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Lokalblatt sür Aue, Auerhammer, Zelle-KlSfterlein, Rieder-«. Oberpsannenstiel, Lauter, Bockau, Bernsbach, Beyerfeld, Gachsenfeld und die umliegenden Ortschaften. lttscheint Mittwoch«, Freitag« u »-««tag». Udonnementsprei« incl. dek 3 wertbvolle Beilagen vierteljährlich mit Bringerlohn 1 Mk. LV Ps, durch die Post 1 M. 28 Pf, No. 29. Mit 3 issustrirten Beiblättern: Deutsches Kamilienölatt, Kute cheister, Zeitspiegel. Deranlwortlicher Redakteur: Vmil Hegemeister in «ue (Erzgebirge). Redaktion u. Expeditione Au«, Marktstcaße. ! , . . l.lUM —iW— Mittwoch, den 8. März 1893. Inserat« di« einspaltige CorpuSzeile 1v Pf., - die voll« Seit« 30, -/, S. 20, >/« St. 6 Mk. b«i Wiedrrbolungen hoher Rabatt. Alle Postanstalten und Landbriesträger H nehmen Bestellungen an. T 6. Jahrgang. Bestellungen auf die WM^AuerthcrL-Zeitung (No. 665 der Zeitungspreisliste) für Monat März werden in der Expedition (Aue, Marktstraße), von den Aus- trügern des Blattes, sowie den Landbriesträgern jederzeit gern angenommen. Expedition der „ Auerthal-Zeitung," LLiooit Als Mann der Zukunft gilt den Franzosen ihr neuer Senatspräsident Jules Ferry. Er hat nichts von einem geschmeidigen, eleganten Franzosen an sich, er ist knorrig und derb, doch hat er Mut und Charakter. Auch eine lange Vorgeschichte hat er; deren erinnern sich die Franzosen und namentlich erscheint er ihnen al« Held in den 1S70er Wirren. Nach einem Helden aber schreit die „groge Nation. Der Nationalheld soll Ferry jetzt sein. AgAm 31. Oktober 1870 hatte sich die Negierung der nationalen Verteidigung unter dem Vorsitze des Generals Trochu vollzählig im Stadthause zu einer Beratung ver sammelt, al» eine wilde Volksmenge hereinstürmte und die Anwesenden sür gesangen erkläite. Der bewaffnete Pöbel hatte sich im Nu des riesig großen Stadthauses bemächtigt. In allen Höfen, aus allen Gängen und Fluren Geschrei und Waffengcklirr, treppauf, treppab ein wüste- Getümmel wahnwitziger Burschen, die nach der Kommune johlten und die Regierung zwingen wollten, ihre Entlassung zu geben, damit sie Pari« nicht an die Preußen »erriete. In auf geregten Zeiten findet ja da« tollste Märchen gläubige Ohren. Kopf an Kopf drängte sich die tobende Masse in dem Beratungssaale, und die gefangenen Regierungsmänner saßen in dieser sürchterlichen Enge hinter ihrem grünen Lisch wie in einem Schraubstocke. Hallunkeu, die ein Gelüste nach irgend einer Privatrache büßen wollten, wühlten sich bis zum Tische vor, ballten die Fäuste, geiferten Drohworte und Beleidigungen. Einer machte sich an JuleS Ferrv heran: „Endlich habe ich dich und du sollst mir nicht entkommen I" Furchtlos erwiderte in derselben Tonart Ferry: „Gicb Acht, daß ich dich nicht kriege, heute mir, morgen dir!" Die Verachtung alles Pöbelhaften verließ ihn auch in augenscheinlicher Todesgefahr nicht. Diese wuchs von Minute zu Minute. FlourenS, der Sohn des berühmten Physiologen, hatte sich mit seinen Freischärlern in das übervolle Gemach eiugebrängt. Er sprang aus den Tisch, tollte m t den Sporenstieseln zwischen den Schreib zeugen hin und her, daß die Tinte von allen Seiten aus spritzte und hielt eine Rede nach »er andern, bis ihm zuletzt seine Stimme versagte. „Nu viellv, tu krriblisl" nef ihm unversehens ein Kamerad mit näselnder Stimme zu, und einen Augenblick schien es, al- ob der ganze Sturm in Heiterkeit sich aufiösen wollte, denn die Ge fangenen lachten trotz Not und Gefahr über den drollige» Zwischenruf, und ihre Schergen lachten mit. Dann wieder Geschrei, Gebrüll vivs IL Oommluig! Auf einmal waren Trochu und Ferry nicht mehr zu sehen, wie durch ei» Wunder verschwunden. Auf die denkbar einfachste Art hatten sie sich au« der Gesangenschast erlöst. Eie waren kurzweg ausgestanken und resoluten Schrittes sortgegaugen. Niemand hatte gewogt, sie zurück zuhalten. Die Menge war einen Augenblick ganz