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Jas Reichsgericht entscheidet gegen Kendell. Das Rotfront-Berbot abgewiefen. — Nur Einzelverbote möglich. Die Kosten -em Reich auferlegk. (Bereits in einem Teil der Abendausgabe gemeldet.! Leipzig. 2. Mai. Dem Ncichsinncnministcr ist vom 4 Strafsenat des Reichsgerichts heute solgendes Telegramm zugegangen: «I» Lachen Notfrontkämpser-Bnnd hat das Reichsgericht 4. Strafsenat heute beschlossen: t. Die Weigerung der Landeszentralbehörden, dem Ee» suchen des Reichsinnenministcrs vom lk. April 1828 aus Per, bot und Auslösung des gesamten Notsrontkämpser-Nnndes. der Roten Marine und der Roten Jungsront mit sämtlichen Orts gruppen nachzukommc». ist begründet. 2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Reiche aus erlegt. Der Senat hält die Voraussetzungen des 8 128 deS Reichs, strafgesekbuches für de» ganzen Notfrontkämpser-Bnnd und sämtliche Ortsgruppen nicht für erwiesen. In Frage kommen nur Einzelverbote für bestimmte Ortsgruppen oder Daucr. bei denen jener Beweis vorliegt. Solche Ver bote stehen heute nicht zur Entscheidung deS Gerichts. Nähere Begründung folgt. sgez.s Reichsgericht.« Wie die Telegraphen-Union erfährt, ist eine Stellung nahme des Ncichsinnenmiiiisteriums zur Entscheidung des Reichsgerichts nicht vor der Rückkehr des Rcichöinnenministers v. Kcudell, der sich zurzeit aus einer Wahlreise befindet, zu erwarten. Herr v. Kcudell dürste morgen im Laufe des Tages wieder in Berlin sein. « Der Staatsgerichtshos hat sich beeilt, in der vielberuscnen Angelegenheit des Verbots des Noten FrontkämpfcrbundeS seine Entscheidung zu füllen. Schon vorher war eine fast ge schlossene cinzclstaatliche Front gegen das Vorgehen des NcichsinnenininisterS von Keudcll aufmarschiert. Preußen hatte dabei die Führung übernommen, so baß schließlich nur Bayern und Württemberg ttbrigbliebcn, die der Aufforde rung des Reichsinnenministcrs zu entsprechen bereit waren. Die Begründung, die von den Länderregierungen ihrer Ab lehnung des Verbots gegeben wurde, war allerdings keines wegs einheitlich in dem Sinne gehalten, daß der Rote Front- kämpfcrbund das Verbot nicht verdiene. Thüringen und Hamburg beispielsweise beriefen sich lediglich darauf, daß dann der Bund sich in ein benachbartes größeres Land be geben und von dort aus die Länder, die für das Verbot ein- getrcten seien, bedrohen würde. Auch im Ueberwachungsans- schuß des Reichstages war die Stimmung nicht etwa über wiegend für die Untunlichkcit des Verbots, vielmehr hielten Dentschnationale und Deutsche Volkspartciler als Schild halter für Herrn von Keudcll so fest zusammen, daß auch das Zentrum cs nicht riskierte, glatt zur Linken hin- überziischwcnken. Es bleibt also dabei, daß das Auftreten des Noten Frontkämpscrbnndcs in der letzten Zeit, namentlich die Befreiung des Kommunisten Otto Braun aus dem Moabiter Gefängnis, die erhöhte Aktivität und Gefährlichkeit der kommunistischen Verbände in den Angen aller ordnung- liebenden, nicht parteipolitisch voreingenommenen Kreise er wiesen hat, und daß daher zu der Aufforderung Herrn von KendcllS an die Länderregierungen -um Verbot des Noten FrvntkämpferbnndcS Gründe Vorlagen, welche die subjektive Uebcrzcugnng des Reichsinnenministcrs von der Notwendig keit seines Schrittes rechtfertigten. Der Staatsgerichtshos hat denn auch nicht schlechtweg den gesamten Noten Frvntkämpserbund für harmlos und nicht staatsgcfährlich erklärt. Er hält nnr die gesetzlichen Voraus setzungen für ei» allgemeines Verbot nicht für gegeben. Diese Voraussetzungen sind nach 88 14 und 17 des Republik- schuhgesctzcs und nach 8 129 des Ncichsstrafgesetzbuchs: Be strebungen, Mitglieder einer republikanischen Regierung durch den Tod zu beseitigen, Verabredungen zu Gewalttätigkeiten gegen Mitglieder einer republikanischen Regierung, Verherr lichungen solcher Taten und Aufforderungen dazu, Verheimlichung von Waffenlagern. Beschimpfung der repu blikanischen Ttaatssorm sowie der Reichs» und Landesfarben. Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Be- schäftigungen es gehört. Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu ver- hindern oder zu entkräften. Der Entscheidungösenat des Slaatsgerichtshofes hält den Nachweis solcher Bestrebungen für den gesamten Roten Frvntkämpserbund und seine sämt lichen Ortsgruppen nicht für erbracht und erachtet daher die Weigerung der Länderregierungen. der Aufforderung deS Reichsinnenministcrs zur Auslösung deS Roten Frontkämpfer- Hundes, der Roten Marine und der Roten Jungsront nach- ziikommen, sttr begründet. Dagegen läßt er die Frage des Verbots für bestimmte einzelne Ortsgruppen oder Gaue offen, bei denen jene Voraussetzungen vorltegen. ES wird also Sache der staatscrhaltenden Organisationen sein, dafür zu sorgen, daß die Ortsgruppen des Roten Frontkämpfer- bundes sich nicht in dem Wahne wiegen können, daß sie ihre staatsfeindliche Tätigkeit fortan ungehemmt entfalten dürften. Keinerlei Riicklrillsgriin-e siir den Zrmen- minijler. lDrobtmelbung unsrer Berliner Schristleilung.) Berlin, 2. Mai. Wäre das vorliegende Reichsgerichtsurteil zum Notsront-Verbot für eine von einem linksstehenden Reichsinneniniilislcr zu verbietende Nechtsorganisation gefällt worden, dann würde wohl keine demokratische oder sozialistische Zeitung verfehlt haben, recht kräftig non der «Vertrauenskrise" der deutschen Justiz zu sprechen. Für uns aber ist cs un- diskutabel, die Tatsache dieses Urtetlsspruchcs in seiner juristischen Bedeutung auch nur mit einem Worte mit der artigen Gcdankengängcn in Verbindung zu bringen, denn cs besteht kein Zweifel, daß daö höcbüe Gericht des Reiches formal und juristisch nach bestem Wissen und Gewissen seinen Spruch gefällt hat. Dieser juristische Mißerfolg deS Rcichs- inncnministers hat nun Helle» Jubel in der Berliner Linkspresse ausgclüst. Die ersten demokratischen Stimmen tun so, als gebe es für Herrn v. Kcudell gar kein Wenn und Aber mehr, sondern nur noch die Alternative, «sein Amt zu verlaßen, dem er nicht zur Zierde gereichte". Das ist natürlich leere Rabulistik. Erinnern wir uns einmal an ähnliche Fälle. AlS der Berliner Mehrsportveretn Olympia durch den preußischen Innenminister s1926j ver boten wurde, wurde später daS Urteil vom Reichsgericht wieder ausgehoben. Als seinerzeit Preußens Innenminister einen «Rundcrlaß" an die Kommunalbehörden richtete, am Versassungstage die Flügge der Republik zu bissen, entschied das Oberverwaltnngsgericht aus Klage des Potsdamer Magistrats, daß dies rechtlich unzulässig sei. Und Preußen mußte sich — wenn auch widerstrebend — fügen, als der setnerzeitige Innenminister Dr. Külz (Juli 1926s cs aus- sordcrte, die «Rote Fahne", die unter der Ueberschrist „Luve rnnom" ei» widerwärtiges Spvttbild gegen Hindenburg ver- össentlicht hatte, zu verbieten. Roch niemals aber hat einer der betroffenen Persönlich keiten nun etwa aus einem juristischen Mißerfolg dieser Art RiicktrittSkonsequcuzcu gezogen. Warum soll cS Herr von Keudcll tun? Nur weil er ein den Linksparteien nicht an genehmer Minister ist? Es trifft auch keineswegs zu, wie die «Vossische Zeitung" seit Wochen in phantasicreichem Erfinden behauptet, daß KendcllS Ministerkollegen ihm de» Rat gegeben hätten, seine «Verfügung freiwillig zurückzn- ziehen", als nacheinander die Einsprüche der Länoer- rcgicrungcn cintrasen. Auch täte die «Vossische Zeitung" besser daran, von «politischem Taktgefühl" zu schweigen. Denn wenn unter unseren heutigen fast durchweg recht robusten Parla mentariern ein Mann von besonders entwickelter Sensibilität und persönlichem Feingefühl