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Nr. 883. teWi-. <rscht<»t «Her «>»»««,» »,«ch. Preis «er<ell«srlich , rslr., jede ei,,el»e »!«»««» > «gr. DtuWt AlkMkim Zeitung. «Wahrheit »uh Recht, Freiheit »id Sesch!» Dienstag, 6. Derember 1870. 2«ser«tr find «» Hassenstein * va-ter in Lei»ji, oder «a derer Ltrig« Hiuser j« selten. Ä«sertt«a»,ebStzr für »iee»«U«»,eil-l'/,N,r^ »»ter «i»,es»»dt »'/, *,r. Leipzig, 5. Dec. Heute also tritt der Reichstag in die Verhand lungen über die Verträge mit den Südstaaten ein. Wie sehr auch gerade in diesem Augenblicke unsere Blick« «uf die Entwickelung der Dinge vor Paris, unsere Gefühle auf die neuen schmerzlichen Verluste unserer braven Truppen daselbst gerichtet sind, dennoch wird die Nation mit gespannter Aufmerksamkeit den heute beginnenden Verhandlungen folgen. Denn eS handelt sich dabei um die Zukunft de» Bundes, um die bessere oder schlechtere Gestaltung unserer Ver- fassungSzustände, um Einigung oder Nlchteinigung de» Nordens mit dem Süden. Wir wagen weder Berechnungen anzustellen über den muthmaßlichen Ausfall dieser ersten — noch nicht endgültig entscheidenden — Berathung der BerfaffungS- verträge, »och können wir etwa eine Einwirkung auf dieselbe (auch wenn wir eine solche sonst für möglich hielten) versuchen wollen, da erst von dieser heutigen Berathung Aufklärungen erwartet werden müssen über den Verlauf der Verfassungsverhandlungen in Ver sailles und di« Motive des erfolgten Abschlusse» der vorliegenden Verträge, Aufklärungen, wie sie in den Auslassungen der officiöseu Presse über diese letzter» bisher vergeblich gesucht wurden. Wir haben, als wir an eine Kritik der Verträge herantraten, gleich im Eingänge derselben uns dahin geäußert, daß das letzte Wort über Annehmen oder Ablehuen allerdings erst dann gesprochen werden könne, wenn man durch die öffentliche Debatte im Reichstage, wie zu hoffen stehe, alle die nebenher- geheiwen mitwirkenden Momente kennen gelernt habe, welche zu einer richtigen Beurtheilung der Gesammt- läge vielleicht nothwendig seien. Offen gesagt, wir können uyS schwer denken, daß wirklich dabei solche Momente erbracht werden sollten, welche die schweren Bedenken gegen den Inhalt der Verträge, wir wollen nicht sagen, zu beseitigen, aber auch nur so weit ab zuschwachen vermöchten, daß ein norddeutscher Reichs- tagSabgeordneter mit voller ungetheilter Empfindung zu einem Verfassungswerke dieser Art Ja und Amen sagen könnte. Indcß, wir wollen abwarten! Einzelne der Blätter, welche die Zustandebringong der neuen Bundesverfassung von vornherein auf den Weg einer sogenannten constituirenden Versammlung verwei sen wollten, theilS aus praktisch Politischen Gründen, theils weil sie die Competenz de- gegenwärtigen Reichs tag», der ja allerdings sein eigentlich abgelaufeneS Mandat selbständig verlängert hat, anzweifelten, kom men jetzt, angesichts der so wenig befriedigenden Ver fassungsverträge, insbesondere des bairischen, mit ver mehrtem Nachdruck auf ihre Ansicht zurück — eine Ansicht, die (wie vorauSzusehen) im Reichstage nur sehr schwachen Anklang findet. Auch die Fortschritts partei, welche einer solchen Ansicht vielleicht noch am nächsten steht, soll nicht gewillt sein, die Competenz- Jn einem pariser Club. In der dumpfen Stimmung, in der das belagerte Paris sich befindet, geben nur die Clubsitzungen manch mal noch zu einigen heitern Intermezzos Anlaß. Aber auch diese fangen an, eintönig und langweilig zu werden, wie das mittels Ballon montö aus Paris herausgelangte Journal deS De'batS vom 13- Nov. klagt. Nur