 90. Jahrgang. Ein Urtheil in Preßangelegenheiten. kr. Durch die Presse ging in letzter Zeit die Nachricht von einem Urtbeil, welche« da« Schöffengericht Leipzig in Preßsachen gefällt und welche- auch die Bestätigung de« Landgericht- zu Leipzig und deS OberlandeSgerichtS zu Dresden als Nevisionöinstanz gefunden hatte. Es handelte sich darin um die Frage der Verjährung der Preßdelict», richtiger gesagt, um den Beginn des Laufes dieser Verjährung. Prcßdelicte verjähren nach Artikel 22 des PreßgesetzeS in sechs Monaten. Bislang hat man nun angenommen, daß die Verjährungsfrist mit der ersten Veröffentlichung, mit dem ersten Verbreitungs art an zu laufen beginne und sechs Monate nach der ersten Ausgabe des Buckes oder der Zeitung beendet sei. Berner sagt in seinem Lebrbuck des PreßrechtS: „Die Verjährung beginnt niit der Beendigung der strafbaren Handlung, d. h. der Verbreitung. Nach dem ersten VerbreitungSacte kann das Preßdelict nicht fortgesetzt werden, weil bei Preßdelicten Zeit und Ort der Begehung lediglich nach dem ersten Ver breitungsacte bestimmt werden." Auch Marquardsen hat diese Ansicht vertreten und in der Praxis ist sie die herrschende gewesen. Indessen ist es nicht richtig, wenn angesichts des oben erwähnten Urtheils behauptet worden ist, daß die gegentheilige Ansicht neu sei. Schuermans sagt in seinem (Io I» presse: „ttu meine kalt eie presse peut donner lieu L clitferents details de presoriptiou en egnrä ü ses mnnitestntions diverses. II en sern le meins des taits de distridutlun ä'exemplaires tenus en reserve pour 8tie distribuös guelgue temps aprös In dato eil le Journal n pniu". Thilo sagt in seinem preußischen Preßrecht, daß der Tag der ersten Veröffentlichung sich nicht als Anfangspunct des Laufes der Verjährung festhalten lasse und daß von dem Laufe dieser Verjährung erst dann in gewissen Fällen gesprochen werden könne, wenn da« rechtswidrige Verhalten vom Thäter gänzlich aufgegeben sei. Schwarze vertritt in seinem Cominentar (3. Auflage von Appelius) die Ansicht, daß die herrschende Meinung unhaltbar sei, wenn sie dahin gehe, daß die Verjährungsfrist ausschließlich mit dem Beginn der Ver breitung anfange zu laufen. Der herrschenden Ansicht ist nun auch das O>berIandeSgericht in Dresden in einem neuerlich viel besprochenen Unheil entgegentreten. Ein Schuldirector G- in Insterburg batte ein Buch: „Erziehung und Ausbildung der Mädchen" in Leipzig bei K. erscheinen lassen, durch welches die Schriftstellerin M. in Berlin sich beleidigt fühlte. Das Buch war im Herbst 1894 erschienen. Im Juni 1895 erhob Frau M. in Leipzig Privat- llage. Der Beklagte G- stützte sich auf die eingelretene Ver jährung, da seit dem Erscheinen deS Buches 6 Monate ver flossen seien. Da« Amtsgericht Leipzig erklärte, daß die Ver jährungsfrist nicht vom Tage des Erscheinens des Buches an laufe, vielmehr erst von dem Tage ab, wo die Verbreitung des Buches aufgegeben sein würde. Das Landgericht Leipzig und das OberlandeSgericht Dresden traten dem bei. Das Urtheil de« königl. Oberlandesgerichtes zu Dresden lautet unter Anderm wörtlich: „Die vor liegende, durch Verbreitung einer Druckschrift begangene Beleidigung im Sinne von tz 185 des Strafgesetzbuches ist teineswegs nach H 22 des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1894 verjährt, da das Buch von der VerlagShandlung bis in die neueste Zeit, mindesten- bis Juni 