existiert, dann ist es der, selbst bis hinüber in die Demokratie nnd bas linke Zentrum, persönlich hochgeschätzte Rcichsinncnminister. Daß man vom Standpunkt der verschiedenen Parteien sachlich seine Maßnahme so oder anders beurteilen kann, steht ans einem andere» Blatte. Aber die von den beiden Berliner demo kratischen Blättern geübte Methode der persönlichen Herab setzung nnd Vcrnnglimpfnng des Reichsinnenministcrs ver dient schärfste Zurückweisung. In diesem Zusammenhang ist eS nicht uninteressant, zu höre», daß daö Telegramm über die Leipziger Entscheidung erst gegen 4 Uhr nachmittags bei der zuständigen Stelle im Ncichsiunenministerium eingelausen ist, während zwei dem amtlichen preußischen Pressedienst nahestehende Berliner Zei- tnngen («Vorwärts" und «B. T."j bereits in ihren Abend ausgaben darüber berichten konnten. Es ist nur bedauerlich, daß die Denkschrift des Rcichsinnenministers, die er zur Be gründung seines Ersuchens an die Länderregierungen ver sandt hat und die auch dem Reichsgericht vorlag, noch nicht der Ocsscntlichkcit unterbreitet wnrdc. Jedenfalls muß gerade jetzt daran erinnert werden, daß sowohl der Reichs kanzler wie auch die übrigen Reichsminister aus Grund dieses Materials offenbar nicht bezweifelten, daß dem Reichsgericht der Inhalt dieser Denkschrift vollauf genügen würde. Man bedenke nur: In ihr wird der schlüssige Beweis geführt, daß die Gruppenführer -es Noten FrontkämpfcrbundeS systema tisch bei einem bestimmten Truppenteile der Sowjetarmee militärische Ausbildung erfahren. Allein schon dieser Tat bestand spricht überzeugend für die Richtigkeit des Kcudell. schcn Schrittes. Man wird also allerorts mit Span- nung der Urteilsbegründung entgegensetzen. Bereits morgen nachmittag tritt das Kabinett zusammen. Fraglos wird cs sich auch mit dieser Angelegenheit befassen. Ein Zyklon nach -em Er-beben. Bulgariens SchicksalSschlLge. Sofia, 2. Mat. Die mehr als S6V80 Einwohner zählende Stadt Starazagora ist in der letzte« Rächt von eine« verheerenden Zyklon heimgesncht worden, der etwa di« Hälfte aller Häuser abdeckte. Ferner wurde» «in Minarett ««- gestürzt und die ans Anlast der letzten Erdbeben errichteten Notwohnungen schwer beschädigt. Bisher wurden mehrere Todesopscr und etwa SV Verletzte gemeldet. Die seit den letzten Erdstöße« im Freie« kampierende Bevölkerung ist wieder von «««er Furcht erfaßt und rechnet mit weiteren Rat»rkataftr»vhe«. Die deutsch-polnischen Unstimmigkeiten. Von einer Entspannung in den deutsch-polnischen Be ziehungen kann noch immer keine Rede sein, das zeigte sich in recht unliebsamer Weise durch die gehässige Art. wie in Warschau der Erfolg der deutschen Ozcaiiflieger ausgenom men wurde. Nnr eine einzige Stimme erkannte die große deutsche Kulturtat unumwunden an, während der ganze übrige Chorus der polnischen Presse in Ausbrüchen neidischer Verunglimpfung wetteiferte. Bet solchem andauernden Mangel an gutem Willen auf der Gegenseite darf es nicht wundcrnehmen, daß die Regelung des deutsch-polnischen Ver- hältnisses nicht vom Flecke kommt, weder ans politischem noch auf wirtschaftlichem Gebiet. Von deutscher Seite ist das Menschenmögliche getan worden, um unsere Bereitwilligkeit zur Herstellung normaler Beziehungen zu beweisen. Soweit die Wirtschaftsverhandlnngen in Betracht kommen, hat Dr. SIrcsemann wiederholt betont, daß wir durchaus positiv ein gestellt seien. Wie sehr das auch in politischer Hinsicht der Fall ist, beweist die durchaus einwandfreie Behandlung der polnischen Minderheiten in Preußen. Im Gegensätze zu dieser wahrhaft kulturellen Auffassung schmachtet die deutsch« Minderheit in Polen fortgesetzt unter dem schlimmsten Terror. Erst vor einer Woche hat eine offizielle polnische Persönlichkeit, der Woiwode Graszynski, in seiner amtlichen