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Großenhainer Unterhaltungs- und AnjeiLeblatt. Mit Hoher Concession get verlegt und rediglrt von Herrmann Starke. 60. Mittwoch, den 28. Juli 1847. Die Stiefel Napoleons. (Schluß.) Ein paar Stunden später war die Schlacht entschieden. Die Glocke des Kreuzthurmes, wel cher, nach langem, drückendem Schweigen, der Kampf wieder die Zunge gelöst hatte, schlug die fünfte Stunde; der Sturm dämpfte und zerstäubte den dumpfen Ton und trug ihn stammelnd über die befreite Stadt dahin. Da vernahm man vom Wilsdruffer-Demolitions platze her Pferdcgctrappel. Napoleon kam. Sein grauer Ueberrock triefte vom Wasser; die Krempe des kleinen Hütchens war vom Regen herabge weicht und klappte, wie das Pferd sich bewegte, auf und ab auf dem starren Nacken, der durch so viele Jahre das Geschick der Welt getragen. Dahinter folgte, durchnäßt wie ihr Kriegsgott, die alte Garde; von ihren Bärten und ihren kurzen dicken Haarzöpsen tropfte der Regen herab. Von der Wilsdruffer Gasse aus bildeten mehrere französische Regimenter Spalier, um den Cäsar zu empfangen. Viele Soldaten mit verbundenen, blutigen Köpfen ohne Czako stan den mit in Reih' und Glied, ihre Augen blitz ten und ihre bleichen Gesichter färbten sich, als ihr Meister heranzog. Einige todtgeschossene Franzosen lagen mitten in der Straße. Aber ihre lebenden Kameraden zerrten die Leichname auf das Trottoir hin und traten vor ihnen dichter zusammen, um den Blicken des Kaisers diese blutige, untröstliche Seite seines Werkes zu ersparen. Fernhin ächzte die verendende Schlacht in immer schwächerem Kanonendonner aus. Eine halbe Stunde später drängte sich, der erhaltenen Weisung folgsam, unser Gesell un ter Anstrengung und Rippenstößen durch das Hauptportal in den innern Raum des Schlos ses, welches Napoleon bewohnte. Es kostete beispiellose Mühe, sich durch Gaffer, Wachen und Hofbediente aller Art durchzuwinden, und im Schloßhofe mußte er über die wirr durch einander gestreuten eroberten Kanonen klettern, die hier als Trophäen aufgefahren werden soll ten. Endlich nach lausend Anstrengungen, oft mals zurückgewicsen, aber mit französischem Trotze i-des Hinderniß überwiegend, hatte er das Z weite Stockwerk erklommen und stand v r iemm an den Parade-Audienzsaal gren- z-ndm Zimmer, welches der Kaiser ver Franzo sen sich hatte cinraumen lassen. Der Portier machte Schwi-rigk-.t-n, ibn e.nzulassen; aber als der Gesell ihm s--n Abenteuer treuherzig erzählte, schien eS s-me Nichtigkeit zu haben, und man ließ ihn ein. Die hohen, von Gold- und Seidentapetcn flimmernden Wände, welche die einstige Pracht des polnischen Königthums nachblitzten, und die großen Decken - und Wandgemälde mit den kecken, nackten Götterscenen, von Sylvesters üppigem Pinsel gemalt, machten dem Burschen bange. Es war ihm nicht mehr so frei um's Herz, als vorher unter freiem Himmel, wo ihm in Sturm und Nässe der große Kaiser mehr als Mensch zum Menschen begegnet war. Dieser saß auf seinem Ruhebette; sein Kam merdiener kniete vor ihm und war eben beschäf tigt, ihm den einen Stiefel, der vom Regen dergestalt verquollen war, daß er sich nicht mehr ausziehen ließ, mit einem Federmesser vom Fuße zu schneiden. Diese grausame Ope ration an seinem Kunstwerke ging dem armen Gesellen durch die Seele, und er stieß unwill kürlich einen leisen Schrei aus. Napoleon blickte auf und bemerkte jetzt erst den demüthig an die Thür hingedrückten Gesellen. „Gut, daß Du da bist", sagte er mit her ablassender Freundlichkeit. „Sieh', Deine Stie fel haben nicht lange gedauert; ich kann sie nicht mehr tragen." „Aber ausgehalten haben sie doch, Sire", erwiderte der Gesell; sich ein Herz fassend. „Bei dem grausamen Wetter will das schon etwas heißen, und auch jetzt noch sind sie so fest und stark, daß man sie herunlerschnciden muß." „Schon recht, sie haben gut gehalten; denn ich bin heute in der Schlacht nicht eben sanft ausgetreten. Aber jetzt muß ich Dir die Stiefel auch bezahlen. Bitte Dir eine Gnade aus!" Da maß der Bursche den Kaiser mit blitzen den Augen. „Sire", sagte er, „wenn ich etwas verlangen darf, so sind es diese Stiefel, die meinen Kaiser getragen haben."