Volltext Seite (XML)
Donnerstag , Rr. 219. —— 7. August 184S. Deutsche ASgemeiue Zeitung. UM «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Ueberblick. Deutschland. 1- Aus N-rddeutschland. Französische KriegSmanier-— Geistliche Untersuchung in Saiern. s Dresden. Die evangelischen Mi nister. Die Jtzsteinadresse. — Verordnung gegen Versammlungen m Kirchcn- sachen- — Schirgiswalde, -ff-Leipzig Die Deutsch-Katholiken. — Deutsch- Katholiken in Riedlingen. - Der Frhr. v. Lichtenberg. — Deutsch-Katho liken in Vilbel. * Weimar. Der Hof. Der Herdcrverein. Gewitter. Lodtschlag. Das verschwundene Frauenzimmer— Das Duell in Jena. Pr-utzen. * Berlin Hr. Huber über Spanien. * Köln- Fremdenzudrang. — Die breslauer Stadtverordneten. — Die Schutzzollfrage. Deftrrreich. Erklärung. Spanien. Die Königinnen. Das Complot. Ein Verurtheiltcr. WroHvritannien Oberhaus. Unterhaus. Der König der Niederlande. Die Herzogin von Cambridge. Die Limes über die TejaSfrage. Der Standard über Lord Palmerston. Repealdemonstration- Glückliche Wie derkehr. Chinesische Kriegssteuer. Mankreich. Die periodische Presse. Orgien. Otaheiti. ** Paris. Das Rundschreiben der Jesuiten. Schweiz. Leu. Schweden IM» Norwegen. Bischof Legner. Türkei. * Konstantinopel. Der Lscherkessenkrieg. UttterrichtSwesen. Der Fluß Marizza- Die Bulgaren. Commission. Zvfttndien und Ehina. Pendschab. Pcschawer. Sir H. Hardinge. Der Zolltarif. Meuterei in Victoria. Die Bank von Java. Nordamerika. Unglücksfall. Oa Plata-Staate«. Personalnachrichten. Wissenschaft und Ftunst. Paris. Die Akademie der Inschriften. -Handel und Industrie. *Aus dem Braunschweigischen. Flachs bau in Deutschland. * Leipzig. Börsenbericht. — Berlin. Ankündigungen. Deutschland. f ÄUS üorddeutschland, s. Aug. Wie überall, so hat auch in Deutschland die barbarische Ausrottung eines arabischen Stammes in Al gerien durch den französischen Obe rsten Pe lissier allgemeine Entrüstung erregt. Ist es doch, als ob der französische Militair-, wir wollen nicht sagen, Nationalcharakter sich nicht vom Bunde mit der Grausamkeit los reißen könnte. Wir altern Deutschen haben noch den Eindruck im Ge- dächtniß, welchen der Militairjustizmord Palms und des Herzogs von Enghien, überhaupt die französischen Prevötal- und Militairgerichte auf unS machten. Dem Kenner der neuern Geschichte wird bei der letzten französischen Manifestation von Barbarei ein ganz ähnlicher Fall aus dem Feldzüge von Aegypten im Jahre I7W eingefallen sein. Der Scherif «on Mekka hatte sich, vom General Belliard geschlagen, mit einigen Tau send Arabern in das Dorf Benuth in Oberägypten zurückgezogen und wollte sich nicht ergeben. Da die Stürme der Franzosen abgeschlagen wur den, zündeten sie das Dorf von allen Seiten an, und die Araber zogen sich größtentheils in ein in der Mitte desselben gelegenes großes Gebäude zurück, wo sie auf die furchtbarste Weise theils durch den Brand, theils durch die Hitze umkamen. Diese ägyptisch-französische That scheint Pe llissier vor Augen gehabt zu haben, als er die Araber, die er weder mit den Waffen in der Hand überwinde» noch durch den Hunger zur Erge bung nöthiqcn wollte, durch einen langsamen, qualvollen Feuertod ver- mchtete. Was bei dieser Barbarei die Humanität noch beruhigen muß, daS ist die Misbilligung, welche die öffentliche Meinung in Frankreich fast einstimmig darüber ausspricht. Dies zeugt für einen großen Fortschritt