1895, fortgesetzt verbreitet wurde, auch diese Verbreitung auf Grund und in Verfolg de« Verlagsvertrags mit dem Autor erfolgt ist, und daher davon ausgegangen werden muß, daß der Angeklagte bis in die neueste Zeit ohne wesentliche Unterbrechung die fortgesetzte Verbreitung des Buches im Wege de« Buch handels veranlaßt und gewollt hat. Nach ß 20 des Preß gesetzes bestimmt sich die Verantwortlichkeit für Handlungen, deren Strafbarkeit durch den Inhalt einer nicht periodischen Druckschrift, wie des gegenwärtig in Rede stehenden Buches, nach den bestehenden allgemeinen Strafgesetzen. Dem gemäß ist auch die Frage, ob die Strafverfolgung einer durch die Verbreitung einer solchen Druckschrift be gangenen Beleidigung — abgesehen von der die Verjährungsfrist betreffenden Sonderbestimmung in 8 22 des PreßgesetzeS — verjährt sei, nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafrechtes zu beurtheilen. Sofern eine beleidigende Druckschrift längere Zeit hindurch verbreitet worden ist, wird vorher zu prüfen sein, ob jeder der ver schiedenen Verbreitungsacte sich alS eine selbstständige Straf thal darstellt und demzufolge auch selbstständig verjährt, oder ob, wie zum Beispiel bei den Verlegern in der Regel der Fall sein wirk, die vorliegenden Verbreitungs handlungen in ihrer Gesammtheit, bez. gruppenweise im Fortsetzungszusaniinenhange begangen worden sind und daher insofern Einheit der Thal anzunebmen ist. Im vor liegenden Fall ist festgesteUt, daß bis in den Juni 1895 der Vertrieb erfolgt ist, und der Angeklagte hat diese ohne wesentliche Unterbrechung fortgesetzte Verbreitung des Buches im Wege des Buchhandels veranlaßt und gewollt. Hiernach erscheint der Angeklagte für die bis in die Neuzeit staltgesundene Verbreitung strafrechtlich ver antwortlich. Diese That ist aber eine einheitliche, und der Lauf der Verjährung einer einheitlichen, aus einer Reihe einzelbeständiger Emzelacte sich zusammensetzenden Strafthat kann nur erst mit dem letzten dieser Acte beginnen!" Dieses Urtheil des Strafsenates des Oberlandesgerichts in Dresden vom 26. März d. I. wird juristisch kaum an fechtbar sein. Wohl aber dürfte es praktisch zu ganz un haltbaren Conseguenzen führen, zu Consequenzen, die gerade mit dem Wesen der Verjährung in direktem Widerspruch stehen. Bon der Alles heilenden Zeit kann gar nicht mehr die Rede sein, wenn die That erst dann verjähren soll, wenn daö letzte Exemplar verbreitet worden ist. Bis das geschehen ist, können Jahrzehnte vergangen sein. Es kann also das rechlliche Interesse an der Verfolgung der Strafthat ge schwunden fein und dennoch diese Verfolgung möglich bleiben Von praktischen Erwägungen ausgehend, hat denn auch der Verein deutscher Zeitungsverleger an den Reichstag eine Petition gerichtet, in welcher er auf das Wünschenöwertbe ter Festhaltung an der kurzen Verjährungsfrist hinweist und auf das vorbildliche französische Preßgesetz von 18l9 hinweist, bei dessen Beratbuna man von der Erwägung ausging, es müßten die bei der Herstellung und Herausgabe einer Druck schrift betheiligten Personen gegen die Gefahr geschützt sein, auch noch nach Jahren wegen jeder neuen Verbreitung ver folgt zu werden. DaS sächsische Preßgesetz vom 24. Mai l870 bestimmte sogar ausdrücklich, daß dit Brrjäbruag von dem ersten VerbreitungSacte zu rechnen sei. E« heißt weiter in der Petition: „Diese kurze Verjährungsfrist