Eigenschaft an der Generalversammlung des Verbandes der schlesischen Aufständischen teilgenommen, einer Organisation, die sich die möglichst restlose Ausrottung -cs Deutschtums zum Ziele gesetzt hat. Im Beisein und unter Billigung dieses hohen Beamten wurde eine Entschließung gefaßt, die im Verfolg der gegen Calonder betriebenen Hetze die Abberufung dieses aufrechten Schweizers verlangte, der als Vorsitzender der gemischten Kommission mit vorbildlicher Unparteilichkeit für die klaren Rechte der deutschen Minderheit in die Schranken tritt. Außerdem wurden der schon unter schärf stem Drucke stehenden deutschen Minderheit noch besondere „Vergeltungsmaßnahmen" angedroht wegen angeblicher «Polennersolgungen" in Deutschland, und das angesichts der offenkundigen Tatsache, baß die deutsche Minderheitenpolitik aus der höchsten kulturellen Stufe steht, während die Deut schen in Oberschlesien ein Lied von dem polnischen Terroris. mus in der Schnlfrage zu singen wissen. Dank der uner müdlichen ausklärenden Arbeit CalondcrS haben sie ja im Haag Recht bekomme», wenigstens insofern, als der Gerichts. Hof eindeutig festgestcllt hat, daß nach der Genfer Verein, barung eine einmal abgegebene Erklärung über die Sprache und über die Zugehörigkeit zn einer Minderheit von den Behörden unter allen Umständen geachtet und zur Grundlage der Rechtsanwendung gemacht werden m»ß. Dagegen hat das Haager Gericht sich nicht der grundsätzlichen deutschen Auffassung angcschlosscn, daß die Erklärung über die Zu gehörigkeit zn einer Minderheit ein bloßer WillenSakt der in Betracht kommenden Persönlichkeiten sei, und daß dieser WillenSakt keinem Zwange unterworfen werden dürfe. Auch in dieser Beschränkung stellt natürlich das Urteil immer noch einen erheblichen Fortschritt dar, aber nach früheren Er- fahrnngen erscheint cs keineswegs als sicher, daß die pol. Nischen Behörden sich nun auch wirklich loyal nach der Haager Entscheidung richten werden. Wenig Vertrauen kann man nach dieser Richtung hegen, wenn man sich vor Augen hält, wie Calonder von Graszyinski behandelt worden ist im Zu sammenhänge mit der Ablehnung des berüchtigten polnischen Rota-Haßliedes gegen die Deutschen. Calonder hatte das Hetzlicd pflichtgemäß als völlig ungeeignet für den Gebrauch in einer Minderheitsschule bezeichnet und die Entfernung des schuldigen Lehrers gefordert. Ter Woiwode antwortete darauf brüsk, er verbitte sich eine solche «Einmischung" und denke gar nicht daran, dem Verlangen CalondcrS statt- zugebcn. Dasselbe hartnäckige Uebelwollen, wie auf politischem Gebiete, tragen die Polen auch in wirtschaftlicher Hinsicht zur Schau. Dieser Tage war zwar gemeldet worden, die beiderseitigen Führer der Abordnungen für die deutsch-pol- Nischen Handelsvertragsverhanblungen, Dr. Hermes und Dr. von Twardowski, hätten in Wien erfolgreiche Besprechungen abgehalten, auf Grund deren die Beratungen in Warschau wieder ausgenommen werden sollten. Inzwischen hat aber nichts weiter von der Sache verlautet als eine mürrische Warschauer Erklärung, baß die Berhandlungssührer ganz unmaßgeblich seien, und daß die Initiative zu weiteren Schritten allein bei den Regierungen liege. ES hat den An schein. als ob die Warschauer Regierung Ver. schleppungöpolitik treiben wolle, »m erst einmal die deut schen ReichStagSwahlen und das neue Kabinett ab. zuwarten, ln der Hoffnung, baß eine etwaige deutsche Links, regierung sich den polnischen Wünschen gefügiger erweisen würde. Um so mehr erscheint cs vom nationalen deutschen Standpunkte aus geboten, mit Nachdruck die zwei unerläß lichen nnd unabänderlichen deutschen Vorbedingungen siir eine Fortsetzung der Verhandlungen zu betonen: Einmal muß die polnische Grenzzonenverordnung mit ihrer uner. hörten Knebelung des RiederlassungSrechteS abgeändert «er-