de» französischen Nationalcharakterö in der Sittlichkeit. Als unser Palm, als der unglückliche Herzog von Enghien, als die Emigranten von Qui- beron zu Hunderten mit kaltem Blute niedergeschoffen wurden, da -hatte die „große Nation" auf alle Klagen der Humanität nur Eine Antwort, die seit Ludwig s XlV Zeit gebräuchliche: t'est la xuerrv! Keine Stimme erhob sich im französischen Journalismus zur Sühne für die grau sam Hingemetzelten. Wie heute Soult und die Männer der alten Napo leonischen Zeit, entschuldigten sie die Barbareien. Jetzt ist dies anders. Der Nationalcharaktcr ist milder geworden; hoffentlich wird es nun auch der französische Militaircharakter werden. — Nach dem Rheinischen Beobachter hat ein Pfarrer bei Kulmbach, der einige Beschwerden der Generalsynode in einer Pastoralconferenz vor- gelesen und den Vorschlag einer Petition darauf begründet hatte, deshalb aber in Untersuchung gekommen war, von der weltlichen Kreisbehörde einen Verweis erhalten und die Kosten tragen müssen. DaS baireuthcr Konsistorium aber hat ihn noch außerdem eines „Verstoßes gegen die Pa storalklugheit" geziehen, bei strenger Strafe jede Wiederholung solcher „aufregenden" Schritte verboten und ihn ermahnt, die Vertretung der Inter essen der protestantischen Kirche in Baiern „mit vollem Vertrauen den Consistorien zu überlassen". f Dresden, 4. Aug. In Betreff des Rescripts der w kvwll- Asliel« beauftragten HH. Staatsminister (Nr. 203), das, zunächst gegen die auch hier projectirte Versammlung protestantischer Freunde gerichtet, doch auch in seinen Conscquenzcn indircct wenigstens als eine officielle Antwort auf die verschiedenen Petitionen um „freie repräsentative Ver fassung der evangelischen Landeskirche" zu betrachten sein dürfte, haben wir bisher gänzlich geschwiegen, um möglichst allseitig den Eindruck wahr zunehmen, welchen dasselbe auf die verschiedenen Gesellschaftsklassen im Allgemeinen wie auf die religiösen Parteien insonderheit hiesigen OrtS hcrvorbringen würde. Es kann sich ja dabei zunächst durchaus nicht um unsere Meinung handeln, sondern eben nur um den Gesichtspunkt, von welchem aus die Bevölkerung der Residenz, soweit sie urtheilsfähig und zu einem Urtheile berechtigt ist, diese Maßregel betrachtet, und dieser Gesichtspunkt kann jetzt, da schon Wochen seit dem Erscheinen des Rc- scripts verflossen sind, ein fester, aus ruhiger Betrachtung hervorgcgangc- ner geworden sein, während in den ersten Tagen nach der Bekanntma chung von allen Seiten eine gewisse Aufregung darüber bemerklich wurde, die auf der eine» Seite in schmerzlicher Betroffenheit, auf der andern in unverhohlener Freude sich äußerte. Wenn es anfangs den Anschein gewann, als sei jenes Rescript nur zu Gunsten der orthodoxen Richtung erlassen, als sei damit ein Zurückdrängen des Zeitbewußtseins, eine Hemmung freier Forschung und selbständiger Weiterbildung in religiösen Dingen beabsich tigt worden, oder als müsse dasselbe als eine Demonstration betrach tet werden gegen alle Die, welche dem lebendigen Fortschritte, der im merwährenden Entwickelung auch der religiösen Wahrheit in der Zeit zü- gethan sind, demgemäß also als eine offene Parteinahme für eine in neue rer und neuester Zeit gar gewaltig ihr Haupt erhebende rcactionaire Rich tung in der evangelischen Kirche: so hat dieser Anschein bei ruhigerer Be trachtung sich eben als Schein erwiesen, und es macht sich mehr