entspricht in der That der Natur der Prcßcrzeugnisse. Bei der Mannigfaltigkeit der einzelnen Verbreitungsbandlungen würde eine allgemeine RechtSunsickerheit entstehen, wenn Jemand wegen Verbreitung einer Druckschrift, die Jahrzehnte hindurch unbeanstandet verbreitet worden ist und deshalb die Bermuthung für sich hatte, nichts Strafbares zu enthalten, plötzlich verfolgt werden würde. Dem Geiste dieser Gesetzgebung, welche zur Aufstellung der kurzen Verjährungsfrist führte, genügt es allein, dieselbe von dem Zeitpuncle an zu rechnen, in dem die Veröffentlichung erfolgte und demnach die Strafverfolgung möglich war; Theorie und Praxis waren daher bisher dar über einig, daß die Ausgabe einer Druckschrift auch den Be ginn der Verjährung bezeichne." Wir haben oben gesehen, daß da« Letztere nicht richtig ist, daß vielmehr wenigstens in der Theorie die widersprechendsten Ansichten herrschten. So lange der Gesetzgeber nicht eine Bestimmung getroffen hat, nach welcher bei Preßdelicten die Verjährung vom ersten Verbreitungsact an zu rechnen ist — eine Bestimmung, welche im Interesse der Presse zu wünschen wäre —, wird sich gegen das mitgetbeilte Urtheil wenig Stich haltiges vorbringen lassen. Im Anschluß an bas Urtheil führt die Petition weiter noch Folgendes auS: „Bei einer fortgesetzten Verbreitungshandlung soll die That erst mit dem letzten Einzelacte vollendet sein und damit die Verjährung beginnen. Da nun eine Druckschrift, soweit sie überhaupt gangbar ist, vom Verleger immer weiter ver breitet wird, so kann die Verjährung einer etwaigen Straf that so lange nicht beginnen, als überhaupt noch Interesse für das Preßerzeugniß in irgend welchen Kreisen des Publi kums vorhanden ist. Aber es ist nicht abzujehen, weshalb man bei den Schluß folgerungen des Dresdner Urtheil- stehen bleiben sollte. Da die Frage, ob eine Handlung verjährt sei, abgesehen von der die Verjährungsfrist betreffenden Sonderbestimmung, nach den allgemeinen Grundsätzen deS Strafrechts beurtbeilt werden soll, so kann man je nach den concreten Tbatumständen in einem Acte der Verbreitung auch eine selbstständige Hand lung finden, die wiederum nur nach ihrer Vollendung verjähren kann. Jeder Verkauf eines Buckes unter Kenntniß seines Inhaltes ist aber eine solche selbst ständige Handlung. So kann der Verkäufer jedes BucheS, auch wenn eS schon vor Menschenaltern erschienen ist, z. B. von Schiller's „Räubern", jeder Zeit bestraft werden, wenn man darin einen strafbaren Inhalt entdeckt. Der periodischen Presse ist noch leichter beizukommen. Ist ein Preßdelict unglücklicher Weise verjährt, so kauft man sich in der Expedition ein Exemplar der betreffenden Nummer und hat sogleich ein neues Preßdelict, für da« der Verkäufer wenigstens nach den Grundsätzen des dolus evevtuslis ver antwortlich ist. Während der Gesetzgeber, der eigentbümlichen Natur der Preßerzeugnifse entsprechend, für die durch die Presse be gangenen strafbaren Handlungen eine kurze sechsmonatige Verjährung festsetzte, werden durch diese neue Iudicalur die Preßdelicte tbatsächlich unverjährbar, da sie sich immer wieder fortsetzen und erneuern und somit nie zu einem den Eintritt der Verjährung gestaltenden Abschlüsse gelangen können." Die NechtSanschauung erscheint uns nicht richtig. Auch wir meinen, daß ein fortgesetztes Delikt, eine viele Male er neuerte Thätigkeit vorlieat, welche jedes Mat dem Begriffe