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Nummer 105 — 26. Jahrgang Smal wöch. vezugspreia sUr Juli 8,00 Mk. etnschl« vestellgeld. Anzeigenpreise: Die Igesp. Petltzetle »0L. ^ " " " ' —lli. Portozuschlag. Einzel-Nr. 10 L. Donntags.Nr.S0 Beickäftlicher Teil: Artur Lenz In Dresden. LAcklMe Mittwoch- oen 20. Juli 1927 Im Falle höherer Gewalt erlischt se8e Berpsllchtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenaufträgen u. Leistung v Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fern, ruf Ubermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver antwortung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückporto nicht versehene Manuskripte werd. nicht aufbewahrt. Sprechstunde »er Redaktion 2—3 Uhr nachmittag» Hauptschristleiter: Dr. G. Desezyk, Dresden. volHMung weschSft-ftellr, Druck «. Verlag - «ermaliia. il.-G. Mr Verlag und Drulkeret, Filiale Dresden. Dresden-«. 1, Polierslratzel7. FernrusüiolS. Pollicheckkonto Dresden rroz. Bankkonlo: Ltadtbauk 4reSden !»r. 8l?l« Für christliche Poltiik und Kultur Redaktion der Söchslscheu volkszettm,, Dresden-Altstadt l. Polieistratze 17. Fernruf SV7Il nnd riOlL. We WM -er SMeMO Der Ausgang der Wiener Unruhen — Auch -er Berkehrstreik abgebrochen Seipel bleibl fest Wien. 19. Juli. Eine gewaltige moralische Niederlage der Sozialdemokratie scheint oie Folge des Putsche» vom vergangenen Freitag zu sein. Wenn man die bisherige Ent wickelung betrachtet, so muh man seststellen, dah die Sozial demokratie «Inen Trumpf nckh dem andern hat aus der Hand geben müssen, ohne «in einziges Zugeständnis erlangen zu können. Während-des Generalstreiks hatten die Sozialisten den Rücktritt des Wiener Polizeipräsidenten und des Bundeskanz lers Seipel gefordert. Diese Forderungen sind nicht erfüllt ivorden, der Generalstreik muhte aber trotzdem abgeblasen werden. Die Sozialdemokraten beschränkten sich nun auf die Forderung, die Rechte des Hauptausschusses des Parlamentes -sollten erweitert und di« Befugnisse des Kabinetts ent- sprechend eingeschränkt werden. Auch das lehnte das Kabinett ab. Beim Empfang der sozialdemokratischen Abordnung gab der Bundeskanzler Deipel am Montagmittag der Auffassung Ausdruck, dah es ausschliehlich dem Parlament zu steh«, Vorkehrungen und Untersuchungen zu beschliehen. Di« Sozialdemokraten mühten daher dort ihre Anträge stellen. Feierlich protestierte er dagegen, dah die Polizei und ihre Organe als die Schuldigen hingestellt würden. Zunächst müsse- der BerkehrsstTtrstk völlig abgebrochen werden, um dem Nationalrat die Möglichkeit zu geben, dah er in voller Freiheit zusammentreten könne. Der Verkehrs st relk ist daraufhin in der Nacht vom Montag zum Dienstag um Mitternacht bedingungslos abgebrochen worden. Im Lause des heutigen Vormittags oll der Eisenbahnverkehr in Oesterreich wieder seinen normo« en Umfang erreichen. Von sozialdemokratischer Seite wurde bei Abbruch des Verkehrsstreiks die lahme Erklärung abgegeben, dah die Partei entschlossen sei den Kampf gegen die Regierung auf parlamentarischem Boden fortzuführen: denn die Partei mocl>« die Negierung für das Blutvergiehen verantwortlich. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dah die moralische Nieder lage der Sozialdemokratie, die am Freitag die Massen ver- loren hat und die Regierung Seipel zu keinerlei Zugeständ nissen hat zwingen können, vollständig ist. » Die Polizei hat jetzt -gegen die Kommunisten energisch durchgegriffen. Die Zahl der verhafteten kommu- nistischen Hetzer. Brandstifter usw. beträgt über 270. Auch der deutsche kommunistische Abg. Pieck sowie drei Partei freunde, di« am Sonntag im Flugzeug in Wien eingetrosfen waren, um dort eine Hetze von gröhtem Stil zu organisieren, sind'vorsorglicherweise verhaftet worden. In den Leichcnkammern des allgemeinen Krankenhauses liegen 70 Opfer der Zusammenstöhe vom Freitag und Sonnabend. Die Namen von 47 Personen sind bekannt. Die Polizei beklagt zwei Tote, einen Bahnhofsgen-armen und einen Kriminalbeamten. Die Nettungsgcsellschaft hat bisher 481 Schwerverwundete verbunden und in die Spitäler gebracht. Insgesamt kann die Zahl von 700 Schwerverletzten nicht als übertrieben bezeiclpiet werden. Sie VersafsungsmWgleil ver Gemewsewalye. Ohne Zustimmung der Regierung Seivel gebildet. Wien, 18. Juli. Wie der Sonderberichterstatter des Wolfsbüros von Regierungsseite erfährt, ist die Gemeindeschutz- wache ohne Zustimmung der Regierung ausgestellt worden. Die Errichtung erfolgte durch den Bürgermeister Seitz nicht in seiner Eigenschaft als Landeshauptmann. Wenn von einem Einverständnis mit der P ol i z e i die Rede ist, so bedeutet das lediglich, dah die Aufstellung der Polizei zur Kenntnis gebracht und verfügt wurde, dah die Eemeindeschutzwache bei etwaigen Vorkommnissen nicht etwa selbständig Vorgehen kann, sondern sich an die Polizei wenden kann. Ueber die Verfassung«-' mäht gleit dieser Einrichtung, so wird von Rsgierungsseit« weiter betont, wird später zu sprechen sein. Allerdings sei es eine Tatsache, dah nach der Verfassung den Gemeinden di« Haltung einer Eemelndepolizei zusteht. Weiter wird aus dieser Quelle erklärt, dah in der nichtsozialistischen Bevölkerung durch di« Bildung der Eemelndepolizei Beunruhigung hervorgerusen sei, weil man darin einen Versuch sehen zu können glaube, um auf Umwegen zur Bewaffnung des Republikanische« Schutz bundes zu gelangen. Die Beunruhigung Hab« auch aus di« Polizei übergegriffen. Deshalb habe die Polizei ihren Organen zur Kenntnis gebracht, dah der gesehmätzige Aufgabenkreis de» Bundespolizei in keiner Weise beeinträchtiat ist. yie Beisetzung ver Opset. Wie«. 17. Juli. Die Beisetzung der Opfer findet am Mittwoch nach mittag 2 Uhr auf dem Zentralfriedhof statt. Die Toten wer den auf einem gemeinsamen Platz, aber in Einzelgräbern be erdigt. Di« Kosten trägt die Stadt Wien. An dem Begräbnis nehmen neben den Angehörigen teil di« Beauftragten und Funk tionäre der sozialistischen Partei, Delegationen der Betriebs räte und der Ortsgruppen des Republikanischen Schutzbundes. In den Wiener Betrieben wird während der Beisetz»«« rin« Viertelstunde lang Arbettrruhe herrschen. Ruhe in Tirol Innsbruck. 18. Juli yeure nachk zwischen 2 und 4 Uhr wurden in ganz Tirol und in Vorarlberg zur Ermöglichung der Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs die Bahnhöfe und Streckeneinrichtungen von Militär^ Gendarmerie und den von der Landesregierung als Notpolizei aufgebotenen Heimatwehren beseht. In Innsbruck marschierten um 2.15 Uhr nachts auf dem Südtiroler Platz Al penjäger mit Maschinengewehren, Gebirgsartillerie und eine Kompagnie Heimatwehren auf. Der Bahnhof wurde umstellt und unter dem Schutz des Militärs rückten 100 Gendarmen in den Bahnhof ein. Di« Streikleitung sowie die Mitglieder de« republikanischen Schutzbundes, die den Bahnhof bis dahin be seht gehalten chatten, zogen sich widerstandslos zurück. Auch di« Besetzung der übrigen Bahnhöfe und Streckeneinrich tungen im Lade vollzog sich unter