verblüfft gewesen, und als sie wieder zu sich kam, war das Unglück geschehen. Denn ein Unglück war es sür die Ausrührer. Trochu und Ferry beeilten sich natürlich sofort, die Zurück eroberung de» Stadthauses, die Befreiung rhrer gefangenen Kollegen ins Werk zu setzen. Ein heikle« Unternehmen, das ebensoviel Klugheit als Entschlossenheit erforderte. Beides besaß der Zivilist in höherem Maße als der Soldat, Ferry ließ sich ohne Verzug von Trochu da« Oberkommando der Nationalgarde übertragen. Mit unsäglicher Mühe wurden dann so viele Bataillone zusammengetrommeli, da« eine Umzingelung des Stadthauses durchgesührt werden konnte. Jetzt waren die Aufständischen in der Schlinge, die Gefangennehmer die Gefangenen. Allein die Mehrzahl der Regierungsmitglieeer befanden sich noch in ihrer Macht, und sie benützten dieselben als Geißeln. Jule» Favre, JuleS Timor, Magnin, Garnier-PageS waren darunter, Männer des Wortes und der Feder, die sich vor der wachsenden Gefahr in schlichte, echte Helden verwande'ten. Nicht einer ließ sich dazu bewegen, sein EntlassungSgejuch zu unterzeichnen, unter dem Drucke der Gewalt einen (Nachdruck verboten). Jeuill'eton. Aus stürmischen Tagen. Roman von E. H. Siegfried». (Fortsetzung.) Von Zeit zu Zeit nahm er einen Schluck Rothwein auS »em vor ihm stehenden Glase. Er schenkte seiner Umgebung nicht die mindeste Beachtung und schien nur von dem Wunsche beherrscht zu sein, da» Hau« recht schnell wieder »erlassen zu können. Vater Gummlich zvg sich, als er sah, daß man kein be sonderes Gewicht auf seine Gesellschaft legte, in bescheide ner Weise zurück und suchte Rothenberg aus. „Haben Sie die Herrschaften gesehen, die eben bei mir eingekehrt sind?" flüsterte er dem jungen Manne zu. „Gewiß; — was ist mit ihnen?" „Sie gehören sonst wohl nicht zu meinen ständigen Gästen," sagte Vater Gnmmlich lächelnd, ein Zufall hat Sie heule in mein Haus geführt. Dem Herrn Direktor passirte ein kleine- Malheur, ein Rad seiner Eqmpage ist gebrochen und er muß nun hier warten, bi« die Repara tur vorgenommen ist." „So, so!" sagte Rothenberg gleichgiltig. „Haben sie sich den Herrn schon einmal angesehen?" fragte Gummlich mit schlauem Lächeln. „Wie gefällt er Ihnen?" Rothenberg Wars auf den Zeitungtleser einen flüchtigen Blick, dann zuckt« er mit den Achseln und sagte: „Je nun, mit »er Zeche wird er Ihnen wohl nicht durchbrennen; er sieht ja ganz zahlungSsähig aus." Gummlich kicherte in sich hinein. „Sie würden sich sicherlich sür ihn interessircn, wenn Ihnen sein Name bekannt wäre," sagte er. Rothenberg blickte den Wirth fragend an. „Dec Herr ist der Direktor der Srubengesellschast Con cordia . . . ." „Herr Lrcnneck?" sragtc Rothenberg überrascht. „Jawohl, Herr Direktor Brenneck." Der junge Mann blickte nun mit dem lebhaftesten Interesse hinüber. Das Antlitz deS Direktor« verrieth ihm nicht viel, man konnte nur daraus lesen, daß der Herr steh erheblich langweile. „Und die junge Dame?" fragte Rothenberg den Wirth flüsternd. „DaS ist die Tochter der Herrn Brenneck." Er sah das schöne Mädchen an, wandte aber schnell den Blick wieder ab, da er sich in dem Moment von ihr beobachtet sah. „Nun, ist es nicht interessant," meinte Gummlich, daß Sie auf diese zufällige Weise die Bekanntschaft Ihre« künftigen vrodherrn gemacht haben?" II. Das Dors Dönningen bot durchaus keine landschaft lichen Reize dar. Kein Baum, kein Strauch belebte die trostlos langweilige Gegend. Die Dorfstraße mit ihren düstern Ziegelhäusern, »en mit schwarzen Schlacken gepflasterten Wegen machten keinen anmuthigen Eindruck. Nur in der Umgebung »er nüchternen au» Backsteinen erbauten Kirche zeigte sich eine spärliche B getation, aber sie trug eher dazu bei, den dü stern Ein »ruck der Landschaft zu erhöhen, al« ihn freund licher zu gestalten. Grat und Strauchwerk waren von Federstrich zu thun. Man hotte sie zuletzt in einen Erker eingekeilt; von Mißhandlung war