des Delikte« entspricht. Und bei einem solchen Delict ist auch hinsichtlich der Frage der Verjährung eben nur ein Delict anzunebmen, welches vollendet ist, wenn der letzte Begebungs act geschehen ist. Vollkommen sympathisch stehen wir aber dem Anträge gegenüber, eine Novelle zum Preßgesetz zu schaffen, in welcher ausgesprochen wird, daß die Verjährung vom ersten VerbreilungSact an zu rechnen ist. Das ist ebenso notbwendig wie eine Bestimmung dahin, daß die örtliche Zuständigkeit bei Strafthaten durch die Presse auf den GerichtSbezirk beschränkt wird, zu dem der L>rt gehört, an welchem dre Druckschrift erscheint. Deutsches Reich. * Leipzig, 15. Mai. An einem Tage und wie auf Ver abredung erging sich «ine Reihe antisemitischer Berliner Blätter in Betrachtungen über den in Stolp i. P. sich ab spielenden Bernsteinmonopo l-Proceß. Sie räumen ein, daß eine Würdigung de« Gegenstandes erst nach der UrtheilSfällung möglich sei, sie halten aber dennoch nicht mit eigenen Urtheilen zurück und fordern insbesondere, daß der in Wien weilende Kläger Geh. Commerzienrath Becker al« Zeuge vernommen werde. Wir für unseren Theil sind der Meinung, daß da- Gericht gesprochen haben muß, «he die Presse ihre — in dem vorliegenden Falle anscheinend allerdings unabweisbare — Pflicht, zu reden, erfüllen darf. Berlin, 15. Mai. Wenn man einer Andeutung des Pfarrers Glöckler in Stotzheim im Elsaß trauen darf, so ist an dem Reichstagsbeschluß, durch den die Wahl deS Abg. Pöhlmann (Scklettstadt) casstrt wurde, der selig gesprochene Jesuit Canisius nicht unbetheiligt. In einem von Pfarrer Glöckler erlassenen Wahlaufruf heißt eS nämlich: „Mein Protest, den gewisse Zeitungen als eine Ausgeburt ohn mächtigen ZorneS" bezeichneten, ist am 27. April, dem Feste deS Jesuiten Canisius, vom hohen Reichstag berücksichtigt und die Wahl deS KreiSdirectorS Pöhlmann, der nicht für die Jesuiten stimmen wollte, für un- giltig erklärt worden." In dem Aufruf sagt Herr Glöckler weiter, er habe sich im Jahre 1893 zur Uebernahme einer Candidatur verstanden, weil er dem Kreis Schlett- stadt „die Schmach ersparen wollte, einen eingewandertcn Regierungsbeamten in den Reichstag zu senden", und zum Schluß: „Bleiben wir doch Elsässer und eingedenk der Worte des Dichters: „Verderblich ist des Wolfes (!) Zahn". Lassen wir uns nicht wie die dummen Schafe der Fabel bethören, wir ständen bei den Wölfen unter besserer Hut als bei den opferwilligen Hirten." (Ein anderes elsässisches Blatt hat diese Stelle in einer anderen, von uns schon wiedergegebenen Fassung niitgetheilt. Red. d. „L. T") Diese Ausdrücke des Fanatismus seien den Gegnern veSDictat urparagrap Heu zur Beachtung empfohlen. * Berlin, 15. Mai. Die Reichstags-Commission für das Bürgerliche Gesetzbuch hat mit einem ihrer letzten Bescklüfse eine riefeingreifende und unseres Erachtens beklagenswertbe Aenderung des Entwurfs beschlossen, indem sie die Ehe scheidung wegen unheilbarer Geisteskrankheit beseitigt bat. Als seiner Zeit der erste Entwurf zum Gesetzbuch entgegen dem in den meisten deutschen Staaten geltenden Rechte diesen Scheidungsgrund nicht aufnahm und die Scheidung auf die Fälle eines schweren Ver schuldens einschränkte, gehörte dieser Punct zu denen, die den meisten Widerspruch erregten. Bedeutende Rechtslehrer und Praktiker, wie Hinschius, Bähr, Gierke u. A., erklärien sich gegen den Entwurf, der 20. Deutsche