Beteiligug der waffenfähi gen ländlichen Bevölkerung, die sich unterschiedslos der Landes regierung zur Verfügung gestellt hatte, reibungslos. Zwei Stunden nach der Besetzung wurden bereits vom Innsbrucker Hauptbahnhof die ersten Züge abgelassen. Nur aus der Mittenwald-Bahn konnte der Verkehr nicht sofort ausge nommen werden, da infolge eines Sabotageaktes die Leitung stromlos geworden war. Die Vorarlberger Landes regierung hatte schon einige Stunden früher als di« Tiroler Negierung die Heimatwehren und die Technische Nothilf« als Notpolizei aufgeboten, worauf im Laufe der Nacht die Vorarl berger Bahnstrecken planmähig und widerstandslos besetzt wur den. Heute früh bietet die Stadt Innsbruck ein sehr bunte« militärisches Bild. An verschiedenen Plätzen und in Gebäuden sind die Formationen der Heimatwehren bcreitgestellt, die vom Landeshauptmann vereidigt werden. In allen Betrieben iit bi« Arbeit wieder ausgenommen worden. Katholizismus und Parteien Ein bekannter deutscher Theologieprofessor führt un ter dem Pseudonym Dr. Ernst im „Neuen Reich" (Ty- rolia-Wien) über die Notwendigkeit für den Katholiken, einer katholischen Wettanschauungspartei anzugehören, aus: Daß bewußte Katholiken ihre Politik nurnach den Grundsätzen ihres katholischen Glau bens treiben können oder vielmehr, daß sie die Absicht haben müssen, diese Politik nach solchen Grundsätzen zu treiben, das ist eine Selbstverständlichkeit. Oder es sollte doch eine Selbstverständlichkeit sein, sowohl für diese be wußten Katholiken, als auch für alle andern. Denn Reli gion ist nur dann echt, wenn sie sich in Theorie und Praxis, in Glauben und Leben durchsetzt, Religion und Leben las sen sich nicht trennen, und wenn sie wirklich auseinander gerissen werden, dann ist weder solche Religion gut, noch das Leben. So wird der bewußt katholische Politiker seine Religion auch mit seinem politischen Leben, mit sei nem politischen Denken und Handeln verbinden dergestalt» daß die Grundsätze der Religion auch Grundsätze für das Handeln sind, daß also in der Politik auch das Tugend ist, was in der Religion Tugend ist, und daß in der Politik auch das schlecht ist, was in der Religion schlecht ist. Die katholische Religion duldet eben keine doppelte Wahrheit und keine doppelte Moral. Das heißt natürlich nicht, daß jeder einzelne katholische Politiker faktisch- immer-nach den Grundsätzen der katholischen Moral handelt. Irren ist menschlich und Sündigen seit der Erbsünde erst recht. Und wenn man erwarten würde, daß bei katholischen Po litikern kein Fehltritt vorkommt, so wäre man ebenso welt- und menlckenfremd, als wenn man erwarten würde, dah jeder, der sich Katholik nennt, auch ohne Sünde ist. Aber grundsätzlich mutz es doch so sein. Die grundsätz liche Uebereinstimmung von religiöser Ueberzeugung und dem Handeln des Politikers ist Postulat der katholischen Religion. Ich habe den Eindruck, als ob in den Lagern der ka tholischen Politik die Gemeinschaft der Weltan schauung und der Moral zu oft vergessen würde und als ob man e'.:.2n anderen oemeinsamen Boden su chen würde. Man verläßt zu sehr den gemeinschaftlichen weltanschaulichen Boden. Man läßt die letzten Fragen unaebört und versucht keine Beantwortung und stellt Ta gesfragen und Fragen der Praxis viel zu sehr in den Vor dergrund. Gewiß, uns heutige Deutschen brennen ganz andere Nöte als den deutschen Katholiken vor dem Kriege. Aber ist es nicht vielleicht so, daß die Spaltung der beiden hauptsächlichen katholischen