in den vorstädtischen Clubs kommt einer seits die Friedenösehnsucht des Volks, andererseits die Art, wie manche Schreier sich die Möglichkeit einer Rettung von Paris und einer Vertreibung des Fein de- vorstellen, so naiv zum Ausdruck, daß wir cö uns nicht versagen können, dem Berichte des Journal des DebatS über eine derartige Versammlung folgende Einzelheiten zu entnehmen: Da» sehr reducirte Auditorium ist offenbar in sich selbst getheilt. Neben einer hitzigen Minorität, die alle Tiraden über den „Krieg bi» aus» Aeußerste" andächtig beklatscht, erscheint eine Majorität mit unverkennbar friedlichen Nei gungen; diese sagt kein Wort, wie da» die Gewohnheit fried licher Majoritäten ist, aber sie hat e» gern, wenn irgend jemand al» Dolmetscher ihrer Gefühle auftritt. Von den Vorschlägen jener nur folgende Beispiele: Ein neuer Feldzug-plan, der die Preußen unfehlbar ver nichten muß. Man müsse sich nur in der Nacht schlagen, indem man elektrische Feuer auf die feindlichen Reihen würfe, von dieser Beleuchtung unterstützt aus sie einschlüge und dann rasch wieder im Dunkel verschwände, um auf das Signal einer Pfeife wiederzuerscheinen und dasselbe Ma növer zu wiederholen, und immer so fort, bis der letzte Preuße vernichtet wäre. Derselbe Erfinder hat ein andere», nicht weniger unfehl bares Mittel entdeckt, den König Wilhelm und seinen gan zen Generalstab in einer Art von Netz gefangen zu nehmen. Er würde ihnen nicht» Böse» zufügen, denn er sühlt mensch- frag« ernstlich zu stellen. Ein Principienstreit um diese Frage möchte auch wenig ersprießlich sein. Dagegen scheint uns eine andere Frage wol der Erwägung Werth. Würtemberg, Baden und Hessen haben über ihren Beitritt zum Bunde auf einer Basis abgeschlossen, welche durch den bairischen Vertrag wieder wesentlich erschüttert wird. Es fragt sich, ob sie nicht das Recht haben, über diesen letzter» Ver trag, der von dem ihrigen so vielfach abweicht und dessen Consequenzen gleichwol sie, als Mitglieder deS Bunde-, mit zu tragen haben werden, ebenfalls ihre Stimme abzugeben. Diese- Recht würde ein zweifel lose- sein, sobald die Aufnahme jener drei Staaten auf Grund deS ihnen gemeinschaftlichen Vertrags (beziehungsweise mit der würtembergischen Militär- convention) vor der Aufnahme Baiern» erfolgte. Wir würden es deshalb für das ebenscwol der Form nach Correcteste wie sachlich Beste halten, wenn der Reichstag jetzt unverweilt die Verträge mit den drei andern Südstaaten genehmigte und diese somit in den Bund aufnähme, die Beschlußfassung aber über BaiernS Eintritt, der unter so wesentlich andern Bedingungen erfolgen soll, dem nächsten, aus Neu wahlen hervorgehenden und, wie selbstverständlich, auch von Baden, Hessen und Würtemberg mitzubeschickrn» den Reichstage vorbehielte. Soeben geht un« noch au» Berlin folgende Mit- theilung zu: „Nach glaubhaften mehrseitigen Angaben kann man wol als sicher betrachten, daß der König von Baiern und die ander» Bundesfürsten den Wunsch ausgedrückt haben, der König von Preußen möge die Kaiserwürde annehmen." Wir geben unten den Text der russischen Ant wort auf die Granville'sche Note wieder. Derselbe verändert in nichts die Ansicht, die wir auf Grund deS telegraphischen Auszug- davon über die Haltung Rußlands aussprachen: sie ist in der Form versöhn lich, ohne in der Sache irgendein Zugeständniß zu mache». Die soeben telegraphisch^ gemeldete Rückant wort Granville'» scheint auch darauf hinzudeuten und als Vorbedingung eines günstigen AuSgangeS der Confercnz eine Nachgiebigkeit Rußlands za erwarten. Auf dem