Iuristentag in Straß burg nahm eine Resolution dagegen an, und unter dem Drucke ver öffentlichen Meinung entschloß sich dann der zweite Ent Wurf, die Scheidung wegen Geisteskrankheit in dem Falle zuzulassen, wenn die Krankheit während der Ehe drei Jahre gekauert und einen solchen Grad erreicht habe, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Gatten aufgehoben, und wenn ferner jede Aussicht auf Wiederherstellung derselben ausgeschlossen sei. Es scheinen wieder einmal die Herren vom Centrum gewesen zu sein, die den maßgebenden Einfluß für die Beseitigung dieser Bestimmung ausgeübt haben Gewiß läßt sich nicht leugnen, daß über die Frage, ob eine Geisteskrankheit heilbar ist oder nicht, auch der gewissenhafteste Arzt wird irren können; auf der andern Seite aberscheinen un« die traurigen Folgen bei einem Ausschluß der Scheidung noch viel bedenklicher zu sein, als die Möglichkeit, daß ein als unheilbar geisteskrank geschiedener Ehegatte in späteren Jahren wieder geheilt wird. Man denke an Fälle wie die bei den Verhandlungen des Iuristentages erwähnten, daß der kranke Theil über dreißig Jahre in geistiger Umnachtung lebt und der andere doch kein Mittel besitzt, von ihm frei zu kommen! Namentlich für den kleineren Gewerbtreibenden, für die Kreise de« Mittelstände«, in denen Mann und Frau darauf angewiesen sind, gemeinsam zu verdienen und gemeinsam selbst ihre Kinder zu erziehen, ist in den gar nicht so ganz seltenen Fällen wie den hier in Rede stehenden die Möglichkeit einer Scheidung durchaus geboten. Daß endlich im andern Fall die Gefahr von Concubinaten dringend nahe liegt, braucht nur angedeutet zu werden. Mit Recht ferner weisen Bähr und Gierke ziemlich über einstimmend darauf hin, daß die Scheidung doch nicht zur Strafe de« einen Thcils erfolgen solle, sondern um den andern von einem unerträglichen Bande zu befreien; eS muß auch eine nach Gierke's Ausdruck ohne Verschulden eines Ehegatten ihres sittlichen Gebalts vollkommen entleerte und zur unerträglichen Fessel gewordene Ehe getrennt werden können. Wenn das Gesetzbuch in diesem und anderen Puncten gegenüber dem in den meisten Territorien geltenden Rechte die Scheidung mehr oder minder beschränkt, so wird das um so fühl barer, als bisher in vielen Staaten Deutschlands wie nicht minder außerhalb Deutschlands das sogenannte landesherr liche ScheidungSrecht in Geltung steht. Trotz mancher Be denken läßt sich zu dessen Gunsten auch wieder mancherlei an führen, eS wird insbesondere auch gerade von solchen Autoren befürwortet, die daS ordentliche ScheidungSrecht einengen und Geisteskrankheit nicht zum Scheidungsgrund machen wollen (z. B. Hubrich, Recht der Ehescheidung), und zwar gerade deshalb, um für solche Fälle Abhilfe zu schaffen. -Es ist ja indeß nicht daran zu denken, daß das Civilgesetzbuch dieses ScheidungSrecht einführen oder bestehen lassen und davon ab sehen wird, die Scheidung in die Form eines „bürgerlichen Rechtsstreits" einzuschließen, die gar nicht immer dafür paßt. Um so vorsichtiger muß man u. E. mit allzu großer Ein engung der Scheidungsmöglichkeit sein. Wir müssen daher ver Hoffnung Ausdruck geben, daß die Reichstagscommission oder doch das Plenum des Reichstages den bisherigen Stand punkt nicht aufrecht erhalten und zu den Vorschlägen dcS Entwurfs zurückkehren wird. (Hamb. Corr.) Die Läbis. Ein Enlturbild aus Persien. Bon Emil