Parteien, Zentrum und bay rische Bo!ks"artei. schuld daran trägt, daß die Katholiken nicht mehr in der Mitte unseres politisch-parlamentarischen Lebens stehen. Eine Weltanschauungspartei, wie das Zen trum es geworden war, kann sich wohl schwer in der Mitte halten, wenn nicht einem einflußreichen, naturgemäß sehr agilen linken Flügel ein starker Rechtsflügel entspricht. Das schasst doch erst das Gleichgewicht und die gegenseitige Korrektur. Wenn man sich doch wieder mehr des gemein samen Bodens und der gemeinsamen Grundsätze bewußt würde? Dann würde viel nicht passieren, was passiert ist, und dann würde es unter den deutschen Katholiken viel mehr Einheit geben, weil der Ausgleich der Kräfte möglich ist. Um nur eines zu nennen, würden nicht diereligi - ons - und k i r ch e n p o I i tis ch e n Z iel e der deutschen Katholiken leichter erreicht werden können, wenn sich die bayrischen Katholiken mit ihren kirchenpolitisch viel mehr geordneten Verhältnissen mit den norddeutschen Katho liken besser verstehen würden, die doch einen großen Teil der Freiheit erst durch die Revolution bekommen haben und einen anderen Teil sich erst mit harter Mühe noch er kämpfen müssen? Wäre es nicht für unser ganzes Volk und Vaterland zuträglicher gewesen, wenn die staatspoli tischen Anschauungen des Katholizismus von einer ge schlossenen Gruppe deutscher Katholiken einheitlich vor getragen und durchgesetzt werden könnten? Ich bin der.optimistischen Anschauung, daß ein Kul- t u r k a m p f für uns deutsche Katholiken nicht mehr kom men werde. Müssen da nicht die katholischen Politiker geschlossen zusammenstehen, wenn sie überhaupt Aussicht auf Erfolg, auf einen Sieg haben wollen? Der Gegensatz zwischen Sozialdemokratie und Deutschnationalen gibt keineswegs die Garantie eines Friedens. Es kann ganz plötzlich anders kommen und wie oft waren wir schon ent täuscht! Man weise nicht hin auf die gemein amen Grund sätze der katholischen Parteien und noch weniger auf das Wort vom „getrennt Marschieren und vereint Schlagen". Da« Mort Kann dock auch einmal, beim besten Willen, sich nicht erfüllen, unmöglich erfüllen lassen. Sind wirklich die Gegensätze unüberbrückbar? Vielleicht liegen sie gar nicht einmal in den Dingen, in denen man sie sucht? Vielleicht ist es gar nicht die Rechts- oder Linksorientierung, die wirtschaftlich-soziale Einstellung. Vielleicht liegt der Grundsatz sogar im Religiösen, im Katholischen, freilich nicht im Unterschied, sondern in der Gleichheit und in der Verschiedenheit ihrer Durchführungsmöglichkeit. Aber ist das alles so wesentlich? Ließe sich nicht die Verschiedenheit der slaatspolitischen Auffassung beseitigen durch eine Rück- kehr zum Föderalismus der alten Zentrumspartei? Die sozialpolitischen und wirtschastspolitkschen Schwierigkeiten sehe ick nickt so unüberwindlich. Denn reckteKatho- liken können nur sozial denken: ihre Kirche war immer die Kirche der Armen und ihre Weltanschau ung immer organisch und sozial, nicht mechanistisch und ka pitalistisch. Wir Katholiken Deutschlands brauchen notwendig vine Weltanschauungs Partei in unserer Politik. Tenn die Politik der bewußten Katholiken kann nur auf Grund, auf den Grundsätzen ihrer Religion nnd Weltan schauung geführt werden. Das möchten sich vor allem jene merken, die noch mehr Spaltung in die deutschen Katho liken bringen wollen. Die daran denken, eine katholische- konservative Bauernpartei zu gründen. Gewiß, man braucht ein« solcke Gründung noch nicht beschlußfähig sest»