Kriegsschauplätze naht die große Ab rechnung Deutschlands mit Frankreich ihrem Ende, und die Franzosen machen verzweifelte Anstrengungen, dem KriegSgolte noch vor Thorschluß ein gnädiges Lächeln abzuringcn. Umsonst! Sie können unS wol Verluste bcibringen, um wenigstens ihren Rachedurst zu stillen; doch können sie den Lauf der Ereignisse, der gegen sie entschieden hat, nicht mehr wenden. Vor Paris ist dem Ausfall am 30. Nov. nach eintägiger Waffenruhe ein zweiter Ausfall am 2. Dec. gefolgt. Die Unsern hatten bei Tagesanbruch die früher von uns besetzten, am 30. Nov. aber von den Franzosen genommenen und seitdem unterm Schutze der Forts, in deren Schußweite sie liegen, besetzt ge- lich und edel; aber er würde sie Preußen nur gegen die Kleinigkeit von einer Milliarde zurückerstalten! (Da« Audi torium gibt sichtliche Zeichen der Ungeduld kund.) Ein ernsthafterer Redner liest nur den Artikel eines Abendblattes vor, der sich auf den Waffenstillstand bezieht Das Publikum folgt dieser Vorlesung mit offenbarer Span nung. Der Schluß des Artikels, der besagt, daß die Unter handlungen, die zum Frieden führen können, einige Aus sicht auf Erfolg versprechen, scheint einen äußerst wohl- thuenden Eindruck auf die Majorität zu machen. Diese Haltung erbittert einen Bürger, der wüthend Vie Tribüne erklettert, um zu erklären, daß der Waffenstillstand eine Lockspeise sei, und daß man bis zum Tode kämpfen müsse, um da» glorreiche Programm Jules Favre'S zu realistren: „Keinen Stein einer Festung, keine Spanne unser»Boden»!" (Heftiger, aber dünngesäeter Beifall.) Es entspinnt sich nun eine erregte Debatte zwischen zwei Rednern, die über die Fabrikation der Kanonen gleich gut informirt sein wollen. „Es sind seit einem Monat Wunder geschehen", ruft der eine, „wir haben Massen von Kanonen." „Wo find sie?" ruft das Auditorium. „Wo sie sind? Ich werde mich hüten, e» Ihnen zu sagen; aber wir haben eine Unmasse; da» darf ich mit Bestimmtheit versichern. Beim nächsten Ausfall werden wir je einem Geschütz des Feindes drei entgegensetzen; ich bin e», der Ihnen das sagt." Das Auditorium nimmt diese Versicherung mit sehr skeptischer Miene hin; selbst die hetßspornige Minderheit ist nicht überzeugt. Der andere Redner, der die Atelier» durchwandert hat, gibt präcisere, wenn auch weniger tröstliche Belehrungen. „Die Privatindustrie hat noch keine einzige Kanone geliefert (Zeichen de» Staunen», Su.rnse); aber die Fabrikation ist auf gutem Wege. Man hat viele unglückliche Versuche ge- macht. Jetzt ist da« Experimentier» anfgegeben. In einem Monat werden wir genug Feldgeschütze haben, um ohne Nachiheil gegen diese Preußen in Kampf zu treten." Lärm im Publikum; Rufe: „Da» ist sehr lang!... Und di« Le- ben«mittel!" „Was wollen Sie?" versetzt der Redner; „ist da» etwa bei einer so improvifirten Fabrikation nicht rasch s Haltenen Orte Brie und Champigny wieder genommen. Brie war von 2 Bataillonen des sächsischen Infan terieregiments 107, Champigny von einer würtem bergischen Truppenabtheilung durch Ueberfall ge nommen worden. Im Laufe des Vormittags brach jedoch der Feind wieder mit erheblichen Streitkräften hervor, überschritt in ähnlicher Weise wie zwei Tage vorher die Marne und richtete seinen Stoß haupt sächlich gegen jene beiden Punkte. Die Regimenter, denen zunächst die Vertheidigung dieser Orte zufiel — eS scheint in Betreff BricS außer dem genannten sächsischen Infanterieregiment Nr. 107 namentlich daS sächsische Schützenregiment Nr. 108 gewesen zu sein — behaupteten sich mit bewundernSwerther Tapfer keit gegen die große