und mehr die gemäßigtere Ansicht geltend, daß jenes Rescript nur eine Con sequenz der augenblicklich noch realiter bestehenden kirchlichen Gesetzgebung Sachsens sei, um deren zeitgemäße Abänderung ja eben durchaus verfas sungsgemäß petitionirt worden, und eine Folge des Wunsches, in die aufgeregten Wogen des religiösen Parteienkampfs dadurch das Oel der Beruhigung zu gießen, daß einmal von Seiten der Regierung der Standpunkt klar und bestimmt bezeichnet wurde, von welchem aus rein gesetzlich diese Er scheinungen zu betrachten seien. Daß diese gute Absicht keine sehr erfreu lichen Früchte getragen, ist freilich nicht zu läugnen, und daß sie geeig net war, jene MiSdeutung heroorzurufcn, daß ihr die Möglichkeit inne wohnte, als eine Parteinahme von den entgegengesetzten Seiten gedeutet zu werden, ist eben das Beklagenswerthe bei der Sache, da auch der immerhin falsche Schein einer Parteinahme Seitens der Regierung namentlich in reli giösen Fragen auf Vas sorgfältigste stets zu vermeiden ist, und es sich unschwer voraussehen ließ^ daß bei der Aufregung, welche die mannichsachen Zeit bewegungen in der katholischen wie in der evangelischen Kirche gerade jetzt hervorgerufen hatten, eine derartige Deutung nicht ausbleibcn werde. Es ist ja entschieden anerkannt, daß die überwiegende Mehrzahl der Geistlichen Sachsens auf einem Standpunkte steht, welcher einer retrograden Richtung geradehin entgegengesetzt ist und mit sehr vielen Aussprüchen der tzmbo- lischen Bücher (eine sehr zeitgemäße Zusammenstellung derselben zu Jeder manns Nutz und Frommen findet sich in dem soeben erschienenen kleinen Schriftchen: „Glaubenslehren der evangelisch-lutherischen Kirche, zusam- mengestellt nach den symbolischen Büchern, welche im Königreiche Sachsen öffentliche Geltung haben") unmöglich sich einverstehen kann. Dieser Stand punkt aber ist gleichzeitig der der meisten Gemeindealieder, so weit sie nicht ganz indifferent oder eines Urtheils durchaus unfähig sind. Es kann also unzweifelhaft nicht in der Absicht der Regierung gelegen haben, jene zu einem Aufgcben ihrer Stellung oder zu graffcster Heuchelei an heiliger Stätte zu veranlassen, diesen die Gemeinschaft mit der staatlich anerkannten evan gelische» Kirche zu entziehen, wie das ja die nothwendige Folge jenes 8se- scripts sein würde, wenn es wirklich in dem zuerst angedeuteten Sinne verstän den werden wollte. Nack der zweiten Erklärung aber angesehen, liegt darin ohne Zweifel eine dankenswcrthe Erscheinung, indem cs den nicht immer klar ins Bewußtsein tretenden und doch so wichtigen juristischen Standpunkt fest stellt, dadurch indirekt nachweist, daß die bestehende Gesetzgebung auf diesem Gebiet einer Reform dringend bedürfe, und somit eine sehr brauchbare Grund lage für eine Berathunq der auf dem nächsten Landtage jedenfalls zur Ver handlung kommenden kirchlichen Zustände darbietet. Und nicht ganz ohne Gewicht dürfte dabei auch die dresdner Petition um freie Kirchenverfas sung bleiben, die mit 1365 Unterschriften abgegangen ist. Wer erwägt, daß dabei keinerlei Ucberredung, keinerlei Werbung stattaefunden, daß cs hierorts nicht Wenige gibt, welche einer solchen Manifestation im Herze» wol zugeneigt, doch offen damit hcrvorzuttctcn aus mancherlei Rücksichten fürchten, wird diese Zahl immerhin nicht unbedeutend finden, wenn die selbe auch, absolut betrachtet, nicht eben beträchtlich genannt werden mag.