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VoiglliinWtr AMigrr. AMt s s L K t t für das Königliche Bezirksgericht zu Plauen, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträthe zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Planen. Dieses V;att erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienstags, Mittwochs, Donnerstags und Sonnabends. Jährlicher AbonnementspreiS, we.cher zu utt.Eeu ist. auch bei Beziehung durch die Post 1 Tblr. 26 Ngr. — Annoncen, di: bis Vormittags 1t Uhr eingehen, werden in die Tags daraus erscheinende Kummer ausgenommen, 'pärer em gehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Num'.ner Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene CorpnS-Zeile berechne!. Einzeilige mit 2 Agr. Für v'.e auswärtigen Königl. Gerichtsämter und Stadträthe, für welch: der Voigtländische Anzeiger Amtsblatt ist, bestehen die Geschäftsstellen in Pausa bei Herrn Karl August Kret'cbmer, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, in Schönert bei Herrn C. A. Hüttel «e»., in Mühltroff bei Herrn Chausseegelder-Einnehmer Holzmüller. Mittwoch. LS. 8. Februar 1863. Rückblicke auf die auswärtige Politik Oesterreichs. Oesterreich, das Reich der Nationalitäten ohne Nation, hat, so tröstet man sich, einen neuen Lebensabschnitt begonnen unv um das alte Hol; einen neuen Zahreöring abgesetzt. Der neue LebenStrieb erwachte genau da, wo die Ge schäfte des letzten StaatskanzlerS beendigt waren, und unser jetziger Stand zwischen den Angeln einer neueröffneten Zukunft ist zu einer Musterung der Nechbergschen Vergangenheit besonders verlockend. Bei allen Staatsmännern verbindet sich mit ihren Namen eine mehr oder weniger mythische Vorstellung. Graf Rechberg ist — gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht — für den Gegner deS Herrn von Schmerling gehalten worden, und da dieser Staats mann als der gute Genius und der Anker des verfassungsmäßigen Oesterreich angesehen wird, so gehört Graf Rechberz mythologisch unter die gefürchteten Götter, und man versah sich von ihm — gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht — nicht- geringeres, als einen Staatsstreich, sobald eine Gelegenheit reifen würde. In diesem Sinn wurde sein Rücktritt, wie die Beseitigung einer Drohung und wie ein neues Siegel unter die Verfassung angesehen. Wir wollen unS hier weder mit Göttern und Mythologie noch mit Verfassungen und Staatsstreichen, sondern ausschließlich nur mit der Beziehung der Wiener Staatskanzlei zu den Begebenheiten auf unserem Festlande in den letzten beiden merkwürdigen Jahren befassen. DaS diplomatische Oesterreich befand sich am Beginn des Jahres 1863 in keiner behaglichen Lage. In Italien drohte ein xuurtu risoossu, mit Ruß land führte man selbst nach der Warschauer Zusammenkunft noch immer einen stillen Krieg der kleinen Chicane, mit Preußen hatte man sich wegen des fran zösischen Handelsvertrages zerworfen. Die Beziehungen zu Frankreich waren höchst unklar, und nur der Verkehr mit dem britischen Kabinet zwar befriedigend, aber zugleich auch ganz gleichgiltiger Natur, da Freundschaft und Feindschaft mit dem britischen ei äovant-Löwen jetzt nicht viel mehr bedeutet, als Hagel wetter oder Sonnenschein in TimeSartikeln oder in den völkerrechtlichen Styl übungen deS Grafen Russel. Da brach hart an den nordöstlichen Grenzen ein blutiger und hartnäckiger Aufstand aus. Welche Partei Oesterreich auch ergreifen mochte, überall stieß es auf Gefahren, und seinem Staatskanzler fiel die unangenehme Aufgabe zu, mit verbundenen Augen tanzen zu müssen. Was man auch über Graf Rechberg denken mag, in den polnischen Angelegenheiten chat er seine Sache so gut gemacht, wie Mignon, er hat kein Ei zertreten, sondern sie alle unversehrt wieder in die Schürze geschoben. Der polnische iAufstand hatte, von Wien aus gesehen, eine doppelte Physiognomie. Die Thei- lung Polens war der Kaiserin Maria Theresia aufgenöthigt worden, sie war Lein österreichischer, sie war fast ein antiösterreichischer Gedanke; denn warum 'hätte man von Wien aus ein Reich zertrümmern und eine Nation auslöschen sollen, die seit dem 12. Jahrhundert im Frieden mit dem Reich gelebt und sogar als heldenmüthiger Bundesgenosse gegen die Türken gefochten