zunächst keine Rede, man behandelte sie sogar höflich, aber ihren Wächtern «ar Befehl gegeben, beim ersten Vesreiungsversuche, beim ersten Sturme auf da« Stadthaus sie ohne weiteres niederzuschießen. Die Gewehriiuse blieben beständig auf sie gerichtet, den ganzen Nachmittag, die ganze Nacht hindurch; jede neue Sekunde konnte ihnen den Tod dringen. Welcher Kriegs held ertrüge diese Folter, ohne zu wanken! Diese Fedcr- kuchser und Wortjechier kamen nicht ans der Fassung. Der Eine erbat sich nur eine Cigarette, der Ander« ein Glas Wasser, und Ivies Favre schlief hin und wieder ein Viertelstündchen. . . Endlich — es war 4 Uhr morgens — springt plötzlich die große Flügclthür aus, und JuleS Ferry stürzt herein, hinter ihm, in dichtem Haufen nach drängend, Nattvnalgardisten mit blinkenden Waffen. Ganz romantisch hatte er sie auf einem geheimen, nur ihm be kannten Gange ins Stadthaus geführt und die Aufstän dischen auf »iese Weise überrumpelt. In der Verwirrung wissen diese nicht, was beginnen; sie wollen zu »en Ge wehren greifen, aber schon steht Kerry auf dem grünen Tische, welcher Tags über der tollsten Redseligkeit als Tribüne gedient hat, und hält auch seinerseits eine Rede, die Kürzeste und Beste, meint Jules Simon, die er je gehalten: „Wißt, daß Ihr meine Gefangenen, daß Ihr aus Gnad' und Ungnad' in unseren Händen seid. Diesmal soll Euch noch verziehen sein, aber entfernt Euch unver züglich und vergeßt nicht, daß wir Euch ein andermal unbarmherzig züchtigen." So rettete Jules Ferry seinen Freunden das Leben. Er war sortgegaugen, aber er war wieder gekommen. Ohne ihn, ohne sein zugleich besonnenes und entschlossenes Eingreifen wäre in jener Oltobernacht s Paris, ganz Frankreich von namenlosem Unheil hrimgesucht worden. An diesem Tage hatte er bewiesen, ist cs vielleicht ihm selbst zum ersten Male ganz klar geworden, daß er denn noch anderer Dinge fähig sei, als einer tönenoen Rede oder eine« gelungenen Wortspieles. Freilich stand er damals als ein Achlunbdreißigjähriger in voller ManneS- blüie. Heute ist er 61 Jahre alt. Immer noch fast zu jung für einen Senatspräsidentcn. Davei derselbe, welcher er von jeher gewesen: ungeschmeidig, spröd, widerhaorig, nicht blendend und nicht glänzend, aber ein starke» Tem perament, eine Kraft, ein Talent nn» ein Charakter. Mag Kohlen- und Rußstäubchcn wie mit einem Trauerflor über zogen. Ueber da« Dorf zogen dichte, dunkle Rauchwolken; sie entstiegen den vielen Schornsteinen des großen Eisenwer kes, da« sich zwischen Dönningen und den Grubenanla gen auSdehnte. Der Himmel war klar un» heiter, und dennnvch lagerte ein dunkler Schallen über der Landschaft. Durch die Hauptstraße des Dorfes schritt Rothenberg, unstr Bekannter aus dem „Schwarzen Eber" von Reck- lingen. Er hatte eine leichte Reisetasche umhängen und einen derben Stock in der Hand. Mit mehr Aufmerk samkeit, als die Eigenart des Dorfes erforderte, blickte er sich um — just wie ein Mann, der sich mit dem Platze vertraut zu machen sucht, an dem er längere Zeit zu ver weilen gedenkt. Ein etwa achtzehnjähriges Mädchen schritt in kurzer Entfernung vor ihm her. Er beschleunigte seinen Sang und ries: „Heda, schönes Kind, können Sie mir nicht sagen . / Ptötzlich unterbrach er sich. DaS Mädchen hatte bei Kopf gewandt und blickte ihn fragend an. „Entschuldigen Sie," sprach Rothenberg mit einige Befangenheit, „ich wollte den Bescheid von Ihnen erdii ten, wo der Grubendirektor Brenneck wohnt. Wenn n recht unterrichtet »in, kann ich nicht mehr sehr «eit vo dem Hause entfernt fein." „Nein, nicht sehr weit," entgegnete da« Mädche» „Wenn Sie mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen wo len, so werde ich Sie führen . . ." „Aber ich möchte Sie nicht belästigen . . ." „Sie belästigen mich nicht, mein Weg führt mich do hin." Er blickte da« Mädchen verstohlen von der Seite « Es hatte ein ungemein anziehendes, feines Gesicht, in n