Lindau. Nachdruck verioirn. Der Kugel eine- BLbi ist Schah NaSr-ed-d in zum Opfer gefallen, nachdem er bereits im Jahre 1852 nur durch ein halbes Wunder dem Anfalle einiger BLbis entgangen war. Die Frage drängt sich auf, wer die BLbis sind und welche Zwecke sie verfolgen. Man würde sehr fehl gehen, wollte man sie im Hinblicke auf das traurige Ereigniß, raS sich soeben vollzogen hat, al- eine Verbrechergesellschaft an sehen. Die BLbis sind vielmehr eine religiöse Secte, deren Lehren sich durch Tiefsinn und Reinheit auSzeichnen, und die vielleicht geeignet wäre, die stagnirende Cultur Persiens zu beleben. Nur die bittere Logik der Geschichte ist eS, die ihnen die Waffen in die Hand gedrückt und den Schah — nicht obne eigenes Verschulden — zu ihrem Opfer gemacht hat. Die Betrachtung der Entwickelung und des Wesens der BLbis wirft auf die dunkle und bei un- reckt wenig bekannte neuere Culturgffchichte Persien« in vieler Hinsicht eiu höchst intrr- essante« Licht, und giebt einen wesentlichen Beitrag zur Wür digung der Regierung Schah Na-r-ed-din'-. Die BLbis nenne« sich nach dem BLb, und „BLb" be deutet Pforte. Diese Bezeichnung legte sich der etwa 1825 geborene Begründer der Secte. Mirza Ali Mohammev, bei. Mirza Ali Mohammed beschäftigte sich von Jugend auf mit religiösen Ideen und fand einen großen Zwiespalt zwischen seinen frommen und innigen Anschauungen und dem wirk lichen Zustande des MohammedaniSmus, dessen Priester un wissend, lasterhaft und bestechlich waren. Die Wallfahrt nach Mekka bestärkte ihn nur noch in seinen Zweifeln, und in der tiefen Einsamkeit der Ruinenmoscher zu Kufa unweit Bagdad, wo einst Ali, Ler Kbalif, unter den Dolchen der Mörder fiel, scheint er seine Berufung erkannt zu haben. Er kehrte in seine Vaterstadt Schiras zurück und machte hier durch seine ersten Schriften sowohl wie durch seine Persönlichkeit sofort einen tiefen Eindruck. Diese Persönlichkeit wird von Allen, die ihn gekannt haben, in den hellsten Farben geschildert. Mit großer Reinheit der Sitten, mit Geduld und Muth verband er einen selbstlosen glühenden Ideali-mu« und den Wunsch zur Herbeiführung besserer Zustände, und vor Allem einen unwiderstehlichen persönlichen Reiz, eine Liebenswürdigkeit, die durch die Schönheit seiner körperlichen Erscheinung unterstützt wurde. Der junge Mann — er stand damal erst im Anfänge der Zwanziger — gewann durch seine Predigten bald zahlreiche Anhänger. Unter ihnen tritt neben dem energischen Husseyn Buschrewyeb al- »ine besonder interessante Gestalt eine Frau hervor, Kurrat-ul-Ayn (Augen weide), eine ungemein schöne junge Frau, di« e- srühzeitiazu hober Gelehrsamkeit gebracht batte und eine fanatische An hängerin deS BLb wurde. Eine höchst merkwürdige Frau diese Kurrat-ul-Ayn! Sie war so schön, daß ihre Feinde behaupteten, die Soldaten feien ihr mehr aus Liebe, wie auS Ueberzeugung gefolgt; dabei verstand sie die Anhänger durch flammende Reden hinzureißen und erwies sich im Tode wahrhaft als eine Heroine. Browne, der beste Kenner der BLbis, bat von ihr ein Gedicht niitgetheilt, in dem sie mit hohem Schwünge den Propheten besingt. Wenn, da- Schwert in der Hand, mein Theurer verlangt meinen Lod, obwohl ich sitndenrein, Legt er diese harte Geißel mir auf, so will ich's gern zufrieden sein. Al- im Scklafe ich lag beim Anbruch deS Tag», da trat dieser Zaub'rer, der barte, zu mir. Und so schön war sein