hatte? Selbst nach der Theilung blieben immer die galizischen Polen ein freundliches i Element im Hause Oesterreich. Von allen slavischen Stämmen sind die Polen der. einzige, bei dem der PanslavismuS auf Harthörigkeit gestoßen ist. Czechen und Kroaten haben dagegen vielfach von der großen slavischen Linde geträumt und mehr als nur geträumt. Czechen und Kroaten haben auch auS panslavi- schem Instinct bei dem letzten Aufstand deS Königreiches Partei für die russische Regierung und gegen die Polen genommen. Ein Blick auf die Sprachenkarte Mitteleuropas reicht vollständig zur Erklärung dieser Verhältnisse aus. Ein Czechenreich wird niemand zum zweitenmal errichten, denn die Wohnsitze der slavischen Böhmen liegen ungünstig abgesondert, wie eine ins Deutschthum vor gestreckte Zunge. Ein selbstständiges Kroatien hat die Geschichte nicht gekannt und wird sie niemals kennen. Wenn also die Slaven Oesterreichs ihre nationalen Träume ätzen wollen, so sind sie auf die panslavistischen Weideplätze angewiesen. Sie nennen Rußland die Mutter der Slaven, und sie haben Sehnsucht nach einem Hause und einer Herrschaft, wo sie Geschwister finden könnten. Bei den Czechen spricht die Stimme des Nationalgefühls lauter als die Stimme der Religion, bei den Polen spricht die Stimme der Religion so laut, als die Stimme des NationalgesühlS. Die Polen sind ein katholisches Volk im politi schen, die andern Slaven sind es nur im confessionetten Sinne. Vergessen wir auch nicht, daß in Wien der polnischen Empörung ihre Hof- und Salonfähigkeit zu statten kam, daß die Magnaten Oesterreichs, wenn nicht mit den Waffen, doch mit den Herzen, wenn nicht mit den eigenen Herzen, doch mit den Herzen ihrer Damen auf der polnischen Seite sich befanden, daß sie auf dieser Seite Schwager oder Vetter, Freunde oder ehemalige Kriegsgefährten hatten. Kurz, wenn Graf Rechberg wollte, so konnte er auf Du und Du mit der polnischen Revolution verkehren. Dazu kam noch ein Rest politischer Galle gegen Ruß land. Seit dem Jahre 1856 hatte das Petersburger Kabinet zwar keine offene Feindseligkeit gegen Oesterreich verübt, aber so viel herzliche Feindschaft und so viel Haß und Schadenfreude blicken lassen und sich so redlich bemüht, alles zu thun, was Oesterreich verdroß, daß auf Seiten Oesterreichs die wachsenden Verlegenheiten des Nachbars nicht ohne Genuß und Erquickung betrachtet werden konnten. Keine Gelegenheit war besser, als diese, um die Bande zwischen Paris und St. Petersburg wieder zu lockern. Die gläserne Freundschaft zwischen dem Wahlkaiserreich und den Moskowitern mußte an der scharfen Ecke der polnischen Erhebung in Scherben gehen, während sich für Oesterreich ein Heller Himmel voll Uebereinstimmung mit dem mächtigen Mann an der Seine aufthat, der den Italienern mit einem Wörtchen Gewehr beim Fuß befehlen konnte. Wenn man die Polen gewähren ließ, konnte man Heu mähen auf den Wiesen des liberalen Europa. Es war eine Zeit, wo man voll Lob und Liebe von der Verfassung Oesterreichs sprach, die erste Zeit, wo die schwarzgelben Farben auf- gehört hatten, das Sinnbild des politischen Rückschritts zu sein. In Wien sog man an dem süßen Gift jener Volksgnnst, die so leicht erworben und so leicht verscherzt wird. Auch konnten die Verlegenheiten, in welche Preußen durch seine kriegerische Haltung im Anschluß an Rußland gerathen war und die zu sehr ernsten Anfragen von Paris auS geführt hatten, die Wiener Politik in der eingeschlagenen Richtung nur bestärken DaS Schicksal des Ausstandes ruhte völlig in Oesterreichs Hand. In Galizien sammelten und rüsteten sich die Banden der polnischen Patrioten, nach Galizien schlüpften sie wieder zurück, sobald sie von den nachsetzenden Russen erreicht worden waren. So ließ sich mit geringem Verlust auf der einen, mit großer Ermüdung auf der andern Seite das Trauerspiel so lange fortsetzen, bis Oesterreich den Belagerungs zustand über Galizien verhängte. Galizien war der Kessel der Dampfmaschine; als Oesterreich die Klappen verschloß, hob sich der Kolben nicht mehr. Wer als aufrichtiger Freund Oesterreichs damals dem gewagten Spiele zuschaute, welches in Wien und in Galizien gespielt wurde, der hatte wohl Recht, beängstigt auf den Ausgang der Partie zu lauschen. DaS liberale Europa