Uebermacht, bis Hülfe kam, aber freilich trugen sie auch die schwersten Verluste davon. Im Verlaufe des Kampfes eilte außer den Sachsen und der 1. würtembergischen Division noch da- 2. preußische Armeecorps herbei. Der Feind wurde zurückgeworfen; der von ihm versuchte Durchbruch war vollständig miSglückt; nur in einem Theile von Champigny vermocht- er sich, vom Feuer des Fort Nogent geschützt, zu halten. Wenn wiener und pesther Blätter angeblich „an sonst verläßlicher", in Wahrheit aber auS französischer Quelle meldeten, daß Ducrot'S Durchbruch gelungen sei, daß er Nogent-sur-Marne genommen habe und daß Pari- entsetzt sei, so wissen wir nicht, was wir mehr anstaunen sollen, ob die Unverschämtheit, mit der von den Urhebern solcher Nachrichten absichtlich die öffentliche Meinung getäuscht werden soll, oder die bodenlose Unwissenheit, welche derartige Nachrichten gedankenlos nachspricht. Nogent liegt diesseits der Marne, nach Paris zu, innerhalb der EinschlicßungS- linie, und war nie von den Unsern besetzt; Ducrot hatte also mit keinem Feinde zu thun, brauchte keine Enceinte zu durchbrechen, um Nogent zu nehmen, daS ihm niemand streitig machte. Am 3. Dec. verhielt sich die Armee von Paris ruhig; doch verrathen die Verstärkungen, die Trochu vor Vincennes zusammenzieht, daß er auf einen neuerlichen Ausfall, und zwar diesmal gerade nach Osten hin, sinnt. Alle diese AusfallSversuchc aber werden vergeblich bleiben und mit dem Schwinden der Lebensmittel in der nach wie vor eingeschloffenen Stadt allmählich ganz aushören müssen, wenn eS der Loirearmee (von der Nordarmee, die sich augenblicklich in ganz entgegengesetzter Richtung bewegt, kann jetzt nicht die Rede sein) nicht gelingt, die Straßen nach Norden zu gewinnen. Auch diese aber ist weiter als je da von entfernt, Paris Hülfe bringen zu können. Zwar wollen die Franzosen auch auf dieser Seite de- Kriegstheaters Erfolge über «ns davongetragen haben, und die Indöpendence beige macht mit bekannter Objektivität auf die Widersprüche aufmerksam, die zwischen den beiderseitigen Berichten bestehen. Wir genug? Eine Kanone ist freilich nicht so rasch wie ein Fa den fabriciit." Die Majorität gibt Zeichen der Zustimmung; die Heiß sporne verlassen das Local, um ihr Glück anderswo zu ver suchen. Leipziger Stadttheater. ü. Leipzig, 2. Dec. DaS Gastspiel des Frl. Ulrich vom Hoftheater in Dresden hatte am gestrigen Abend eine ungewöhnlich zahlreiche Zuschauermenge herbei gezogen, die der Darstellung der immer gern gesehe nen „Valentine" von Freytag, welche entschieden, trotz mancher gewagter Pointen, zu unsern besten deutsche» Schauspielen gehört, mit Aufmerksamkeit und reger Theilnahme folgte. Die von früher» Gastspielen her bereits bei unserm Publikum mit Recht beliebte Dar stellerin der Titelrolle, Frl. Ulrich, wußte auch gestera wieder durch noble durchgeistigte Wiedergabe dieses weit über dem Niveau gewöhnlicher Frauencharaktere stehenden Weibe» den lebhaften Beifall des Publikums zu wecken und der mehrfache stürmische Hervorruf war wohlverdient. Der innere Kampf zwischen dem beleidigten Stolz und der mehr und mehr erwachenden leidenschaftlichen Liebe für den geistig überlegenen Mann kam in vollendeter und ergreifender Weise zur Gel tung, und dieser Kampf fand einen, wenn auch im merhin gewaltigen, dennoch in den Grenzen edler Schönheit sich bewegenden Ausdruck in Mimik und Sprache. Die Künstlerin ward in der Darstellung der Rolle ebenso durch ihre Persönlichkeit, wie durch die feinen gewandten Formen der vollendeten Salon dame auf- beste unterstützt.