Leib und so schön sein Gesicht — wie die Morgendämm'ruag erschien er mir. — Der BLb war ein milder und stiller Mann, der sich auf die Ausgestaltung seiner Ideen und auf seine Predigten be schränkte. Seine begeisterten Anhänger aber drängte eS, Proselyten zu werben, und so zogen sie nack drei Richtungen hinaus: der kühne Husseyn Buschrewyeb nach Süden, die schöne Kurrat-ul-Ayn nach Westen, endlich Mohammed-Ali- Balfourouschy nack Norden. Ileberall gewannen sie sichtlich an Anhängern und die Regierung legte ihnen keine besonderen Schwierigkeiten in den Weg, nur daß sie den BLb selbst zeit weise internirte. Da starb im Jahre l848 Schah Mohammed und die den Regierungs-Antritt NaSr-ed-din'S begleitenden üblichen Unruhen benutzte Husseyn zu energischem Vorgehen. Zu Badascht in Masendrran vereinigten sich die drei Schaaren; Kurrat-ul-Ayn hielt eine kurze, in der Form einfache, aber von glühender Begeisterung getragene Anrede, die die Gläubigen tn Extase versetzte: Schreie deS Jubels umjauchzten sie, „o meine Seele!" „o Du Reine!" riefen ihr die Enthusiastischen zu und eine hingebende Bekehrungsarbeit begann. Reiche und Arme, Bürger und Bauern strömten jetzt den BLbis in großer Zahl zu und gingen zu ihnen über, — Manche, so >st behauptet worden, nachdem sie fick durch den Genuß von Haschisch in den Zustand der Seligkeit versetzt hatten. Jedenfalls wurden die mohammedanischen Priester der Stadt sehr besorgt und aufgeregt, e« kam zu Reibereien und Kämpfen und schließlich wurde abgemacht, daß di» BLbi- di« Stadt verlassen sollten. Aber auf ihrem Marsche wurden sie wider aller Abrede überfallen, und das wurde der Anfang alle» Unglücks. Denn jetzt verschanzten sie sich beim Grabmale des Scheikh Tabarsi und machten auS diesem Lager ein wahres Mekka, zu dem die Gläubigen schaarenweise strömten. Nu» schickte die Regierung Truppen gegen die BLbis, aber ibr be geisterte- Vertrauen verzehnfachte ihre Kräfte und Hunderte siegten über Tausende. Als sick die BLbis endlich, vom Hunger entkräftet, gegen die Bedingung freien Abzuges er gaben, ließ sie der Commandant der RegierungSlruppcn, Suleiman Khan, allesammt treulos niedermetzeln. So setzte man da« System der Unehrlichkeit und de« Berraths gegen eine Secte fort, die bereits im ganzen Lande Verbreitung gefunden hatte. Vielleicht haben die mystischen Speculationen und Grund- anschaungen de- BLbiSmuS ihm in Persien viele Anhänger geworben. Uns interessiren mehr gewisse praktische Conse quenzen der Lehre. Und da muß eS denn ungemein frappiren, daß der BLb einen der Grundmängel des orientaliscken Lebens erkannt hat, den Mangel an Familienleben, und daß er die Herstellung der Familie anstrebt. Die Stellung der Frau ist m dieser Lehre von Grund au- verändert; sie braucht den Schleier nicht zu tragen, darf im Hause und auf der Straße ungezwungen mit Männern verkehren. Die Ehe wird ungemein hochgestellt, eine zweite Frau wird dem Manne erlaubt, aber nickt empfohlen, die Ehescheidung aber nach ML.zlichkeit erschwert, was im Orient, speciell in Persien, wo der Mann seine Frauen so häufig und unter den nichtigsten Vorwänden wechselt, von hoher Bedeutung ist. Wenn der BLb lehrt: „Iyr Frauen seid für Euch geboren", so macht er damit einen nickt genug anzuerkennenden Fortschritt über di« tausendjährige Mißachtung hinaus, die der Orient dem
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